Strategie & Management

Die Zukunft der Bioökonomie

19.11.2015 -

Nachhaltigkeit ist einer der globalen Megatrends und eine treibende Kraft der biobasierten Wirtschaft. Dahinter steckt die Idee, eine neue Art des Wirtschaftens zu etablieren und auf nachwachsende Rohstoffe anstatt die endlichen Ölquellen zu setzen. Derzeit versucht Bioethanol auf dem Weltmarkt zu bestehen, andere Quellen sind in der Entwicklung. Solange aber der niedrige Preis einer Ware weiter oben auf der Prioritätenliste steht als die Frage, wie viele Treibhausgase ihre Produktion mit sich bringt, bleibt der Wettbewerb hart.

Wichtige Faktoren bei der Frage, wie Industrie und Menschen künftig mit Energie und Chemierohstoffen versorgt werden können, sind Kohle aus China und Schiefergas aus den USA. In Sachen Nachhaltigkeit ist die biobasierte Wirtschaft unschlagbar. Eine Zukunft hat die Bioökonomie in jedem Fall, denn auch künftig wird es Anwendungen geben, für die es keine Alternativen gibt. Die Frage ist nur, wie diese aussehen wird.

In einer Erdölraffinerie wird aus den Bestandteilen des Rohöls eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte hergestellt, während die heutige „Bioraffinerie“ oft nur ein Produkt kennt: Alkohol. Ethanol ist derzeit der wichtigste biobasierte Stoff und macht 90% aller Produkte aus, die durch Fermentation erzeugt werden. Etwa 100 Mrd. Liter Ethanol wurden 2013 destilliert, wobei die USA mit 50 und Brasilien mit 25 Mrd. Litern führend sind. Europa spielt im Ethanolmarkt mit 5 Mrd. Liter eine untergeordnete Rolle; Deutschland trägt dazu 852 Mio. Liter bei.

Die ersten Bioethanol-Anlagen gerieten in die öffentliche Diskussion, weil sie Mais als Rohstoff einsetzten. Das warf die Frage auf, ob es ethisch vertretbar sei, das Getreide – ein Lebensmittel - in den Treibstofftank von Autos zu füllen, anstatt es auf dem Teller zu servieren. In jedem Fall war die Teller-oder-Tank-Diskussion war ein Anstoß dazu, Bioraffinerien der zweiten Generation zu entwickeln: Dort wird als Substrat das eingesetzt, was als Reststoff bleibt, wenn der wertvolle Teil der Ernte schon anderweitig genutzt wurde. Forstabfälle wie Äste und Zweige zum Beispiel, die übrig bleiben, wenn der Baumstamm auf dem Weg ins Sägewerk ist, oder Stroh nach der Weizen- und Gerstenernte. Im Gegensatz zu Mais oder Weizen, die hauptsächlich aus Stärke bestehen, enthält Stroh sehr viel Zellulose. Für die Hefen, die den Ausgangsstoff zu Alkohol vergären, ist Zellulose sehr viel schwieriger zu verarbeiten als Stärke. Die industrielle Zerlegung von Zellulose in ihre Zuckerbausteine, war ein technologischer Durchbruch und geht nun in die großtechnische Anwendung.

Clariant betreibt in Straubing eine Demonstrationsanlage mit einer Jahreskapazität von 1,2 Mio L. Seit 2013 wurden weltweit mehrere Großanlagen in Betrieb genommen: Beta Renewables wird 75 Mio. L pro Jahr in Crescentino, Italien, produzieren und DSM die gleiche Menge in Emmetsburg, Iowa, USA. Abengoa plant 95 Mio. L pro Jahr in Hugoton, Kansas, USA und DuPont 113 Mio. L pro Jahr in Nevada, Iowa, USA. In Brasilien betreibt Raizen seine 83 Mio. L/Jahr-Anlage in Piricicaba mit Zuckerrohr-Stroh. Granbio hat für seine 79 Mio. L/Jahr-Anlage in Alagoas State, Brasilien, ein spezielles “Energierohr” (energycane) entwickelt, das auf ausgelaugtem Weideland angebaut werden kann und nicht mit Zuckerrohr um Anbauflächen konkurriert.

Erst Kraftstoff, dann Rohstoff

Mit Ethanol kann man aber mehr machen, als es im Fahrzeugmotor zu verbrennen: Es ist ein wichtiges Basismolekül für viele biobasierte Wertschöpfungsketten. Zwar sind derzeit einige Großprojekte zur Herstellung von biobasiertem Polyethylen oder Ethylenglykol aus Bioethanol gestoppt, weil Schiefergas-Ethan preislich nicht zu schlagen ist, doch generell gilt: An Ethanol als Zwischenprodukt führt in einer biobasierten Wirtschaft kaum ein Weg vorbei. Auffällig ist, dass die großen Investitionen für Zellulose-Ethanol in den USA und Brasilien gemacht werden, in Europa jedenfalls nicht. Aber um im Wettbewerb im Wettbewerb bestehen zu können, muss in Europa ein Umdenken in der Politik stattfinden. Investoren suchen Planungssicherheit auf lange Sicht.

