Strategie & Management

Neue Technologien und Werkstofflösungen im Automobilbau

Interview mit Rinspeed-Gründer Frank M. Rinderknecht über automobile Visionen

12.08.2014 -

Die Schweizer Automobilmanufaktur Rinspeed entwickelt visionäre Mobilitätskonzepte mit innovativen Antrieben. Bekannt ist das 1979 gegründete Unternehmen für seine spektakulären Konzeptfahrzeuge, welche auf Automobilmessen wie dem Genfer Autosalon für Aufsehen sorgen. Seit 1991 präsentiert Rinspeed jährlich neue Kreationen, die auch die Leistungsfähigkeit moderner Chemiewerkstoffe im Automobilbau demonstrieren. In Kooperation mit zahlreichen Industriepartnern treibt Firmengründer und CEO Frank M. Rinderknecht den technologischen  Fortschritt auf dem Gebiet der Mobilität stetig voran. Michael Reubold und Julia König sprachen mit dem Visionär über seine aktuellen Projekte und seine Vorstellungen von der Zukunft des Automobils.

CHEManager: Herr Rinderknecht, seit 35 Jahren sorgt Rinspeed mit revolutionären Automobilkonzepten für Furore. Wie entstehen die Ideen für Ihre innovativen Kreationen?

F. Rinderknecht: Kreativität und die daraus entstehenden Ideen sind immer mit viel Teamwork verbunden. Alleine hat jeder von uns mentale Leitplanken die durch das gemeinsame „Spinnen" erweitert werden. Wir nennen es bei uns „Pingpong spielen", sich gegenseitig zu stimulieren und weiter zu denken. Ideen können aber auch unter der Dusche, beim Autofahren oder ganz spontan „einschießen".

„Beim Autofahren" klingt logisch, wenn man sich mit Automobilentwicklung beschäftigt. Werden dort die wirklich revolutionären Ideen für neue Automobilkonzepte geboren?

F. Rinderknecht: Das kann, muss aber nicht sein. Zum Teil braucht es auch einen gedanklichen Aufbau um Ideen entstehen oder ausriefen zu lassen. Es ist eine Summe aller gedanklichen Vorgänge welche zählt. Wie sie zusammenkommt, ist am Schluss irrelevant.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert bestimmten andere gesellschaftliche Bedürfnisse und technologische Möglichkeiten als heute die Entwicklung neuer Fahrzeugmodelle. Wie hat sich Ihre Arbeit im Lauf der Zeit verändert?

F. Rinderknecht: Seit vielen Jahren sind wir mit CAD-Technik unterwegs, wo früher erst noch das gute alte Tonmodell geschaffen werden musste. Die digitale Design- und Konstruktionswelt hat uns voll im Griff. Wir können aber auch auf immer mehr Erfahrungen zurückgreifen welche uns das Leben oftmals einfacher und zielgerichteter gestalten lassen.

Welche Erfahrungen zum Beispiel?

F. Rinderknecht: Ich denke, dass ich im Verlaufe des Lebens nicht „gescheiter" geworden bin, aber viele Erfahrungen sammeln und Potentiale wecken konnte. Deshalb weiß ich heute eher, was funktioniert und was eben nicht. Oder auch welche „Werkzeuge" oder Vorgehensweisen eingesetzt werden müssen, um das gewünschte Resultat erzielen zu können.

Die großen Trends beim Thema Mobilität generell und im Automobilbau im Besonderen sind heute Gewichtsersparnis durch Leichtbau, neue Antriebskonzepte, weiter verbesserte Sicherheitsfeatures und die Integration von Informations- und Kommunikationstechnik. Wie wird letzteres unsere Nutzung von Automobilen künftig verändern?

F. Rinderknecht: Oftmals wurde schon die Aussage getätigt, dass das Automobil zukünftig ein großes und rollendes „Device" wird. Ich sehe diese Vision allerdings nur unter der Prämisse des autonomen Fahrens als richtig umsetzbar. Schon heute wird die Grenze der zumutbaren Ablenkung durch die Bedienung und Aus- und Eingabe der Konnektivitätselemente zum Teil weit überschritten. Die meisten von uns sind nur - wenn überhaupt -  sehr beschränkt multitasking-fähig. Die Aufmerksamkeit gehört uneingeschränkt der Straße und nicht E-Mails und SMS.

