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Minibuster statt Blockbuster

Sanofi-Aventis will Innovationslücken mit Open Innovation und personalisierter Medizin schließen

20.04.2011 -

Patentabläufe und steigende Forschungskosten haben die Pharmaindustrie an einem Scheideweg ankommen lassen, der eine Veränderung der Geschäftsmodelle und neue Forschungsstrategien erfordert. Dr. Andrea Gruß sprach darüber mit Prof. Dr. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung von Sanofi-Aventis Deutschland und Leiter der weltweiten Diabetesforschung des französischen Pharmakonzerns.

CHEManager: Vor rund zwei Jahren hat sich Sanofi-Aventis das Ziel gesetzt, ein breit aufgestelltes Gesundheitsunternehmen zu werden, das Patienten und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Was war Auslöser dieses Strategiewandels?

Prof. Dr. Jochen Maas: Den Startschuss gab sicher das drohende Patent-Cliff, auf das die meisten großen Pharmaunternehmen zusteuern. Insgesamt erwartet die Branche zwischen 2010 und 2015 den Ablauf von Patenten für Medikamente, deren Umsatz in dreistelliger Milliardenhöhe liegt. Ein weiterer Auslöser war das sogenannte Innovation-Gap. Die F&E-Kosten nahmen über die Jahre drastisch zu, ohne dass proportional mehr Substanzen zugelassen worden wären. In der Tat ging die Zahl der Zulassungen sogar leicht zurück. Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber klar war: Wir mussten reagieren.

Welche Konsequenzen ergaben sich daraus für die Forschung bei Sanofi-Aventis?

Prof. Dr. Jochen Maas: Unser weltweite Forschung und Entwicklung hat einen umfassenden Transformationsprozess hinter sich. Zunächst haben wir unser Forschungsportfolio sozusagen „Stress getestet" und die Zahl der Projekte drastisch reduziert, um mehr als ein Drittel. Zugleich haben wir völlig neue Strukturen geschaffen, die unternehmerisches Denken und Handeln in unserer Forschung fördern. So wurde beispielsweise die Zahl der Managementebenen reduziert, um Informationsflüsse zu beschleunigen. Zudem haben wir uns von klassischen Indikationsgebieten, wie Zentrales Nervensystem oder Metabolismus, gelöst und unsere Forschung in drei neue Divisionen sowie zusätzliche therapeutische Strategieeinheiten gegliedert. In den neuen F&E-Divisionen Diabetes, Onkologie und Augenerkrankungen sitzen unsere Forscher an einem Tisch mit ihren Kollegen aus Marketing oder Produktion und befassen sich gemeinsam mit Dingen, an die sie früher in der Regel nicht dachten - zumindest nicht an einem Tisch. Die Divisionen begleiten Substanzen bis zum Markt und darüber hinaus und kümmern sich um das Lifecyclemanagement eines Produkts.

Durch welche Maßnahmen erreichen Sie mehr Patientenorientierung?

Prof. Dr. Jochen Maas: Zusätzlich zu den drei Divisionen haben wir unsere Forschungsaktivitäten in weiteren Einheiten gebündelt: Die Einheit Aging befasst sich beispielsweise mit allem, was den alternden Menschen plagt und gesundheitlich beschäftigt. Sie bündelt Indikationen, wie Alzheimer, arthritischen Schmerz oder altersbedingten Muskelschwund. Gemeinsame Klammer ist der alternde Patient. Eine weitere Einheit unserer Forschung beschäftigt sich mit Fibrose, dabei spielt es keine Rolle, ob es um Erkrankungen der Niere, Leber oder Lunge geht. Alleinige Klammer ist die fribotische Veränderung. Eine dritte Einheit, Immuno-Inflammation, fokussiert sich auf unser Immunsystem. Dann gibt es die Einheit Antiinfektiva, ein Gebiet, das nicht nur von Sanofi-Aventis, sondern in der gesamten Pharmaindustrie zehn Jahre lang stiefmütterlich behandelt wurde und nun eine Renaissance erlebt. Eine letzte Einheit, die ich hier nennen will, startet nicht bei einem Krankheitsbild, sondern einer Region: Asien-Pazifik. Hier beschäftigen sich unsere Forscher mit den besonderen Gegebenheiten in diesen Ländern. Ein Beispiel: Bestimmte Tumorerkrankungen treten in China bis zu zehn Mal häufiger auf als im Rest der Welt, somit sind auch Forschungs- und Entwicklungsinteressen für diese Regionen anders gelagert.

