Strategie & Management

Podiumsdiskussion „Herausforderung Energiewende“ erläutert Situation und fordert Taten

Ohne Netzausbau droht Scheitern

18.06.2012 -

Entscheidend für den Erfolg der Energiewende sind der Netzausbau, die Modernisierung des Kraftwerksparks und die Schaffung von ausreichend Speicherkapazität. Zurzeit gibt es jedoch bei beiden Punkten erheblichen Nachholbedarf. Das stellt Verbraucher und die Industrie als Rückgrat der deutschen Wirtschaft vor große Probleme. Als äußerst energieintensive Branche ist die Chemie direkt von der Umsetzung der Pläne der Bundesregierung betroffen.

Daher stand die Delegiertentagung des Führungskräfteverbandes Chemie VAA Anfang Mai in Bonn ganz im Zeichen der Energiepolitik. Den Auftakt bildete eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion mit MdB Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (DENA) Stephan Kohler und Dr. Tony Van Osselaer, Vorstandsmitglied bei Bayer MaterialScience.

Mit dem Tempo des Ausbaus der Stromnetze steht und fällt die im letzten Jahr beschlossene Energiewende. Nicht nur in diesem Punkt waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Zu Beginn der faktenreich geführten Diskussion bedauerte das Vorstandsmitglied von Bayer MaterialScience (BMS) Dr. Tony Van Osselaer, dass der Dialog von Politik und Wirtschaft nicht zielgerichtet in Gang komme: „Wir haben losgelegt, aber wir wissen nicht, auf welcher Straße wir sind."

Van Osselaer warnte die Politik davor, die Industrie auf dem Weg nicht zu verlieren. Man fühle sich nicht richtig wahrgenommen, dabei bildeten gerade die energieintensiven Industrien das Rückgrat der Wirtschaft. Als Beispiel nannte der BMS-Vorstand den Energiegipfel vom 2. Mai im Kanzleramt, der ohne Stromverbraucher, sondern nur mit den Erzeugern stattfand. Fairerweise müsse man aber zugeben, dass auch die Industrie selbst ein schlechtes Bild abgebe und nicht mit einer Stimme spreche, wies Van Osselaer auf die Verantwortung der Unternehmen hin.
„Das Grundprinzip der Energiewende ist Energieeffizienz", gab DENA-Geschäftsführer Stephan Kohler vor den etwa 200 VAA-Delegierten und Gästen aus Medien, Wirtschaft und Politik zu Protokoll.

„Und da haben wir leider das Schreien im Walde." Einer Übererfüllung im Bereich des Ausbaus erneuerbarer Energien stünden große Defizite beim Netzausbau, bei Smart Grids und bei Speichertechnologien gegenüber, so Kohler. Auch die Gebäudesanierung komme nur schleppend voran: „Wir haben zurzeit eine Rate von 0,8 bis 0,9 % statt 3 %."

Akzeptanz durch Partizipation

Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl von der Partei Bündnis 90/Die Grünen äußerte, dass sie die Bedenken der Industrie teilweise auch hege. Aus ihrer Sicht fehle es zurzeit vor allem an Transparenz bei der Umsetzung von Energieprojekten. „Kaum ein Mensch kann die zugrundegelegten Berechnungen nachvollziehen." In Ermangelung eines politischen Steuerungsmechanismus sei ein handfestes Akzeptanzproblem entstanden, das nur durch die frühzeitige Einbeziehung aller Beteiligten in den Planungsprozess behoben werden können. „Wir müssen Akzeptanz durch Partizipation fördern", forderte Kotting-Uhl. Es gelte, Eingriffe zu vergleichen, abzuwägen und ertragen zu lernen. Ganz ähnlich wie bei der Endlagersuche: Nicht über das „ob", sondern über das „wie" müsse entschieden werden.

Stephan Kohler bezweifelte, ob die Beteiligten nach Fukushima trotz hehrer Ankündigungen tatsächlich alle an einem Strang zögen. „Ein Projekt wie die Energiewende kriegen wir nicht durch Konsenssülze hin", spitzte der DENA-Geschäftsführer zu. Vielmehr brauche es offene Diskussionen und Konflikte, um die Bedenken aus dem Weg zu räumen. So habe die dena bereits gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln eine Roadmap für die Umsetzung der Energiewende vorgelegt. Kohler nahm dabei ausdrücklich die Industrie in die Pflicht, konkrete Ergebnisse zu liefern: „Gestalten muss letztlich die Wirtschaft, nicht die Politik."

