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Icon Genetics: Personalisierte Medikamente aus Tabakpflanzen

08.09.2011 -

Bayer und Icon Genetics eröffneten Pilotanlage zur Produktion von personalisierten Medikamenten aus Tabakpflanzen. Medikamente aus Pflanzen – diese Vision könnte bald Wirklichkeit werden. Bayer hat zusammen mit seiner Tochtergesellschaft Icon Genetics ein neues Produktionsverfahren entwickelt, mit dem biotechnologische Medikamente in Tabakpflanzen hergestellt werden können. Eine erste Pilotanlage zur Herstellung von Klinikmustern bzw. Wirkstoffproteinen wurde Mitte Juni in Halle in Sachsen-Anhalt eingeweiht. Mit den in den Tabakpflanzen hergestellten Wirkstoffen könnten in Zukunft neue Ansätze für Therapien und Prävention gegen Krankheiten entwickelt werden, bei denen die heutige Medizin noch nicht zufrieden stellend helfen kann.

„Dieses Projekt soll unsere Chancen verbessern, mit biotechnologisch hergestellten Medikamenten neue Therapien für lebensbedrohliche Krankheiten zu finden“, erläuterte Dr. Wolfgang Plischke, Mitglied des Vorstands von Bayer und unter anderem verantwortlich für Innovation. „So ist Krebs nicht gleich Krebs. Es gibt viele Arten der Tumorerkrankung, die mit spezifischen Wirkstoffen individuell behandelt werden müssen. Für jeden Patienten soll mit diesem Verfahren ein auf ihn zugeschnittenes individuelles Medikament – ein sogenanntes personalisiertes Medikament – hergestellt werden.“ Diese zukunftsweisende Technologie sei ein perfektes Beispiel dafür, wie Bayer sein umfassendes Know-how in der Pharmaforschung innovativ mit den Kenntnissen über Pflanzengenetik und -biotechnologie verknüpfe. Normalerweise würden neue Produktionsverfahren bei der Herstellung von Medikamenten eine eher untergeordnete Rolle spielen, sagte Plischke weiter. Dieses Projekt stehe aber für mehr als nur die Produktion eines einzelnen Medikaments: es solle den Beginn einer ganzen Produktpalette innovativer neuer Wirkstoffe markieren.

Hohes Innovationspotential in der Biotechnologie

Bei Icon Genetics, der Tochtergesellschaft von Bayer Innovation, arbeiten im Biozentrum Halle mittlerweile 26 Mitarbeiter an der Forschung und Entwicklung biotechnologisch hergestellter Wirkstoffe in Pflanzen, die beispielsweise als Krebstherapeutikum oder auch als Impfstoffe gegen Grippe eingesetzt werden könnten. Den Forschern stehen dafür rund 1.000 m² Labor- und Gewächshausfläche zur Verfügung. Mit der Eröffnung der Pilotanlage sind allein elf neue Arbeitsplätze in Halle für hochqualifizierte Experten vor allen aus der Region entstanden. Zehn der neu eingestellten Mitarbeiter kommen von der Universität Halle-Wittenberg und von der Max-Planck-Forschungsstelle für „Enzymologie der Proteinfaltung“ vor Ort.
Im Jahr 2006 hatte Bayer Icon Genetics übernommen und seitdem mehr als 10 Mio. € allein in Halle für die Erforschung der sogenannten „Plant made Pharmaceuticals“ aufgewendet. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Wolfgang Böhmer weiß um die Bedeutung des Unternehmens: „Der Sitz von Icon Genetics in Sachsen-Anhalt zeigt, dass das Land ein guter Forschungsstandort ist und die Leistungen, die hier im Bereich der Biotechnologie erbracht werden, weltweit Beachtung finden.“ Im Gegenzug habe auch das Land Sachsen-Anhalt das Unternehmen auf vielfältige Weise unterstützt, so Prof. Dr. Yuri Gleba, Geschäftsführer und Gründer der Icon Genetics. Die Rahmenbedingungen erwiesen sich auch vom akademischen Umfeld her als ausgesprochen gut und nützlich für die Hightech-Forschung.

