Chemie & Life Sciences

Die neue REACh-Durchführungsverordnung unter der Lupe

Auch die neue Verordnung löst nicht alle Probleme

02.03.2016 -

Die Begriffe „gerecht“, „transparent“ und „nicht-diskriminierend“ werden regelmäßig und gerne in gesellschaftspolitischen Diskussionen genutzt. Wie gerecht ist unsere Gesellschaft? Sind politische Prozesse ausreichend transparent (aktuelles Beispiel: TTIP)? Werden Minderheiten in unserer Gesellschaft nicht diskriminiert? Wenn man damit die Interpretation dieser Begriffe als Spielfeld der Soziologie ansieht, erstaunt es, dass eine chemikalienrechtliche Regelung wie die REACh-Verordnung (REACh-VO) genau diese Begriffe verwendet und sie als Kriterium für eine rechtskonforme Umsetzung der REACh-VO nutzt.

Eine der wesentlichen Grundpflichten der REACh-VO für Hersteller und Importeure von Stoffen in einer Menge von mehr als 1 t/a ist die Registrierung bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA. Damit soll der ECHA, aber auch den zuständigen nationalen Behörden, ein möglichst umfassendes und vollständiges Datenprofil für jeden Stoff zur Verfügung gestellt werden. Dass die Behörden dieses Datenprofil/Stoffdossier möglichst nur einmal – und zwar in einer zwischen den Registranten abgestimmten Form – übermittelt haben möchten, wird an dem Schlagwortkürzel OSOR deutlich: „One Substance – One Registration“ steht plakativ für diese Idealvorstellung, sich für jeden Stoff nur mit einer Registrierung bzw. einem Registrierungsdossier beschäftigen zu müssen. Der Spagat zwischen dieser Idealvorstellung der Behörden einerseits und dem in der REACh-VO festgelegten Grundsatz andererseits, dass jeder Hersteller bzw. Importeur einen Stoff registrieren muss, hat nun in den vergangenen sechs Jahren und insbesondere aktuell in diesen Monaten zu fragwürdigen Entwicklungen geführt.

Zwang zur gemeinsamen Dateneinreichung

In Hinblick auf das Ziel, Wirbeltierversuche möglichst zu vermeiden bzw. zu beschränken, verpflichtet die REACh-VO Registranten in diesem Zusammenhang im Grundsatz zu einer gemeinsamen Einreichung von Daten. Aus der Erfahrung mit den Registrierungsfristen 2010 und 2013 haben EU-Kommission und ECHA mit Unterstützung vieler nationaler Behörden massiv darauf gedrängt, dass – über die Vorgaben der REACh-VO hinaus – für jeden Stoff nur noch ein Registrierungsdossier vorgelegt wird. Als Instrument dafür haben sie eine Durchführungsverordnung nach Artikel 132 der REACh-VO genutzt. Diese „Durchführungsverordnung (EU) 2016/9 der Kommission vom 5. Januar 2016 über die gemeinsame Vorlage und Nutzung von Daten gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACh)“ trifft im Artikel 3 „Ein Stoff, eine Registrierung“ Regelungen zur Durchsetzung des OSOR-Prinzips. Wenn es dort heißt, dass die ECHA dafür sorgt, dass alle Registranten ein und desselben Stoffes Teil derselben Registrierung sind, fragt sich nicht nur der Jurist, ob diese Anforderung von der REACh-VO gedeckt ist.

Dass die ECHA davon ausgeht, dass dem so ist, wird daran deutlich, dass sie noch vor Inkrafttreten der Durchführungsverordnung ankündigt, dass ab dem 26. Januar 2016, dem Datum des Inkrafttretens, individuelle Registrierungen von der REACh-IT der ECHA nicht mehr angenommen. Neue, sog. hinzutretende Registranten werden damit gezwungen, sich an einer gemeinsamen Registrierung zu beteiligen. Diese Zwangsmaßnahme erscheint besonders problematisch in den Fällen, in denen ein hinzutretender Registrant einen vollständigen Opt-out von einer gemeinsamen Dossiereinreichung erklärt, weil er einen eigenen vollständigen Datensatz hat. Rechtlich bedenklich erscheint an dieser Stelle auch, dass sich der hinzutretende Registrant gegen den Zwang zur gemeinsamen Dateneinreichung nicht wehren kann.

Mehr Transparenz erforderlich

Zwei Artikel, die den größten Umfang der Durchführungsverordnung ausmachen, befassen sich mit den Themen „Transparenz“ einerseits und „Gerechtigkeit und Nicht-Diskriminierung“ andererseits.

