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Der Erdgasmarkt wird komplexer

18.06.2013 -

Der Erdgasmarkt wird komplexer – Risiken bei der Erdgasbeschaffung nehmen zu.

Rund 400 Unternehmen gehören zum Kundenkreis von RWE Key Account. Rund die Hälfte der 22 TWh Erdgas, die die Tochter des Essener RWE-Konzerns umsetzt, geht an die chemische Industrie. Im Interview mit CHEManager erläutert Geschäftsführer Dr. Martin Glimpel, welche Einflussmöglichkeiten die industriellen Großkunden in einem globalisierten Erdgasmarkt haben und gibt eine Einschätzung der mittel- und langfristigen Versorgungssicherheit. Die Fragen stellte Maria Knissel.

 


CHEManager: Herr Dr. Glimpel, welche Aufgaben hat RWE Key Account beim Erdgas?

Dr. Martin Glimpel: Die RWE Key Account bündelt sämtliche Aktivitäten innerhalb des RWE Konzerns rund um die industriellen Großkunden europaweit.

Nach der Integration des Gasgeschäftes der RWE Gas und Thyssengas in den RWE Konzern und Übernahme des Industriekundensegmentes im Jahr 2003 ist die RWE Key Account angetreten, die im Stromgeschäft traditionelle Unternehmensphilosophie ebenfalls im Gasgeschäft zu etablieren.

Mit einem jährlichen Gasabsatz von ca. 22 TWh erheben wir den Anspruch, durch Produktentwicklung im liberalisierten und liquiden Marktumfeld Mehrwert für unsere industriellen Großkunden zu schaffen.

 


Um welche Produkte und Dienstleistungen handelt es sich dabei? Wie unterstützen Sie Unternehmen aus der Chemie- und Pharmaindustrie bei der Erdgasbeschaffung?

Dr. M. Glimpel: Die RWE Key Account bietet ihren Kunden natürlich die klassische Vollversorgung mit Ölpreisbindung an, wobei der Preis an verschiedene Ölpreisnotierungen gebunden werden kann.

Alternativ dazu kann der Kunde sich aber auch für eine Vollversorgung mit modernen Bindungsstrukturen, etwa an Drittlandskohle, entscheiden. Darüber hinaus haben die Kunden die Möglichkeit, Erdgas zu einem Festpreis zu kaufen oder im Rahmen eines bestehenden Liefervertrages Teilmengen, auch unterjährig, preislich zu fixieren.

Eine weitere Produktvariante sind Teilmengenlieferungen in Zweioder Mehrlieferantenmodellen.

In diesen Fällen würde die RWE Key Account dem Kunden z. B. eine Bandmenge und ein zweiter Lieferant die Strukturmenge liefern oder eben umgekehrt, der eine Lieferant liefert das Band an den Kunden und wir die Struktur. Für unsere Größtkunden können wir auch Teiltransaktionen am virtuellen Handelspunkt im jeweiligen Marktgebiet durchführen.

Wir wickeln die Lieferungen für den Kunden am virtuellen Handelspunkt ab und der Kunde kann die erforderlichen Ausspeisekapazitäten selbst beim Netzbetreiber buchen. Seit kurzem bietet die RWE Key Account ihren Kunden auch ein echtes Gasportfoliomanagement an, das heißt, die Beschaffung von wahlfreien Tranchen zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Größen und unterschiedlichen Laufzeiten.

Maximalen Komfort und Transparenz bietet dem Kunden hierbei unser bereits in der Strombeschaffung bewährtes Web-Portal VIEW.

 


Seit 2002 sind Sie bei RWE in unterschiedlichen Positionen für die chemische Industrie zuständig. Was unterscheidet aus Ihrer Sicht die Chemiebranche von anderen?

Dr. M. Glimpel: Der wesentliche Unterschied ist der kontinuierliche Bedarf: Die Unternehmen haben also einen geringeren Strukturierungsbedarf als andere Branchen. Sie ist dadurch prädestiniert, auch bei der Gasbeschaffung mit modernen und flexiblen Vertragsstrukturen eine Vorreiterrolle einzunehmen.

