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Deutsches Chemiegeschäft wächst nur langsam

VCI warnt vor weiteren Wettbewerbsnachteilen für deutsche Unternehmen

09.03.2017 -

Für die deutsche Chemieindustrie ist das wenig dynamische Geschäftsjahr 2016 zwar mit einem versöhnlichen 4. Quartal zu Ende gegangen, die industrielle Nachfrage nach Chemikalien entwickelt sich jedoch weiterhin wenig dynamisch. Das geht aus dem Quartalsbericht und der Prognose hervor, die der Verband der Chemischen Industrie (VCI) bei seiner Jahrespressekonferenz vorgestellt hat. Die Produktion von Chemikalien blieb gegenüber dem Vorquartal nahezu stabil, der Branchenumsatz stieg zum zweiten Mal in Folge, u.a. weil sich Chemieprodukte aufgrund steigender Ölpreise weiter verteuerten. Wachstumsimpulse kamen vor allem aus dem Handel mit Asien und Nordamerika, während das Inlandsgeschäft insgesamt noch nicht in Schwung kam. Lediglich in der Spezial- und Konsumchemie sowie bei Pharmazeutika setzte sich der Aufwärtstrend durch.

VCI-Hauptgeschäftsführer und Präsidiumsmitglied Dr. Utz Tillmann sagte zur konjunkturellen Lage der Branche:

„Wir leben in wirtschaftlich schwer vorhersagbaren Zeiten."

Zum einen befinde sich der Welthandel weiterhin in einer Schwächephase. Zum anderen sehe sich die EU mit dem Brexit sowie zahlreichen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert. Vor diesem Hintergrund entwickele sich die industrielle Nachfrage nach Chemikalien wenig dynamisch. "Das deutsche Chemiegeschäft wächst langsam“, so die Analyse des VCI.

Prognose
Der VCI geht für 2017 weiterhin von einem Anstieg der Chemieproduktion um 0,5 % aus. Die Chemikalienpreise werden voraussichtlich 1 % zulegen, wodurch der Branchenumsatz um 1,5 % auf 185,7 Mrd. EUR steigt.

Produktion
Die Chemieproduktion in Deutschland ist im vierten Quartal gegenüber dem Vorquartal leicht um 0,2 % gesunken. Im Vergleich zum schwachen Vorjahresquartal stieg die Produktion um 1,4 %. Die Kapazitätsauslastung der Branche lag bei 84,9 %.

Erzeugerpreise
Die Preise für Chemikalien sind im vierten Quartal erneut gestiegen. Im Vergleich zum dritten Quartal verteuerten sich Chemieprodukte um 0,5 %. Sie waren aber immer noch 0,7 % günstiger als ein Jahr zuvor.

Umsatz
Der Umsatz der Branche verbesserte sich aufgrund der gestiegenen Preise im vierten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 1,6 % auf 43,1 Mrd. EUR. Sowohl das Inlands- als auch das Auslandsgeschäft konnte dabei zulegen. Im Vergleich zum Vorjahr blieb der Umsatz unverändert.

Beschäftigung
Die Zahl der Arbeitsplätze in der Chemie blieb im vierten Quartal im Vergleich zum Vorquartal erneut stabil. Die Branche beschäftigt derzeit 446.000 Mitarbeiter und damit genauso viel wie ein Jahr zuvor.

Die Kernindikatoren der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland im 4. Quartal 2016 im Überblick:
(Veränd. ggü. Vorquartal in %)

Wirtschaftsentwicklung der Chemie wenig dynamisch

Bei seinem traditionellen Presseabend warf der Verband einen Blick auf das aktuelle wirtschaftliche und politische Umfeld und erläuterte seine Analyse, warum die Wirtschaftsentwicklung der Chemie schon seit einigen Jahren so wenig dynamisch ist und welche Konsequenzen sich daraus ableiten lassen.

2016 war insgesamt ein durchwachsenes Jahr für die deutsche Chemieindustrie. Über alle 12 Monate betrachtet konnte die Branchenproduktion im Vorjahresvergleich nur 0,5 % zulegen. Rechnet man den Pharmaanteil heraus (Wachstum 2016: +2,4 %), sank die reine Chemieproduktion sogar um 0,5 %.

Momentan weise alles darauf hin, dass sich das verhaltene Branchenwachstum in Deutschland auch dieses Jahr nicht beschleunigt, so VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. Dies, so Tillmann, habe mehrere Gründe. Konjunkturstimulierenden Sondereffekte hörten auf zu wirken, hinzu kämen Unwägbarkeiten. Die EU steuere einer ungewissen politischen Zukunft entgegen. Auch außerhalb von Europa werde sich die wenig dynamische Entwicklung des Welthandels in diesem Jahr fortsetzen.