Sind Ihnen heute bei der Realisierung Ihrer Visionen weniger Grenzen gesetzt als früher?

F. Rinderknecht: Grenzen gab es schon immer - technologische, finanzielle und wissenschaftliche. Aber genau diese Grenzen versuchen wir jedes Jahr ein bisschen zu verschieben, zu entdecken, zu erforschen und zu erleben. Aber auch unser Anspruch steigt von Jahr zu Jahr; wir wollen immer besser werden.

Welche Rolle haben insbesondere Fortschritte in der Materialentwicklung für die Realisierung neuer Automobilkonzepte gespielt?

F. Rinderknecht: Neue Materialien wie Kunststoffe, Plexiglas, Schäume und viele andere lassen Formen und Möglichkeiten zu, welche früher oft verwehrt waren. Aber auch die Komplexität steigt damit, und die Füge- und Verbundtechnik spielen heute eine komplett neue Rolle.

Können Sie einige Beispiele von Features in Ihren Automobilstudien nennen, die erst durch die Entwicklung moderner Materialien möglich geworden sind?

F. Rinderknecht: Die visuell sichtbarsten Features sind großflächige Dachelemente, Leuchtenformen und natürlich auch die Innen- und Außenbeleuchtung selbst. Aber auch Stoßfänger und andere Elemente sind nun integrativ im Design und nicht mehr als „Add-on" zu sehen.

Mit welchen Werkstoffherstellern arbeiten Sie zusammen und aufgrund welcher Faktoren wählen Sie diese aus?

F. Rinderknecht: Auf der Kunststoffseite ist es heute die Firma Evonik. Alle unsere Partner zeichnen sich durch sehr hohe Innovationskraft, außerordentlichen Visionen und den Willen, Neues zu erforschen, aus.

Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung der Kunststoffe im Automobilbau ein? Welche neuen Materialkonzepte werden Einzug halten?

F. Rinderknecht: Ich persönlich bin kein Materialspezialist, das machen meine Kollegen. Ich denke aber, dass Mischbauweisen und der Einsatz leichter Materialien immer mehr eine große Rolle spielen. Bedeutend weniger Masse mit mehr Funktionen ist angesagt.

Wenn man sich Ihre Automobilstudien ansieht, ist es schwer vorstellbar, dass Sie sich nur mit den funktionalen Aspekten der Mobilität beschäftigten. Welche Rolle spielt die Ästhetik?

F. Rinderknecht: Das Design eines Gegenstandes - aber auch das Äußere eines Menschen - ist der erste Eindruck der optisch vermittelt wird. Dieser unausgesprochene Eindruck stellt wichtige Weichen über „gefallen" oder „nicht gefallen" und über die Aussage des Objektes. Design kann und darf aber auch polarisieren. Allen zu gefallen ist schwer - das muss man aber auch nicht.

Mit welchen Mobilitätstrends befassen Sie sich heute und welche werden unsere Art der Fortbewegung revolutionieren?

F. Rinderknecht: Seit einem Jahr sind wir tief in die Themen Automatisierung und Robotik eingetaucht. Das sind für mich äußerst spannende Themenfelder. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass das Automobil zum „Enabler" einer großen Automatisierungsstufe - ähnlich dem Internet vor zwanzig Jahren - wird. Eine Automatisierung nicht nur in der Mobilität, sondern in der Industrie und auch zu Hause.

Wie stellen Sie sich die individuelle Mobilität in zehn 10 oder 20 Jahren vor?

F. Rinderknecht: Wir stehen weltweit vor großen Veränderungen in Sachen Mobilität, denen wir mit neuen Ideen Rechnung tragen müssen. Ich sehe grundsätzlich drei Schwerpunkte: Erstens: Der Wunsch nach individueller Mobilität wird nicht kleiner, nur anders gestaltet werden. Zweitens: Ohne einen klaren und zeitnahen ökologischen Ansatz geht gar nichts bzw. gar nichts mehr. Und drittens: Die Wiederverwertung aller verbauten oder verwendeten Materialien ist ein Muss!