Da die Chemieindustrie gleichzeitig einen großen Bedarf an Strom, aber auch an Dampf und Wärme hat, ist die Kraft-Wärme-Kopplung für Unternehmen dieser Branche besonders geeignet. Hier kann RWE Key Account interessierte Industriekunden bei der Projektentwicklung, dem Bau und dem Betrieb von KWK-Anlagen unterstützen - unser Beitrag zu Energieeffizienz und Umweltschutz.

 


Wie schätzen Sie die Entwicklung der Preise für Erdgas in den nächsten Jahren ein?

Dr. M. Glimpel: Der Energiemarkt - ehemals regional begrenzt - ist komplexer geworden und unterliegt heute den Einflüssen der gesamten Weltwirtschaft. Ebenso sind die Volatilitäten gestiegen.

Der Preisabstand zwischen den Marktsegmenten wird zunehmend abschmelzen und im Wesentlichen nur noch von individuellen Transportund Strukturierungskosten gekennzeichnet sein.

An virtuellen Handelspunkten wird es innerhalb eines Marktgebietes keine spürbaren Preisdifferenzierungen der Commodity mehr geben. Es wird zu stärkeren, saisonalen und konjunkturellen Preisunterschieden und damit zu höheren kurzfristigen Volatilitäten kommen.

Kurzum: Die Beschaffungsrisiken aus Sicht der Gaskunden werden zunehmen.

 


Welche Einflussmöglichkeiten haben Unternehmen, um die Beschaffungskosten für Erdgas zu senken?

Dr. M. Glimpel: Unserer Einschätzung nach wird Energie in überschaubarer Zeit nicht deutlich im Preis verfallen, da weltweit eine große Nachfrage besteht und sie dadurch einfach nachhaltig einen hohen Wert hat.

Chancen für Industrieunternehmen, Kosten zu sparen bestehen zum einen durch Effizienzsteigerungen bei der Energieumwandlung, z. B. durch die Anwendung der Kraft-Wärme- Kopplung und die konsequente Realisierung von Einsparungspotentialen beim Energieeinsatz in der Produktion.

Zum anderen bestehen Möglichkeiten durch ein aktives Lastmanagement und die Beobachtung der Entwicklungen auf den Erdgasmärkten.

Hier ergeben sich Chancen zur Kostensenkung durch die Bedarfseindeckung zu unterschiedlichen Zeitpunkten und die Ausnutzung der Preisvolatilitäten.

Letzteres wird ähnlich wie beim Strombezug in Kürze auch im Tages- und Wochenzyklus sinnvoll sein.

 


Welche Beschaffungsstrategie empfehlen Sie unter den jetzigen Rahmenbedingungen energieintensiven Chemie- oder Pharmaunternehmen?

Dr. M. Glimpel: Die optimale Beschaffungsstrategie sieht für jeden Kunden anders aus, da die individuellen Ansprüche und Gegebenheiten des Kunden mit einfließen müssen. Trotzdem ist die strukturierte Beschaffung, also der Einkauf des Energiebedarfs zu verschiedenen Zeitpunkten eine gute Möglichkeit.

Eine weitere Variante ist auch die Bezugsdiversifizierung, also nicht alles bei einem, sondern durchaus bei mehreren Lieferanten einzukaufen. Wichtig ist hierbei auch, auf Kundenseite Netznutzung und Gasbeschaffung konsequent voneinander zu trennen.

 


Die Bundesnetzagentur hat das Grundmodell der Ausgleichsleistungs- und Bilanzierungsregeln im Gassektor (GABi) beschlossen, das seit dem 1. Oktober 2008 von den Bilanzkreisnetzbetreibern angewendet werden muss. Wie wird sich GABi auf den Gasmarkt auswirken?

Dr. M. Glimpel: Ein großer Vorteil dieses Modells ist die Tatsache, dass mit Inkrafttreten bei allen Netzbetreibern eine einheitliche und verbindliche Regelung zu den Rahmenbedingungen der Bilanzierung und für die Bepreisung der Ausgleichsenergie vorliegt.

Damit ist ein weiterer Schritt in Richtung Transparenz im Gasmarkt gemacht.

