Anlagenbau & Prozesstechnik

Kritischer Vergleich von Reinraum Einweg- und Mehrwegbekleidung

Kein guter Stil erregt die Reinraumlandschaft

27.03.2019 - Um Reinraumbekleidung zielgerichtet einsetzen zu können, bedarf es der Klärung einiger Faktoren, wie z. B.: Reinraum-Klassifikation gemäß VDI 2083, GMP (Good Manufacturing Practice), ISO (International Standard Organisation), UVV (Unfallverhütungsvorschriften), Flächengebilde, Kleidungsverarbeitung bzw. Modelle, Stoff-Barriere, System-Barriere, Äußere Stoffoberfläche, Innere Stoffoberfläche, Pflege-Behandlung, Passform, Kleidungs-Dichtlücken (…).

Gerade der Mensch als einer der größten Partikelverursacher muss durch das Tragen von Reinraumbekleidung und reinraumgerechtes Verhalten seinen Beitrag leisten.

Der Begriff Reinraumtechnik ist in aller Munde, aber kaum jemand ist in der Lage, ihn genau zu definieren. Unter der Reinraumtechnik, wie sie heute angewendet wird, versteht man die Reduzierung bzw. Vermeidung von negativen Einflüssen, sowohl auf das Produkt als auch den Menschen. Mit Hilfe der Reinraumtechnik kann bspw. eine zielgerichtete Reduzierung von luftgetragenen Verunreinigungen wie z. B.: Staubpartikel, Pollen, Viren und Bakterien usw. erfolgen.
Grundsätzlich muss die Reinraumtechnik unter dem Zusammenhang der Qualitätssicherung betrachtet werden. Weitere Gründe für die Ausbreitung der Reinraumtechnik sind eine stetige Erhöhung des Qualitätsbewusstseins der Kunden und erhöhte normative Anforderungen an die Produktion von Pharmaka und Medizintechnik seitens des Gesetzgebers.

Auswahl/Definition des Reinraumgewebes
Hierbei unterscheiden wir einmal die Gewebeauswahl: Anhand technischer (gewebe-spezifischer) Eigenschaften ist das Reinraumgewebe unter Berücksichtigung der Prozessanforderungen und der Umgebungsbedingungen (u. a. thermischer Behaglichkeit) auszuwählen. Hierzu zählen:

  • Rückhaltevermögen gegenüber luftgetragenen Partikeln
  • Rückhaltevermögen gegenüber mechanisch transportierten Partikeln (Migrationsverhalten)
  • Luftdurchlässigkeit  (unter Berücksichtigung des „Pumpeffekts“)
  • Tragekomfort
  • elektrisches Verhalten
  • Abriebfestigkeit/Aufrauneigung (Alterungserscheinung)


Konfektionstechnische Parameter
Reinraumbekleidung sollte anhand folgender konfektionstechnischer Parameter ausgewählt werden:

  • Schnitt/Passform
  • Verarbeitung/Nähte
  • Konfektionstechnische Hilfsmittel
  • Sonderzubehöhr
  • Modelauswahl
  • Die Modelle (z. B.: Overall oder Kittel) sollten nachfolgenden Kriterien ausgewählt werden:
  • Luftreinheitsklasse
  • Reinraumgewebe
  • Vorgesehene Unter-/Zwischenbekleidung
  • Örtliche Gegebenheiten (Umkleide etc.)

Auf Grund der oben beschriebenen und definierten Schritte zur Auswahl der Reinraumbekleidung ist zunächst das Material (Reinraumgewebe) auszuwählen. Zum Einsatz kommen hauptsächlich Gewebe aus rein synthetischen Fasern (Multifilamentgarne) mit unterschiedlichen Produkteigenschaften (abhängig von der geforderten Reinraumklasse).

Funktion von Reinraumbekleidung
Das Personal verliert sowohl Hautpartikel als auch Partikel aus der üblicherweise in Innenräumen getragenen Nicht-Reinraumbekleidung. Diese luftgetragene Verbreitung ist von Mensch zu Mensch und zu jeder Zeit verschieden. Sie kann jedoch mehrere Millionen Partikel je Minute und mehrere Hundert Bakterien tragende Partikel je Minute betragen. Die Hauptfunktion der Reinraumbekleidung ist die eines Barriere-Filters, der das Produkt und den Prozess vor der Kontamination durch Menschen schützt. Auf Haltbarkeit, elektrostatische Eigenschaften, physikalische Eigenschaften (die Wirksamkeit eines Gewebes verschlechtert sich durch Alterung, Verschleiß, Dekontamination, Trocknung, Sterilisation usw.). Diese Verschlechterung sollte überwacht werden.
Soweit möglich sollte bei der Auswahl der Materialien für Reinraumbekleidung stets der Komfort der im Reinraum arbeitenden Personen berücksichtigt werden. Die Spezifikation für die Luft- und Wasserdampfdurchlässigkeit der unterschiedlichen Gewebe können hierbei von Nutzen sein.

