Anlagenbau & Prozesstechnik

Strategie gegen ungeplante Stillstände

Beim Ersatzteilmanagement treffen komplexe Märkte auf komplexe Prozesse

18.10.2022 - Damit die Bestandsstrategie auf alle Eventualitäten vorbereitet, müssen Unternehmen ihr Ersatzteilmanagement ganzheitlich strukturieren und klare Verantwortlichkeiten definieren.

Nicht nur stetig steigende Energiekosten und wachsende Unsicherheiten bei der Rohstoffversorgung fordern die chemische Industrie heraus. Auch Lieferverzögerungen bei kritischen Ersatzteilen gefährden die Produktion: Fehlt elementares Equipment, können teure Stillstandzeiten die Folge sein. Um sicherzustellen, dass die Bestandsstrategie sie auf alle Eventualitäten vorbereitet, müssen Unternehmen ihr Ersatzteilmanagement ganzheitlich strukturieren und klare Verantwortlichkeiten definieren. Ein gezieltes Vorgehen hilft, die Overall Equipment Effectiveness effektiv zu erhöhen.

Ungeplante Anlagenstillstände haben erheblichen Einfluss auf die Overall Equipment Effectiveness. Obwohl Ausfälle so weit wie möglich vermieden werden müssen und jederzeit ein hoher interner Servicegrad gewährleistet sein muss, zeigt die Erfahrung jedoch, dass das Ersatzteilmanagement in vielen Unternehmen der chemischen Industrie auf historisch gewachsenen Prozessen basiert. Eine Folge ist, dass die Instandhaltungsstrategie meist entkoppelt vom Bestandsmanagement verfolgt wird. Wo Bestände intransparent und Verantwortlichkeiten unzureichend geklärt sind, ist ein mangelhafter Servicegrad unausweichlich. Dabei verbessert ein leistungsfähiges Ersatzteilmanagement nicht nur die Bereitstellungszuverlässigkeit, sondern die Qualität und Stabilität ganzer Prozesse.

Komplexe Märkte und interne Prozesse

Unternehmen, die ihr Ersatzteilman­agement gezielt entwickeln möchten, müssen jedoch auch Risiken beachten. Beim Ersatzteilmanagement trifft die Komplexität globaler Lieferketten auf die Komplexität einer heterogenen Artikel- und Bedarfszusammensetzung im Unternehmen. Verfahrenstechnische Prozesse zeichnen sich durch eine hohe Anzahl von Artikeln mit sehr unterschiedlichen Bedarfshäufigkeiten und -mengen aus. Hinzu kommen komplexe Einkaufsmärkte. Für Einzelanfertigungen können die Vorlaufzeiten zudem stark von Normteilen abweichen; angesichts angespannter globaler Lieferketten sind Lieferzeiten von mehreren Monaten keine Seltenheit.

Auch im Handling von Artikeln und der Ermittlung von Bedarfen fehlt es in vielen Organisationen an Transparenz und einer adäquaten Stammdatenqualität. Bestandsdaten werden häufig nur initial erzeugt und unzureichend gepflegt. Organisatorisch befindet sich das Ersatzteilmanagement meist in einer Zwischenposition zwischen Einkauf und Instandhaltung – mit fehlenden eindeutigen Verantwortlichkeiten als Folge.

Zu all diesen Herausforderungen kommt hinzu, dass im anlagenintensiven Umfeld der chemischen Industrie ein hoher Servicegrad gefragt ist: Die Sicherstellung der Materialverfügbarkeit ist eine ebenso anspruchsvolle Aufgabe wie die Instandhaltung und das Bestandsmanagement. Unzureichendes Knowledge Management, Fachkräftemangel und die wachsende Abhängigkeit von externen Dienstleistern können die Situation zusätzlich verschärfen.

 

© Höveler Holzmann Lydia Freyth, Höveler Holzmann

„Ein leistungsfähiges Ersatzteilmanagement kann die Qualität und Stabilität ganzer Prozesse verbessern.“

 

Ganzheitliches Ersatzteilmanagement als Erfolgsfaktor

Um das Ersatzteilmanagement zu verbessern und damit die Anlagenverfügbarkeit zu steigern, müssen Unternehmen ihre innerbetrieblichen Prozesse effektiv und effizient gestalten. Verantwortliche, die das Projekt in einzelne Maßnahmen unterteilen und fokussiert vorgehen, können schnell nachhaltige Ergebnisse erzielen. Konkret sollten Stakeholder dafür folgende Herausforderungen angehen:

  • Fokussierung auf kritische Teile
  • Transparenzsteigerung der Verbräuche
  • Optimierung der operativen Lagerprozesse
  • Enge Kollaboration mit Lieferanten
  • Standardisierung und Institutionalisierung der Prozesse
  • Dynamisierung von Bestandsparametern
  • Verknüpfung von Beschaffungs- und Bestandsstrategie
  • Frühzeitige und umfassende Planung von Revisionen

Trotz der Gliederung in einzelne Aspekte sollte das Bestandsmanagement bei allen Schritten ganzheitlich betrachtet werden. Eine Definition der Bestandsstrategie ist eine gute Vorbereitung, um einen Überblick zu verschaffen.

Kritische Teile, Verbräuche und Lagerprozesse

Eine Kernherausforderung des Ersatzteilmanagements in der chemischen Industrie sind die heterogenen Bedarfe bei hohen Erwartungen an die Verfügbarkeit. Mithilfe einer Artikelkategorisierung können Verantwortliche zu einer Kategorisierung der Bedarfe hinsichtlich der Risikoklasse gelangen und sich auf kritische Teile fokussieren. So können die Einkaufsanstrengungen und die Bestandssteuerung zielgerichtet organisiert werden.

