Chemie & Life Sciences

Die Landwirtschaft braucht Innovationen

Forschung und Digitalisierung helfen, die Umwelt, das Klima und die Biodiversität zu schützen

29.07.2019 -

Biodiversität, Dürre und Digitalisierung – drei Themen bestimmen derzeit die Schlagzeilen, nicht nur in der Landwirtschaft. Aber gerade für die Zukunft der Landwirtschaft sind diese Themen entscheidend. In Deutschland befasst sich der Industrieverband Agrar (IVA) mit diesen Branchenthemen und informiert die Öffentlichkeit, die Politik, Behörden und Medien über die Themen Pflanzenschutz, Düngung, Schädlingsbekämpfung und Biostimulanzien. Ein besonderes Augenmerk legt der Verband auf die Bedeutung von Innovation für eine moderne und nachhaltige Landwirtschaft und die Vermittlung von Informationen zum Fortschritt in der agrochemischen Forschung. Der Präsident des IVA, Manfred Hudetz, erläutert, wie die Branche mit den Herausforderungen umgeht und welche Chancen sie sich durch innovative Konzepte und Produkte eröffnen will. Die Fragen stellte Michael Reubold.

CHEManager: Herr Hudetz, wir erleben derzeit einen Stimmungswandel in der Öffentlichkeit, die die Dringlichkeit der Themen Klima- und Umweltschutz erkennt und die Politik, aber auch Industrie und Landwirtschaft, zum Umdenken beziehungsweise Umlenken auffordert. Wie nehmen Ihre Mitgliedsunternehmen die öffentliche Meinung wahr?

Manfred Hudetz: Dass die Öffentlichkeit gerade in Fragen des Umweltschutzes sehr genau hinschaut, ist für unsere Industrie nicht neu. Wir stellen chemische Substanzen her, die unsere Kunden in die Umwelt ausbringen. Das erfordert ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, und dem stellen sich die Mitglieder unseres Verbands jeden Tag. Jedes einzelne Unternehmen tut das im Rahmen seiner Produktverantwortung, aber auch für uns als Wirtschaftsverband ist verantwortliches Handeln ein zentrales Thema. Zugleich gibt es aber auch eine Schieflage in der Wahrnehmung unserer Themen: Wenn es um Pflanzenschutz geht, dreht sich in der Öffentlichkeit alles um Risiken. Den enormen Nutzen, den der Pflanzenschutz für die Landwirtschaft, und damit letztlich für uns alle, bringt – sichere Ernten, gesunde und günstige Lebensmittel – sieht kaum einer.

Heutzutage werden Reizthemen immer häufiger von Polemik und Populismus als von wissenschaftlichen Sachargumenten bestimmt. Wie setzen Sie sich für eine Versachlichung der Diskussion bei Themen mit Relevanz für Ihre Mitglieder und Zielgruppen ein?

M. Hudetz: Mit den eigenen Botschaften durchzudringen wird da natürlich schwieriger, besonders, wenn man sich – wie wir in der forschenden Industrie – vorwiegend auf Wissenschaft und Fakten beruft. Das dürfen und werden wir auch nicht aufgeben. Zum Pflanzenschutz kursieren in der Öffentlichkeit häufig falsche Darstellungen – dann melden wir uns zu Wort und bemühen uns, das richtig zu stellen. Aber wir kommunizieren inzwischen auf deutlich mehr Kanälen, auch in den sozialen Medien, und haben neue Formate gefunden. Das vielleicht Wichtigste ist unsere Initiative „Die Pflanzenschützer“ und deren Projekt „Schau ins Feld!“. Dabei helfen uns Landwirte – letztlich also unsere Kunden –, den Nutzen der modernen Landwirtschaft erlebbar zu machen.

Der IVA hatte bei der „Internationalen Grünen Woche“ im Januar gemeinsam mit der Naturschutzorganisation WWF zur ersten Dialog-Pressekonferenz eingeladen. Ist das „Experiment“ aus Ihrer Sicht geglückt? Wie weit sind die Agrar- und die Umwelt-Lobby bei inhaltlichen Fragen voneinander entfernt?

M. Hudetz: Ja, das ist geglückt, und ich denke, auch der WWF hat ein zufriedenes Fazit gezogen. Dieses Gespräch war beispielhaft für den neuen Weg, den wir einschlagen wollen. Wir wollten zeigen, dass man auch mit konträren Meinungen gemeinsam in die Öffentlichkeit gehen kann. In manchen Berichten nach dieser Pressekonferenz ging es fast mehr darum, dass wir zusam­men aufgetreten sind, als um das, was gesagt wurde. Dabei waren die Signale auf beiden Seiten wichtig, nämlich, dass der Umweltverband anerkannte, dass es nicht ganz ohne chemischen Pflanzenschutz geht und dass wir als Industrie uns dazu bekennen, die Mittel zielgerichteter, sparsamer und damit nachhaltiger einzusetzen.

