Forschung & Innovation

Reinraumtechnik in der Lebensmittelindustrie

Kontaminationen vermeiden!

24.03.2021 - Hersteller von Lebensmitteln haben neuartige Verfahren für die Produktion im Reinraum entwickelt, die jetzt perfektioniert wurden. Sie tragen dazu bei, die Gefahr einer Keimübertragung wesentlich zu verringern und damit Sicherheit und Haltbarkeit zu steigern. Mit moderner Reinraumtechnik kann eine effiziente Sicherheit, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit erreicht werden.

Lebensmittel ohne Konservierungsstoffe werden immer beliebter und stellen die Lebensmitteltechnik vor die grosse Herausforderung, die Keimzahlen zu kontrollieren. Denn auf Lebensmitteln vermehren sich Keime, auch pathogene, besonders gut und können die berüchtigten Magen-Darmerkrankungen auslösen. Lebensmittelinfektionen sind Erkrankungen des Magen-Darmtrakts, die auf den Verzehr von mit pathogenen Keimen oder Chemikalien kontaminierten Lebensmitteln zurückzuführen sind. Sie können neben den benannten Magen-Darmproblemen auch zu chronischen Störungen mit multiplem Organversagen, neurologischen Ausfällen oder gar Krebs führen. Daher muss im Lebensmittelbereich unter hygienisch sicheren Bedingungen produziert und verpackt werden. Dies unter erschwerenden Bedingungen, denn immer mehr Hersteller verzichten auf konservierende Zusätze, müssen aber dennoch die Anforderungen des Handels an längere Produktlaufzeiten erfüllen. Aktuell entspricht der Food-Trend dem „clean-eating“, dem Genuss von naturbelassenen Nahrungsmitteln ohne Zusatzstoffe.

Lebensmittel-Haltbarmachung

Gerade bei Lebensmitteln ist das Produkt selbst oft ein Kontaminationsfaktor im Reinraum. Daher muss der Reinraum und dessen Unterhalt zum Prozess und dessen Produkt passen.

Im Vordergrund steht dabei die Haltbarmachung der Lebensmittel selbst durch nicht-thermische Verfahren. Unter nicht-thermischen Verfahren versteht man Hochdruckbehandlung, gepulstes Licht und gepulste elektrische Felder, E-beam (Elektronenstrahlbehandlung mittels ionisierender Strahlung  im Verpackungsbereich) oder der Einsatz von Bakteriophagen und von Schutzkulturen, welche Stoffwechselprodukte mit antimikrobiellen Eigenschaften gegen pathogene Keime erzeugen. Sie eröffnen neue Möglichkeiten für die Lebensmittelindustrie. Eines dieser Verfahren soll hier herausgegriffen werden: Das Verfahrens­prinzip von gepulsten elektrischen Feldern (PEF) zur schonenden Inaktivierung von Mikroorganismen auf Lebensmitteln. Dabei werden elektrische Felder von hoher Spannung in Form kurzer Impulse zielgerichtet eingesetzt, wobei durch dieses PEF-Verfahren nur die Mikroorganismen gezielt inaktiviert werden, das Produkt bleibt intakt. Das Verfahren wird angewandt, um die Haltbarkeit von Säften und Smoothies zu verlängern.

Daneben spielt in der Getränkeindustrie die Ultra-Clean-Kaltabfüllung eine Rolle. Eine große Getränke-Abfüllanlage permanent unter den anspruchsvollen Bedingungen des Reinraumklasse A zu fahren ist sehr aufwändig. Stattdessen erzeugt man eine reine Zone rund um das Produkt. Die Oberflächenentkeimung erfolgt mittels UV-C-Technologie. Der Bereich um diese Restrict­ed Access Barriers (RABS) und Isolatoren ist so gut abgedichtet, dass Mitarbeiter, die von außen hantieren, normale Hygienekleidung tragen können. Die Filterung erfolgt mit Schwebstofffiltern (HEPA), die kleinste Partikel und Mikroorganismen zurückhalten. Eine Luftschranke, die durch Überdruck im Inneren des Gehäuses erzeugt wird, schützt den sterilen Bereich. Er ist während der Produktion von außen nur über Glove-Boxes zugänglich. Solche Reinraumbedingungen gibt es nur unmittelbar am Ort der Bearbeitung der Lebensmittel innerhalb des Isolators. Auf diese Weise können z.B. Getränke ohne Erhitzen direkt abgefüllt werden.

