Logistik & Supply Chain

RWTH Aachen/ Transporeon: Studie zeigt Trends in der Transportlogistik der Chemiebranche

Chemiebranche ist Vorreiter bei der Nutzung von Daten sowie prädiktiver Technologien

10.04.2018 -

In der aktuellen Studie „Transportlogistik 4.0“ haben Forscher des Cybernetics Lab IMA/ZLW & IfU der RWTH Aachen University in Kooperation mit der Transporeon Group verschiedene marktreife Technologien sowie technologische Trends analysiert und Unternehmen verschiedener Branchen zu ihrer aktuellen Praxis befragt. Demnach ist die Chemiebranche einer der Vorreiter bei der Nutzung von Daten sowie prädiktiver Technologien. Sonja Andres, CHEManager befragte Thomas Einsiedler, den Chief Product Officer von Transporeon, sowie Alexia Fenollar Solvay und Max Hoffmann, beide wiss. Mitarbeiter, am IMA der RWTH Aachen zu den wichtigsten Erkenntnissen.

CHEManager: Unter dem Begriff „Transportlogistik 4.0“ haben Sie gemeinsam eine Studie zu den Trends der Transportlogistik durchgeführt. Welche Fragestellungen haben Sie hierbei besonders interessiert?

Thomas Einsiedler: Transporeon schafft als Anbieter einer Cloud-Plattform für intelligente Transportlogistik eine digitale Verbindung zwischen Verladern und ihren Logistikpartnern. Damit ermöglichen wir schon heute transparente und kostengünstigere Warenströme auf der ganzen Welt. Unser Hauptziel bei der Studie lag einerseits in der Erfassung des Status quo, also dem derzeitigen Digitalisierungsgrad in verschiedenen Branchen und Ländern sowie gegebenenfalls signifikanten Unterschieden hierbei. Zum anderen bestand ein Ziel darin, die aus der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung in der Industrie erwachsenden Anforderungen und Chancen für die Transportlogistik zu identifizieren.

Alexia Fenollar Solvay: Die vierte industrielle Revolution – Industrie 4.0 – verspricht nicht weniger als Menschen und Dinge in Echtzeit sowie allumfassend miteinander zu vernetzen. Uns interessierte besonders: Ist diese Revolution nach den „Early Adoptern“ im Maschinenbau und in der Produktionstechnik mittlerweile auch in der Transportlogistik-Branche angekommen? In welchem Umfang treten IT- und Cloud-Anbieter im Transportlogistiksektor auf? Welche Rollenverteilungen übernehmen hierbei neue und alte Anbieter? Welche neuen Geschäftsmodelle stehen kurz vor einem flächendeckenden Durchbruch in der Transportlogistik? Welches Potential steckt in Big-Data-Technologien, zum Beispiel zur Nutzung im Rahmen von Prädiktiven Analyseverfahren für die Logistik? In welchem Maße werden sich Lieferketten in Zukunft automatisieren?

Welche Technologien hatten sie im Fokus?

Max Hoffmann: Als Forschungseinrichtung, die sich in ihrem Hauptfokus mit der Datenanalyse sowie der Anwendung von Machine Learning in der Produktion und Logistik befasst, standen für uns insbesondere die Erfassung des Digitalisierungsgrades, die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die Abwicklung von digitalen Logistikprozessen im Vordergrund.

T. Einsiedler: Die Studie fokussiert nicht auf bestimmte Technologien im engeren Sinne. Vielmehr wurde der Entwicklungsstand der Unternehmen entlang unterschiedlicher Dimensionen gemessen – von der Digitalisierung über die Kooperationsfähigkeit mit den Kunden bis hin zur Automatisierung datengetriebener Prozesse. Über diese verschiedenen Dimensionen und die darin betrachteten Technologien war es möglich, den Teilnehmern mithilfe des Benchmark-Tools einen Indikator zu liefern, wo sie im Vergleich zu anderen stehen.

Haben diese Technologien insbesondere auch Einfluss auf die Chemielogistik?

A. Fenollar Solvay: Ja, gerade in der Chemie- und Verfahrenstechnik sind robuste und vorhersagbare Lieferketten sowie -abwicklungsformen von essentieller Bedeutung. Hier geht es um Liefertreue und Planungssicherheit hinsichtlich des Transports von Gefahrengütern oder wertvollen Chemieprodukten. Deshalb wird die Branche von den Entwicklungen einer Transportlogistik 4.0 in entscheidendem Maße profitieren.

