Strategie & Management

Schiefergas: Totengräber der Bioökonomie?

Trotz billigerem Zugang zu fossilen Chemierohstoffen könnten biobasierte Routen attraktiver werden

27.03.2014 -

Bioökonomie und Shale-Gas-Boom dürften zu den am häufigsten genannten Schlagwörtern der letzten beiden Jahre gehören. Beide sind eng miteinander verknüpft: Insbesondere in den USA haben sich Energie und fossile Kohlenstoffträger signifikant verbilligt. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass der fossile Zugang zu Grundchemikalien und Polymeren dadurch einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der biobasierten Herstellung erhält.

Der zweite Blick fällt differenzierter aus. Die wichtigsten Grundchemikalien Ethylen, Propylen, C4-Olefine und die Aromaten Benzol, Toluol und Xylol (BTX) stammen aus dem Hydro-Cracker. Während in Europa vorwiegend Naphtha-Cracker im Einsatz sind, wird die Mehrzahl der Cracker in den USA mit Ethan betrieben. Ursache ist, dass in den USA die Gasförderung - konventionell sowie Shale Gas - häufig „nasses" Gas liefert, das neben Methan signifikante Anteile an Ethan, Propan und Butan enthält. Die Ethylenproduktion auf Basis von Ethan ergibt derzeit hohe Margen. Neue Cracker sind ausschließlich Ethan-Cracker, während Naphtha-Cracker an Boden verlieren. Letztere liefern aber wesentliche höhere Anteile an Propylen (14,4 % gegenüber 1,4 %), C4-Alkenen (4,9 % gegenüber 1,4 %) und Aromaten (14,0 % gegenüber 0,4 %; Quelle: http://chemengineering.wikispaces.com/Petrochemicals). Das hat Folgen für den Markt.

Angebot und Nachfrage

Denn diese Grundchemikalien müssen sich wegen geringerer verfügbarer Mengen (bei gleichbleibendem oder steigendem Verbrauch) zwangsweise verteuern. Biobasierte Routen könnten also attraktiv werden. Beispiele wären Propylen aus Bioethanol über Dimerisierung von Ethylen und Metathese, Buten aus Butanol, Butadien aus fermentativ hergestelltem Butandiol oder über den Lebedev-Prozess aus Ethanol. Auch Aromaten sind biobasiert entweder aus Bioethylen oder durch Dimerisierung und Aromatisierung von Isobutanol prinzipiell zugänglich. Diese Konzepte werden mittlerweile von einigen Firmen in F&E, Pilot- oder sogar kleinem Produktionsmaßstab aufgegriffen.

Die fossil-basierte Chemieproduktion kann jedoch mit Alternativen aufwarten, die entweder bereits im Produktionsmaßstab erprobt sind oder in früheren Zeiten industriell eingesetzt wurden. Dazu gehört vor allem die Dehydrogenierung von Propan und Butan, womit die entsprechenden Olefine zugänglich werden. Auch der Weg über Acetylen, z.B. zu Butadien, könnte in Zeiten billigen Methans attraktiv werden. Durch thermische oder plasmachemische Methanspaltung bei gleichzeitiger Produktion von Wasserstoff ist dieser Rohstoff gut zugänglich. Der Weg zu Aromaten könnte über Methanol (MTA) führen, das sich wiederum günstig aus Methan über die Syngas-Route herstellen lässt.

Aufwand und Nutzen

Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz, Basischemikalien aus Kohlenhydraten zu erzeugen, kritisch zu hinterfragen. Kann es sich lohnen, unter hohem Aufwand - zum Teil in mehreren Stufen, zum Teil unter Einsatz teuren Wasserstoffs - Hydroxyl-Funktionalitäten komplett zu eliminieren? Viel logischer wäre es, solche Produkte anzustreben, bei denen die vorhandene Funktionalität teilweise erhalten bleibt. Aktuelle Beispiele, die im industriellen Maßstab schon umgesetzt werden, gibt es.

Beispiel Bernsteinsäure

Verschiedene Firmen haben die Produktion von Bernsteinsäure entweder bereits etabliert oder sind dabei (z.B. BASF). Bernsteinsäure zählt zu den attraktiven Basischemikalien für die Herstellung von Kunstharzen und Kunststoffen und ist als Plattformchemikalie Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von weiteren Produkten. Der Aufreinigungsbedarf bei der biotechnologischen Produktion auf Basis von Glucose ist nicht gering, aber der eingesetzte Mikroorganismus produziert die Bernsteinsäure direkt. Die fossil-basierte Route, ausgehend von Butan durch heterogen katalysierte Oxidation zu Maleinsäureanhydrid und anschließender Hydrierung hat mit ihrer Zweistufigkeit einen offensichtlichen Nachteil.

Beispiel Epichlorhydrin

Ein anderes Beispiel ist die Herstellung von Epichlorhydrin, das in Epoxidharzen, Zweikomponentenklebern, Elastomeren sowie der Papier- und Textilindustrie zum Einsatz kommt. Der klassische Weg mit Propen als Rohstoff erfordert zwei Moleküle Chlor. Die Umsetzung von Glycerin aus der Biodieselherstellung begnügt sich mit zwei Molekülen Chlorwasserstoff. Von den eingesetzten Chloratomen findet sich hier eines von zweien, im klassischen Verfahren hingegen nur eines von vieren im Produkt wieder. Dieser Vorteil in der Atomökonomie ist einer von mehreren, die zur industriellen Umsetzung des Prozesses bei Vinythai (Solvay-Gruppe) führte.

Beispiel Acrylsäure

Nicht immer ist die Chemiewelt so eindeutig hinsichtlich der Vor- und Nachteile. Im Fall der Acrylsäure wird intensiv an biobasierten Verfahren gearbeitet: Auf Basis von Glycerin lässt sie sich durch Wasserabspaltung zu Acrolein und anschließende Oxidation erzeugen, auf Basis von Glucose durch die fermentative Herstellung von Milchsäure bzw. 3-Hydroxypropionsäure oder deren Polymer mit anschließender Wasserabspaltung. Es handelt sich immer um zweistufige Prozesse, während der klassische Weg durch Oxidation von Propen zwar nicht hochselektiv, aber einstufig ist. Außerdem wird auch an der fossil-basierten Herstellung auf Basis preisgünstigen Propans gearbeitet. Acrylsäure kommt in Polymeren, insbesondere bei der Herstellung von Superabsorbern u.a. für Windeln, zum Einsatz.

Fazit

Eine pauschale Antwort auf die Frage, was der Schiefergasboom für die Bioökonomie bedeutet, lässt sich derzeit nicht geben; die Wettbewerbsfähigkeit variiert je nach Prozess und Produkt und hängt schließlich auch noch davon ab, in welchem Markt ein Produkt eingesetzt wird und ob der Verbraucher an biobasierten Lösungen interessiert ist. Es bleibt also spannend!

 

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