Anlagenbau & Prozesstechnik

Der chemischen Produktion den Prozess machen

27.02.2015 -

Experten von Swissi Process Safety und TÜV Süd Chemie Service zeigen, wie ein genauer Blick auf die chemischen Prozesse verborgene Potenziale heben kann.

Veränderte Rahmenbedingungen veranlassen viele Chemieunternehmen den Fokus wieder stärker auf die Verfahrenstechnik zu legen. Denn zum Einen erhöht die Globalisierung durch die Zunahme von Nachfrage und Wettbewerb aus Asien von Absatzmärkten und Warenströmen den Innovationsdruck. Zum Anderen drängen die Ressourcenverknappung, steigende Energiekosten und das wachsende Umweltbewusstsein die Unternehmen zu energie- und rohstoffeffizienten Produktionsmethoden. Erschwerend kommen Regulierungskosten und z. T. ein spürbarer Fachkräftemangel hinzu.
Heute werden viele Produktionskapa­zitäten ausgebaut, um weitere Skaleneffekte zu nutzen und Kostensenkungsprogramme implementiert. Instandhaltungsmaßnahmen, Personalstrukturen und die technische Auslegung von Anlagen kommen auf die Agenda. Während große Unternehmen und Konzerne mit entsprechend aufgestellten Supportfunktionen auf diesen Gebieten Fortschritte machen, werden häufig bei kleinen und mittleren, aber mitunter auch bei großen Unternehmen grundlegende verfahrenstechnische Verbesserungspotenziale nicht voll genutzt.

Mit Sicherheit mehr Effizienz
Dabei geht es nicht nur um höhere Produktionsvolumina, verbesserte Selektivität, kürzere Reaktionszeiten und geringeren Stoffeinsatz. Optimierte chemische und thermische Prozesse können bei der Aufarbeitung die Produktreinheit bzw. -qualität, sowie Produktstabilität und -konsistenz verbessern und Einsparungen erzielen. Zugleich kann ein genauer Blick auf die zugrundeliegenden Reaktionen die Sicherheit erhöhen. Durch sorgfältige Analyse von Reaktionsparametern wie Druck, Temperatur oder Dosierung können die zentralen Einflussgrößen zuverlässig bestimmt und Verfahren optimiert werden.
Wirksame Effizienzsteigerungen setzen verfahrenstechnisches Know-how, gut eingerichtete Versuchslabore und wirksame Methoden voraus. Am Anfang steht das Prozessverständnis. Hier gilt es, mittels Mess- und Analyseverfahren die Schlüssel-Parameter und grundlegenden Abhängigkeiten zu bestimmen. Welches sind die zentralen Ereignisse und wann treten diese unter welchen Bedingungen ein? Wie empfindlich ist die Reaktion gegenüber Änderungen von Zustandsparametern, und mit welcher Geschwindigkeit breiten sich Änderungen aus? Welche Nebenkomponenten bilden sich? Verringert dies den Ertrag oder die Aufarbeitung des Rohprodukts?

Reaktionspfaden auf der Spur
Um ein tiefes Prozessverständnis aufzubauen, setzen Experten eine Reihe von Werkzeugen ein, deren Auswahl und Ausrichtung dem Einzelfall angepasst sind. Dazu gehören die Inspektion aller wichtigen Anlagen und Komponenten und das Prüfen der Maschinenauslegung genauso wie die Erfassung und Analyse von Betriebsdaten und Stoffproben. Mitunter sammeln Unternehmen bereits große Mengen an Daten von verschiedenen Messstellen, doch oft werden diese noch nicht in vollem Umfang genutzt. Verfahrensexperten wenden darüber hinaus statistische Rechnungen, Modellierungsmethoden, Bilanzen und Simulationen an, womit Prognosen des Prozesszustands erstellt werden können.
Mit diesem Ansatz ist es auch möglich, alternative Syntheserouten und neue Prozessfenster zu identifizieren. Dabei können mitunter die Zahl der Reaktionsstufen minimiert und stöchiometrische Schritte durch katalytische ersetzt werden. Auch der Wechsel von einer ein- zu einer mehrphasigen Prozessführung kann in der Praxis deutliche Vorteile bringen. Hinzu kommt die Untersuchung von Parametern, die häufig unbeachtet bleiben. So können bspw. bestimmte Reaktionen in unterschiedlichen Lösungsmitteln ablaufen, die auf die Produktqualität keinen Einfluss haben. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Wärmekapazitäten kann eine gezielte Auswahl jedoch einen wesentlichen Einfluss auf den Energiebedarf nehmen.