T. Einsiedler: Die Branche befindet sich im Wandel, die Unternehmen werden mehr und mehr zum Dienstleister. Viele Potenziale der Effizienzsteigerung sind bereits ausgeschöpft, 4.0 bietet hier weitere Ansätze, etwa wenn es um die Proaktivität und Transparenz in Richtung Kunden geht oder die Optimierung der Werkslogistik und um besondere Anforderungen in puncto Sicherheit. Die Anbindung der vielfältigen Dienstleister erfolgt heute vielfach über individuelle Schnittstellen, per Fax oder Telefon. Das ist aufwendig. Erschwerend kommen die hohen Standards und Anforderungen an Spediteure hinzu, zum Beispiel im Hinblick auf Zertifikate für die Durchführung von Gefahrguttransporten. Umso wichtiger ist in Zeiten knapper Kapazitäten am Markt, dass Verlader effizient mit den Spediteuren auf Augenhöhe zusammenarbeiten und sich „attraktiv“ für Spediteure machen.

Hier kann eine globale Plattform, ein „Control Tower“ viele Möglichkeiten für die Steuerung der Lieferketten, für das Exception-Handling, für die Vermeidung von Standzeiten und Leerkilometern bieten. Das sind die „Hot Topics“ für die Chemiebranche.

Wie beurteilen Sie demnach den augenblicklichen Stand der Digitalisierung in der Logistik der Chemiebranche auch im Vergleich zu anderen Branchen?

T. Einsiedler: International liegt die Chemiebranche im Mittelfeld – von möglichen 100% erreicht sie hier 40,7%. Der Durchschnitt liegt bei 39,6%. Betrachten wir lediglich den deutschsprachigen Raum schneidet die Chemiebranche mit 43% Digitalisierung ihrer Prozesse ebenfalls gut im Vergleich mit anderen Branchen ab. Der Durchschnitt liegt bei 37%. Dennoch wird deutlich, dass bis zur Erreichung der 100% also der vollständigen Digitalisierung noch viel „Luft nach oben“ bleibt. (Anm. d. Red.: s. Grafik)

In welchem Maße nutzt die Chemiebranche neue Technologien bereits in der Transportabwicklung? Was könnte Sie hier besser machen?

T. Einsiedler: Die Kommunikation erfolgt zum Teil bereits über Schnittstellen. Wie eben beschrieben liegt die Zukunft jedoch in einer cloudbasierten Plattform, in die ich jedweden Akteur einbinden kann.

Im Bereich der Sendungsverfolgung ist aktuell die Übermittlung von Event-basierten Statusinformationen „Standard“. Im Vergleich zur „Sendungsverfolgung per Telefon“ ist das zwar fast ein Quantensprung und versetzt den Verlader in die Lage, seine Kunden im Fall von Problemen oder Verspätungen proaktiv zu informieren. Status-Events erfordern jedoch  – je nach Technologie – in den meisten Fällen noch eine Aktion durch den Fahrer oder den Disponenten auf Seiten des Spediteurs.

Die nächste Evolutionsstufe im Bereich der Sendungsverfolgung wird „Realtime Visibility“ sein. Dann ist jederzeit transparent, wo sich der Lkw befindet und welche Auswirkungen das möglicherweise auf die ETA (Anm. d. Red.: Estimated Time of Arrival) hat. Automatisch generierte Meldungen an definierte Mitarbeiter aus dem Kundenservice werden in Kürze der neue Standard sein und Kunden werden diesen Service von den Verladern verlangen. Die Technologien dafür sind bereits verfügbar.

Die nächste Evolutionsstufe wird sein, aus den Daten Voraussagen über die Zukunft zu treffen, das heißt, von einem reaktiven Verhalten kommen wir zu einem proaktiven. Hierbei werden sich perspektivisch nur einige wenige cloud-basierte Kollaborationsplattformen durchsetzen, da die Algorithmen eine kritische Masse an Daten erfordern – Stichwort „Big Data“.

Die Supply Chains der chemischen Industrie sind in der Regel sehr international. Inwieweit könnte eine intensivere Zusammenarbeit aller Beteiligten der Wertschöpfungskette auf einer gemeinsamen Plattform die Abläufe verbessern?