EG-Leitfaden einer guten Herstellungspraxis für Arzneimittel
Das Umkleiden und Waschen sollten nach schriftlich festgelegten Verfahren erfolgen, um die Kontamination der für reine Bereiche bestimmten Kleidung oder das Einschleusen von Verunreinigungen in die reinen Bereiche möglichst gering zu halten. Die Kleidung und deren Qualität müssen dem Arbeitsgang und der Reinheitsklasse des Arbeitsbereichs angepasst sein. Sie ist so zu tragen, dass das Erzeugnis vor Kontamination geschützt ist. Die Schutzbekleidung sollte keine Fasern oder Partikel abgeben und vom Körper abgegebene Partikel zurückhalten.
Wenn man alle diese Zusammenfassungen der einzelnen Vorschriften in einen Topf wirft kommt man zu dem Ergebnis, dass für die Herstellung von Mehrweg-Reinraumbekleidung unter Berücksichtigung der einzelnen Produktionsbedingungen die Endlosfaser eines Gewebes aus rein synthetischen Fasern (Multifilamentgarne) alle Kriterien erfüllt.

Nun kommen wir zu dem eigentlichen Kern unserer Überschrift: Kein guter Stil erregt die Reinraumlandschaft.
Dazu müssen wir erst zwei Begriffe anschauen, diese sind: Das Grundgesetz Art. 2 und Art. 5 sowie der Begriff der freien Marktwirtschaft.

Art. 2.
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art. 5.
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Die freie Marktwirtschaft ist eine Wirtschaftsform, in der allein der Markt (Angebot und Nachfrage) bestimmt, welche Produkte und Dienstleistungen in welcher Menge und zu welchem Preis produziert und angeboten werden.
Voraussetzung für eine freie Marktwirtschaft sind unter anderem freier Wettbewerb, freie Berufswahl und freie Preisbildung. Außerdem müssen sich die Produktionsmittel in Privatbesitz befinden und Wirtschaftsfaktoren wie Land und Arbeitskraft frei zugänglich sein. Sobald ihre Äußerung jedoch einen geschäftlichen Werbecharakter hat, müssen sie zusätzlich die Einschränkungen des Wettbewerbsrechts beachten.
Ich war beschämt als ich den Artikel „Aktuelle Studie zu wiederverwendbarer Reinraumbekleidung“ in der Januarausgabe 2019, der ReinRaumTechnik des Wiley-Verlages, las.

Sind wir jetzt schon so weit, dass wir Produkte ( z. B.: die Mehrweg-Bekleidung für Reinraum-Mitarbeiter) der Mitbewerber in Misskredit bringen, um das eigene Produkt in den Fokus stellen zu können. Ich war immer der Meinung, dass man dazu die positiven Eigenschaften des eigenen Produktes dazu verwenden soll. Alles andere halte ich für marktwirtschaftlich als auch ethisch für bedenklich. Man sollte grundsätzlich nur Äpfel mit Äpfeln und Birnen mit Birnen vergleichen. Alle meine Mitbewerber, die sich mit der Dekontamination sowie Sterilisation beschäftigen wissen, dass sich Sterilisation durch den Autoklavier-Prozess (Druck, Hitze, Vakuum) auf die Bekleidung auswirkt. Diese Auswirkung beeinträchtigt den Alterungszustand des Gewebes. Da jedoch die Restkontamination der Bekleidung vor der Sterilisation mittels modifizierter ASTM 51-68 Methode nach dem Durchsaugprinzip überprüft wird, besteht keine Gefahr, dass der Anwender fehlerhafte Reinraumbekleidung erhält. Die Informationen, dass sich Reinraumgewebe der Mehrwegbekleidung durch die Sterilisation anders verhält als beim Dekontaminierungsprozess, werden dem Anwender vor Kauf oder Vermietung der Reinraumbekleidung die Vor- und Nachteile mitgeteilt.
Am Mittwoch, dem 06. Februar 2019 habe ich auf der Lounge in Karlsruhe mit zwei Mitarbeitern des Unternehmens Kontakt aufgenommen und versucht ihnen in einem ruhigen und sachlichen Gespräch die Reaktion der Mitbewerber zu vermitteln.

