Anlagenbau & Prozesstechnik

Reinraumbekleidungssysteme nach dem Baukastenprinzip

Spezifikationen eindeutig definieren

23.01.2018 -

Ein Bekleidungssystem zu definieren, zählt nach wie vor nicht zu den ­beliebtesten Aufgaben. Die Chance, sich bei seinen Mitarbeitern bzw. bei seinen Kolleginnen und Kollegen unbeliebt zu machen ist relativ hoch. Auch wenn es möglicherweise auf den ersten Blick recht einfach erscheint, einen Reinraumoverall oder einen Reinraumkittel zu bestimmen, so stellt sich bei genauerer Betrachtung heraus, dass die Aufgaben­stellung durchaus sehr komplex sein kann. Die nachfolgenden Ausführungen, mit der einen oder anderen Anregung und Empfehlung, sollen daher als „roter Faden“ dienen.

Die unterschiedlichen Anforderungen werden zunächst an das zukünftige Bekleidungskonzept möglichst genau erfasst und dokumentiert, denn es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass die Luftreinheitsklasse (gemäß ISO 14644-Blatt 1) das alleinentscheidende Kriterium wäre. Neben den typischen reinheitsrelevanten Themen, wie Filtrationseffizienz und Abriebfestigkeit, sind in den meisten Fällen darüber hinaus eine Vielzahl anderer Faktoren mit einzubeziehen. Exempla­risch seien an dieser Stelle Tragekomfortaspekte oder Anforderungen aus dem Bereich der per­sönlichen Schutzausrüstung aufgeführt. Tabelle 1 beinhaltet eine Aufzählung möglicher Gesichtspunkte, die bei der Definition eines Bekleidungssystems relevant sein könnten.

Ist der erste Schritt getan und sind die wichtigsten Aspekte und Anforderungen an ein Bekleidungssystem zusammengetragen, dann gilt es aus den verschiedenen zur Verfügung gestellten Daten und Angaben, die für den eigenen Prozess relevanten und vertrauenswürdigen herauszufiltern. Mittlerweile gibt es hierzu, zumindest im deutschsprachigen Raum, eine Richtlinie (VDI 2083, Blatt 9.2), die den Entscheidungsträgern eine entsprechende Hilfestellung bietet. Neben dem allgemeingültigen ersten Teil dieser Richtlinie, in dem die verschieden textilspezifischen  Eigenschaften aufgeführt und erläutert werden, bieten deren Anhänge konkrete Richtwerte und Empfehlungen zu den jeweiligen Eigenschaften.
Unter anderem zu folgenden Kriterien:

  • Rückhaltevermögen gegenüber
  1. luftgetragenen Partikeln (Diffusionsverhalten)
  2. mechanisch transportierten Partikeln (Migrationsverhalten)
  3. mikrobiologischer Kontamination
  • Luftdurchlässigkeit (unter Berücksichtigung des Pumpeffekts)
  • Tragekomfort
  • elektrostatisches Verhalten
  • Abriebfestigkeit / Aufrauneigung (Alterungserscheinungen)

Da nach wie vor viele dieser technischen Anforderungen international nicht standardisiert getestet und überprüft werden, sollten die Entscheidungsträger nicht nur die Quelle der jeweiligen Daten hinterfragen, sondern auch die Prüfmethode sowie deren Praxisrelevanz. Auch sollte überprüft werden, ob es sich um Daten handelt, die den Neuzustand eines Reinraumtextils beschreiben oder (was sicherlich wünschenswert wäre) um Werte, die im typischen Gebrauchszustand – nach bspw. 50 Tragezyklen – zu erwarten sind. Die Reproduzierbarkeit bzw. Requalifizierung solcher Angaben sind aus Qualitätssicht ebenfalls interessante Gesichtspunkte.