Welche Strategie verfolgen Sie, um das eingangs erwähnte Innovations-Gap zu schließen?

Prof. Dr. Jochen Maas: Die komplexen Zusammenhänge von Krankheiten und ihren Ursachen können wir nicht alle selbst erforschen. Statistiken aus dem Jahr 2008 besagen sogar, dass 98 % aller Innovationen ihren Ursprung außerhalb der großen Pharmakonzerne, an Universitäten und in kleinen Biotechunternehmen haben. Dem haben wir bei der Restrukturierung unserer Forschung Rechnung getragen: Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch unseren Transformationsprozess zieht, ist daher die Öffnung nach Außen - die Externalisierung. Anstelle einer geschlossenen Innovation verfolgen wir jetzt eine offene Innovation mit zahlreichen externen Partnerschaften. Dies ist ein deutlicher Strategiewechsel von Sanofi-Aventis, der sich auch in der Zusammenarbeit mit unseren Forschungspartnern widerspiegelt. Früher hat man - etwas überspitzt formuliert - gemeinsam Arbeitspakete vereinbart und sich zweimal im Jahr getroffen, um Datenpakete auszutauschen und neue Aufgaben abzustimmen. Heute definieren wir Projekte gemeinsam, arbeiten von Anfang an in gemeinsamen Projektteams und es gibt einen gegenseitigen Austausch von Wissenschaftlern. Dies erhöht den symbiotischen Effekt der Partnerschaften.

Pharmakonzerne kooperieren heute nicht nur mit kleineren Partnern, sondern auch mit direkten Wettbewerbern. Jüngstes Beispiel: Die Kooperation zwischen Boehringer Ingelheim und Eli Lilly im Bereich Diabetes. Welche Intention steckt dahinter?

Prof. Dr. Jochen Maas: Kooperationen zwischen großen Pharmafirmen werden zunehmen. Hauptgrund dafür ist das Risk Sharing, das Teilen eines Risikos. Die Entwicklung von Medikamenten ist angesichts der ständig gesteigerten Zulassungskriterien der FDA oder der EMEA, vor allem im Bereich der Medikamentensicherheit, enormen Entwicklungskosten verbunden. Insbesondere die Kosten für zusätzliche klinische Studien steigen exorbitant. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass die Wirkstoffe nicht zugelassen werden und später möglicherweise nicht erstattet werden. Daher versuchen selbst große Pharmafirmen mit vergleichsweise großen Forschungsbudgets, dieses Risiko mit Partnern zu teilen.

Unternehmerisch denkende Forscher, die sich über die Konzerngrenzen hinaus vernetzen, ist dies die Strategie für die Blockbuster von morgen?

Prof. Dr. Jochen Maas: Das Blockbuster-Modell hat meiner Einschätzung nach ausgedient. Insbesondere Medikamente nach dem Konzept „one-size-fits-all", die dennoch manchmal bei bis zu 25 % der Patienten nicht wirken, werden keine Zukunft haben. Natürlich wird auch künftig keine Pharmafirma einen potentiellen Blockbuster ablehnen, aber die Tendenz geht eindeutig zu „Minibustern". Das sind personalisierte Therapieansätze für weit verbreitete Krankheiten, wie wir sie heute schon in der Onkologie anwenden. Bestes Beispiel ist das Brustkrebspräparat Herceptin. Diese individualisierten Therapien werden sich zunehmend auch in anderen Indikationsfeldern durchsetzen.

Wird dies das Marktpotential einzelner Produkte verringern?