Kaltreserve in Gefahr?

Im Windschatten der Problematik des Netzausbaus, aber nicht minder wichtig sind die Modernisierung und der Ausbau des Kraftwerksparks in Deutschland. Der abstrakte Wille mag zwar da sein, aber die konkreten finanziellen Investitionsrisiken bleiben enorm. Stephan Kohler von der dena mahnte, dass beim gegenwärtigen Modernisierungstempo nach dem Abschalten der Kernkraftwerke und Steinkohlekraftwerke die Kaltreserve in Gefahr sei.

Tony Van Osselaer zufolge müssten beim Kraftwerksbau das Investitionsdilemma sowie das Grundlastproblem gelöst werden. Wenig hilfreich sei hier die zweitrangige Behandlung der Kraft-Wärme-Kopplung. Beim Thema Grundlast differenzierte dena-Geschäftsführer Kohler: „Wir brauchen keine Grundlastkraftwerke, sondern eine gesicherte Stromversorgung für den Ausgleich von Photovoltaik und Wind." Vor allem neue Gaskraftwerke seien hierfür nötig. Man müsse regional differenziert zubauen.

Gleichzeitig sprach sich der Vorsitzende der dena-Geschäftsführung für ein neues Marktmodell aus, das nicht nur die produzierte, sondern auch die gesicherte, bereitgestellte Leistung honoriere. Dieser Forderung schloss sich Sylvia Kotting-Uhl an, die betonte, dass die Versorgung mit regenerativen Energien rein rechnerisch kein Problem sei: „Unterm Strich ist Deutschland Stromexporteur." Die Essenz des Ganzen liefe einmal mehr auf den Ausbau der Netze hinaus.

Taten statt Worte

Allen Akteuren ist klar: Zum Nulltarif wird es die Energiewende nicht geben. Am Ende des Weges stellt sich die Gretchenfrage nach Stromkosten und -preisen. Stephan Kohler bemerkte treffend: „Preise sind etwas anderes als Kosten." Doch wer wird letztlich dafür zur Kasse gebeten? „Die Stromverbraucher", so die klare Antwort von Tony Van Osselaer. Und dazu gehöre auch die chemische Industrie. Neben den Personalkosten sei Strom schon jetzt der wichtigste Posten in Chemieunternehmen.

„Wir brauchen eine globale Harmonisierung, sonst droht eine schleichende Verlagerung", sagte Van Osselaer mit Blick auf Investitionsverlagerungen ins Ausland. Dieser Argumentation konnte sich DENA-Geschäftsführer Kohler jedoch nicht vollends anschließen: „Durch Effizienzsteigerung machen auch 20 bis 30 % höhere Preise nichts aus." Zumal bisher nur etwa ein Fünftel der Unternehmen ein funktionierendes Energiemanagementsystem hätten.

In Sachen Effizienzsteigerung nimmt die Chemie allerdings schon eine Vorreiterrolle ein. Daher seien für die chemische Industrie vor allem Planungssicherheit und der Netzausbau entscheidend, hob Van Osselaer hervor. Die Effizienz treibe man schon selbst voran: „Energieeffizienz ist unser Butter-und-Brot-Geschäft". Bereits in seinem Impulsreferat zur Eröffnung der Diskussionsveranstaltung stellte der BMS-Vorstand fest: „Wenn die Energiewende gelingt, dann nur, weil es die Chemie gibt."

Wird die Energiewende gelingen? „Wenn es so läuft wie zurzeit, dann werden de AKW bis 2022 nicht abgeschaltet und die Grünen wieder enormen Zulauf haben", stellte die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl mit einem milden Anflug von Ironie fest. Doch so weit solle es nicht kommen. Die Zeit laufe zwar davon, aber man könne es noch packen.

Davon zeigte sich auch Stephan Kohler überzeugt, unter einer Voraussetzung: „Keine Kanzlerrunden, sondern umsetzen!" Potenzial und technisches Know-how seien in Deutschland genug vorhanden. Vorsichtig zuversichtlich gab sich BMS-Vorstandsmitglied Tony Van Osselaer zum Ende der Runde: „Die Industrie ist wettbewerbsfähig. Lassen Sie uns die Energiewende zusammen vernünftig gestalten."

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