Neben den technischen Anforderungen, die der Prozesssicherheit dienen und einen hohen Einfluss auf die Qualität der in den kontrollierten Bereichen erbrachten Leistungen haben, sind die Bedürfnisse der Mitarbeiter keinesfalls außer Acht zu lassen. Die Mitarbeiterakzeptanz ist ein sehr wichtiger Baustein eines gut funktionierenden Bekleidungssystems. Wird ein Bekleidungskonzept völlig abgelehnt, hat dies auch Auswirkungen auf die Effizienz sowie auf die Qualität der Arbeiten im Reinraum. Das Einführungsprozedere eines neuen oder geänderten Bekleidungskonzepts sowie regelmäßige praxisorientierte Mitarbeiterschulungen sind zwei mögliche Herangehensweisen, die die Mitarbeiterakzeptanz steigern können. Auf beides wird später nochmals detailliert eingegangen.

Eine weitere Anforderung an ein Bekleidungssystem aus Sicht des Produktschutzes ist oftmals noch die Thematik ESD (Electro Static Discharge / elek­trostatische Entladung) bzw. EPA (Electrostatic Protected Area / elektrostatisch geschützter Bereich). Neben den textilen Eigenschaften (Stichwort: leitfähige Fasern / Filamente) können die Konstruktion bzw. das Design und die Verarbeitung (Nähte) diese Anforderungen maßgeblich beeinflussen.
Sollten die mit Reinraumbekleidung unter kontrollierten Bedingungen durchgeführten Tätigkeiten zusätzlichen Anforderungen aus dem Bereich der persönlichen Schutzausrüstung (kurz PSA) unterliegen, so scheiden aktuell im Grunde fast alle Mehrweglösungen aus rechtlichen Gründen aus. Typische Anwendungen sind bspw. der Umgang mit Zytostatika, hochwirksamen Wirkstoffen oder gefährlichen Chemikalien. Die in vielen Fällen zwingend vorgeschriebene Zertifizierung unter PSA-Gesichtspunkten ist bei Mehrwegbekleidung, die regelmäßig aufbereitet (dekontaminiert) werden soll, nicht ohne Weiteres umzusetzen. Bereits die Frage, wie oft kann ein mehrmals gereinigtes Bekleidungsstück bedenkenlos verwendet werden, ist kaum zu beantworten bzw. entsprechend zu zertifizieren. Sollte dennoch eine wiederverwendbare Lösung angeboten werden, so em­pfiehlt es sich, insbesondere diese Fragestellung „wie oft“ gesichert abzuklären.

In Fällen, bei denen ein wiederverwendbares Bekleidungssystem die geforderten PSA Anforderungen nicht erfüllen kann, ist eine entsprechend zertifizierte Einweglösung zu empfehlen. Allerdings sind nicht alle Bekleidungsvarianten auf Basis eines Einwegmaterials für den Einsatz in kontrollierten Bedingungen geeignet. Selbst wenn die Filtrationsleistung des Einwegmaterials ausreichend erscheint, so ist die „Eigenkontamination“, also das Kontaminationsrisiko ausgehend vom Bekleidungsstück an sich, oftmals ein Ausschlusskriterium. Einwegbekleidung wird in vielen Fällen unter einfachen industriellen Umgebungen gefertigt. Jegliche partikuläre und mikrobiologische Kontamination im Herstellungsprozess des Einwegmaterials und beim Fertigen der Bekleidungsmodelle wird ungehindert 1:1 in die kontrollierten Bereichen eingeschleust, ist die Bekleidung nicht entsprechend vorher reinraumgerecht dekontaminiert.

Die Umgebungsbedingungen in den kontrollierten Bereichen können ebenfalls das Bekleidungssystem beeinflussen. Wärmeentwicklung und Schwitzen in /unter der Reinraumbekleidung ist ein Teilaspekt. Aber auch genau das umgekehrte Anforderungsprofil wird verstärkt thema­tisiert. Umgebungsbedingungen mit 8 –10 °C oder Arbeitsplätze, die einer erhöhten Luftzuführung ausgesetzt sind, fordern Lösungen bei denen die Mitarbeiter entsprechend geschützt werden. Hier bieten sich oftmals praktikable Lösungsansätze unter der Reinraumoberbekleidung an. Aber auch Sonderlösungen mit speziellen reinraumgeeigneten Textilien für die Reinraumoberbekleidung sind denkbar.

