Personal & Karriere

Diversity Management: Mit Vielfalt gegen Schubladendenken

Warum unser Denken Diversity Management manchmal erschwert

17.01.2017 - Es sind bestimmte Mechanismen unseres Denkens, die professionelles Diversity Management in Unternehmen anspruchsvoll und als Folge davon zugleich unverzichtbar machen.

Dass uns unsere Wahrnehmung manchmal trügt, kennen wir gut aus dem Bereich der optischen Täuschungen. Meist mit einem Schmunzeln nehmen wir hier die Diskrepanz zwischen unseren Sinneseindrücken und der Realität zur Kenntnis. Wir akzeptieren in diesem Bereich, dass wir offensichtlich nicht so objektiv Wahrnehmende sind, wie wir es zu sein scheinen. Leider ist es im Bereich der sozialen Wahrnehmung nicht so positiv und unkompliziert um unsere Einsichtsfähigkeit und um die Korrigierbarkeit unserer mitunter fehlerhaften Eindrücke bestellt.

Allerdings gilt auch für den Bereich der sozialen Wahrnehmung: Wir sind weniger die Realität objektiv wahrnehmende Wesen als vielmehr effiziente, funktionale, ressourcensparende, erfahrungsbasierte Perzipienten. Es geht also weniger um das, was ist, sondern eher darum, wie das, was ist, schnell und ressourcensparend in Einklang mit den bisherigen Denkmustern gebracht werden kann. Ein elaboriertes Auseinandersetzen mit dem objektiv erfassten Stärken-Schwächen-Profil des sozialen Gegenübers – ein kleiner Vorgriff: genau darum sollte es einem modernen Unternehmen gehen – ist überhaupt nicht die Zielsetzung unseres menschlichen Wahrnehmungsapparates.

Wir kategorisieren Menschen durch einfach wahrnehmbare Merkmale

Diese unsere Tendenz zur effizienten sozialen Wahrnehmung zeigt sich in einem psychologischen Phänomen, das unmittelbare Implikationen für die gelebte Vielfalt in Organisationen hat: Die soziale Wahrnehmung und Verortung von Individuen in Kategorien, allgemein bekannt unter dem Schlagwort Schubladendenken: „typisch Ausländer, typisch Mann, typisch Frau, typisch Radfahrer, typisch Autofahrer, typisch Künstler, typisch Straftäter, typisch Homosexueller…“ Bei all diesen Kategorien wird ein, meist einfach wahrnehmbares, Merkmal einer Person herangezogen und zur Kategorisierung verwendet. Eine differenzierte Sicht auf die Einzelperson wird durch eine erfahrungsbasierte, medienbasierte, kulturbasierte Einschätzung der Kategorie, die durch das Merkmal definiert wird, ersetzt. Welche Relevanz dieses Merkmal für den jeweiligen Kontext hat (Beispiel Straftäter) oder wie stabil und damit generalisierbar bedeutsam dieses Merkmal ist (Beispiel Autofahrer), ist dabei sekundär; was zählt ist die ressourcensparende Verortung eines Individuums in eine Kategorie mit dem Ziel, damit ein differenziertes Auseinandersetzen mit dem vor uns stehenden Individuum zu vermeiden.

Das Individuum bekommt durch diese Klassifikation automatisch alle Attribute, die diese Klassifikationskategorie besitzt, Individualleistungen treten in den Hintergrund. Leider sind die Attribute der kategorialen Klassifikation selten sehr ausdifferenziert und halten einer systematischen Betrachtung in der Regel nicht Stand: Wer ist ein Straftäter? Welcher Zeitraum wird betrachtet? Zählen geahndete Fruchtsaft-Diebstähle als Mutprobe in der Jugendzeit in gleicher Weise wie der bislang unentdeckte Steuerbetrug im letzten Jahr? Eine solche systematische Betrachtung wird aber in der Regel gar nicht vorgenommen, weil es darum nicht geht. Es geht bei einer Schublade um ein bequemes und rasches Ablegen, nicht um ein kritisches Hinterfragen und widerspruchsfreies Systematisieren der Inhalte.

Betrachten wir die Konsequenzen dieses Schubladendenkens anhand der dominanten mentalen Kategorie der Arbeitswelt: Diese ist in der westlichen Welt gekennzeichnet durch unbedingt leistungsbereite, hellhäutige, eher größere Männer mittleren Alters, vielleicht nicht besonders attraktiv, aber doch ohne markante äußerliche Fehlbildungen, die mit einer Hausfrau verheiratet sind. Personen, die einem oder mehreren dieser Kriterien nicht entsprechen, haben es beruflich meist schwerer.

