Anlagenbau & Prozesstechnik

Prüf- und Wartungspflichten bei Anlagenstillstand

Sicherer Shutdown in der Krise

08.03.2022 - Betreiberpflichten wie Prüf- und Wartungsarbeiten gelten auch dann, wenn eine Anlage nicht im Betrieb ist. Denn die Betreiberverantwortung hört auch im Shutdown nicht auf.

Ob Pandemie, Flutkatastrophen oder Blockaden im Suez-Kanal: Krisen können über die weit verzweigten und miteinander eng verwobenen Lieferketten schnell zu Ausfällen führen, sodass Produktionsanlagen für eine meist ungewisse Zeit heruntergefahren werden müssen. Wenn eine Anlage steht und Umsätze ausfallen, sinkt der ­Deckungsbeitrag und man muss Kosten senken. Schnell kommt dann der Gedanke: Wenn die Anlage nicht im Betrieb ist, dann muss man auch nicht mehr die umfangreichen und manchmal auch kostenintensiven Betreiberpflichten erfüllen. Doch das gilt nur sehr begrenzt.

Die Betreiberverantwortung hört auch im Shutdown nicht auf. Viele Vorschriften mit Betreiberpflichten gehen von Pflichten in den verschiedensten Phasen des Lebenszyklus einer Anlage aus. So stellt das Bundesimmissionsschutzgesetz in §5 „Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen“ auch Anforderungen an den Betreiber zu Stilllegung und Betriebseinstellung der Anlagen. Es ist daher unstrittig, dass bei einer nur vorübergehenden Außerbetriebnahme einer Anlage, wie es in einem Shutdown der Fall ist, die Betreiberverantwortung grundsätzlich bestehen bleibt.

Betreiberpflichten gibt es viele. Diese sind von Anlage zu Anlage verschieden und ergeben sich aus den anzuwendenden Vorschriften und werden zunehmend in den Gefährdungsbeurteilungen auf die betreffende Produktionsanlage in Abhängigkeit möglicher Unfallrisiken konkretisiert. Beispiele sind Dokumentations- oder Meldepflichten. Die wichtigsten Pflichten während eines Shutdowns sind aber eher die Überwachungs-, Prüf- und Wartungspflichten.

Prüfungen spätestens bei Wiederinbetriebnahme nachholen

In Bezug auf wiederkehrende Prüfungen (z.B. Funktionsprüfungen) gilt: Alle Maschinen und Anlagen, die vorübergehend außer Betrieb sind und nicht verwendet werden, können dann geprüft werden, wenn sie wieder in Betrieb genommen werden. Die Voraussetzung ist allerdings, dass stets ein sicherer Zustand gewährleistet ist. Zum Beispiel gilt das für
Maschinen, die im Stillstand vollständig bewegungslos, energie- und medienfrei sind, Schutzfunktionen von Maschinen, die nur dann wirken, wenn die Maschinen in Betrieb sind (z.B. Not-Halt-Schalter oder Staubabsaugungen an Maschinen),
Schutzmittel, die ohne die Anwesenheit von Personen keinen Sinn machen (z.B. Persönliche Schutzausrüstung, Notdusche, etc.).

Bei Wiederinbetriebnahme sind die verpassten Prüfungen nachzuholen. In der Betriebs­sicherheitsverordnung (BetrSichV) §14 (5) Satz 5 steht dazu (für Aufzugsanlagen, Druckgeräte, Ex-Schutz, Krane, Flüssiggasanlagen und Veranstaltungstechnik): „Ist ein Arbeitsmittel zum Fälligkeitstermin der wiederkehrenden Prüfung außer Betrieb gesetzt, so darf es erst wieder in Betrieb genommen werden, nachdem diese Prüfung durchgeführt worden ist“.

 

Prüfungen können nicht immer ausgesetzt werden

In der Technischen Regel für Betriebssicherheit TRBS 1201 Kap.3.1 (4) steht: „Soweit eine Gefährdung aufgrund Schäden verursachender Einflüsse auf das Arbeitsmittel durch Maßnahmen bei der Beschaffung wie Konstruktion, Design, Werkstoffauswahl, Aufstellbedingungen ausgeschlossen werden kann, kann auf eine diesbezügliche Prüfung [...] verzichtet werden“. Gemeint sind hier die wiederkehrenden Prüfungen.