Im Verlauf des Definitionsprozesses steht ab einem gewissen Zeitpunkt auch die Festlegung der Bekleidungsmodelle an. Sicherlich spielt die geforderte Luftreinheitsklasse (nach ISO 14644 oder gemäß GMP-Hygienezonen) eine gewisse Rolle bei der jeweiligen Festlegung der Modelle, aber auch hier sind weitere Teilaspekte mit zu berücksichtigen. Das Tragen eines Kittels in einer ISO 5 Reinheitsklasse oder in einem GMP-Umfeld A/B ist eher unwahrscheinlich und auch nicht zu empfehlen. Umgekehrt wäre jedoch aus prozesstechnischer Sicht auch das Tragen eines Overalls in einer ISO 8 Klasse oder einem D-Bereich durchaus denkbar. Mit der Hinzunahme einer reinraumtauglichen Zwischenbekleidung (siehe unten) sind wiederum Kompromisse bei der Reinraumoberbekleidung vorstellbar. Auch der Wechselzyklus, also wie oft die Bekleidung getragen wird, bevor sie dekontaminiert wird, kann die Auswahl des Modells beeinflussen.

Mit der Modellauswahl einher geht die Festlegung von optional möglichem „Sonderzubehör“, wie Taschen, Laschen, Verstelloptionen usw.  Hier gilt es sehr genau abzuwägen, welches Zubehör wirklich zwingend notwendig ist und auf welches eher verzichtet werden kann. Eine Tasche stellt eine erhebliche Kontaminationsgefahr dar, denn sie fungiert während des Dekontaminationsprozesses wie ein Fusselsieb. Strickbündchen lassen sich im Vergleich zu einem Reinraumgewebe erheblich schwieriger reinraumgerecht aufbereiten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ein weiterer Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist das Design, der Schnitt und die Größengestaltung der Bekleidung. Mit verschiedenen Farbdesigns lassen sich bspw. unterschiedliche Reinraumanwendungen in einem Betrieb einfacher auseinander halten oder Zonenkonzepte realisieren. Mit farblichen Applikationen lassen sich möglicherweise aber auch die Mitarbeiter leichter überzeugen, das neue Bekleidungskonzept anzunehmen. Der Schnitt und somit die Passform beeinflusst nicht nur die Akzeptanz durch den Träger – sondern auch das Kontaminationsrisiko ausgehend vom Bekleidungsstück. Bei einem zu groß ausgelegten Bekleidungsstück können Kontaminationen an den Stellen entweichen, wo dieses aufgrund der falschen Größe und /oder Gestaltung nicht korrekt anliegt. Bei einem Overall mit angenähter (integrierter) Haube bspw. besteht immer das Problem der Passform der Haube. Benötigt der/die Träger(in) einen XL-Overall so wird zwangsläufig auch die angenähte Haube in XL gefertigt. Wenn nun aber die optimale Haubengröße bei dem/der Träger(in) M lauten würde, passiert es oft, dass die betreffende Person sich bei einer entsprechenden Kopfbewegung in die Haube hineindreht und so das Risiko einer Kreuzkontamination steigt.

Reinraumtaugliche Zwischen­bekleidung
Ein mittlerweile an vielen Stellen nachgewiesener wesentlicher Baustein eines Bekleidungssystems ist die reinraumtaugliche Zwischenbekleidung, die direkt unter der Reinraumoberbekleidung getragen wird. Ergebnisse unterschiedlichster Studien haben gezeigt, dass das Kontaminationsrisiko ausgehend von einer Person durch den Einsatz reinraumtauglicher Zwischenbekleidung teilweise um 50 % und mehr reduziert werden kann. Dies gilt sowohl für partikuläre Verunreinigungen als auch für mikrobiologische Kontaminationen. Eine reinraumtaugliche Zwischenbekleidung (in vielen Fällen auch Unterbekleidung genannt) zeichnet sich dadurch aus, dass aufgrund der Materialeigenschaften kaum /kein Abrieb unter der Reinraumbekleidung erzeugt wird. In vielen Fällen bietet diese spezielle Kleidung aber auch noch weitere funktionale Eigenschaften. Sei es, dass der Tragekomfort des Bekleidungssystems verbessert werden kann oder dass diese Bekleidung antimikrobiell wirkt und somit unangenehme Gerüche reduziert.