M. Hoffmann: Die Nutzung derartiger Plattformen basiert auf generischen (Web-)Services. Sie funktionieren daher generell losgelöst von sprachlichen Barrieren. Eine flächendeckende Nutzung sowie eine Auflösung der über die Plattform zur Verfügung gestellten Informationen in den jeweiligen Landessprachen bergen ein gewaltiges Potenzial, Transparenz und schnelle Reaktionszeiten auch in der internationalen Zusammenarbeit logistischer Partner entscheidend zu verbessern und die Prozesse sicherer sowie zuverlässiger zu gestalten.

T. Einsiedler: Das Bestechende an kollaborativen Netzwerken ist die enorme Transparenz und Effizienz. Alle Beteiligten in der gesamten Kette bis zu den Endkunden im B2B- und B2C-Bereich verfügen über Informationen und Status. Auch Wettbewerber können hier zu beiderseitigem Vorteil kooperieren, etwa um Frachtraum optimal auszunutzen. Das Netz wird engmaschiger.

Ein Beispiel für diese Form der cloudbasierten Kooperation sind die Warehouse/Terminal Service Operator, die typischerweise für die Zwischenlagerungen von Produkten eingesetzt werden. Diese Dienstleister sind in der Regel nicht für die Transportbeauftragung verantwortlich, haben also nur selten Transparenz über eintreffende Lkw, was in der Praxis zu langen Wartezeiten, Standgeldforderungen und Frustration führt. Ein führender Terminal Service Operator hat kürzlich das Transporeon Zeitfenstermanagement eingeführt und damit erfolgreich ein wichtiges Element in der Supply Chain digital mit Verladern und Spediteuren vernetzt.

Nutzt die chemische Industrie Tools wie Big Data und Predictive Analytics bereits in der Logistik, beispielsweise für Benchmarking?

A. Fenollar Solvay: Eine unserer Fragen aus dem Logistics 4.0 Maturity Benchmark Tool beleuchtet explizit die Nutzung prädiktiver Technologien zur Vorhersage und vorausschauenden Nutzung von Optimierungsverfahren. Die Chemiebranche nimmt dabei gemäß unserer Auswertungen eine führende Position ein und kann als einer der Vorreiter bei der Nutzung von Daten sowie prädiktiver Technologien angesehen werden.

Wo haben die Verlader der chemischen Industrie momentan noch den größten Nachholbedarf in Bezug auf den Einsatz neuer Technologien im Transportbereich?

M. Hoffmann: Wie in den meisten verfahrenstechnischen Prozessen stellt auch in den logistischen Prozessen der Chemiebranche ein spezifisches Produkt-Tracking aufgrund der kontinuierlichen Produktionsweise noch ein Problem dar. Eine verstärkte Digitalisierung im Rahmen der Kooperation zwischen intra- und extralogistischen Prozessen würde eine eindeutige Kennzeichnung von Batches/Chargen in einem größeren Maße ermöglichen.

T. Einsiedler: Wenn diese Daten dann noch auf einer Plattform liegen würden, anstatt aus verschiedenen Quellen zusammengetragen werden zu müssen, könnten sie proaktiv und automatisiert weitergegeben werden. Eine erhebliche Verbesserung stellt zudem das Zeitfenster-Management dar. Es kann gerade in der Chemieindustrie massiv dazu beitragen, Prozesse effizienter zu gestalten. Dafür gibt es einige speziell für die Chemieindustrie entwickelte Funktionalitäten im Zeitfenstermanagement-System von Transporeon, wie zum Beispiel maximal mögliche zeitgleiche Buchungen in Abhängigkeit des Produkts.

Mit großen Kunden aus der Chemieindustrie haben wir derartige Anforderungen im Detail analysiert und gemeinsam Lösungen entwickelt, die jetzt Teil unserer Lösungen geworden sind und allen Kunden über Konfiguration – ohne Entwicklungsaufwand – zur Verfügung stehen. Hier sehen wir in der Praxis bei vielen Unternehmen noch Nachholbedarf. Auch die gestiegenen Sicherheitsanforderungen können zum Teil digital umgesetzt werden. Generell sind auch die Speditionen aufgrund der hohen Anforderungen der Chemiebranche bereits gut vorbereit, den Weg mitzugehen.

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