Um manuellen Aufwand zu reduzieren, ist eine Steigerung der Transparenz der Verbräuche unerlässlich. Der Einsatz geeigneter IT-Tools (etwa für die Instandhaltungsplanung) und Richtlinien für Bedarfs­träger ermöglichen ein lückenloses Tracking der Bedarfsträger und Verbräuche, das Verantwortlichen einen umfassenden Überblick über die Ersatzteilsituationen verschafft. Das ermöglicht nicht nur die historische Auswertung und die Erstellung von Forecasts, sondern erleichtert auch eine gemeinsame Bedarfsplanung mit Lieferanten, um stets die nötigen Liefermengen sicherzustellen.

Für Klarheit und Überblick im Ersatzteillager ist die Definition von Logistikprozessen in der Instandhaltung unerlässlich. Ob Kanban-System oder Vendor Managed Inventory – für die Lageroptimierung gibt es vielfältige Ansätze. Auch kleinteiligere Maßnahmen zur Transparenzsteigerung müssen Verantwortliche konsequent sicherstellen: etwa die kurzfristige Umsetzung von Aufräum- und Entsorgungsmaßnahmen, die Kennzeichnung aller Lagerplätze oder den Einsatz von Geräten zur mobilen Datenerfassung bei allen Lagerbewegungen.

 

© Höveler HolzmannGereon Küpper, Höveler Holzmann

„Das Ersatzteilmanagement basiert in vielen Unternehmen noch auf historisch gewachsenen Prozessen.“

 

Kollaboration mit Lieferanten sowie Standardisierung und Institutionalisierung der Prozesse

Um Engpässe proaktiv zu vermeiden, sollten Unternehmen die Zusammenarbeit mit Lieferanten intensivieren. So wird es möglich, Lösungen für Lieferprobleme gemeinsam zu finden, etwa in Form eines zugesicherten Vorhaltebestands beim Lieferanten mit abgestimmten Lieferzeiten. Informationen über Stücklisten unterstützen zusätzlich bei der Risikoklassifizierung.

Historisch gewachsene Vorgänge sollten durch standardisierte Prozesse abgelöst werden, um händischen Aufwand zu reduzieren. Ein Beispiel ist die Vereinheitlichung der Entnahmeprozesse von Bedarfsträgern: Sie vermeidet eine übermäßige Zwischenlagerung in Handlagern und stellt eine stets hohe Transparenz sicher. Gleichzeitig wird die gleichmäßige Verfügbarkeit der kritischen Ersatzteile gefördert.

Bestandsparameter, Beschaffungs- und Bestandsstrategie

Ebenso wie Verbräuche und Lagerprozesse können die Parameter für den Bestand optimiert kontrolliert werden. Ziel einer Dynamisierung der Bestandsparameter ist eine automatische Anpassung bei veränderten Bedarfen. So wird der manuelle Aufwand reduziert, die Materialverfügbarkeit langfristig sichergestellt und Bestände können optimiert werden: Bei schnellen Lieferzeiten wird der Bestand abgebaut, bei langen Lieferzeiten wird die interne Verfügbarkeit von Ersatzteilen durch einen flexiblen Bestandsaufbau sichergestellt. Mit dieser Maßnahme können Unternehmen auch auf einen dynamischeren Einkaufsmarkt reagieren.

Instandhaltung, Beschaffung und Bestandsmanagement benötigen eine einheitliche Strategie, die alle Aspekte berücksichtigt und Silodenken verhindert. Durch die Verknüpfung der Beschaffungs- mit der Bestandsstrategie gewährleisten Unternehmen, dass Abteilungen sich untereinander besser abstimmen können. So wird die Reaktionszeit bei veränderten Rahmenbedingungen maßgeblich verkürzt.

Planung von Revisionen

Je komplexer eine verfahrenstechnische Anlage, desto herausfordernder ist die Revision. Eine frühzeitige und umfassende Planung ist bei Revisionen deshalb unerlässlich. Verantwortliche sollten ein früheres Planungsintervall einkalkulieren und dabei sämtliche Bedarfsträger, das Lager und den Einkauf einbeziehen. Werden für Revisionsbedarfe frühzeitig Bestellungen ausgelöst, kann die Gesamtdauer der Revision erheblich verkürzt und auch der Kostenaufwand deutlich gesenkt werden. Darüber hinaus können die Bedarfe verschiedener Anlagen und Produktionsbereiche konsolidiert werden. Die daraus folgende Reduzierung der Lieferantenquellen bietet das Potenzial der Erzielung von Einkaufsvorteilen.

Strategien für eine angespannte Marktsituation

Ob Basis-, Fein- oder Spezialchemikalien – die grundlegenden Herausforderungen der Branche sind für alle Unternehmen gleich: Trotz globaler Krisen und angespannter Lieferketten müssen sie effizient produzieren und unter Einhaltung höchster Qualitätsstandards energie- und ressourceneffizient wirtschaften. Organisationen, welche die genannten Handlungsem­pfehlungen konsequent umsetzen, stellen die Weichen für reduzierte Stillstandzeiten, eine hervorragende Anlagenverfügbarkeit und ein optimiertes Working Capital.

Auf die Entwicklung der Preise und Verfügbarkeiten am Weltmarkt haben einzelne Unternehmen wenig Einfluss. Mit der richtigen Strategie für das Ersatzteilmanagement und die ganzheitliche Betrachtung von Betrieb, Einkauf und Instandhaltung sorgen Unternehmen jedoch für ideale Ausgangsbedingungen, um in einem dynamischen Wettbewerbs­umfeld zu bestehen und aus einer schwierigen Marktlage als Gewinner hervorzugehen.

Autoren: Gereon Küpper, Partner, und Lydia Freyth, Senior Consultant, Höveler Holzmann Consulting GmbH, Düsseldorf

 

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