Chemie & Life Sciences

Mikroverkapselung: Bewährt und ausbaufähig

Durch Weiterentwicklung kommt die Mikroverkapselung in immer mehr Märkten zur Anwendung

13.03.2019 -

Zu den bedeutenden Treibern von Innovation gehören Megatrends. Ganz vorne rangieren hier Neo-Ökologie und Mobilität. Sie treffen auf die Dauerbrenner der industriellen Anwendungen wie Prozessoptimierung und Einsparung bzw. Schonung von Ressourcen. In der Bewältigung dieser Aufgaben hat die Mikroverkapselung längst einen festen Platz, der gerade in der anlage- und kapitalintensiven Wertschöpfungskette zunehmend an Bedeutung gewinnt.

„Ohne Mikroverkapselung würden 99%
der Duftstoffe mit dem Spülwasser der Waschmaschine
in der Kanalisation enden.“

Die gezielte Freisetzung von Stoffen ist selbstverständlich nicht „neo“ – aber sie trägt einen wichtigen Teil zur Ökologie bei und ist dabei äußerst innovativ. Paradebeispiel hierfür sind Weichspüler mit Parfümölen, die bis zu zwölf Wochen anhaltenden Duft versprechen. Ohne eine Mikroverkapselung der Duftstoffe würden 99 % mit dem Spülwasser der Waschmaschine in der Kanalisation enden. Nun werden die Duftstoffe erst freigesetzt, wenn die Kleidungsstücke schon wieder getrocknet sind und durch einfaches Reiben an den Fasern die Kapseln geöffnet werden. Das Abwasser wird entlastet und das Produkt „Weichspüler“ gewinnt an Zusatznutzen – ganz abgesehen vom positiven Einfluss auf das Produktimage.
Viel älter als die Nutzung der Kern-Schale-Mikrokapseln in der Wäschepflege ist die in der Papierindustrie. Hier liegen auch die Wurzeln dieser Technologie: Bereits in den 1950er Jahren wurden Patente angemeldet, die die erste industrielle Anwendung für die Herstellung von Selbstdurchschreibepapieren dokumentieren.

Seitdem stieg die Zahl der Patente für Mikrokapseln, die ihren Inhalt dauerhaft vor Umwelteinflüssen wie  z. B. Feuchtigkeit, Oxidation oder vor der Reaktion mit anderen Stoffen schützen, kontinuierlich in allen Industriebereichen auf weit mehr als 5.000 Patente.
Von Airbus über BMW bis Delphi Technologies oder die NASA – sie alle haben Patente angemeldet, wie Stoffe auf Anforderung freigesetzt und Reaktionen so gezielt kontrolliert werden können.

Neue innovative Ansätze für den Korrosionsschutz, als grifftrockene Schmierung oder zur Anzeige von Mikroschäden fanden Einzug in die Praxis. Die Tatsache, dass die preissensible Papierindustrie oder die Endverbraucherindustrie die Mikroverkapselung nutzen, deutet darauf hin, dass dieses elegante Verfahren nur auf den ersten Blick kostenintensiv wirkt, bei intelligentem Einsatz jedoch interessante ökonomische Aspekte aufweist. Dies gilt angesichts der jüngsten Patent­anmeldungen insbesondere für die Aufgaben, die neue Formen der Mobilität mit sich bringen.

E-Mobilität und Mikroverkapselung
Klebstoffe sind ein wichtiger ­Enabler bei der Umsetzung der Elektromobilität, denn moderne Klebetechnik ersetzt Schrauben und Nieten und erlaubt durch Leichtbauweise die notwendige Gewichtsreduktion der Elektrofahrzeuge und damit eine höhere Reichweite der Autos. Die Mikroverkapselung schafft die Option, reaktionsfähige Harz/Härter-Abmischungen gemeinsam in einer Formulierung einzusetzen und zu lagern – eine erhebliche Vereinfachung des Handlings von Klebstoffen, das in der industriellen Anwendung Potenzial zur Prozessoptimierung bietet. Einkomponenten-Reaktionsklebstoffe können vorappliziert auf die Bauteile aufgetragen werden und härten durch gezielte Freisetzung der verkapselten Komponenten aus. Zu den äußeren Anlässen für die Kapselöffnung zählen Druck, Scherung, Wärme, energiereiche Strahlung oder die Zerstörung durch pH-abhängige chemisch reagierende Substanzen.

