Forschung & Innovation

Die Wasserstofffarbpalette

Grüner Wasserstoff als Schlüssel für eine erfolgreiche Energiewende

11.10.2021 - Er ist das kleinste und leichteste chemische Element, aber einer der größten Hoffnungsträger auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität: Wasserstoff (H2). Welche Hindernisse stehen einer Wasserstoffwirtschaft im Wege? Und was bedeuten die vielen Farben – von grün über blau bis türkis? Licht in dieses Wasserstoff-Dunkel bringt Stefan Herrig, Projektmanager für Wasserstoff bei IN4climate.NRW.

Wasserstoff hat eine Menge Vorzüge: Er kann sowohl als Energieträger als auch als Grundstoff verwendet werden. Er ist geruchslos und ungiftig, besitzt – auf die Masse bezogen – eine hohe Energiedichte, lässt sich gut transportieren und speichern – und bei seiner Verbrennung entsteht statt CO2 nur Wasserdampf. All das macht ihn zum Hoffnungsträger für die klimaneutrale Transformation. Doch diesen vielen Vorteilen steht ein großer Nachteil entgegen: H2 in Reinform kommt in der Natur kaum vor. Das bedeutet, er muss unter Energieeinsatz aus chemischen Verbindungen gewonnen werden. Die Verfahren, mit denen diese Gewinnung erfolgt, werden durch Farben gekennzeichnet.

Grün, blau, türkis, gelb, grau, violett – die Wasserstofffarbpalette und ihre Bedeutung

Grüner Wasserstoff
Über eines sind sich Wissenschaftler und -innen, Unternehmen, Politikerinnen und Politiker einig: In absehbarer Zukunft darf es im H2-Farbkasten nur noch eine Farbe geben: Grün. Denn grüner Wasserstoff wird mithilfe erneuerbarer Energien – und damit CO2-neutral – hergestellt. Künftig sollen große Elektrolyseanlagen mithilfe von erneuerbarem Strom Wasser (H2O) in seine Bestandteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) aufspalten. Der Wasserstoff wird dann über Pipelines weitergeleitet, um Industrieanlagen oder den Mobilitätssektor (ÖPNV, Güterverkehr, Schiffs- oder Flugverkehr) mit Energie zu versorgen oder um stofflich genutzt zu werden.

Insbesondere für die Industrie birgt Wasserstoff große Potenziale. Industrieunternehmen stehen dabei aktuell vor der Herausforderung, ihre Anlagen für die Verwendung von Wasserstoff als Rohstoff oder Energieträger umzurüsten. Doch „grüner“ erneuerbarer Strom zur Erzeugung von Wasserstoff steht noch nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. Außerdem müssen in großem Rahmen Elektrolyseanlagen gebaut werden.

Derzeit wird neben der etablierten alkalischen Elektrolyse mehr und mehr auch die PEM-Elektrolyse in den großskaligen Einsatz gebracht. Sie eignet sich besonders gut für den Betrieb mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Im Juli 2021 ging auf dem Gelände der Shell Rheinland Raffinerie im nordrhein-westfälischen Wesseling bei Köln Europas größte PEM-Wasserstoff-Elektrolyseanlage in Betrieb. Doch von einer flächendeckenden Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff ist Deutschland noch weit entfernt. Da die Unternehmen nicht mit der Umrüstung ihrer Anlagen auf Wasserstoffeinsatz warten können, ist derzeit davon auszugehen, dass für eine gewisse Zeit Übergangstechnologien zur H2-Erzeugung genutzt werden müssen.

Grauer Wasserstoff
Aktuell wird ein Großteil des benötigten Wasserstoffs durch die sog. Dampfreformierung von Erdgas gewonnen. Dabei entsteht jedoch als Nebenprodukt das klimaschädliche Kohlenstoffdioxid (CO2). Daher ist diese „graue“ Technologie im Sinne der Klimaneutralität keine zukunfts­trächtige Option.

Blauer Wasserstoff
Ebenfalls auf Dampfreformierung von Erdgas beruht die Erzeugung von blauem Wasserstoff. Dabei wird jedoch das CO2 abgeschieden und langfristig gespeichert. Dieses Verfahren nennt man „Carbon Capture und Storage“ (CCS). Alternativ dazu kann das CO2 auch in anderen Industriezweigen als Grundstoff dienen („Carbon Capture and Utilization“ – CCU).

