Forschung & Innovation

Neue Norm EN 17141 Biokontaminationskontrolle

Anwendungsnahe Norm für Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche kurz vor der Publikation

12.06.2020 - Reinräume werden anhand deren luftgetragener Partikelkonzentration klassifiziert. Weitere Merkmale können je nach Zweck des auf Sauberkeit kontrollierten Bereiches zusätzlich überwacht oder zur Klassifizierung herangezogen werden.

Für viele Anwendungen in einem Reinraum spielt die Biokontamination eine wichtige Rolle. Die derzeitig gültige Norm zur Biokontaminationskontrolle in Reinräumen und zugehörigen Reinraumbereichen ISO 14698-1&2 aus dem Jahre 2003 weisst Lücken und Inkonsistenzen auf und wird mit einem zeitgemäßeren Ansatz ersetzt. Dies wird auf europäischer Ebene mit der sich in der Schlussabstimmung befindlichen EN 17141 umgesetzt. CEN/TC 243 schlägt der ISO vor, diese Norm in die ISO 14644-Normenfamilie aufzunehmen und die Kontaminationskontrolle von Mikroorganismen mit anderen Kontaminanten zu harmonisieren.

Gemäss ISO 14644-1:2015 (Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche – Teil 1: Klassifizierung der Luftreinheit anhand der Partikelkonzentration) sind Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche definiert über die maximale Partikelanzahl und -grössenverteilung. Es gibt aber viele Anwendungen für welche weitere Qualitätsmerkmale für die Durchführung von kritischen Prozessen wichtig sind. Oft sind dies mikrobiologische Parameter, da eine Biokontamination eines im Raum prozessierten Produktes zu inakzeptablen Qualitätseinbussen führt.
Biokontaminationskontrolle dreht sich um lebende Mikroorganismen, meistens Bakterien oder Pilze, welche oft schwer zu detektieren, beobachten und identifizieren sind. Kommt dazu, dass sich eine biologische Kontamination, im Gegensatz zu anderen Verunreinigungen, durch Wachstum selbständig vergrößern kann. Aus diesen Gründen wurde Biokontaminationskontrolle vor allem im Bereich der Pharmaproduktion als zusätzlicher Überwachungsparameter in auf Sauberkeit kontrollierten Bereichen eingeführt. Dazu gehören auch nicht als Reinraum klassifizierte überwachte Umgebungen, z. B. Operationssäle, welche Biokontaminationskontrolle betreiben müssen.
Biologische Kontaminationskontrolle umfasst die Überwachung von Luft sowie Oberflächen, aber auch Personen, welche als Hauptverursacher von Biokontamination gelten.

Warum braucht es eine neue Norm für Biokontaminationskontrolle?
Die derzeitig gültige ISO 14698 (Teile 1 und 2) stammt aus dem Jahre 2003. Seit deren Publikation hat sich – speziell in der pharmazeutischen Produktion und der Lebensmittelverarbeitung – die Sichtweise eines risikobasierten Ansatzes der Kontaminationskontrolle etabliert.
Weiter wurde eine ganze Anzahl weiterer Punkte mit Verbesserungspotenzial identifiziert:

  • Passt nicht in die EN ISO Normenreihe 14644 welche zwischen Klassifizierung und Monitoring unterscheidet.
  • Enthält zuwenig klare Anleitung zu Risiko-und Folgenabschätzungen in verschiedenen Anwendungs­gebieten.
  • Unterscheidet nicht klar zwischen aseptischen und nicht sterilen Anwendungen.
  • Nicht genug Hilfestellung zu luftgetragener gegenüber Oberflächenbiokontaminationsrisiken – und Kontrollen.
  • Unklare Abgrenzungen zwischen normativen und informativen Abschnitten.
  • Allgemeiner Konsens, dass sie schwierig zu lesen und zu gebrauchen ist.
  • Zwei Standards (Teil 1 & 2) erhöhen die Kosten für Anwender ohne klaren Vorteil.
  • Bildet nicht den derzeitigen Stand der Messtechnik ab.