Vor dem Hintergrund der globalen Entwicklungen prognostiziert der VCI für die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie für 2017, dass die Produktion erneut nur um 0,5 % steigen wird.

Chemiestandort Deutschland hat Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit

Seit nunmehr fünf Jahren, so der VCI-Hauptgeschäftsführer, verweile das Wachstum der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland nahe der Nulllinie. Ein wichtiger Grund sei, dass das globale Wirtschaftswachstum und der Welthandel seit 2011 deutlich nachgelassen haben.

Für die Zukunft sieht Tillmann aber ein weit gravierenderes Problem: Während nämlich die Industrieproduktion in Deutschland von 2012 bis 2016 jährlich im Schnitt um 1,1 % gestiegen ist, sei die Chemieproduktion ohne das Pharmageschäft im gleichen Zeitraum um 0,4 % jährlich rückläufig. Die Entkopplung des Industriewachstums von der Chemieproduktion zeige deutlich, dass der Chemiestandort Deutschland ein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit habe.

Die Gründe für den Produktionsrückgang der Branche lägen in der Basischemie, die in den vergangenen 5 Jahren insgesamt 5,5 % weniger produzierte als in den Jahren davor, weil in den Schwellenländern enorme Produktionskapazitäten für Basischemikalien aufgebaut worden sind und sich dazu eine Energiepolitik in Deutschland und eine Klimapolitik in Europa gesellten, die den Unternehmen steigende Kosten und eine anhaltende Planungsunsicherheit beschert hat. Hingegen konnte die forschungsintensive Spezialchemie, in der die Technologienation Deutschland ihre Zukunft sieht, ihre Produktion seit 2012 um 7,6 % steigern. Allerdings darf sich der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht einzig und allein darauf zurückziehen. Zwar werden Spezialchemikalien ganz wesentlich für andere industrielle Kernbranchen benötigt, die ihrerseits die deutsche Exportstärke ausmachen, aber eine starke Spezialchemie gibt es nur im Verbund mit der Basischemie. Es ist daher für die gesamte Wirtschaft von großem Interesse, dass die Chemie langfristig mit all ihren Sparten Teil der vielfältigen Wertschöpfungsketten im deutschen Industrienetzwerk bleibt.

Damit dies gelingen kann, brauchen wir die Basischemie in Deutschland als Rohstofflieferant für die Produktion von Spezialchemikalien. Der Verbund ist eine wichtige Voraussetzung für das weitere Wachstum in diesem Segment. Sollte dieser Verbund auseinanderbrechen warnte Tillmann mit Blick auf das Beispiel Großbritannien:

„Es ist schwer, zerstörte Wertschöpfungsketten wiederherzustellen.“

VCI fordert aktive Industriepolitik

Um zu verhindern, dass sich der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in der Wertschöpfungskette fortsetzt, müsse die Politik u.a. eine Kostenbremse für die Strompreise finden, die auch wirklich greife und Planungssicherheit schaffe. „Dafür ist eine grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes unerlässlich. Wir erwarten, dass die nächste Bundesregierung ein alternatives Finanzierungsmodell für die Förderung weiterer Anlagen entwickelt. Gerade mittelständische Unternehmen, von denen die allermeisten keine Entlastungsregelung in Anspruch nehmen können und die volle EEG-Umlage auf ihren Stromverbrauch zahlen, sind im Segment Spezialchemie zuhause“, so Tillmann.

Aktive Industriepolitik sei auch auf anderen Feldern gefordert: Die Mobilisierung von Wagniskapital und die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung seien Hebel, um stärkere Innovationsanreize in den Unternehmen zu setzen. Der Industriestandort Deutschland braucht zudem eine moderne, den Aufgaben der Zukunft angemessene Infrastruktur für Verkehr, Energie und digitale Netze. Dafür müssen deutlich mehr Mittel des Staates bereitgestellt und investiert werden. Last but not least setzt sich gute Industriepolitik aktiv für Freihandel und offene Märkte ein.

Der VCI ist überzeugt, dass die Branche in Deutschland eine gute Zukunft haben kann, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. „Ich bin überzeugt: Politik und Industrie kann es gemeinsam gelingen, den Standort zukunftsfähig zu machen“, so  Tillmann abschließend.

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