Prof. Dr. Jochen Maas: Das muss nicht sein. Nehmen Sie einmal an, einem Unternehmen gelingt es, einen Blockbuster durch drei Minibuster zu ersetzen, die alle ein Drittel vom Markt des alten Blockbuster abdecken, aber zu 100 % bei der ausgewählten Patientenpopulationen wirken. Dann wird sich das Marktpotential sogar erhöhen. Es gibt bereits Untersuchungen die belegen, dass ein sehr gut zugeschnittener individueller Wirkstoff sogar einen höheren kommerziellen Erfolg erzielen kann als ein breit angewandter mit entsprechenden Therapieausfällen oder erheblichen Nebenwirkungen.

Sie sind in der Diabetes Division, deren Beschäftigte zu 95 % im Industriepark Höchst angesiedelt sind, weltweit für Forschung und Entwicklung verantwortlich. Wo sehen Sie die größten Wachstumschancen für Sanofi-Aventis in diesem Gebiet?

Prof. Dr. Jochen Maas: Weltweit zählen wir derzeit 285 Mio. Diabetiker. Prognosen erwarten einen Anstieg auf bis zu 400 Mio. im Jahr 2030. Allerdings gibt es gerade in den Schwellenländern keine verlässlichen Zahlen. Die Angaben für China schwanken z.B. von 40 bis 100 Mio. Diabetiker und nur etwa 50 % der diagnostizierten Diabetiker erhalten dort entweder eine schlechte oder gar keine Behandlung. Hier ergibt sich ein großes Wachstumspotential.

Wo liegen die größten Herausforderungen in der Diabetesforschung?

Prof. Dr. Jochen Maas: Hier sind drei Punkte zu nennen: Zum einen brauchen wir neben den vorhandenen Therapien kurz- bis mittelfristig verbesserte Ansätze zur Senkung von HbA1c und Glukose im Blut. Das sind meist kleine Schritte, die sowohl verbesserte Wirkungen als auch minimierte Nebenwirkungen wie z.B. Gewichtszunahme, beinhalten. Sie werden sicherlich gelingen durch neue Insuline, aber auch durch Inkretine, also GLP 1-Analoga. Auch andere Therapieansätze sind hier wichtig. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Prävention. Hier gilt es vor allem Dysglykämien und Adipositas zu therapieren. Und ein weiterer Punkt, den wir im Fokus haben müssen, sind diabetische Spätschäden. Denn ein Diabetiker stirbt letztlich nicht am seinem hohen Blutzuckerspiegel, sondern fast immer an den entsprechenden Folgeerkrankungen, die letztendlich auch Ursache der hohen Kosten für die Gesundheitssysteme sind.
Last, but not least, ist es unsere Vision Diabetes zu heilen. Hier gibt es z.B. Ansätze zur Regeneration von Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Es wird intensiv geforscht, aber vor dem Jahr 2020 ist hier kein marktreifes Produkt zu erwarten.

Wo sehen Sie insgesamt die größten Hürden für die weltweite Pharmaforschung in den kommenden Jahren?

Prof. Dr. Jochen Maas: Eine der größten Herausforderungen sehe ich in den Zulassungsbeschränkungen der Behörden für neue Medikamente. Nimmt man das Indikationsfeld der Onkologie aus, so ist der Trend Safety, Safety, Safety. Hiermit müssen wir uns in der Pharmaforschung verstärkt auseinandersetzen. Ein zweites Thema ist die Entwicklung personalisierter Medikamente für alle Indikationen, nicht nur für die Onkologie, die hier mit Sicherheit am weitesten ist. Drittens müssen wir unsere F&E-Kosten in den Griff bekommen. Die Kostenexplosion bei gleichzeitiger Stagnation des Outputs muss überwunden werden. Und ein letzter Punkt, den anzugehen mir persönlich sehr wichtig ist: Seit der Sequenzierung des Genoms hat die wissenschaftliche Community eine riesige Mengen an Daten generiert und es werden noch viel mehr hinzukommen. Wir sind jedoch zurzeit noch nicht in der Lage, nutzbringend daraus zu lesen. Wir haben die Daten, aber noch kein Wissen daraus generiert. Das müssen wir ändern. 

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