Die (fachgerechte) ­Reinigung
Steht die Auswahl in puncto Ober- und Zwischenbekleidung fest, so ist der Definitionsprozess des Bekleidungssystems aber noch bei weitem nicht abgeschlossen. Um sicherzustellen, dass die Reinraumbekleidung ihre volle Funktionalität ausschöpft, muss diese regelmäßig fachgerecht gereinigt also reinraumgerecht dekontaminiert werden. Eine unsachgemäße Reinigung der Reinraumbekleidung kann nachweisbar das komplette Bekleidungssystem ad absurdum führen. Auch an dieser Stelle gilt es wiederum einige Aspekte mit in den Entscheidungsprozess einzubinden. Neben der geforderten Luftreinheitsklasse ist der komplette Prozessablauf in einer Reinraumwäscherei mit zu betrachten. Wo wird Be- und Entladen? Wird mit Hilfe des Trockners der Dekontaminationsprozess ergänzend unterstützt? Wird die Reinheit der Bekleidung bzw. der Dekontamination regelmäßig kontrolliert und dokumentiert? Welche Verpackungsmaterialien werden verwendet und wie werden diese spezifiziert bzw. kontrolliert? Gibt es Backup-Pläne in einem Havariefall? Alles Teilaspekte, die neben der oftmals an erster Stelle stehenden Kostenfrage, zu beachten sind.

Die VDI Richtlinie 2083, Blatt 9.2, gibt auch hierzu entsprechende Anhaltspunkte und Empfehlungswerte zu den sogenannten Restkontaminationswerten. Die Restkontaminationswerte sind Angaben, die jede Reinraumwäscherei bei jeder Anlieferung aufbereiteter Reinraumbekleidung mitliefern sollte, um den Nachweis führen zu können, dass diese bedenkenlos in den jeweiligen Reinraumbereichen der Endkunden eingesetzt werden kann. Hinweis: Die Restkontaminationswerte (meistens mit Hilfe der Helmke-Trommel oder in Anlehnung an die ASTM F51 ermittelt) sind keine Messwerte, die die allgemeine Reinraumtauglichkeit eines Bekleidungsstückes beweisen.

Kauf oder Leasingkonzept?
Einhergehend mit der Auswahl einer Reinraumwäscherei geht in den meisten Fällen auch die Entscheidung, ob die Bekleidung gekauft oder geleast werden soll.
Die auf der Hand liegenden Argumente für ein Leasingkonzept sind die Auslagerung der aufwändigen Logistik, das Thema Kapitalbindung, die zum Teil immer komplexer werdende Dokumentationspflicht im Hinblick auf qualitätsrelevante Daten (z. B. Einzelteilverfolgung, Anzahl Waschzyk­len, Zuordnung Wasch- und Sterilisationschargen) usw.. Allerdings müssen diese Aspekte auch bezahlt werden! Es gilt also auch an der Stelle Kosten und Nutzen entsprechend abzuwägen. Gleichzeitig (aber unabhängig von der kaufmännischen Entscheidung Kaufen oder Leasen) sind weitere Entscheidungen zu treffen: Wieviel Bekleidungssets soll ein Träger bekommen? Dies hängt selbstverständlich davon ab, welche Reinheitsanforderungen der Anwender an die Bekleidung hat und wie oft die Bekleidung durch den internen oder externen Dienstleister abgeholt/angeliefert wird. Ein Beispiel: Reinraumbekleidung für die Hygienezone A /B (gemäß GMP) muss bei jedem Betreten gewechselt werden. Bei einem täglichen 4-fachen Wechsel und einer wöchentlichen einmaligen Versorgung (Anlieferung und Abholung) wären dies (bei einer 5-Tage-Woche) pro Träger 20 Sets! Diese 20 Sets werden nun in der nächsten Woche aufbereitet/dekontaminiert, sodass der Träger weitere 20 Sets braucht. Hinzu kommt eine Tagesausstattung für den Tag der An- und Abholung (= 44 Sets). Zusätzlich sollte noch ein Puffer einnkalkuliert werden zur Risikoabsicherung für Eventualitäten, wie Evakuation oder andere unvorhersehbare Ereignisse.