Bioethanol dominiert den Biotreibstoffmarkt eindeutig, aber auch die Rolle des Biodiesels ist nicht zu unterschätzen. Die Weltjahresproduktion belief sich 2010 auf 17,6 Mrd. Liter, zu denen die EU mit 9,1 Mrd. L über die Hälfte beisteuerte. Deutschlands Anteil an der europäischen Produktion lag bei 26%, Frankreichs Anteil bei 22%. Die großtechnische Produktion von Biodiesel begann in Europa in den 1990ern und ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Bioökonomie. Doch als die Steuervorteile 2008 zurückgenommen wurden, schrumpfte der Marktanteil von (reinem Biodiesel) enorm. Das Produktionsvolumen ist in den letzten Jahren nur deshalb konstant, weil Biodiesel zunehmend dem fossilen Diesel beigemischt wird.

Biotreibstoffe – heute und morgen

Biodiesel wird meist aus Pflanzenöl hergestellt, auch wenn tierische Fette ebenfalls eingesetzt werden können. In Deutschland wird der meiste Biodiesel aus Raps produziert, der auf etwa einer Mio. ha Ackerfläche angebaut wird; Sojabohnen, Palmkerne und Kokosnüsse spielen eine untergeordnete Rolle im Rohstoff-Mix. Die Bedenken wachsen, dass der zunehmende Einsatz nachwachsender Rohstoffe in Europa zu Änderungen in der Landnutzung weltweit führen könnte. Solche Änderungen können direkt sein, wenn etwa Regenwald abgeholzt wird, um neue Plantagen für die Palmölgewinnung anzupflanzen. Indirekte Landnutzungsänderung (iLUC) hat eine längere und komplexere Kette von Ursache und Wirkung. Die Europäische Kommission hat versucht, iLUC-Faktoren in ihren Empfehlungen zur Änderung der Erneuerbare Energien-Richtlinie zu berücksichtigen. Die deutsche und europäische Biotreibstoffindustrie hat die Empfehlungen scharf kritisiert. Wenn diese Vorschläge in die Tat umgesetzt würden, würde Biodiesel bei der Berechnung der Treibhausgas-Emissionen schlechter gestellt als fossiler Diesel. „Die Einführung von iLUC-Faktoren bedeutet praktisch das „Aus“ für pflanzenbasierte Biokraftstoffe” stellt die Deutsche Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (UFOP) in ihrem Jahresbericht 2012/13 fest.
Dies wäre aus einer Vielzahl von Gründen problematisch; einer davon ist Raps-Presskuchen. Dieser Rückstand der Rapsölproduktion ist eiweißreich und wird als Tierfutter genutzt. Fehlt der regional produzierte Presskuchen, so entsteht eine Eiweißlücke. Diese muss geschlossen werden, im schlimmsten Fall mit importiertem Sojamehl.

Die nächste Generation der Biotreibstoffe steht schon in den Startlöchern: Biofuels aus Mikroalgen. Zwar sind sich Experten weitgehend einig, dass die ausschließlich energetische Nutzung von Algen unwirtschaftlich ist; Algenkraftstoff für die Familienkutsche gilt als unwahrscheinliches Szenario. Aber für Luftfahrt und Schwerlastverkehr, für die die Elektromobilität keine Alternative darstellt, gelten Mikroalgen als Hoffnungsträger: Ihr Flächenverbrauch ist gering, die Landnutzungs-Problematik entfällt; sie brauchen zum Wachsen im Wesentlichen Luft und Licht, prinzipiell sind geschlossene Systeme realisierbar, in denen die Nährstoffverluste gering bleiben, die Verarbeitung ist einfacher als bei Landpflanzen mit Blättern und Stängeln, und sie lassen sich als Produktionsorganismen für bestimmte Öle optimieren. Erste Flüge mit Kerosin aus Algen, die Luftfahrtgesellschaften wie KLM, Lufthansa oder Air China in den letzten Jahren durchgeführt haben, sind denn auch mehr als Marketinggags. Sie belegen die Machbarkeit des Fliegens in der „Nach-Kerosin-Ära“.

Fazit

Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen waren die Vorreiter der Bioökonomie; sie haben gezeigt, was möglich ist, aber auch, welche Tücken im Detail liegen. Dank der „Tank-Teller“-Diskussion wird heute auch bei biobasierten Produkten viel stärker auf Nachhaltigkeit und Nutzungskonkurrenzen geachtet. Selbst wenn Biofuels als Treibstoffe in einem kommenden Zeitalter der Elektromobilität nur Nischen besetzen sollten, sind sie für bestimmte Anwendungen fast unverzichtbar. (cb)

Basis dieses Beitrags ist ein Trendbericht, der im Auftrag der Dechema im Vorfeld der Achema 2015 von internationalen Fachjournalisten erstellt wurde.

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