Tabak als Produktionsstätte

„Die Anlage zur Herstellung von Klinikmustern ist ein wichtiger Schritt, um unsere Technologie zum Nutzen der Patienten einzusetzen“, sagte Gleba weiter. Die magnicon-Technologie zur Herstellung von therapeutischen Proteinen in Pflanzen wurde von Icon Genetics in den vergangenen Jahren patentiert und wird unter dem Dach von Bayer weiter ausgebaut. „Die Tabakpflanze kann mit unserer Methode große Mengen an komplexen Wirkstoffen für Medikamente produzieren – und zwar besonders schnell, einfach, sicher und preisgünstig. Es wurden bisher mehr als 60 verschiedene Proteine im Milligramm-Maßstab damit hergestellt, von einfachen Proteinen bis zu komplexen Antikörpern, wie sie zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen, Infektionskrankheiten oder bösartigen Tumoren gebraucht werden“, so der Professor. Bereits heute sind 15 % aller Medikamente biotechnologisch hergestellt – und sogar jedes vierte neue Medikament besteht aus einem Wirkstoff, der in Bioreaktoren produziert wurde: z. B. in Bakterien, Bierhefen, Insekten- oder Hamsterzellen. Es wird erwartet, dass deren Marktanteil, vor allem im Bereich der Krebsmedikamente, weiter steigen wird. Besondere Bedeutung erlangt dabei die Herstellung von „personalisierten Medikamenten“ durch biotechnologische Prozesse. Die Produktion von Proteinen in der Tabakpflanze eröffnet – durch ihre Schnelligkeit und hohe Ausbeute – neue Chancen für Therapien, die bislang aufgrund von Faktoren wie Produktionsschnelligkeit oder auch Wirtschaftlichkeit nicht in Frage kamen.

Damit der Tabak zur Produktionsstätte eines Pharmawirkstoffs werden kann, wird der Bauplan eines Medikaments mit Hilfe von Agrobakterien in das Innere der Pflanze eingeschleust. Sie wird dazu kopfüber in ein Becken mit der pflanzenspezifischen Bakterienlösung eingetaucht. Durch ein Vakuumverfahren wird die Lösung über die Poren aufgenommen und verteilt sich in den Tabakpflanzenzellen. Dort wird dann der so eingeschleuste Bauplan für das Medikament genutzt, um den Wirkstoff zu produzieren. Die einzelne Pflanze produziert dabei sehr schnell große Mengen. Nach Angaben von Icon Genetics sei das erste Gramm des Proteins bereits nach sieben Tagen erhältlich, hochgerechnet könnten so 150 bis 1.500 kg pro Hektar in einem Jahr produziert werden. Die Pilotanlage würde erlauben, mit qualifiziertem Material in die klinische Phase einzusteigen. So könne Bayer die Technologieplattform gezielt ausbauen und kommerziell vermarkten.

Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms

Der erste Kandidat für die klinische Entwicklung wird ein Patientenspezifischer Antikörper-Impfstoff zur Behandlung des Non-Hodgkin- Lymphoms (NHL) sein. Dies ist eine maligne Krebserkrankung der Lymphozyten, einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen. Die Gesamtzahl der NHL-Fälle in der EU beträgt rund 230.000 bei einer jährlichen Neuerkrankungsrate von 70.000. Damit ist NHL die fünfthäufigste Krebsart nach Brust-, Prostata-, Lungen- und Dickdarmkrebs. Die Behandlung soll das eigene Immunsystem aktivieren, so dass es die bösartigen Zellen gezielt durch die körpereigenen Abwehrkräfte zerstören kann. Der Start der klinischen Phase I wird für das Jahr 2009 angestrebt. Die in der neuen Anlage gewonnenen Wirkstoffproteine sollen die Anforderungen für den Einsatz in klinischen Studien erfüllen.

Idiotyp-Vakzinierung

Bayer will die Möglichkeit erforschen, das NHL mit Hilfe einer Impfung (Idiotyp-Vakzinierung) zu behandeln. Die Idiotyp-Vakzinierung ist eine neue, bislang noch nicht zugelassene Art von Behandlung. Sie wird als aktive Immuntherapie bezeichnet und ist im Unterschied zu den meisten anderen biologischen Therapien Patienten-spezifisch. Das bedeutet, jeder Patient erhält sein eigenes, auf ihn zugeschnittenes Präparat. Es liegen bereits vielversprechende Erfahrungen mit diesem Ansatz vor. Derzeit ist die Herstellung individueller Impfstoffe allerdings aufwändig. Die Produktion in Pflanzen vereinfacht die Herstellung durch ihre Schnelligkeit, hohe Ausbeute und damit geringere Kosten als herkömmliche Produktionsverfahren. Der Impfstoff besteht aus einem Antikörper – einem sogenannten Immunoglobulin – welcher ausschließlich auf den erkrankten Lymphozyten, nicht jedoch auf gesunden Lymphozyten und andere Körperzellen vorhanden ist. Dieses Protein bezeichnet man als „Idiotyp“. Für jeden Patienten soll so ein individuelles Medikament hergestellt und als Impfung verabreicht werden. Die Behandlung soll das eigene Immunsystem aktivieren, so dass es die bösartigen Zellen gezielt durch die körpereigenen Abwehrkräfte zerstören kann.

Kontakt:
Icon Genetics, Halle / Saale
Tel.: 0 345 27 99 06 -50
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