Türkiser Wasserstoff
Erdgas ist auch die Basis für türkisen Wasserstoff. Allerdings kommt statt der Dampfreformierung die Pyrolyse zur Anwendung. Bei diesem Verfahren wird, vereinfacht gesagt, das im Erdgas enthaltene Methan unter Abwesenheit von Sauerstoff erhitzt. Dabei entsteht statt CO2 fester Kohlenstoff, der problemlos gespeichert oder vielfältig genutzt werden kann. Allerdings kann diese Technologie (noch) nicht großskalig umgesetzt werden.

Violetter und gelber Wasserstoff
Wie beim grünen Wasserstoff wird auch bei diesen beiden Varianten H2 durch Wasserelektrolyse mithilfe von Strom hergestellt. Beim gelben Wasserstoff geschieht dieses durch einen Strommix, beim violetten[1] ausschließlich durch Atomstrom. Da Deutschland bis Ende 2022 vollständig aus der Atomverstromung aussteigt, hat dieses Verfahren für die inländische H2-Erzeugung keine Relevanz.

Weitere Wasserstoffarben
Neben den sechs genannten kommen aktuell immer noch neue Wasserstofffarben in die Diskussion – wie brauner aus der Vergasung von Kohle oder weißer als Nebenprodukt aus Chemieanlagen. Hierzulande hat möglicherweise oranger Wasserstoff Zukunftspotenzial. Er wird aus Biomasse oder übergangsweise mit Strom aus Müllheizkraftwerken gewonnen. Die immer weiterwachsende Anzahl von Wasserstofffarben, führt jedoch auch zu einer geringeren Trennschärfe zwischen den einzelnen Bezeichnungen. Für die Beurteilung im Sinne des Klimaschutzes sollte daher immer genau betrachtet werden, ob der entsprechende Erzeugungspfad auf fossile oder erneuerbare Energien setzt, ob Treibhausgase entstehen und wie mit diesen umgegangen wird.

Speicherung und Transport von Wasserstoff
Einmal hergestellt, muss der Wasserstoff bis zu seiner Verwendung gespeichert werden. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: Entweder wird er in seiner Reinform unter Druck als Gas gelagert. Alternativ dazu kann er durch Kühlung auf mindestens -253 °C verflüssigt werden. Dann hat er eine höhere Dichte und benötigt weniger Speicherraum, wodurch der höhere Energieaufwand für die Kühlung zum Teil relativiert wird. Als Speicherräume eignen sich Kavernen – natürliche oder künstlich geschaffene unterirdische Hohlräume – oder Röhrenspeicher, die jedoch deutlich kleinere Mengen fassen. Soll Wasserstoff zum breit eingesetzten Energieträger werden, müssen in absehbarer Zeit Speicherstätten mit hohen Kapazitäten geschaffen werden.

Gleiches gilt für die Transportnetze. Neben neuen H2-Pipelines kann auch das bestehende Gasnetz, das im Zuge der verringerten Erdgasnutzung nicht mehr gebraucht wird, genutzt werden. Zusätzlich ist auch der Transport auf Schienen, Straßen oder Schifffahrtswegen möglich – unter Hochdruck, in flüssiger oder chemisch gebundener Form.

All diese Herausforderungen bei der Herstellung, der Speicherung und dem Transport zeigen, wie komplex und aufwändig die Verwendung von Wasserstoff als Energieträger ist. Daher soll Wasserstoff ausschließlich dort eingesetzt werden, wo elektrische Anwendungen an ihre Grenzen stoßen. Das bedeutet: vorrangig in industriellen Prozessen. Weiterhin kommt der Einsatz im Flug- und Schiffsverkehr sowie bei Schwerlasttransporten an Land in Frage. In der energieintensiven Grundstoffindustrie wird Klimaneutralität z. B. nicht ohne die direkte und indirekte Nutzung von Wasserstoff möglich sein.

Autor: Dr. Stefan Herrig, Projektmanager Industrie und Produktion, NRW.Energy4Climate

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