Bevor wir über die Herausforderungen für die Branche reden, eine wirtschaftliche Frage: Wie haben sich die Märkte bei Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln zuletzt entwickelt und wie lautet Ihre Prognose für das laufende Jahr und die Zukunft?

M. Hudetz: Auf beiden großen Märkten haben wir abermals Einbußen bei Umsatz und Absatz hinnehmen müssen. Der deutsche Pflanzenschutzmarkt ist im fünften Jahr in Folge geschrumpft. Die Gründe sind vielfältig, aber klar ist: Wenn es der Landwirtschaft nicht gut geht, geht es auch uns als Hersteller wichtiger Betriebsmittel nicht gut. Am Beispiel des vergangenen Jahres zeigt sich aber anschaulich, wie bestimmend das Wetter und damit der Schädlingsdruck für die Nachfrage nach und die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist: 2018 bescherte die Trockenheit den Landwirten schlechte Ernten, das ist bekannt; weniger bewusst ist den Menschen aber, dass bei Trockenheit im Sommer der Krankheitsdruck durch Pilzbefall geringer ist und die Landwirte infolge dessen weniger Fungizide anwenden. Die Saison läuft noch, daher möchte ich zum Geschäftsverlauf unserer Industrie zu diesem Zeitpunkt keine Prognose abgeben.

Pflanzenschutzmittel und die moderne konventionelle Landwirtschaft generell werden auch für den drastischen Rückgang der Biodiversität mitverantwortlich gemacht. Welche Verantwortung hat die Landwirtschaft und wie gehen Ihre Mitgliedsunternehmen und der IVA damit um?

M. Hudetz: Wir beschäftigen uns mit dem Thema Biodiversität schon deutlich länger, weil wir hier eine besondere Verantwortung haben. Wir stellen Substanzen her, die gezielt Schädlinge und Krankheitserreger bei Kulturpflanzen bekämpfen sollen. Was aber weniger bekannt ist: Zugelassen werden unsere Produkte nur, wenn wir nachweisen können, dass ihre Anwendung keine unannehmbaren Wirkungen auf andere, so genannte Nicht-Zielorganismen hat. Im Gegensatz zu anderen Faktoren, die mit dem Verlust an Biodiversität in Verbindung gebracht werden, wissen wir bei Pflanzenschutzmitteln sehr gut darüber Bescheid, wie sie sich in der Umwelt verhalten. Was mir besonders wichtig ist: Eine produktive Landwirtschaft und der Schutz der Biodiversität schließen sich nicht aus. Auch ein konventionell wirtschaftender Landwirt kann auf seinem Betrieb viele Maßnahmen ergreifen, um die Artenvielfalt zu fördern. Erfahrungen aus der Schweiz zeigen uns: Es hilft nicht, einfach nur Flächen für Biodiversität aus der Produktion zu nehmen. Man muss geeignete Flächen identifizieren und dort gezielt die Biodiversität fördern – und die Landwirte dafür dann angemessen entlohnen.

Ein vieldiskutiertes Thema ist auch der Schutz der Ressource Wasser. Durch die Landwirtschaft gelangen Dünge- und Pflanzenschutzmittel bzw. deren Rückstände ins Grundwasser. Welche Rolle kann agrochemische Forschung bei der Lösung dieser Probleme spielen?

M. Hudetz: Der Schutz von Grund- und Oberflächengewässern ist schon seit vielen Jahren ein Schwerpunkt unserer Stewardship-Arbeit. Untersuchungen zeigen immer wieder: Werden Pflanzenschutzmittel in Gewässern gefunden, waren es oftmals so genannte Punkteinträge. Ursachen sind zum Beispiel die nicht fachgerechte Reinigung einer Spritze auf dem Hof – das ist vermeidbar und darf nicht sein. Wir als Industrie setzen hier mit Schulungen für Landwirte und Berater an. Wir wollen den Landwirten vermitteln, dass sie selbst auch eine Verantwortung für die Bewahrung einer Vielfalt an Wirkstoffen tragen. Gewässerschutz setzt aber auch schon bei der Prüfung der Mittel ein. Zeigt sich, dass eine Substanz oder seine Metaboliten sehr mobil sind, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht erst zugelassen.