Um solche Anlagen hygienegerecht konzipieren und planen zu können, muss eine zielführende Projektierung eine strukturierte Ermittlung der Anforderungen zur Vermeidung von Fehlern und Missverständnissen garantiert sein, kurz das Hygienic Design.

Reinraum-Hygiene

Mit der vor einigen Jahren erfolgten Revision des Lebensmittelgesetzes dürfen Lebensmittel nur dann auf den Markt gelangen, wenn sie sicher sind und den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Welche Reinraumklasse nötig ist, hängt vom Produkt ab. Backwaren müssen nicht in einer ähnlich aseptischen Umgebung hergestellt werden wie Getränke. Die Reinräume in der Lebensmittelindustrie sind üblicherweise in den ISO-Klassen 5 bis 8 ausgelegt. So dürfen etwa in Klasse 5 beispielhaft maximal 3.520 Partikel von 0,5 µm Durchmesser pro Kubikmeter enthalten sein. Die mikrobielle Belastung darf weniger als einem Keim pro Kubikmeter Luft betragen, die Luft ist demnach quasi keimfrei.

Hygieneprobleme werden unter anderem durch gezielte Herstellung und Verpackung im Reinraum gelöst. Durch einen Ausschluss von Keimen entfallen beim Herstellen und Verpacken viele Faktoren, die für Qualitätseinbussen oder gar einen vorzeitigen Verderb der Lebensmittel sorgen. Damit verbunden ist der Vorteil einer längeren Transport- und Lagerfähigkeit, womit den Herstellern u.a. auch Exportmöglichkeiten in neue Märkte eröffnet werden.

Frischeprodukte sind ein gutes Beispiel dafür: Im Unterschied zur Tiefkühlkost ist die Haltbarkeit der Frischeprodukte aus dem Kühlregal auf wenige Tage bis Wochen begrenzt. Werden die Fertiggerichte, Salate und Nudel-Spezialitäten dabei im Reinraum unter keimarmen Bedingungen hergestellt und verpackt, lässt sich die Haltbarkeit um bis zu 50 % verlängern.

Materialien

Bei der Produktion von Nahrungsmittel ist die Gefahr von Kontaminationen und Verunreinigungen mit Partikeln gravierend. Deswegen ist es hier umso wichtiger, glatte Oberflächen und Materialien zu verwenden, die einfach zu reinigen sind und selbst keine Kontaminationsquelle darstellen. In der Lebensmittelbranche sind Edelstahl, Kunststoffe mit glatten Oberflächen oder eloxiertes Aluminium, antimikrobielle Materialien und Werkstoffe eine sinnvolle Wahl. Selbst die Materialien von Bodenbelägen und Wänden werden reinraumgerecht abgestimmt. Oft werden haftende Materialien gewählt, auf denen die Bodenbakterien kleben bleiben und nicht wieder in die Luft entlassen werden können.

Reinraumreinigung und Desinfektion

Die Reinigung dient dem Entfernen von Schmutz und Keimen durch Wegwischen. Bei der Desinfektion hingegen bringt man einen Desinfektionsmittelfilm auf eine Oberfläche auf, um die Keimzahl gezielt zu reduzieren. Die Desinfektion bewirkt eine irreversible Abtötung fast aller Keime (Keimreduktion um mindestens 10−5!) und umfasst auch die Abtötung von Sporen. Das bekannteste Mittel ist Wasserstoffperoxid, daneben werden 2-Propanol, Formaldehyd, Ethanol und Milchsäure eingesetzt.
Aus der Notwendigkeit ein zuverlässiges Verfahren für die Säuberung von Tanks und Anlagen, Behältern und Leitungen einzusetzen, entstand das sogenannte Cleaning in Place (CIP). Die automatisierte Reinigung von Oberflächen verläuft nach einem festgelegten Reinigungsverfahren mit Spül-, Reinigungs- und Desinfektionsgängen. Sie führt zu größerer Reinigungseffizienz und Reproduzierbarkeit im geschlossenen System und erspart eine Demontage und die manuelle Säuberung.