Wird bis dahin auch das Thema „autonomes Fahren" Realität sein?

F. Rinderknecht: Ich hoffe es, denn die Industrie sieht das Ziel des autonomen Fahrens bei 2020. Leider lässt sich Technologie öfter schneller umsetzen als nachhaltiges Handeln.

Welches Ihrer Autos ist Ihr persönlicher Favorit?

F. Rinderknecht: Den eigentlichen Favoriten gibt es nicht. Es ist wie mit den Kindern: Sie sind alle verschieden, man hat sie aber alle gleich gern. Der sQuba allerdings ist der „All-time"-Quotenhalter von weltweiten Kontakten. Über zwei Milliarden Menschen kennen das Fahrzeug.

Was ist Ihre Philosophie, die Sie antreibt?

F. Rinderknecht: Nun, ich möchte meinem Herzen folgen, den was von dort kommt, macht man in der Regel gut. Das bringt dann auch meistens Erfolg und vermutlich am Schluss auch Geld. Umgekehrt funktioniert es aber nicht. Zumal ich unendlich neugierig bin und versuche, nicht aufzugeben.

Rinspeed: Leidenschaft für Automobile

Die Concept-Cars der Schweizer Automobilschmiede Rinspeed faszinieren. Seit 35 Jahren schafft Firmengründer Frank M. Rinderknecht (Titelinterview dieser Ausgabe) mit seinem Team mit Emotionen gepaarte Innovationen und Visionen und präsentiert seine Kreationen jährlich beim Genfer Auto-Salon. Mit Industriepartnern wie Technologieunternehmen und Materialherstellern (aktuell u.a. Evonik, Sika, GF Georg Fischer, in der Vergangenheit u.a. Ticona und Bayer MaterialScience) entwickeln die Rinspeed-Ingenieure und -Designer visionäre Mobilitätskonzepte mit innovativen Antrieben und einzigartigen Designs.

So entstanden z.B. der „X-Dream" als neues Mobilitätskonzept „Multi Utility Vehicle" auf Mercedes-Benz-Technik (1999), der „Tatooo" - ein vielseitiger Pick-Up im Hot Rod Stil (2000), der „Bedouin" - ein orientalischer Verwandlungskünstler mit Erdgasantrieb (2003), oder der „Splash" - ein Carbon-Composite-Sportwagen, der sich auf Knopfdruck in ein Amphibienfahrzeug mit Tragflügeln verwandelt und 2006 einen neuen Weltrekord für die Überquerung des Ärmelkanals aufstellte. Zwei Jahre später stellte Rinspeed den" sQuba" als erstes Tauchauto mit null Emissionen vor, 2009 wurde mit dem „iChange" ein emissionsfreier Sportwagen mit geringem Gewicht und Luftwiderstand und variablem Platzangebot präsentiert. 2010 folgte mit dem „UC" ein knuffiger Elektroflitzer gegen den Verkehrsinfarkt und 2012 die Weltneuheit „Dock+Go" - ein modulares Mobilitätssystem auf Smart-Basis mit andockbaren einachsigen "rollenden Rucksäcken", welche u.a. die vieldiskutierte Reichweitenproblematik von Elektrofahrzeugen auf eine pfiffige Art lösen. 2013 schließlich hat die Schweizer Ideenschmiede mit dem „microMAX" ein pfiffiges Nahverkehrsfahrzeug präsentiert, das Raum neu definiert und öffentlichen und individuellen Verkehr vereinigt.

Die neueste Entwicklung hört auf den Namen XchangE und wurde in diesem Frühjahr der Weltöffentlichkeit präsentiert. Mit der vollelektrisch angetriebenen Reiselimousine auf Tesla-S-Basis soll autonomes Fahren in naher Zukunft Realität werden. Dafür erhielt der „XchangE" ein völlig neues Bedien- und Anzeigekonzept mit zahlreichen Navigations-, Entertainment-, Assistenz- und Servicefunktionen, die auf insgesamt vier Displays dargestellt werden. Ein 1,20 Meter breites Displayband im Lenkradträger vermittelt wichtige Informationen im Breitbildformat.

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