Führung in der Arbeitswelt ist durch Männer geprägt

Betrachten wir weitere berufs- und organisationsbezogene Konsequenzen dieses Schubladendenkens etwas genauer. Arbeitswelten im Allgemeinen und Führungskontexte im Besonderen sind in hoher Weise durch Männer geprägt. „Think manager, think male“ lautet die implizite Devise, der natürlich offiziell (und auch vor sich selbst) nur wenige zustimmen, auch wenn die offiziellen Zahlen zum Anteil von Frauen in Führungspositionen Bände sprechen. Woher diese führungsbezogene Dominanz der Männer kommt, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise waren Führungsaufgaben in archaischer Vorzeit häufiger mit wehrhaften Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen verbunden; hierbei ist es plausibel, das Geschlecht zu präferieren, das im Durchschnitt eine höhere Muskelkraft aufweist. Da brachiale Auseinandersetzungen aber nur noch in wenigen Unternehmenskulturen expliziter Bestandteil des Führungsleitbildes sind, stellt sich die Frage, ob dieses möglicherweise früher einmal plausible Selektionsmerkmal für Führungskräfte heute noch Relevanz besitzen sollte, oder als nur noch tradierte Norm ausgedient hat.

Als Indikator der Führungsqualität erscheinen mir heute andere Merkmale geeigneter, bspw. die Fähigkeit, Emotionen bei sich und bei anderen zu erkennen und regulieren zu können. Wo auch immer der Ursprung dieser Präferenz des männlichen Geschlechts für Führungsaufgaben zu sehen ist, fest steht, dass diese Präferenz schon sehr lange besteht (in einer Untersuchung der Führungsdynastien im antiken China über mehrere Jahrhunderte hinweg ergab sich bspw. ein Anteil von weniger als 0,1% Staatslenkerinnen) und dass sie aus einer Zeit stammt, die ein anderes Führungsideal entwarf als die Gegenwart.

Die zahlreichen Suboptimalitäten, die sich daraus ergeben, dass der berufliche Führungskontext stark durch das Kategorie-Merkmal „Mann“ definiert ist, können hier nur angerissen werden: Bei gleicher oder möglicherweise sogar höherer Qualifikation einer weiblichen Person, wird ein männlicher Konkurrent bei der Vergabe von Führungsaufgaben und -positionen bevorzugt, was individuell, für die zugehörige Arbeitseinheit und für die Organisation insgesamt mit Nachteilen behaftet ist. Durch das Übergewicht männlicher Führungskräfte wird eine eher männliche Unternehmenskultur geprägt, mit der auch bestimmte Geschlechtsunterschiede, bspw. die insgesamt höhere Risikoaffinität und die Aggressionsneigung des männlichen Geschlechts, akzentuiert werden. Unabhängig vom Geschlecht führt eine leistungsunabhängige Bevorzugung auf Basis qualifikationsirrelevanter Merkmale (wie bspw. Geschlecht) zu erhöhten Werten wahrgenommener Unfairness, was wiederum mit geringerer Motivation und organisationsbezogenem Zynismus einhergeht.

Vielfalt gelingt nur durch professionelles Diversity Management

Wir können davon ausgehen, dass das normale menschliche Denken aus Gründen der Ressourceneinsparung kategorial ist und dass die berufs- und führungsbezogenen Kategorien stark selektiv sind, was Homogenität im Sinne der bereits bestehenden Kategorien begünstigt, aber eben nicht Vielfalt. Unter anderem aus Gründen des Selbstwertschutzes sind wir selbst nur bedingt in der Lage, die Suboptimalität unseres eigenen Denkens zu erkennen, geschweige denn eigenständig gegenzusteuern. Unser Denkapparat hat gar kein „Interesse daran“, seine eigene Unzulänglichkeit uns gegenüber zu offenbaren, unsere eigenen Entscheidungen und Meinungen sollen sich ja gerade als richtig „anfühlen“. Dies ist auch einer der Gründe, warum die individuelle Aufklärung bspw. im Rahmen von Weiterbildungen im Unternehmen zwar notwendig und hilfreich ist, um erstmal eine Sensibilität für das Thema zu erreichen, aber eben an sich nicht schon die Lösung des Problems bietet. Damit liegt der Schluss auf der Hand: Das professionelle Diversity Management als Teilbereich des Human Resource Managements ist ein notwendiger Bestandteil eines Unternehmens, weil es mittels standardisierter Strukturen, Prozesse, Leitlinien und Vorgaben Handlungsimpulse in Richtung Vielfalt liefert, die das Individuum selbst in dieser Konsequenz nicht liefern und umsetzen könnte.

Diversity Management, das auf Basis möglichst objektiver und für periphere Informationen unempfänglicher Personalauswahl- und Personalentwicklungsprozesse agiert, ist eine Notwendigkeit, nicht nur aus moralischen Gründen (gleiche Chancen bei gleicher Leistung), nicht nur aus Gründen der kurzfristigen Ausschöpfung des Talentpools zum Wohle des Unternehmens und nicht nur weil die Organisationsmitglieder mit der selbstgesteuerten Korrektur der eigenen Denkfehler überfordert wären. Diversity Management trägt auch Verantwortung für die langfristige Stabilität des Systems an sich: Ein diverses System ist immer robuster gegenüber großen Verwerfungen und Veränderungen, das homogene System mag zwar gute Leistungen erbringen, wenn alles stets nach gleichem Schema abläuft, an großen Veränderungen geht es zugrunde. Eine diverse Kultur und das Management dieser Vielfalt sind somit stets ein Beitrag zur nachhaltigen Stabilität des Unternehmens.
 

Diesen Beitrag sowie weitere Beiträge zum Thema Diversity lesen Sie im Jahrbuch 2015 des VAA

 

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