Transparenz heißt in diesem Zusammenhang, dass in einer Vereinbarung über die gemeinsame Nutzung der zur Registrierung erforderlichen Informationen sowohl die gemeinsam zu nutzenden Daten einschließlich der Kosten der einzelnen Datenposten wie auch die Kosten der Konzipierung und Verwaltung der Vereinbarung detailliert aufgeschlüsselt und begründet werden müssen. Nur einstimmig können die an einer gemeinsamen Registrierung beteiligten Unternehmen auf diese Aufschlüsselungen verzichten. Dies gilt in gleicher Weise für die Maßgabe, ein Kostenteilungsmodell einschließlich eines Erstattungsmechanismus in die Vereinbarung aufzunehmen.

Mit diesen Regelungen wird insbesondere zu einer bestehenden Vereinbarung hinzutretenden Registranten ein starkes Druckmittel an die Hand gegeben. So bleiben dem hinzutretenden Registranten nicht mehr nur die Alternativen zu zahlen oder selbst zu registrieren. Auch Unternehmen, die sich bereits in der Vergangenheit an einer gemeinsamen Registrierung beteiligt haben, obwohl ihnen die vom federführenden Registranten genannten Kosten überhöht erschienen, haben nun die Möglichkeit, deutlich mehr Transparenz zu erzwingen, indem sie ihre für die Einstimmigkeit erforderliche Zustimmung zum Verzicht auf entsprechende Aufschlüsselungen verweigern. Ob sie sich und der Sache damit einen Gefallen tun, muss an dieser Stelle offen bleiben.

Nicht hinreichend ausdifferenziert

Manchem erscheint die Überschrift des Artikel 4 „Gerechtigkeit und Nicht-Diskriminierung“ von der Wortwahl her vielleicht etwas überhöht, wenn es im ersten Absatz darum geht, dass auch bei den Verwaltungskosten eine Beteiligung nur im Hinblick auf die Daten verlangt werden kann, die der potenzielle Registrant für die Vorlage bei der ECHA benötigt. Im Weiteren werden dann Kriterien und Faktoren für die Festlegung von Kostenteilungsmodellen beschrieben. Deren Einhaltung soll sicherstellen, dass ein solches Kostenteilungsmodell für alle Beteiligten gerecht und nicht-diskriminierend ist. Letztlich erscheinen die entsprechenden Regelungen in der Durchführungsverordnung jedoch nicht hinreichend ausdifferenziert. Die Verwendung von Begriffen wie „sollten“ oder „möglicherweise dennoch“ erscheint in einer Rechtsnorm fast befremdlich.

Allerdings verwundert es, wenn die Durchführungsverordnung in der chemikalienrechtlichen Fachliteratur als ein „handwerkliches Desaster“ bezeichnet wird. Wenn dies u.a. damit begründet wird, dass der Verordnungsentwurf in englischer Sprache formuliert und die englische Rechtssprache nicht so präzise wie die deutsche ist, fragt man sich, ob hier nicht weniger mehr wäre. Diese Frage muss man in diesem Zusammenhang auch im Hinblick darauf stellen, dass die ausführlichen ECHA-Leitlinien zur gemeinsamen Nutzung von Daten nun an die Vorgaben der Durchführungsverordnung angepasst werden müssen. Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dieser Anpassungsbedarf auch für zwei Leitfäden gilt, die die sog. Directors’ Contact Group der ECHA im Jahr 2014 vorgelegt hat. Denn auch sie behandeln die Themen „Recommendations on sound SIEF Management“ und „Fair, transparent and non-discriminatory cost sharing in SIEFs”.

Keine echte Hilfe für KMUs

EU-Kommission und ECHA begründen bei dem Erlass von Durchführungsverordnungen bzw. der Veröffentlichung von Leitlinien und sonstigen Dokumenten zu einem erheblichen Maße damit, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) in der Umsetzung der REACh-Bestimmungen unterstützt werden sollen. Es bestehen allerdings Zweifel, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Es ist naiv anzunehmen, dass KMUs mit diesem Ansatz wirklich geholfen wird. Letztlich würde eine Daten- und Kostenteilung dann in jeder Hinsicht gerecht, transparent und nicht-diskriminierend ausgestaltet werden, wenn sich jede Seite in die Position der anderen hineinversetzen und das fordern aber auch das zugestehen würde, was sie selbst auf der anderen Seite auch akzeptieren oder verlangen würde.

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