Auch die Reinigungsgeräte müssen überprüft werden: Eignen sie sich für die Reinigung? Von großer Bedeutung ist bei Reinigungsgeräten ihre Materialbeschaffenheit. So kommt Edelstahl ebenso zum Einsatz wie Kunststoff. Baumwolle dagegen ist wegen des Faserabriebs ungeeignet.

Die Normen zum Thema Lebensmittelhygiene umfassen verschiedene DIN-Normen, wie die DIN Norm 10516 Lebensmittelhygiene – sie ist für die Reinigung und Desinfektion essentiell.

Es ist sinnvoll, die Reinigungsergebnisse schon aus lebensmittelhygienischer Sicht zu überprüfen. Zur Verbesserung der Planungssicherheit in kontrollierten Umgebungen sollten alle Hygienemaßnahmen messbar und überprüfbar sein. Geeignete Prüfverfahren für die Kontrolle der Wirksamkeit von Reinigung und Desinfektion beschreibt die DIN 10516:2009- 05, so etwa die visuelle Kontrolle zum Nachweis der Sauberkeit, einen NAD/NADH-Farbtest oder den ATP-Lumineszenztest zum Nachweis unerwünschter organischer Substanzen sowie ein Abklatschverfahren nach DIN 10113- 3 zum Nachweis der Keimbelastung.

 

Hygienekonzepte

Hygiene ist ein elementarer Beitrag zur Lebensmittelsicherheit. Sie fusst auf der Einhaltung einer Basishygiene und auf ausgeklügelten Reinigungskonzepten, deren Ziel es ist, möglichst wenige Bakterien, Schimmelpilze oder Viren während der Produktionsstufen auf Lebensmittel zu übertragen.

In der Lebensmittelbranche stellt das HACCP-Konzept eine Methode zum Qualitäts- und Risiko-­Management dar. HACCP (Hazard Analysis Critical Control Point) bedeutet „Risiko-Analyse Kritischer Kontroll-Punkte“, um die Lebensmittelsicherheit zu verbessern. Ziel ist die Ermittlung und Beherrschung kritischer Kontrollpunkte durch geeignete, wirksame Maßnahmen, um Risiken für den Verbraucher vermeiden zu können. Durch die sicherer konzipierten Verfahren im Reinraum fällt die Gefahrenanalyse deutlich kürzer aus und eingebaute Kontrollpunkte können rasch abgehandelt werden, da die validierten Verfahren zuverlässig implementiert sind. Nach der VO (EG) 852 sollten alle Hersteller in der Lebensmittelproduktion ein solches System verwenden.

Neben dem Produkt ist der Mensch ein wichtiger Kontaminationsfaktor im Reinraum. Sowohl Herstellung als auch Reinigung eines Reinraums wird von den Mitarbeitern eines Betriebs durchgeführt.
Im Reinraum sind Schleusen zur Zoneneinteilung unabdingbar. Es handelt sich um geschlossene Bereiche, die sich zwischen zwei oder mehreren Räumen, z.B. unterschiedlicher Reinheitsklasse, befinden. Damit werden Kontaminationen durch das Personal behindert und bezweckt, dass der Luftstrom zwischen den Räumen unter Kontrolle gehalten wird, wenn ein Raum betreten oder Material transportiert werden muss.

Um Mitarbeiter gleichzeitig als Kontaminationsquelle auszuschliessen und sie vor Keimen zu schützen wurde ein Verfahren entwickelt, das Lasertechnologie verwendet, um Mikroorganismen zu inaktivieren, um Keime und Partikel auf komplexen Oberflächen nachweislich abzulösen und zu inaktivieren. Diese photodynamische Personalschleuse, inklusive Lichtdusche ist auch für die Anwendung am Menschen sicher einsetzbar.

