Anlagenbau & Prozesstechnik

Trendwende in der Fermentationstechnologie

Single-Use-Bioreaktorsysteme etablieren sich in biopharmazeutischen Herstellprozessen

30.05.2012 -

In der pharmazeutischen Produktion lösen Fermentationsprozesse die klassische chemische Synthese mehr und mehr ab. Für solche biotechnologischen Herstellungsprozesse haben Single-Use-Lösungen in den letzten Jahren den Weg aus der Nische in eine breite Anwendung gefunden. Die Systeme basieren im Kern auf Komponenten aus Kunststoffmaterial, die für den einmaligen Gebrauch bestimmt sind. Heute können Anwender auf eine Vielzahl von Produkten zurückgreifen. Ein Pionier auf dem Gebiet der Single-Use-Bioreaktoren ist Sartorius Stedim Biotech. CHEManager sprach mit Dr. Christel Fenge, Vice President Marketing and Product Management im Bereich Fermentation Technologies. Das Interview führte Dr. Arne Kusserow.

CHEManager: Frau Dr. Fenge, wie hat sich die industrielle Fermentationstechnik entwickelt und in welchen Bereichen wird sie heute eingesetzt?

Dr. Christel Fenge: Die Vorgänger der heutigen biopharmazeutischen Herstellungsverfahren entstammen der Nachkriegszeit, als die Nachfrage nach Vakzinen, also Impfstoffen, für typische Kinderkrankheiten groß war. Ab den 1950er Jahren, als Massenvakzinierungen aufkamen, entstand das Segment der pharmazeutischen Industrie, was wir heute Biopharma nennen. In dieser Zeit hatte die Medizin Methoden gefunden, Vakzine auf der Basis von Zellkulturen herzustellen. Dort hat sich unser heutiges Betätigungsfeld definiert , nämlich Lösungen und Systeme für die biopharmazeutische Herstellung und Entwicklung zu bieten. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Wirkstoffklassen hinzu, die mit biopharmazeutischen Verfahren hergestellt werden. Um Medikamente einer breiteren Patientengruppe zugänglich zu machen, muss man im größeren Maßstab arbeiten. Genau dafür wurde der erste Fermenter hergestellt.

Sartorius Stedim Biotech bietet ein umfangreiches Spektrum an Bioreaktoren - welchen Bereich decken Sie damit ab und wo werden diese eingesetzt?

Dr. Christel Fenge: Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, Kunden von der Prozessentwicklung bis zum Produktionsmaßstab zu betreuen. Die Entwicklungsarbeit im Labor wird in kleine Bioreaktoren von 2 bis 10 L Volumen durchgeführt. Für die ersten Tests für die spätere Produktion benötigt man Pilotreaktoren. Je nachdem, ob wir von mikrobiellen oder Zellkulturprozessen reden, sind diese in der Regel sterilisierbar oder neuerdings auch in Single-Use-Technologie erhältlich. Die Produktion erfolgt schließlich im großen Maßstab.

Wann reden wir über mikrobielle und wann über Zellkulturprozesse?

Dr. Christel Fenge: In den 1990er Jahren wurden eine Reihe von rekombinanten Proteinwirkstoffen wie etwa Blutgerinnungsfaktoren und später dann auch monoklonale Antikörper für die Krebstherapie entwickelt. Hier ist die Zellkultur der wichtigste Bereich. Wir haben aber auch Kunden die mikrobiell produzieren, in letzter Zeit sogar wieder häufiger, weil gerade für Antikörper und im Vakzinbereich verstärkt Expressionssysteme eingesetzt werden, die einfacher sind als Zellkultursysteme. Hier gibt es derzeit zwar kaum kommerzielle Prozesse, aber das wird sicherlich noch kommen.
Dann gibt es Kunden, die z.B. Enzyme für die Enantiomerenproduktion herstellen wollen. Auch hier sowie in weiteren Bereichen der weißen Biotechnologie werden unsere Reaktoren, speziell in der Prozessentwicklung, eingesetzt.

Die meisten Anwendungen für Fermenter sind einstufige Prozesse. Sehen Sie in der Zukunft auch einen Markt für Systeme, die ein Endprodukt über mehrere Stufen erzeugen?

Dr. Christel Fenge: Ich bin hier skeptisch. Die Industrie fokussiert sich auf Produkte, die eine nahe Zukunft haben und zügig auf den Markt gebracht werden können. Und da ist alles nach wie vor sehr stark Zellkultur getrieben.

Wann kamen die Einweg-Bioreaktoren auf den Markt und für welche Einsatzzwecke sind sie gedacht?