Einweg vs. Mehrweg
Trotz aller Unkenrufe besteht der Hauptanteil der im Reinraum gegenwärtig eingesetzten Reinraumbekleidung aus Mehrwegmaterial. Warum?
Zum einen fungiert der Stoff des Bekleidungsstückes als lokale Barriere (Stoffbarriere). Im Hinblick auf das Reinraumpersonal bedeutet dies, dass sich auch die Textil- und Bekleidungsindustrie mit einer Optimierung spezieller Ober- und Zwischenbekleidung für Reinräume befassen muss, um die Partikelabgabe zu verhindern. Die scheinbar einfachste Lösung wäre, den im Reinraum arbeitenden Menschen partikeldicht zu „verpacken“. Eine solche Lösung wäre nicht empfehlenswert, wenn man bekleidungsphysiologische Mindestanforderungen erfüllen will.
Es könnte jetzt die Frage gestellt werden, warum man für die Reinraumbekleidung keine Textilien einsetzt, die eine hervorragende Filterwirkung haben.

Die Antwort ist einfach:
Neben der primären Funktion, die vom Träger der Reinraumbekleidung abgegebenen Partikel zurückzuhalten, hat die Reinraumbekleidung noch eine Vielzahl von weiteren Anforderungen zu erfüllen.

Bekleidungsphysiologische Anforderungen
Der Träger möchte durch die Reinraumbekleidung keine Beeinträchtigung im Wohlbefinden erfahren. Daher dürfen eine bestimmte Flächenmasse und damit die filterrelevante Textildicke sowie die Biegesteifigkeit nicht überschritten werden.

Mehrwegverwendbarkeit/Dekontaminierbarkeit
In Anbetracht des Aufwandes für die sorgfältige Konfektionierung und nicht zuletzt wegen der stark gestiegenen Kosten für eine Abfallentsorgung ist die Mehrweg-Reinraumbekleidung schon lange Stand der Technik. Dies macht eine regelmäßige Pflegebehandlung der Kleidung notwendig, die neben hygienischen Aspekten die Entfernung partikulärer Verunreinigungen zur Aufgabe hat.

Sterilisierbarkeit
Für die Anwendung im Pharma- und Medizinbereich müssen die Kleidungsstücke sterilisiert werden können. Dies erfolgt in der Regel durch eine Heißdampfbehandlung, die sehr hohe Anforderungen an die Temperaturbeständigkeit der Faser stellt und die Alterung stark beschleunigt.

Elektrostatisches Verhalten
Das Tragen von Reinraumbekleidung in der Halbleiter- und Elektroindustrie bedingt, dass sich keine elektrostatischen Aufladungen ausbilden können. Für die sofortige Ableitung lokaler Ladungen müssen die Reinraumtextilien eine ausreichende Leitfähigkeit aufweisen. Deshalb werden leitfähige Garne ins Gewebe eingearbeitet, die ihrerseits alle o. g. Anforderungen dauerhaft erfüllen müssen.
All diese Parameter tragen dazu bei, dass im Reinraum die Mehrwegbekleidung vor der Einwegbekleidung Vorrang hat. Das soll jedoch nicht heißen, dass die Einwegbekleidung im Reinraum keine Daseinsberechtigung hat, nein sie hat wie die Mehrwegbekleidung gewisse Vorteile. Die jeder Anwender für sich selbst entscheiden kann und muss.

Fazit
Es wäre von Vorteil, wenn man nicht nur das eigene Produkt kennt, sondern sich auch mit den Eigenschaften der Produkte seiner Mitbewerber auseinandersetzt. Ich kenne das Unternehmen sehr gut und habe auf Wunsch selbst vor Jahren in Testversuchen ihr Material auf Tauglichkeit sowohl zur Dekontamination als auch auf Sterilisation hin überprüft. Dabei sollten die Eigenschaften des Gewebes und deren Veränderungen überprüft werden, deshalb war ich auch so beschämt.

Kontakt

ReinRaumTechnik Jochem

Drosselweg 19
66538 Neunkirchen
Deutschland

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