Dynamische Änderungen einbeziehen
Sicherheit ist in der Chemie höchstes Gebot - dies betrifft sowohl die Zuverlässigkeit der Prozesse als auch den langfristigen Schutz von Mensch, Umwelt und Anlagen. Doch Sicherheit und Effizienz schließen sich nicht aus. Die Praxis zeigt, dass allein durch angepasste Temperaturen und Drücke mitunter erhebliche Verbesserungen erzielt werden können. Zugleich sollte versucht werden, die Parameter so einzustellen, dass Prozesse bei unplanmäßigen Abweichungen von selbst in einen unkritischen Zustand wechseln. Dazu zählen mechanische Ausfälle an Rührwerken ebenso wie Kühlpannen oder elektrische Unfälle. Hier zeigt die Praxis, dass externe Expertise bei den Kenntnissen um das Systemverhalten bei Prozessabweichungen ein wichtiges Hilfsmittel sein kann.
Auch muss den oftmals wechselnden Betriebsbedingungen Rechnung getragen werden. Zum einen wird kaum eine Anlage so betrieben, wie sie geplant war. Betriebliche Faktoren können sich im Laufe der Zeit ändern: Produkte wechseln, Kapazitäten werden erweitert oder es werden Umbauten vorgenommen. Nicht zuletzt kann es durch chemische Begleiterscheinungen wie Beläge am Innern von Reaktorwänden zu Änderungen in den Betriebsbedingungen kommen. Hier ist auch der Einfluss von Instandhaltungsmaßnahmen einzubeziehen. Zusätzlich führen die Optimierungen selbst zu Veränderungen, die wiederum neu betrachtet werden müssen, um die gewonnenen Vorteile zu erhalten und in Zukunft weiter ausbauen zu können.

Fazit
Prozess Sicherheit und Effizienz gehen Hand in Hand. Nur wer die zugrundeliegenden chemischen Prozesse genau versteht, kann diese wirksam optimieren, um Anlagen sicher und zugleich optimal an ihren Auslegungsgrenzen zu betreiben. Experten von TÜV SÜD Chemie Service begleiten dabei Unternehmen der chemischen Industrie in allen Aspekten der Prozessoptimierung, Anlagensicherheit und Wirtschaftlichkeit.

Fallbeispiel Abwasserentsorgung: Wenn Sicherheitsfragen die Verfügbarkeit betreffen
Bei der Entsorgung von Abwässern wird häufig in erster Linie auf Umweltverträglichkeit geachtet. Unvorhergesehene Ereignisse in Abwassersystemen können jedoch schnell die gesamte Produktion stoppen und somit erhebliche wirtschaftliche Verluste nach sich ziehen. Mögliche Ursachen können das Bersten eines Abwasserbehälters durch plötzliche Gasbildung sein, oder das Bilden von giftigen Gaswolken in einem Kanalsystem. Gerade diese, oft als Nebenanlagen bezeichnete Systeme, bergen spezielle Risiken der Prozesssicherheit. Für einen störungsfreien Betrieb unter hoher Verfügbarkeit sollten sie deshalb genauso sorgfältig betrachtet werden, wie die ‚Hauptanlagen' der Produktion.