Trage- bzw Austauschzyklus
Mit in diesen Teil des Definitionsprozesses gehört auch die Festlegung, wie oft ein Bekleidungsstück insgesamt getragen werden darf, also nach wie vielen Tragezyklen dieses erneuert /ausgetauscht werden muss. Auch diese Entscheidung hängt davon ab, in welcher Reinraumklasse die Bekleidung eingesetzt werden soll. Aber auch davon, welchem mechanischen Stress die Bekleidung tagtäglich ausgesetzt wird. Ein Mechaniker beansprucht die Bekleidung in einem ganz anderen Umfang, als ein Operator der möglicherweise hauptsächlich ein Touch-Panel bedient. Wird die Reinraumbekleidung zusätzlich sterilisiert, so muss diese aufgrund der Beanspruchung deutlich früher ersetzt werden als Bekleidung, die ausschließlich dekontaminiert (gewaschen) wird.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Sterilisationsprozess wiederum spezielle Anforderungen an die eigentliche Reinraumbekleidung stellt. Manche Zubehörteile wie Reißverschlüsse, elastische Bänder, Schnallen oder Sohlen (bei Überziehstiefeln) reagieren unterschiedlich bei den verschiedenen Sterilisationsverfahren. An dieser Stelle gilt es auch festzulegen, ob eine Einzelteilverfolgung pro Bekleidungsteil notwendig und sinnvoll ist und somit auch eine entsprechende Kennzeichnung in den jeweiligen Bekleidungsteilen zu erfolgen hat. Des Weiteren müssen Vorgaben ausgearbeitet werden, ob und wenn ja in welchem Umfang ein Bekleidungsteil repariert werden darf.
Nachfolgend eine kurze zusammenfassende Liste für diesen Teil des Definitionsprozesses:

  • Kaufen oder Leasen
  • Sterilisieren ➙ ja/nein ➙ Sterilisations­verfahren
  • Anzahl Sets pro Mitarbeiter
  • Wie oft soll pro Woche angeliefert bzw. ­abgeholt werden
  • Feiertags- und Ferienregelungen sind ­festzulegen
  • Anlieferungs-/Abholungspunkte vor Ort
  • Schrankservice ➙ ja/nein
  • Max. Tragezyklen
  • Reparaturmanagement
  • Einzelteilverfolgung ➙ ja/nein
  • Chargendokumentation
  • Notfallplan zu definieren (falls etwas mit
  • der Reinraumbekleidung „schief geht“)
  • Schleusenkonzept

Zu einem Bekleidungskonzept zählt allerdings auch ein an die Anforderungen angepasstes Schleusenkonzept. Kommen bspw. ungehindert private Bekleidungsstücke mit der Reinraumbekleidung direkt oder indirekt in Berührung, so darf es nicht verwundern, wenn auf kurz oder lang Baumwollfasern in den kontrollierten Bereichen nachgewiesen werden. Dabei genügt es nicht, eine Personalschleuse nur mittels einfacher Aufteilung in einen Schwarzbereich (in welchen noch die private Bekleidung getragen wird) und einen Graubereich (hier wird dann die definierte Reinraumbekleidung getragen) zu trennen. Es sollte auch genug Platz zum Umkleiden vorhanden sein, so dass sich die Träger nicht gegenseitig während des Umkleideprozesses kontaminieren. Sollte die Reinraumbekleidung mehrfach hintereinander an einem oder mehreren Tagen genutzt werden – ohne dass sie zwischenzeitlich zur Dekontamination abgeworfen wurde – so muss diese so aufgehängt werden, dass die Gefahr einer Kreuzkontamination von außen minimiert wird.
Weitere Themen eines Schleusenkonzeptes können u. a. folgende Punkte sein:

  • Material und Personalfluss
  • Aufbewahrungsmöglichkeiten und Spendereinheiten für ergänzende Bekleidungsbestand­teile, wie z. B. Handschuhe, Mundschutz usw.
  • Müllentsorgung von Verpackungsmaterialien, Einwegbekleidungsstücken, ggf. inklusive der Trennung von Sondermüll
  • Auslegung mit Matten um Kontaminationen vom Schuhen /Sohlen etc. zu reduzieren
  • Reinigungsaufgaben und Reinigungszyklen für die Schleusen
  • Ankleideverhalten
  • Gut informierte und
  • ausgebildete ­Mitarbeiter