„Die Digitalisierung der Landwirtschaft
ist bereits in vollem Gange.“

Die Grüne Biotechnologie wurde aus Deutschland verbannt, haben wir der Umwelt damit einen Bärendienst erwiesen?

M. Hudetz: Biotechnologie gehört aktuell nicht zu den Kernfeldern der Arbeit des IVA. Die Entwicklung ist nicht nur in Deutschland, sondern generell in Europa schwierig, und das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach auch für die neuen Züchtungsmethoden die strengen Regeln des Gentechnikrechts gelten, lässt leider nicht erwarten, dass kurzfristig Bewegung in diesen Markt kommen wird. Das ist bedauerlich, denn was die moderne Landwirtschaft auch in Zukunft brauchen wird, sind: neue Züchtungen, innovative Pflanzenschutzmittel und mineralische Düngemittel.

Die sogenannten Biostimulanzien gelten als Bausteine für eine moderne Landwirtschaft. Wie und wo werden diese Produkte eingesetzt und welches Potenzial haben sie?

„Landwirtschaft wird auch in Zukunft ertragreiche Sorten,
chemischen Pflanzenschutz und
mineralische Düngemittel brauchen.“

 

M. Hudetz: Wir haben im Industrieverband Agrar vor drei Jahren einen eigenen Fachbereich gegründet, in dem sich die Hersteller von Biostimulanzien vernetzt haben. Rechtlich gesehen ist das eine neue Produktgruppe, obwohl viele Anwendungen und Produkte schon länger bekannt sind. Biostimulanzien können verschiedene Wirkungen haben, etwa Pflanzen vor abiotischem Stress schützen oder die Fähigkeit zur Aufnahme von Nährstoffen steigern. Dieser Markt wird, da sind wir sicher, weiterhin wachsen.

Eine Hoffnung vieler Experten ist die Reduzierung der ausgebrachten Dünge- und Pflanzenschutzmittelmengen durch die Digitalisierung der Landwirtschaft. Ihre Unternehmen sind in erster Linie nicht an einem Volumenrückgang ihrer Produkte interessiert, investieren zum Teil aber große Summen in digitale Konzepte. Wie schätzen Sie das Potenzial der digitalen Landwirtschaft ein?

M. Hudetz: Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist bereits in vollem Gange. Dies wird auch das Geschäft der Hersteller von Pflanzenschutz- und Düngemitteln verändern. Die meisten Unternehmen der Branche haben sich entschieden, diesen Prozess aktiv zu gestalten. Sie bieten den Landwirten nicht mehr nur die Betriebsmittel an, sondern auch digitale Werkzeuge, die ihnen helfen sollen, Schadbilder auf ihrem Acker besser und schneller zu erkennen und die Mittel präziser anzuwenden und auszubringen. Davon profitieren letztlich alle.

Wie sieht Ihre Vision von einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaft aus, welche Rolle werden konventionelle Methoden darin spielen?

M. Hudetz: Die Trennung von „bio“ hier und „konventionell“ dort wird, so hoffe ich, an Bedeutung verlieren. Was wir in der Landwirtschaft dringend brauchen, sind Innovationen, sei es aus der chemischen oder biotechnologischen Forschung oder durch digitale Lösungen. Die Landwirtschaft wird auch in Zukunft nicht ohne ertragreiche Sorten, chemischen Pflanzenschutz und mineralische Düngemittel auskommen.

„Die Trennung von „bio“ und „konventionell“ wird,
so hoffe ich, an Bedeutung verlieren.“

Zugleich sind die regulatorischen Anforderungen so hoch, dass immer weniger neue Wirkstoffe auf den Markt kommen und das strenge Gentechnikrecht die breite Anwendung neuer Züchtungsmethoden verhindert. Wir werden viele Herausforderungen unter einen Hut bringen müssen: die wachsende Weltbevölkerung ernähren, unsere natürlichen Grundlagen schützen und uns an den Klimawandel anpassen. Dies wird nur mit einer produktiven modernen Landwirtschaft möglich sein, die stets neugierig auf Neues bleibt.

Zur Person:
Manfred Hudetz wurde Mitte Mai 2019 zum neuen Präsidenten des Industrieverbands Agrar (IVA) gewählt. Hudetz ist Agrarwissenschaftler, führt seit 2014 die Geschäfte der Syngenta Agro, Maintal, und verantwortet die Commercial Unit Deutschland, Österreich und Schweiz des Syngenta-Konzerns. Für das Unternehmen war er zuvor an verschiedenen Stellen im Ausland tätig, darunter in den USA, Brasilien, Polen, in den Baltischen Staaten sowie in Russland.

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