Märkte & Unternehmen

Trends in der Chemieindustrie im Jahr 2023

Bereits vorhandene Herausforderungen bleiben mit veränderten Inhalten bestehen

25.01.2023 - Die Probleme aus hohen Energiekosten und volatilen Verfügbarkeiten prägen auch dieses Jahr die chemische Industrie. Hinzu kommen die sich weiter verschärfenden „Dauerbrenner“ Fachkräftemangel, Bürokratie und regulatorische Eingriffe bzw. Vorgaben.

Fest steht: Die Probleme aus hohen Energiekosten und volatilen Verfügbarkeiten prägen auch dieses Jahr die chemische Industrie. Dies gilt für die petrochemische Großchemie, für die Energieträger zugleich auch Rohstoffquellen sind. Ebenso ist die stärker mittelständisch geprägte Fein- und Spezialitätenchemie davon betroffen, die auf die Vorprodukte angewiesen ist und selbst mit massiven Kostensteigerungen umgehen muss. Hinzu kommen die sich weiter verschärfenden „Dauerbrenner“ Fachkräftemangel, Bürokratie und regulatorische Eingriffe bzw. Vorgaben.

Doch damit enden bei vielen Unternehmen die Gemeinsamkeiten im Potpourri der individuellen Herausforderungen. Im Wesentlichen sind es die folgenden drei Themenfelder, die die Management-Agenda in 2023 ganz unterschiedlich prägen werden.

Akquisitionen und Marktarrondierung als Chance

Wachstum in der Krise klingt erstmal widersinnig. Tatsächlich sind sich Manager in der Breite der Industrie einig, dass die Zeiten profitablen Wachstums erstmal vorbei sind. Die Chancen liegen auch vielmehr darin, bei der Verschiebung von Marktanteilen durch das Schwächeln oder Ausscheiden von Wettbewerbern die Marktstellung zu stärken. Im gleichen Zuge sind auch die eigenen Geschäftsfelder kritisch auf ihre Zukunftsfähigkeit innerhalb des Unternehmens zu bewerten und ggf. abzustoßen. Das aktive Management der Geschäftsfeldportfolios wird also ein wichtiger Erfolgshebel ergänzend zu Sparmaßnahmen und Kostensenkungsprogrammen in der Krise.

Im Ergebnis werden Strukturen im Markt aufgebrochen und konsolidiert, was zu einem Ansteigen der M&A-Aktivitäten vor allem in attraktiven und zukunftsfähigen Marktsegmenten – allen voran Nachhaltigkeit – führen wird.

Unternehmen, die in den letzten Jahren solide gewirtschaftet und performante Strukturen in ihren Unternehmen geschaffen haben, können jetzt zu Profiteuren in der Krise werden. Konkret: Unternehmen mit sehr guter Eigenkapitalausstattung und ausgezeichneter Bonität, in die mittlerweile auch ESG-Kriterien einfließen. Zusätzlich müssen Strukturen und die Organisationen so performant und skalierbar aufgestellt sein, dass Zukäufe schnell und erfolgreich ohne Reibungsverluste in das eigene Unternehmen integriert werden können. Eine Ausgangsposition, die neben vielen „Großen“ in der Chemieindustrie auch zahlreiche Familienunternehmen der Spezialchemie und Kunststoffindustrie mitbringen – und die mit Blick auf Europa ihre Chancen nutzen sollten.
 

Die Nachhaltigkeitswende ist zurecht
das dominante Zukunftsthema der Branche.“

 

Balance zwischen Konzentration und Innovation im Produktportfolio

Mit der Rezession wandeln sich die Absatzmärkte der Chemie- und Kunststoffindustrie von Anbieter- zu Käufermärkten. Oder anders ausgedrückt: Der stark sinkenden Nachfrage in den kommenden 12 bis 24 Monaten steht ein Überangebot an Produkten und Kapazitäten entgegen, welches viele Unternehmen in den vergangenen Boom-Jahren aufgebaut haben. Notwendige Restrukturierungen in der Rezession müssen genau bei dieser Komplexität ansetzen und das Produktportfolio auf robuste Ertragsbringer konzentrieren. In Zeiten einer galoppierenden Inflation bei Rohstoffen und Energiepreisen sowie hohen Tarifabschlüssen ist Schnelligkeit für einen solches Programm einer der Erfolgsfaktoren.