Dass die Mitarbeiterakzeptanz ein ganz wesentlicher Faktor für ein gut funktionierendes Bekleidungskonzept ist, wurde bereits weiter oben betont. Dienlich für diese Akzeptanz ist eine adäquate Mitarbeiterschulung. Sie dient nicht nur dazu, das notwendige Basiswissen zu vermitteln, sondern sollte gleichzeitig die Motivation stärken, das Bekleidungssystem korrekt zu leben. Wenn die Mitarbeiter verstehen, was für ein Aufwand für die Erstellung und Umsetzung eines Reinraumbekleidungskonzepts betrieben wird, so ist es sicherlich wesentlich einfacher nachzuvollziehen, warum überhaupt diese Kleidung getragen werden muss, warum es so wichtig ist diese korrekt anzuziehen bzw. wieder abzulegen und warum bestimmte Verhaltensweisen in einem kontrollierten Bereich nicht akzeptabel sind. Wenn darüber hinaus die entsprechende Wertschätzung vermittelt werden kann, dass es in jeglicher Hinsicht schon etwas besonders ist, in einem Reinraum zu arbeiten, dann werden in vielen Fällen sowohl die Schulungsinhalte leichter aufgenommen, als auch die Motivation in die richtige Richtung gesteigert.

Zum Abschluss sollte noch darauf hingewiesen werden, dass auch ein wohl vorbereitetes Einführungs- und Umsetzungskonzept sicherlich dazu beitragen kann, eine neues bzw. ein abgeändertes Bekleidungssystem erfolgreich zu etablieren.
Werden die Mitarbeiter früh und ausführlich über die bevorstehenden Änderungen informiert und fühlen sie sich nicht einfach „überrannt“, so steigt schon im Vorfeld die notwendige Akzeptanz. Trageversuche vorab, Poster die das eine oder andere anschaulich erläutern oder eine Informationsveranstaltung (bspw. mit externen Experten) sind mögliche Ansatzpunkte für ein solches Einführungskonzept. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte auch eine Größenerfassung /-bestimmung im Betrieb erfolgt sein. Jeder Mitarbeiter sollte persönlich die passende Kleidung für sich ausgesucht haben.
Die typischen Unisexgrößen, wie S, M, L, XL usw. können zwischen den unterschiedlichen Anbietern deutlich abweichen, so dass es sich anbietet, von dem ausgewählten Bekleidungshersteller entsprechende Größensets für die Größenanprobe anzufordern. Diese Größensets sollten auf jeden Fall vorgewaschen sein und falls autoklavierte Sterilraumbekleidung benötigt wird, so sollte diese Kleidung auch vorab autoklaviert worden sein, um das nicht zu verhindernde Schrumpfverhalten der Bekleidung vorab für die Größenfestlegung miteinzubeziehen.

Genauso wichtig ist es, eine realistische Zeit­schiene festzulegen. Hochwertige Reinraumbekleidung ist in vielen Fällen kein Lagerartikel und wird auftragsbezogen angefertigt. Damit sind längere Lieferzeiten einzukalkulieren. Dazu benötigen auch die Reinraumwäschereien ihre Zeit um die Kleidung ordnungsgemäß vorzubereiten, d. h. zu dekontaminieren und zu codieren.

Fazit
Die Definition und Umsetzung eines Reinraumbekleidungssystems ist alles andere als trivial. Viele Punkte sind zu beachten und aufeinander abzustimmen. Technische Anforderungen sind mit den Bedürfnissen der Träger in Einklang zu bringen, Kosten und Logistik sind genau zu betrachten. In bestimmten Fällen sind zusätzlich bestimmte Auflagen zu erfüllen. Auch ist es em­pfehlenswert, eine aussagefähige Dokumentation des Bekleidungssystems zusammenzustellen, die jederzeit einem Auditor vorgelegt werden kann.
Alle aufgezeigten Punkte sind Empfehlungen. Jeder Reinraum erfordert ein individuell zugeschnittenes Konzept, welches nach Möglichkeit immer gemeinsam mit den zugehörigen Dienstleistern erstellt werden sollte.

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