Hygieneschulungen

Neben dem Produkt ist der Mensch ein wichtiger Kontaminationsfaktor im Reinraum.
Ohne ihn geht es aber oft nicht. Sowohl Herstellung als auch Reinigung eines Reinraums wird von Personal durchgeführt oder beaufsichtigt und ist daher fehleranfällig. Sinnvolle Schulungen von Reinraumpersonal sind nicht nur im Zuge der regulatorischen Compliance wichtig, sondern helfen mit, Fehler und damit verbundene Kosten zu minimieren.

Lebensmittelsicherheit in Coronazeiten

In Pandemiezeiten wie der heutigen bekommt der Begriff Lebensmittelsicherheit eine neue Bedeutung. Vor der Covid-19-Pandemie ging es bei der Lebensmittelsicherheit mehr darum, Kontaminationen und durch Lebensmittel hervorgerufene Infektionen zu vermeiden. Heute umfasst der Begriff Sicherheit mehr denn je die Mitarbeiter und Verbraucher. Wie schützt man die Produkt-Oberflächen am besten vor Kontaminationen? Die zusätzlichen Faktoren, die den Lebensmittelbereich beeinflussen, sind

  • Zusätzliche Hygienemassnahmen: Vermehrt werden neue Technologien wie die UV-Sterilisation und Verfahren zur Sterilisation des Luftstroms, eingesetzt. Gerade in der Fleischverpackung ist diese Maßnahme sehr wichtig.
  • Bedeutung von Reinigungsprotokollen: Da gezieltere Reinigungsarbeiten erforderlich sind, werden Mitarbeiter geschult, um die professionelle Reinigung von Kundenrouten und Türgriffen durchzuführen. Dabei ist es wichtig, dass die richtigen Produkte effektiv eingesetzt werden.
  • Arbeitssicherheit in der Lebensmittelindustrie: Fleischverarbeiter sind von der Pandemie besonders stark betroffen, weil in einer gekühlten Umgebung unter dem Taupunkt gearbeitet wird. Daher plant manch ein Lebensmittelproduzent die Umstellung der Produktion auf Automatisierung: Um das Risiko einer Ausbreitung des Virus beim Personal oder eines Herunterfahrens aufgrund von Virusausbrüchen zu vermeiden, führen Fleischverarbeiter z.B. vermehrt Automatisierungslösungen zum Entbeinen und Zerkleinern von Fleisch ein.

Rechtliche Anforderungen für ­Lebensmittelunternehmen

In der europäischen Union gilt im Lebensmittelbereich die Basisverordnung EG Nr. 178 zur Rückverfolgbarkeit, zur Lebensmittelhygiene EG Nr. 852, sie betrifft die Vermeidung von Kontaminationen durch die Luft, Hygiene-Vorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs beschreibt die EG Nr. 853, In der europäischen Norm DIN EN 12830 sind alle technischen und funktionalen Eigenschaften von Messgeräten zur Überwachung und Aufzeichnung der Lufttemperatur festgelegt, die für Lager- und Verteilungseinrichtungen von gekühlten oder tiefgefrorenen Lebensmitteln bestimmt sind.
Für Lebensmittelproduzenten, die ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern und ihren Marktvorteil ausbauen wollen, dürfte die Reinraumfertigung und Reinraumreinigung in Zukunft immer wichtiger werden.

Autorin

Downloads

Wasserstoff für die Prozessindustrie

News & Hintergrundberichte

CITplus Insight

Aktuelle Themen aus der Prozess- und Verfahrensindustrie

Registrieren Sie sich hier

CHEMonitor

Meinungsbarometer für die Chemieindustrie

> CHEMonitor - Alle Ausgaben

Social Media

LinkedIn | X (Twitter) | Xing

Wasserstoff für die Prozessindustrie

News & Hintergrundberichte

CITplus Insight

Aktuelle Themen aus der Prozess- und Verfahrensindustrie

Registrieren Sie sich hier

CHEMonitor

Meinungsbarometer für die Chemieindustrie

> CHEMonitor - Alle Ausgaben

Social Media

LinkedIn | X (Twitter) | Xing