„Die Mikroverkapselung von Latentwärmespeichern
wie Paraffinen gehört zu den effizienzsteigernden
Technologien in der E-Mobilität.“

Speicherung thermischer Energie
Die Speicherung thermischer Energie in der Traktionsbatterie ist neben der Leichtbauweise ein Faktor, der für mehr Reichweite bei Elektroautos sorgt. Die Mikroverkapselung von Latentwärmespeichern wie Paraffinen gehört zu den effizienzsteigernden Technologien in der E-Mobilität. Wachse bzw. Paraffine sind leicht zu verkapseln. Sie schmelzen in Abhängigkeit von ihrer Kettenlänge bei unterschiedlichen Temperaturen von fest zu flüssig und nehmen dabei Wärme auf und geben sie bei Temperaturen unter dem Schmelzpunkt wieder ab. Zusammen mit einem isolierenden Gehäuse wird so ein reibungsloser Betrieb der Traktionsbatterie bei tiefen Außentemperaturen gewährleistet. Im Rahmen des Optemus-Projekts (ein Verbundprojekt mit Partnern aus Industrie und Forschung) wird ein optimiertes Energiemanagement rund um das Elektroauto entwickelt. Mikroverkapselte Latentwärmespeicher können hier einen effizienzsteigernden Beitrag durch einen verbesserten Wärmeübergang leisten.

„Neben den Megatrends treiben auch
die steigenden Sicherheitsanforderungen
die Innovationen bei der Mikroverkapselung voran.“

Erhöhung der Sicherheit
Neben den Megatrends treiben auch die steigenden Anforderungen an Sicherheit die Innovationen bei der Mikroverkapselung. Selbstheilende Lacke, „Smart Coatings“, reihten sich in der Historie der Anwendungsgebiete der Mikroverkapselung gleich nach deren Nutzung für Selbstdurchschreibepapiere und Weichspüler ein. Reaktive Monomere werden verkapselt mit einem geeigneten Katalysator in einer Lackschicht homogen aufgetragen. Wenn es dann zu Mikrorissen in dieser Lackschicht kommt, werden die Mikrokapseln geöffnet. Aufgrund der Kapillarkräfte geben sie die reaktiven Substanzen in den Riss ab, wo sie in Verbindung mit dem Katalysator vernetzen und den Schaden in einem sehr frühen Stadium „heilen“.
Mikrorisse sind kaum wahrnehmbar, stellen aber z. B. bei Sturzhelmen oder an Flugzeugbauteilen ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Das lässt sich ausräumen, indem Mikrokapseln in einen Sturzhelm integriert sind. Kommt es beim Einsatz zu Mikrorissen, wird eine schlecht riechende Flüssigkeit emittiert. Dieses Sicherheitsmerkmal zeigt die oft unsichtbare Schädigung an und signalisiert dem Verbraucher den Sturzhelm zu ersetzen.
Diese Anwendung lässt sich auch auf die Luftfahrt übertragen. Statt große Bauteile zu röntgen und damit auf ihre volle Funktionstüchtigkeit zu überprüfen, können Mikrokapseln quasi als schwächste Stelle in der Matrix integriert werden. Erfährt das sensible Material eine unsichtbare Schädigung, die Mikrorisse verursacht, wird ein Geruch emittiert. Die Lokalisation kann dann bspw. von Hunden erschnüffelt werden.(bm)

 

Spezielle Lösungen sind gefragt
Obenstehender Fachbeitragt zeigt eine Vielzahl an Industrien auf, in denen Mikroverkapselung bereits zum Einsatz kommt.
Birgit Megges stellte Klaus Last, Leiter Technik im Geschäftsbereich Koehler Innovative Solutions der Papierfabrik August Koehler, Fragen zum zukünftigen Innovationspotenzial der Mikroverkapselungstechnologie.

CHEManager: Herr Last, die Technik der Mikroverkapselung ist nicht neu, was gibt es dennoch Neues zu berichten?


Klaus Last: Nach mehr als 60 Jahren seit ihrer Entwicklung ist die Mikroverkapselung in den unterschiedlichsten Industrien angekommen – dank zahlreicher Optimierungen für den industriellen Maßstab und einer größeren Bekanntheit. Aber auch, wenn das Verfahren nicht ganz neu ist: Wer sich damit beschäftigt, kann immer wieder zum Innovator werden, weil das System ein beständiges Wachstum des Know-hows zulässt. Neue Anwendungen gehen nämlich meist mit veränderten Kernmaterialien einher, die immer wieder spezielle Lösungen fordern. Also sind die Zutaten einfach: Grandios ist das, was herauskommt, wenn alle Einflüsse aufeinander abgestimmt sind.

Können Sie konkrete Innovationen nennen?