Dr. Christel Fenge: Einwegbioreaktoren kenne ich seit knapp 10 Jahren, als ich bei AstraZeneca in Schweden arbeitete und wir die ersten Single-Use-Systeme gekauft haben. Damals war das eine sehr junge Technologie mit vielen Fragezeichen. Wir versuchten seinerzeit mit Einwegreaktoren schnell Produktionskapazität zu schaffen, was auch heute noch ein entscheidendes Argument für Einweglösungen ist. Ein weiteres Argument ist oft die Finanzplanung - eine Reduzierung der Investitionskosten und Verlagerung auf Verbrauchsmittel, die vom aktuellen Bedarf gesteuert werden. Man muss nicht vorab riesige Investitionen tätigen und sich dem Risiko aussetzen, die geschaffene Kapazität später vielleicht nicht zu benötigen, sondern kann die Kosten direkt an den Bedarf koppeln. Dann spricht insbesondere heute für den Einsatz von Einwegreaktoren dass die Produktionsvolumina deutlich geringer als früher sind, was durch die verbesserte Produktivität der modernen Zelllinien ermöglicht wurde.

Über welche Volumina sprechen wir dabei?

Dr. Christel Fenge: Im Single-Use-Bereich gab es damals Einwegreaktoren im 20-L-Maßstab. Dann kamen Single-Use-Rührkessel bis 200 L, mit denen man aber noch relativ begrenzt war. Wir sind heute im 2.000-L-Bereich angekommen. Und jetzt wird es interessant, diese Technik auch für die Produktion zu nutzen, wenn man nur die Titer noch ein wenig höher treiben könnte, um seine Ausbeute pro Batch zu erhöhen.

Im Batch-Prozess gibt es eine Startphase, eine Produktionsphase und eine Abbauphase. Hier entstehen jede Menge Verunreinigungen, die man eigentlich nicht haben möchte. Wann wird ein Batch-Prozess abgebrochen?

Dr. Christel Fenge: Das ist genau die Frage, die man sich in der Prozessentwicklung stellt: Wie lange treibe ich meinen Prozess und wann ernte ich? Die Bestimmung des Erntezeitpunktes ist eine wichtige Frage. Man muss in der Prozessentwicklung ganz klar zeigen, dass der Aufreinigungsprozess in der Lage ist, die gewünschte Produktqualität sicherzustellen. In einem Prozessentwicklungsprojekt sieht man sich verschiedene Erntezeitpunkte an und analysiert Verunreinigungsmuster, Produktqualität und Produktaktivität.

Welche Rolle spielen Scale-up- und Scale-down-Prozesse in der Fermentationstechnologie?

Dr. Christel Fenge: Scalability ist ein ganz wichtiges Thema. In der Prozessentwicklung muss man sicherstellen, dass alles was man in kleinem Maßstab erzeugt und belegt hat, dann auch im großen Maßstab vergleichbar abläuft. Was unsere Fermenter betrifft, folgen wir den anerkannten Prinzipien des Rührkesseldesigns. Die Dechema hat schon vor Jahrzehnten Designkriterien definiert, an die wir uns halten. Dabei streben wir bei der Maßstabsvergrößerung an, die geometrischen Verhältnisse vergleichbar zu halten. Das gilt insbesondere für das Verhältnis Höhe zu Durchmesser oder Rührerradius zu Kesselradius. Dieses Prinzip wenden wir auf unser gesamtes Bioreaktorportfolio vom 2 L- bis zu 20 m3-Maßstab an. Bei Single-Use-Produkten ist das nicht anders. Dort ist das Design vergleichbar zu unseren klassischen Rührkesseln aus Glas oder Stahl, vom 2 L-Univessel Single-Use bis hin zu unserem 2.000 L-Biostat STR, der sich im Moment in der Entwicklung befindet. Wir möchten damit erreichen, dass die Überführung in größere Bioreaktorsyteme so einfach wie möglich gehalten wird.

Wie eng arbeiten Sie beim Scale-up mit Ihren Kunden zusammen?