Das bedeutet: aufgrund der Aufstellbedingung „Außer Betrieb“ in geschützter Werkhalle kann man Schäden verursachende Einflüsse in Zusammenhang mit z.B. Kontrollgängen zumindest für ein Zeitraum von einigen Monaten ausschließen. Eine Prüfung ist dann bis zur Wiederinbetriebnahme nicht erforderlich.

Für überwachungsbedürftige Anlagen gilt nach dem Gesetz über überwachungsbedürftige Anlagen ÜAnlG §5 (4): „Der Betreiber hat sicherzustellen, dass überwachungsbedürftige Anlagen durch Instandhaltungsmaßnahmen dauerhaft in einen sicheren Zustand gehalten werden.“ Ob die Anlage in Betrieb oder im Stillstand ist, bleibt offen. Maßgebend ist der „sichere Zustand“. Die Instandhaltung muss also ihre Pflichten weiter ausführen so lange Abweichungen vom sicheren Zustand nicht ausgeschlossen werden können.

Wann kann man aber eine Abweichung vom sicheren Zustand ausschließen? Das könnte sein, wenn die Anlage abgeschaltet ist und keinen sicherheitsrelevanten Einflüssen unterliegt, wie z.B.: Anlage steht nicht unter Druck, ist medienfrei, keine Last- oder Temperaturwechsel, kein mechanischer Verschleiß, usw.

Können Schäden verursachende Einflüsse oder ein Abweichen vom sicheren Zustand nicht ausgeschlossen werden, so bleiben zunächst die üblichen Prüfpflichten bestehen. Hier sollte der Verantwortliche jedoch genauer schauen in wie weit Prüfintervalle eventuell geändert werden können.

Im Shutdown zwei Monate Überziehungszeit nutzen

Für Aufzugsanlagen, Druckgeräte, Ex-Schutz, Krane, Flüssiggasanlagen und Veranstaltungstechnik gilt (BetrSichV §14 (5): „Eine wiederkehrende Prüfung gilt als fristgerecht durchgeführt, wenn sie spätestens zwei Monate nach dem Fälligkeitstermin durchgeführt wurde.“ Normalerweise ist davon abzuraten, aber in dem besonderen Ausnahmezustand eines ungeplanten Shutdowns ist die zwei Monate „Überziehungskredit“ eine nutzbare Option.

Prüfintervalle werden durch die Gefährdungsbeurteilung bestimmt

Sofern sich die Inspektions- und Wartungsintervalle aus Laufzeiten sowie Verbrauchs- oder Produktionsmengen ergeben, sollte klar sein, dass die Intervalle nicht im Stillstand enden können. Sind die Intervalle jedoch reine Zeitintervalle, so stellt sich die Frage, wie dann zu bewerten ist, dass im Anlagenstillstand in der Regel das Risiko für sicherheitsrelevante Schäden geringer ist.

Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst zu klären, wodurch die Prüfintervalle festgelegt werden. Das Arbeitsschutzgesetz und das Überwachungsbedürftige Anlagengesetz in Verbindung mit der Betriebssicherheitsverordnung definieren genau:

Arbeitgeber bzw. Betreiber müssen Gefährdungsbeurteilungen erstellen und darin die erforderlichen Prüfungen, inkl. der Intervalle festlegen. Dabei sind die Gefährdungen, die beim Betrieb von Anlagen bzw. der Verwendung von Arbeitsmitteln auftreten können, zu beurteilen und daraus notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dazu gehören auch die wiederkehrenden Prüfungen.

Durch den Zusammenhang mit der Gefährdungsbeurteilung wird aus der Pflicht zur wiederkehrenden Prüfung auch eine Chance für den Betreiber: Ändert sich die Gefährdungslage in der Weise, dass das Risiko eines Schadens sinkt, so können die Prüfintervalle neu festgelegt und dabei ggf. verlängert werden.