K. Last: Diese gibt es vor allem bei der PCM-Verkapselung. Neben der Forderung nach hoher Wärmekapazität dank des Kapselsystems sind auch verbesserte Wärmeleitfähigkeiten ein Thema.
Antibakterielle Ausrüstung der Mikrokapseln, verbesserte Haftung an den damit applizierten Fasern sowie ökologische und ökonomische Anforderungen an die Kapselsysteme sind ein Dauerbrenner.
Kommt es auf die Dichtigkeit der Kapselsysteme an, wie bei den Latentwärmespeichern, so soll das Kernmaterial in den permanenten Kapseln über tausende von Zyklen den Phasenwechsel von fest-flüssig und zurück je nach Temperatur ohne Zerstörung der Kapseln gewährleisten. Ein Austritt des Kernmaterials ist fatal. Hier ist die Technologie sehr weit fortgeschritten.
Auch die optischen Eigenschaften der PCM Kapseln in verschiedenen Substraten, die sich beim Phasenwechsel ergeben, ziehen Interesse auf sich.
Stark im Fokus stehen neue Öffnungsmechanismen für die Kapseln, die nicht auf mechanische Beanspruchung sondern auf andere Trigger wie pH-Wert, UV, Temperatur oder den Laser setzen. Ziel ist hier eine plötzliche Freisetzung des Kerninhalts unter schonenden Bedingungen.

Dabei scheint die Mikroverkapselung aber immer noch etwas für Liebhaber zu sein, sehen Sie das auch so?

K. Last: In der Tat sind es weltweit tatsächlich vielleicht 1.000 Kollegen, die eine echte Expertengemeinde stellen. Aber es gibt Bereiche, an denen kommt man ohne Mikroverkapselung nicht mehr vorbei: Schraubensicherung, Duftölverkapselung und die Verkapselung von Latentwärmespeichern. Wenn es um anwendungsnahe zukünftige Anforderungen im Mikroverkapselungsbereich geht, sind die Fraunhofer-Institute – speziell das für Angewandte Polymerforschung, oder kurz IAP) – hier ganz vorne mit dabei. Darüber hinaus gibt es viele kleine und wenige große Anbieter, die teilweise sehr spezialisiert sind.
 

Fakten-Box Mikroverkapselung
Die Mikroverkapselung ist eine bewährte Technologie, die mehr als 60 Jahre alt ist. Ihre Historie ist auch die, innovativer Anwendungsmöglichkeiten:

  • 1950/60: Die Mikroverkapselung startet in der Papierindustrie. Zum ersten Mal werden Durchschreibepapiere ohne Kohleschicht produziert. Stattdessen werden auf ein Papier Mikrokapseln aufgetragen, die auf Druck den verkapselten farbgebenden Stoff freisetzen.
  • 1980: Gewindesicherung durch vorapplizierten, grifftrockenen Klebstoff:
  • Die Schrauben werden mit der mikroverkapselten reaktiven Komponente eines Klebstoffs und dem Härter beschichtet. Durch die Scherkräfte beim Festdrehen wird die Kapsel zerstört und aktiviert die Polymerisation. Der Prozess wird durch die Vor-Applikation und die kontrollierte Freisetzung zeit- und standortunabhängig.
  • 1997: Eine komplett neue Verwendung findet die Mikrokapsel als Träger für Phase ­Change Materials (PCM). In Textilien und Baustoffen werden Kapseln integriert, die mit Paraffinen und Wachsen gefüllt sind und Wärme reversibel speichern und abgeben.
  • 2001: Das erste Selbstheilungssystem von Beschichtung mit integrierten Mikrokapseln wird veröffentlicht. Kommt es zu Mikrorissen, ist die Beschichtung in der Lage, diese autonom durch die gezielt einsetzende Vernetzung zu verschließen
  • 2004: Der Endverbraucher profitiert durch die Mikroverkapselung von Duftstoffen in Weichspülern: Diese werden nicht mehr in hohen Konzentrationen ins Abwasser abgegeben, sondern verbleiben jetzt deutlich effizienter auf den Textilfasern, wo sie ihre Wirkung durch Reibung entfalten.
  • 2010: Das Department of Defense der Vereinigten Staaten verbessert durch eine gezielte Anzeige von Korrosion kombiniert mit der Selbstheilung von Lacken die Fahrzeug­lacke für Gefechtsfahrzeuge. Entwickelt wurde die Anwendung gemeinsam mit der John Hopkins University, um die Einsatzdauer der Fahrzeuge zu verlängern.
  • 2014: Grifftrockene Schmierstofflösungen sorgen für effiziente Langzeitschmierung  z.B. in Motoren und Armaturen.

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