Die Zielsetzung muss dabei sein, attraktive Produkte und Mengen zu halten und Kostentreiber zu reduzieren. Über die Konsequenz in der zugehörigen Anpassung von Kapazitäten und Personalressourcen wird dann der Break Even des Unternehmens reduziert und krisenfest. Die Konzentration im Produktportfolio setzt dabei zuerst am „Longtail“ und bei Nischenlösungen an, die in Summe zu einer unüberschaubaren Vielfalt und Kleinteiligkeit führen. Daraus ergeben sich meist auch Kostentreiber in der Wertschöpfung aufgrund kleiner Chargengrößen und in der Beschaffung über eine Vielzahl zusätzlicher Rohstoffe und Lieferanten.

Neben der Konzentration müssen parallel nachhaltige Innovationen und das Angebot an Produkten und Lösungen auf Basis von regenerativen Ressourcen schnell und massiv aufgebaut werden. Die Nachhaltigkeitswende ist zurecht das dominante Zukunftsthema der Branche.  Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei nicht allein in den technischen Innovationen, sondern vor allem im Marketing für nachhaltige Produkte.

Nur über zielgruppenspezifische Nutzenhebel, die sowohl rationale als auch emotionale Kunden-Mehrwerte adressieren, können neue Zielgruppen erschlossen werden. In der Ansprache rücken dann auch Meinungsbildner und Early Adopter in den Fokus und eben nicht die etablierten Kundengruppen und Anwendungsfelder für konventionelle und Commodity-nahe Produkte. Der Nutzen liegt dann darin, als First Mover eine tragfähige Differenzierung und Margenstärke zu erzielen und den Geschwindigkeitswettbewerb von vorne zu prägen. Auf den wichtigsten Branchenmessen wie Achema und K-Messe waren dazu im vergangenen Jahr tolle Beispiele zu beobachten.

Digitalisierung bleibt unerledigte Hausaufgabe

Kostensteigerungen über Sparprogramme zu kompensieren, ist als Akutmaßnahme richtig und wichtig. Allerdings ändert dies meist wenig an der grundlegenden Kosten- und Ertragsstruktur. Kommt das Wachstums zurück, werden Kapazitäten und Ressourcen häufig wieder hochskaliert. Eine nachhaltige, d. h. langfristige Verbesserung der Ertragsstärke kann nur über die Senkung der Strukturkosten und vor allem über die Digitalisierung erfolgen. Dafür müssen gewachsene Prozesse neu und effizient gestaltet, konsequent automatisiert und in eine zukunftsfähige und skalierbare IT-Systemlandschaft überführt werden.

Ohne Zweifel sind viele Unternehmen der hochautomatisierten Chemie- und Prozessindustrie aufgrund der hohen Anlagenintensität in der Digitalisierung der Produktion bereits gut aufgestellt. Dies gilt aber häufig nicht für Vertriebs-, Verwaltungs- und Steuerungsprozesse. Hier finden sich noch viel zu oft schlechte und inkonsistente Datenqualitäten, gewachsene und heterogene Prozesse, Individualisierung im IT-System – und Lösungen gehen daran vorbei. Diese Defizite müssen beseitigt werden. Denn erst mit validen Daten wird Transparenz in der Leistungswirtschaft geschaffen und die Erstellung entscheidungsrelevanter Informationen für die Geschäftsführung möglich gemacht.

Wie wichtig das ist, haben viele Unternehmen in Zeiten akuter Lieferengpässe und Versorgungslücken im letzten Jahr gespürt. So hatten vor allem die Unternehmen große Probleme steuerungs- und lieferfähig zu bleiben, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatten und nicht wussten, wo und wie an welchen Stellen der Wertschöpfung einzugreifen ist. Besser, nun spät als nie dieses Thema anzugehen.

Auch ohne Glaskugel für die Herausforderungen und Krisen, die im Jahr 2023 kommen können, bleiben viele Chancen und Gestaltungshebel in den Unternehmen selbst. Werden diese entschlossen und konsequent genutzt, kann sich die Branche ein Stück weit aus eigener Kraft von den negativen Rahmenbedingungen entkoppeln und die eigene Zukunft gestalten.


Autor: Stephan Hundertmark, Partner, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München

ZUR PERSON

Stephan Hundertmark ist Partner und Leiter Chemie & Kunststoffe bei Dr. Wieselhuber & Partner (W&P). Zusätzlich verantwortet er die Themenfelder Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sowie die zukunftsorientierte Ausgestaltung von Unternehmens- und Führungsorganisationen. Er ist Dozent an der TU München und verfasst regelmäßig praxis­orientierte Beiträge zur strategischen Ausrichtung von Unternehmen.

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