 


Ist unsere Gasversorgung mittelund langfristig sicher?

Dr. M. Glimpel: Bis 2012 und auch darüberhinaus ist in Deutschland eine stabile und gesicherte Versorgung durch Eigenförderung sowie langfristige Importverträge, im Wesentlichen mit den größten Förderstaaten Norwegen und Russland, gesichert.

Dabei ist bereits berücksichtigt, dass der Einsatz von Erdgas in der Industrie und der Kraftwirtschaft in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird.

 


Neue Pipelines sorgen auch langfristig für Versorgungssicherheit beim Erdgas

Die Abbildung zeigt die langfristigen Importverträge sowie der Eigenförderung innerhalb der EU 25. In diesem Szenario wird der Anteil der Lieferungen aus Norwegen und Russland bis Mitte des nächsten Jahrzehnts stabil bleiben.

Bei unterstelltem Rückgang der EU-Eigenförderung wird der Marktanteil der Langfristverträge aus diesen Ländern von heute 39 % auf 50 % ansteigen.

Bis Ende dieses Jahrzehnts ist somit ein stabiles Angebots-/Nachfrageszenario zu erwarten. Darüber hinaus werden bis Anfang des nächsten Jahrzehnts neue Pipelineprojekte und der Ausbau der weltweiten LNG-Kapazitäten technische Voraussetzungen schaffen, die zu einer deutlichen Erhöhung der Liquidität auf dem deutschen und europäischen Gasmarkt führen werden.

Beispiele dafür sind Pipelineprojekte wie die Nabucco von der Türkei nach Baumgarten, Österreich (Fertigstellung 2011), die nordeuropäische Gasleitung (North Stream Pipeline) von Vyborg in Russland nach Greifswald (2010) sowie die von RWE geplante Pipeline von Seyda nach Werne und im weiteren Verlauf nach Eynatten, Belgien (Ende 2011) sowie LNG Terminals (Wilhelmshaven, Gate-Projekt).

 

Neujahr in der Gaswirtschaft

Am 1. Oktober hat das neue Gaswirtschaftsjahr begonnen. Im nunmehr vierten Jahr nach Einführung der Regulierung im Gasmarkt zieht die Bundesnetzagentur in ihrem jüngst erschienenen Monitoringbericht eine gemischte Zwischenbilanz.

Agenturchef Matthias Kurth spricht von einem „halb vollen Glas" und kündigte verstärkte Anstrengungen zur Belebung des Wettbewerbs auf dem deutschen Gasmarkt an. Im Auge hat die Regulierungsbehörde dabei besonders die großen Gasnetzbetreiber.

Den ersten drei Unternehmen - Eon Gastransport, Wingas Transport sowie Gasunie Deutschland Transport Services - wurden Entscheidungen zum Leitungswettbewerb im Gasbereich zugestellt.

Damit müssen die Betreiber der überregionalen Fernleitungsnetze, die bislang aufgrund einer Sondervorschrift der Gasnetzentgeltverordnung von einer Kostenprüfung befreit waren, innerhalb der nächsten zwei Monate Kostenunterlagen vorlegen.

Die Bundesnetzagentur Effizienzvergleich unterziehen. Auch mit den beiden „Schwestern" GeLI und GABi versucht die Bundesnetzagentur, den Gasmarkt zu beleben.

GeLI, eine seit August geltende Regelung zur Schaffung einheitlicher Geschäftsprozesse beim Lieferantenwechsel, zielt auf eine erhöhte Wechselbereitschaft von Endkunden ab. Seit 1. Oktober soll GABi, das „Grundmodell der Ausgleichsleistungs- und Bilanzierungsregeln im Gassektor", für mehr Transparenz auf dem Gasmarkt sorgen.

Ziel ist es, allen Nutzern des Gasnetzes die Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um wirtschaftliche Risiken erkennen und vermindern zu können.

Im laufenden Gaswirtschaftsjahr wird sich nun zeigen, ob diese Regelungen greifen, ob sie praxistauglich und ob sie juristisch belastbar sind. Und ob beim nächsten Gas-Neujahr das Glas wieder ein bisschen voller ist als heute.