Die angestrebte Modernisierung der ISO 14698 durch die Arbeitsgruppe 2 des technischen Komitees TC 209 der ISO zwischen 2009-2014 fand leider keinen Konsens. Das Bedürfnis nach relevanten Leitfäden zur Biokontaminationskontrolle blieb aber bestehen. Darum hat das CEN TC 243 die Arbeitsgruppe 5 mit klaren Anweisungen zur Ausarbeitung einer europäischen Norm eingesetzt (Kasten1). Im Jahr 2016 nahm eine Gruppe europäischer Experten in Mikrobiologie, Ingenieurwesen und verwandten wissenschaftlichen Disziplinen unter der Leitung des Conveners Conor Murray, Vorsitzender der irischen Reinraumgesellschaft und Vorsitzender des Healthcare Standards Committee des irischen nationalen Normungsgremiums NSAI, ihre Arbeit auf. Das Sekretariat wurde von der British Standards In­stitution (BSI) geführt.

Die neue EN 17141:2020
Das grundsätzliche Ziel der Norm ist es, dem Nutzer einen Leitfaden zu geben, eine mikrobiologische Kontrolle zu erstellen und anschliessend auch zu demonstrieren. Dazu wurde der normative Teil substanziell angepasst, damit er gleich wie der der zurzeit in der Vernehmlassung stehende GMP Annex 1 – (Manufacture of Sterile Medicinal Products) der EMA auf dem Quality Risk Management (QRM) Ansatz fusst.
Die EN 17141 befasst sich ausschliesslich mit dem Monitoring und nicht mit der Klassifizierung weil die heutigen Messmethoden nur eine indirekte Messung von Biokontamination erlauben. Biokontaminationskontrolle wird heute meist mit wachstumsbasierten Methoden durchgeführt, welche eine große Verzögerung zwischen Probenahme und Resultat nach sich ziehen. Zudem ist die Sensitivität der Messung nicht sehr hoch, weil nicht alle lebensfähigen Keime auch wachstumsfähig sind, d. h. nicht durch Bebrütung vermehrt und somit sichtbar gemacht werden können. Die Arbeitsgruppe hat grosse Teile der bestehenden ISO 14698 als noch relevant identifiziert.
Gleich zu Beginn wurde aber auch beschlossen überflüssige Teile oder welche in anderen Normen detaillierter beschrieben sind, zu entfernen (Tab. 1). Der Namen der Norm: „Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche – Biokontaminationskontrolle“ ist der ISO 14698 geschuldet. Man wollte aus historischen Gründen bei „Biokontaminationskontrolle“ bleiben, obwohl die Norm nur Mikroorganismen, aber nicht z. B. Viren, Endotoxine, Prionen oder Pollen berücksichtigt.
Als Herausforderung wurde erkannt, dass die verschiedenen Anwendungsgebiete sehr unterschiedliche Anforderungen an Biokontaminationskontrolle haben. Während z. B. bei vielen Prozessen in der Nahrungsmittelindustrie mikrobielle Schritte Teil des Produktionsablaufes sind, ist die vollständige Abwesenheit von Mikroorganismen in der aseptischen Produktion ein entscheidendes Qualitätsmerkmal. Die neue Norm durfte auch nicht in Konflikt stehen zu existierenden industriespezifischen Regulatorien.
Der Messtechnik und den Messtechnologien wurde viel Gewicht eingeräumt. Zum Beispiel wurde für aktive Luftkeimsammler der Abscheidegrad D 50 als Kenngrösse für die physikalische Sammeleffizienz eingeführt, was die Vergleichbarkeit der als keimbildende Einheit pro Luftvolumen (KBE/m3) ausgedrückten Resultate vereinfacht. Die Arbeitsgruppe kam zum Schluss, dass schnelle mikrobiologische Verfahren (RMM) und alternative mikrobiologische Echtzeit-Nachweisverfahren (AMM) derzeit noch nicht reif genug sind, um die herkömmlichen wachstumsbasierten mikrobiologischen Detektionsmethoden abzulösen. Sie können aber eine interessante Ergänzung für ein umfassendes Prozessmonitoring sein.

Industriespezifische Checklisten erleichtern die Anwendung
Ein grosses Augenmerk wurde auf die informativen Annexe gelegt. Darin wurden von Fachexperten aus den verschiedenen Anwendungsgebieten einfache Checklisten, Flussdiagramme und teilweise Warn- und Aktionsgrenzen basierend auf dem derzeitigen wissenschaftlichen Stand der Technik und Wissenschaft zusammengestellt.
Anwendungsgebiete mit wenig existierender Hilfestellung, wie etwa die Medizinalgeräteherstellung in Annex B, werden etwas ausführlicher erörtert als solche mit vielen etablierten Handlungsanweisungen. Beispiele machen die Anwendbarkeit des Gebietes vergleichbar mit der des GMP Annex 1. Eine abschliessende Bibliographie erlaubt das rasche Auffinden weiterführender Literatur zu den verschiedenen Fragestellungen.