Dr. Christel Fenge: Es gibt viele Faktoren, die das Scale-up beeinflussen können. Was wir selbst unter Kontrolle haben, ist das Design unserer Bioreaktoren und die Materialien, die wir verwenden. Bei Stahl- oder Glasfermentern ist es ja meist so, dass der Kunde immer mit dem gleichen Gefäß arbeitet und das System einmal selbst qualifiziert. Bei Einwegreaktoren ist der Reaktor-Bag jedes Mal ein neues Produkt. Also müssen wir dieses Produkt qualifizieren und dem Kunden diese Arbeit abnehmen. Wir müssen sicherstellen, dass die Variabilität der Materialien in engen Grenzen bleibt. Das steht in unserer Qualitätsstrategie ganz oben. Wir machen Studien zum Sauerstoffeintrag und zum Kohlendioxydaustrag, zur Durchmischung und zum Energieeintrag. Außerdem testen wir unsere Bioreaktoren in unserem Applikationslabor und in Zusammenarbeit mit Kunden unter realen Prozessbedingungen.

Sie sprachen die Bandbreite der Volumina an. Über welche Produktionsmengen reden wir in der biopharmazeutischen Herstellung üblicherweise?

Dr. Christel Fenge: Darauf gibt es keine klare Antwort. Es gibt Low-Volume-Produkte wie z.B. das Hormon FSH, bei dem der Weltbedarf mit einigen Ansätzen pro Jahr in einem 10-L-Glasfermenter produziert wird. Auf der anderen Seite gibt es High-Volume-Produkte wie z.B. dem monoklonalen Antikörper Avastin von Genentech. Der Trend geht zu kleineren Nischenprodukten, speziell angepasst auf bestimmte Patientengruppen.

Da bietet es sich ja gerade bei modularen Systemen an, nicht nur einen Prozess auf einer Anlage zu fahren, sondern mehrere.

Dr. Christel Fenge: Ja, das beschreibt das Multi-Purpose-Modell, welches unsere Kunden heute applizieren. In einer Multi-Purpose-Anlage wird kampagnenweise produziert. Für die klinische Produktion hat man das früher schon gemacht, insofern ist es kein neues Konzept. In den letzten zehn Jahren wurde es besonders von Kontraktherstellern, oder kurz CMOs, praktiziert. Sie stellen die Produktionsanlagen ihren Kunden zur Verfügung, die dort nacheinander ihren Kampagnenbetrieb durchführen. Die Auslastung einer Anlage ist schließlich entscheidend für ihre Wirtschaftlichkeit. Die Entscheidung zum Bau einer Anlage erfolgt normalerweise lange bevor man das Produkt auf den Markt bringen kann. Da weiß man noch nicht, ob das Produkt die klinischen Prüfungen überhaupt erfolgreich besteht. Die beste Strategie ist deshalb, keine produktionsspezifische Kapazität zu schaffen, die mit dem Risiko behaftet ist, später eventuell nicht genutzt zu werden, sondern eine Multi-Purpose-Anlage zu bauen.

Wie unterstützen Sie Ihre Kunden dabei, eine solche Anlage zu entwickeln?

Dr. Christel Fenge: Wir bieten unseren Kunden ein Konzept für die Auslegung ihrer Anlage auf Basis unserer Standardkomponenten, die wir maßgeschneidert miteinander vernetzen. Wir haben eine breite Vielfalt an konfigurierbaren Bioreaktorlösungen in unserem Programm. Mit dem Kunden zusammen erarbeiten wir dann komplette Prozesslösungen, nicht nur für den Zellkultur- oder Fermentationsprozess, sondern auch für die Medienherstellung, Zellernte, Aufreinigung und Abfüllung.

In Zukunft werden Pharmafirmen immer mehr versuchen, ihre Wirkstoffe in Nischen zu positionieren, anstatt auf Blockbuster zu setzen. Die Voraussetzung dafür wäre ein enormes Wachstum in der Diagnostik. Können Sie hier bereits eine Änderung feststellen?

Dr. Christel Fenge: Ich persönlich glaube, dass sowohl die Pharmaindustrie als auch das Gesundheitssystem sich dazu durchringen muss, die Diagnostik stärker anzuwenden. Hauptsächlich in der Krebsbehandlung ist das ein heißes Thema.

Muss die Pharmaindustrie den Einsatz von Diagnostik aktiver vorantreiben?

Dr. Christel Fenge: In der westlichen Welt wird die Pharmaindustrie immer besser abgestimmte Pakete von Diagnostika und Behandlungen anbieten, um spezielle Krankheitsformen zu erkennen und die Behandlung optimal auf den Patienten abzustimmen. Für China, Indien und andere Schwellenländer, Staaten also, die jetzt eine aufsteigende Mittelklasse haben, sind andere Themen interessant. Dazu gehören die Herstellung von Insulin und andere Proteintherapeutika, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist, sowie die Sicherstellung einer breiten Versorgung mit Medikamenten insbesondere Impfstoffen gegen lokale „Volkskrankheiten".

