Chemie & Life Sciences

Verwerten statt verbieten? – ein Dialog zur EU-Kunststoffstrategie

Die EU hat das Ziel, die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen zu fördern

03.09.2018 -

Die Europäer erzeugen jedes Jahr 25 Mio. t Kunststoffabfälle, rund 30 % davon werden für das Recycling gesammelt. Wie mit Kunststoffen in der Europäischen Union (EU) künftig umgegangen werden soll, hat die EU-Kommission in diesem Jahr in einer ersten europäischen Strategie dargelegt. Danach sollen ab 2030 alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt recyclingfähig sein und der Verbrauch von Einwegkunststoffen wird eingeschränkt. Andrea Gruß sprach mit Bettina Rechenberg, Leiterin des Fachbereichs Nachhaltige Produkte und Produktion, Kreislaufwirtschaft des Umweltbundesamts und Rüdiger Baunemann, Hauptgeschäftsführer bei PlasticsEurope Deutschland, über die Pläne der EU zur Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen.

CHEManager: Die EU-Kunststoffstrategie sieht das Verbot einiger Einweg-Kunststoff-Produkte und die Reduktion von Einweg-Verpackungen aus Kunststoff vor. Ist dies ein effektiver Weg zum Ressourcen- und Umweltschutz?

Bettina Rechenberg: Ja, ich begrüße den Legislativvorschlag zu Einwegprodukten vom Mai 2018, der im Rahmen der Ausgestaltung der EU-Kunststoffstrategie erfolgt. Er umfasst zum einen Verbote für bestimmte Kunststoffprodukte, zum anderen aber auch Reduzierungsvorgaben und Ansätze, die die Hersteller von bestimmten Einweg-Kunststoff-Produkten für deren Sammlung und Entsorgung mit in die Pflicht nehmen. Zudem schlägt die EU einen Bogen zum Meeresschutz, in dem sie Regelungen für die zehn Produktgruppen vorschlägt, die bei Müllsammlungen am Strand am häufigsten gefunden wurden. Der Legislativvorschlag ist ein gelungener Einstieg in das Thema.

Rüdiger Baunemann: Das sehe ich anders. Die Ausführungen der im Januar veröffentlichten EU-Kunststoffstrategie waren vielversprechend. Sie spannten einen Bogen an vielfältigen Maßnahmen. Das nun als erste Konkretisierung ein Verbot von bestimmten Kunststoffprodukten diskutiert wird, halte ich nicht für zielführend. Das Kernproblem, die Wegwerfmentalität, hat nichts mit Kunststoff zu tun und sollte daher werkstoffneutral angegangen werden. Es muss ein Umdenken hin zum Aufbau einer Kreislaufwirtschaft stattfinden, denn Verwerten ist besser als Verbieten.

Wie kommen wir gegen die Wegwerfmentalität an?

B. Rechenberg: Zum einen durch Informationskampagnen, die das Bewusstsein der Konsumenten erhöhen, welcher Schaden dadurch in der Umwelt entsteht. Zum andern müssen Sammelsysteme entstehen, um benutzte Produkte wieder in den Kreislauf einzubringen. Ein erfolgreiches Beispiel ist das Pfandsystem für Getränkedosen, das nach seiner Einführung sehr schnell gewirkt hat.

Mehrweg statt Einweg ist ein effektiver Ansatz, um Müllmengen zu reduzieren, aber auch die Vermeidung von Kunststoffverpackungen sollte ein Ziel sein. Ganz ohne sie wird es nicht gehen, aber es gibt durchaus Luft nach oben, denn Deutschland ist Europameister für die Menge an Verpackungsmüll pro Kopf.

R. Baunemann: Fakt ist zunächst einmal, dass Kunststoffverpackungen wertvolle Funktionen wie den Produktschutz erfüllen, die viel zu Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz beitragen – und nach Gebrauch sind sie zum Wegwerfen zu schade und vielfältig zu verwerten. Hierfür gibt es bereits gute Beispiele wie die PET-Getränkeflaschen, die ebenfalls über das Pfandsystem sehr hohe Recyclingquoten erreichen. Dramatisch sehe ich allerdings die Entwicklung des Verpackungsmülls beim Online-Versand oder die Zahl der Coffee-to-go-Becher, die in Deutschland über die Ladentheke gehen – fast drei Milliarden sind es pro Jahr. Hierüber müssen wir aufklären und beim Verbraucher ein Bewusstsein schaffen. Dies ist ja auch ein wesentliches Ziel der EU-Vorlage zu den Einweg-Kunststoff-Produkten.

Derzeit werden in Deutschland 45 % der Kunststoffabfälle werkstofflich recycelt und 55 % thermisch verwertet. Wie lässt sich die Recyclingquote weiter erhöhen, um die EU-Ziele zu erreichen?

B. Rechenberg: Wir haben in Deutschland zwar hohe Mengen an Kunststoffabfällen, aber was den Umgang mit diesen angeht, sind wir im europäischen Vergleich gut aufgestellt. Es gibt ein gut etabliertes Abfallsammelsystem. Auch beim stofflichen Recycling sind die Quoten nicht schlecht, wenn auch niedriger als bei Papier. Und wie schon gesagt, weitere Pfandsysteme könnten zum Beispiel den Anreiz geben, den Coffee-to-go-Becher nicht einfach wegzuwerfen.