Wie geht es weiter?
EN 17141:2020 wurde von den Mitgliedsstaaten am 3. Oktober 2019 mit 20 Ja-Stimmen, keiner Ablehnung und 13 Enthaltungen angenommen. Die eingereichten redaktionellen Änderungen, wurden nun vom CEN-Zentralsekretariat bereinigt. Die vereinbarte englische Version der EN 17141 durchläuft gerade die Übersetzung in Deutsch und Französisch und wird voraussichtlich im Sommer 2020 in allen CEN-Mitgliedsländern in Kraft treten.
Als Teil des systematischen Überarbeitungsprozesses der ISO-Norm stimmten die Länder Anfang 2020 einstimmig dafür, die bestehende ISO 14698 Teile 1 & 2:2003 zurückzuziehen (vs. beizubehalten oder zu aktualisieren). Der nächste Schritt im ISO-Prozess ist eine formelle Abstimmung zur Zurückziehung der ISO 14698 Teile 1 & 2:2003. Diese Abstimmung ist für später im Jahr 2020 geplant und soll den formalen Rückzugsprozess dieser Norm abschließen. Für Europa wird die Version EN ISO 14698 mit der Veröffentlichung von EN 17141 automatisch zurückgezogen.  
Es ist die Absicht des CEN/TC 243, die neue Norm EN 17141 als Teil eines harmonisierten Ansatzes zur Kontaminationskontrolle in Reinräumen und sauberen kontrollierten Umgebungen in die ISO 14644-Normenfamilie zu integrieren. Als Teil dieser Angleichung wird der Begriff "Biokontamination" in "mikrobiologische" Kontrolle geändert und an andere Teile der ISO 14644 angeglichen und bezieht sich auf Gesamtpartikel, Mikroorganismen, Chemikalien, Nanopartikel und Makropartikel in der Luft und auf Oberflächen. Ein entsprechender Antrag für ein neues Arbeitspaket wird bei der nächsten Plenarsitzung des ISO/TC 209 im Oktober 2020 eingereicht werden.
Darüber hinaus ist es eines der Hauptziele des CEN/TC 243, dass die EU-Richtlinien auf die EN 17141 (oder eine zukünftige EN ISO 14644-??) als Leitfaden für Reinräume und saubere kontrollierte Umgebungen verweisen. Die aktuelle Überarbeitung und Aktualisierung des EU-Anhangs 1 GMP-Leitfadens ist ein Beispiel dafür, wo bereits auf ISO 14644-1 für die gesamten luftgetragenen Partikel verwiesen wird. Eine Referenz auf EN 17141 (oder das Äquivalent zu ISO 14644-??) für die mikrobiologische Kontrolle wäre eine willkommene wissenschaftliche Ergänzung.

Aufgabenstellung des Technischen Komitees CEN/TC 243 an die Arbeitsgruppe 05 zur Erarbeitung der CEN EN 17141:2020

  1. Implementierung von Risikomanagement und Kontrolle (inklusive ICH QRM und HAACP)
  2. Etablierung des Prinzips, Kontrolle herzustellen und dann Kontrolle auch demonstrieren zu können (Umfeldmonitoring)
  3. Setzen von Alarm- und Aktionsgrenzen (wo sinnvoll)
  4. Unabhängige Überprüfung und Vergleich der aktuellen Mess- und Probenahmetechnik
  5. Berücksichtigung des wissenschaftlich/technischen Fortschrittes insbesondere der möglichen Anwendung von AMM/RMM Messmethoden
  6. Erstellen eines Überblicks über verschiedene Industrien, darunter Nahrungsmittel, Life Sciences und Gesundheitswesen und sowie ob Klassifikationstabellen in jedem Fall möglich und angemessen sind
  7. Erarbeitung anwendungsnaher Checklisten von «Dingen, die in der Biokontaminationskontrolle zu berücksichtigen sind»
  8. Verbesserung der Struktur zur einfacheren Benutzung der Norm sowie Verbesserung der Lesbarkeit
  9. Übernahme der noch relevanten Teile aus der derzeitigen ISO 14698-1&2

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