Welche Herausforderungen sehen Sie derzeit im Bereich der Single-Use-Technologie noch?

Dr. Christel Fenge: Die große Herausforderung für uns ist sicherlich die mikrobielle Fermentation im Single-Use-Reaktor, also der Vorstoß in Bereiche, die noch den Stahlkesseln vorbehalten sind. Die Single-Use-Technologie ist vorrangig attraktiv für hochpreisige Produkte, also Pharmaka. Wir bezweifeln, dass Firmen, die mikrobielle Prozesse für die sog. weiße Biotechnologie einsetzen, solche Systeme verwenden werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Verbindungen, die nicht für die Behandlung zum Einsatz kommen, in Stahlfermentern preiswerter produziert werden können, da die regulatorischen Auflagen insbesondere in Hinsicht auf Reinigungsvalidierung wesentlich geringer sind.

Wo sehen Sie noch Innovationspotentiale?

Dr. Christel Fenge: Lassen Sie mich zunächst eine philosophische Gegenfrage stellen: Wie findet Innovation eigentlich statt? - Meine These ist, nicht nur bei Fermentern, sondern generell: Wir sehen in der Regel inkrementelle Verbesserungen, doch irgendwann findet ein Quantensprung statt. Dieser Quantensprung wird durch viele kleine Verbesserungen eingeleitet, die die Entwicklung plötzlich an einen Punkt bringen, an dem man von dem bisherigen auf ein anderes Niveau gelangt. Aber nicht, weil die letzte inkrementelle Veränderung ein Quantensprung war, sondern weil dadurch sozusagen das „Sprungbrett" erreicht wurde. Wir selbst verbessern unsere eigenen Entwicklungen kontinuierlich bis dann irgendwann einmal der Punkt kommt, an dem sich eine neue Technologie im Markt durchsetzt und verbreitet. Im Nachhinein wird man dann sagen: „Das war ein Quantensprung." Aber genau genommen waren es viele kleine nacheinander geschaltete Verbesserungen.

Und welche künftigen Innovationstrends sehen Sie bei der Fermentation?

Dr. Christel Fenge: Ich persönlich glaube, dass die Integration von Prozessschritten im Gesamtkonzept standardisiert werden wird. Das wird dazu führen, dass man Möglichkeiten nutzt, Geräte oder Prozessschritte miteinander zu verbinden. Das ist ein Thema, das für uns in Zukunft noch viel wichtiger wird, nämlich integrierte Lösungen anzubieten, bei denen der Kunde eine Partnerschaft mit dem Hersteller eingeht. Er wird sich aber nicht mehr selbst um alles kümmern und auch wesentlich weniger Integrationsaufwand betreiben müssen. Das sind aus wissenschaftlicher Sicht sicherlich keine weltbewegenden Sachen, aber in prozessökonomischer Hinsicht auf alle Fälle wichtige Schritte, die wir gehen müssen.

Es wird also künftig noch mehr darauf ankommen, dass Sie mit den Kunden gemeinsam neue Systeme entwickeln?

Dr. Christel Fenge: Ja, wir verwenden dafür das Schlagwort „Integrated Solution Provider". Wir wollen der wissenschaftlich kompetente Partner in der Prozessrealisierung sein und wir wollen so aufgestellt sein, dass wir mit dem Kunden eine Partnerschaft eingehen können - eine Integration entlang der gesamten Prozesskette. Wir haben Applikationsspezialisten bei den Anwendern, die vor Ort ergründen was optimiert werden kann, wie sie die Anwender unterstützen und trainieren können, um die gesamte Leistungsfähigkeit der Systeme zu erschließen. Wir möchten unsere Single-Use-Bioreaktoren gemeinsam mit den Kunden weiterentwickeln. Und da kommen wir wieder zu den erwähnten inkrementellen Fortschritten. Wir haben verschiedenste Anregungen wie ein Single-Use-Bag verbessert werden kann, um die Kundenanforderungen besser zu erfüllen. Hier arbeiten wir mit Kunden zusammen, mit denen wir eine sehr enge Verbindung haben. Auch beim Thema Biosafety und Containment gehen wir so vor. Das ist alles relativ unspektakulär, aber es führt zu diesen inkrementellen Verbesserungen und hilft letztendlich, die Single-Use-Technologie zu einer reifen Technologie zu entwickeln. 

Kontakt

Sartorius AG

Otto-Brenner-Str. 20
37079 Göttingen
Deutschland

+49 (0)551 308 0
+49 (0)551 308 3289

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