Bei einem Shutdown ist also zu klären, ob sich die Gefährdungslage durch das Herunterfahren der Anlagen vergrößert oder verkleinert. In der Regel ist anzunehmen, dass das Risiko kleiner wird, z.B. wenn die Anlage im Stillstand nicht mehr unter Druck steht oder frei von gefährlichen Medien ist.

Im Prinzip kann also über die Gefährdungsbeurteilung eine Verlängerung der Prüfpflichten erreicht werden. Der Aufwand, den man für eine Prüfung spart, kann jedoch schnell durch den Aufwand einer Änderung der Gefährdungsbeurteilung aufgewogen werden.

Kommt es beim Shutdown zu einer Zunahme von Gefährdungen (z.B. weil Redundanzen wegfallen), so ist der Betreiber sogar verpflichtet die Gefährdungsbeurteilung anzupassen. Dies könnte im Ergebnis sogar zu einer Verkürzung von Prüffristen führen, sofern den zusätzlichen Risiken nicht mit anderen Maßnahmen begegnet wird.

Eine Verlängerung von Prüfintervallen ist allerdings nur dann möglich, wenn es sich nicht um überwachungsbedürftige Anlagen handelt. Dazu gehören u.a. Druckbehälter, Anlagen mit Explosionsgefahren und Aufzüge. Für diese Anlagen gilt, dass die Mindestfristen aus der Betriebssicherheitsverordnung einzuhalten sind.

 

Nicht alle Anlagen gelten im Shutdown als „außer Betrieb gesetzt“

Es ist zu beachten, dass viele Einrichtungen nicht als „außer Betrieb“ oder nicht ausschließlich als Arbeitsmittel im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung gelten. Für diese Einrichtungen sind wiederkehrende Prüfungen dann doch erforderlich. Das könnte z.B. folgende technische Einrichtungen betreffen:

  • Sicherheitseinrichtung der Gefahrstoffläger,
  • Die Leckageüberwachung eines Säuretanks, der nicht entleert und gespült ist,
  • Brandmeldeanlage, Feuerlöschanlage, automatisch schließende Brandschutztüren
  • und sonstige automatische Brandschutzeinrichtungen wie:
  • Rauch- und Wärmeabzugseinrichtungen sowie Brandschutzklappen, sofern sie zur technischen Gebäudeausrüstung gehören und nicht ausschließlich Maschinen entlüften, die abgestellt sind,
  • Blitzschutz,
  • Druckgeräte, wenn sie weiterhin unter Druck bleiben (z.B. Bevorratung von flüssigem Sickstoff),
  • elektrische Betriebsmittel, die nicht dauerhaft spannungsfrei sind (z.B. Beleuchtung, die für den Kontrollgang benötigt wird, Photovoltaikanlage, Elektroladestation).

Umweltrelevante Prüfungen

Wenn sich Prüfungen aus Umweltvorschriften ergeben, ist zu beachten, dass die oben beschrieben Abweichungsmöglichkeiten mit Hilfe der Gefährdungsbeurteilung so nicht greifen. Hier ist zu klären, ob durch den Stillstand die Umweltrisiken weiterhin bestehen. z.B. bleibt eine Tankanlage eine AwSV-Anlage (Anlage zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen) und muss dementsprechend geprüft werden, es sei denn sie ist komplett restentleert.

Regelmäßige Kontrollen sind unverzichtbar

Im Shutdown bleiben auf jeden Fall Überwachungspflichten bestehen. Daher sollten unabhängig von den erwähnten Prüfpflichten regelmäßige Sichtkontrollen erfolgen. Diese Kontrollen sollten in Form von Rundgängen durch qualifiziertes Personal den Betrieb als Ganzes erfassen, insbesondere aber Maschinen und Anlagenbereiche, die nicht vollständig energie- und medienfrei gemacht werden können. Objektschutz und Notfallpläne müssen i.d.R. aufrecht erhalten bleiben. Mit einem Kontrollplan, in dem jeder Kontrollgang bestätigt wird, dokumentiert man die Wahrnehmung der Überwachungspflichten.

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