Damit ist das Material zunächst erst einmal erfasst, darüber hinaus muss es dann auch recyclingfähig sein und es muss einen Markt für die Rezyklate geben.

R. Baunemann: Das Entstehen eines Marktes für Rezyklate ist ein komplexer Prozess. Zunächst müssen Rezyklate in hoher und gleichbleibender Qualität und in großen Mengen hergestellt werden. Denn ein Großabnehmer, wie ein Markenartikler, hat die Notwendigkeit, eine hohe Anzahl an Flaschen oder Verpackungen in gleicher Qualität zu bekommen. Doch genau das zu leisten, fällt den Recyclern aufgrund des heterogenen Inputmaterials, das ihnen zur Verfügung steht, noch schwer.

Ein weiterer Aspekt ist, dass sie die erzeugten Rezyklate auch vermarkten dürfen. Denn in der EU gibt es unterschiedliche Regelwerke, zum Beispiel das Produktrecht, das Abfallrecht oder das Chemikalienrecht, die dem im Wege stehen können.

Hier verfolgt die EU-Kommission in ihrer Kunststoffstrategie einen interessanten Ansatz: Der Vorschlag eines nationalen, europäischen bis hin zu einem globalen Normungsprozess, bei dem unterschiedliche Stakeholder mit am Tisch sitzen, ist ein sehr wertvoller Punkt der EU-Kunststoffstrategie. Normen und akzeptierte Qualitätsstandards können wichtig sein, um die Akzeptanz von Rezyklaten zu erhöhen und bestehende Trends zu fördern. So zeigt unsere demnächst erscheinende Stoffstromanalyse zu Kunststoff, die wir gemeinsam mit der Wertschöpfungskette erstellen, dass Rezyklate bereits in zahlreichen Anwendungen Primärrohstoffe ersetzen.

Wie lässt sich die Recyclingfähigkeit von Produkten verbessern?

R. Baunemann: Die Anstrengungen für höhere Recyclingquoten und -fähigkeit müssen in enger Abstimmung und entlang der gesamten Wertschöpfungskette geschehen. Wir brauchen Verpackungen mit der richtigen Funktionalität, die umweltverträglich und recyclingfähig sind. Zu diesen Themen braucht es einen noch besseren Informationsaustausch aller Akteure. Erste gute Ansätze dafür gibt es bereits, bei denen Kunststofferzeuger, Recycler und Markenartikler recyclingfähige Kunststoffverpackungen gemeinsam entwickeln. Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenspiel aber auch dem Handel und letztendlich auch dem Verbraucher zu.

B. Rechenberg: Beim Produktdesign am Anfang der Kette wird noch viel zu wenig das Ende des Lebenswegs eines Produkts beziehungsweise dessen Recycling mitgedacht. Das neue Verpackungsgesetz, das zum 1. Januar 2019 in Kraft treten soll, könnte Anreize für das Design recyclingfähiger Verpackungen schaffen. Denn es sieht gestaffelte Lizenzentgelte in Abhängigkeit von der Recyclingfähigkeit einer Verpackung vor. Dabei beschränkt es sich nicht auf Kunststoffe.

Im Kontext der EU-Strategie wird auch eine Steuer auf Kunststoffe diskutiert. Ist dies ein effektives Instrument für einen verantwortungsvolleren Umgang mit dem Werkstoff?

R. Baunemann: Ich halte nichts von einer Kunststoffsteuer. Auf welcher Stufe der Wertschöpfungskette sollte sie ansetzen? Sollte sie national oder europaweit umgesetzt werden? Letzteres würde sicher schwierig.

Die von Frau Rechenberg erwähnten Lizenzgebühren im neuen Verpackungsgesetz bieten eine viel interessantere Lenkungsmöglichkeit als eine Steuer. Hinzu kommt: Im Umweltbereich gibt es schon eine ganze Menge Belastungen für deutsche Unternehmen: Wir haben steuerbedingt die höchsten Energiekosten, die höchsten Rohstoffkosten und die höchsten Kostenbelastungen bei CO2.

B. Rechenberg: Bei der Höhe der Steuern will ich ein bisschen relativieren: Alle EU-Staaten haben Umweltsteuern. Wenn wir den Anteil dieser Umweltsteuern am Gesamtsteueraufkommen in den Ländern vergleichen, dann sind das im Durchschnitt für alle EU-Länder 6,3 % und in Deutschland 5 %. Dagegen gibt es Länder, wie Slowenien und Kroatien, die über 10 % ihrer Steuereinnahmen aus Umweltsteuern beziehen.

Zur Kunststoffsteuer: Ich halte ökonomische Anreize prinzipiell für wichtig. Aus meiner Sicht gibt es im Umweltbereich zwar Anreize für Unternehmen auf der Ausgabenseite, zum Beispiel über Förder- oder Investitionsprogramme, aber viel zu wenige auf der Einnahmenseite.

Eine Kunststoffsteuer müsste so gestaltet sein, dass sie eine tatsächlich steuernde Wirkung hat. Nur allgemein die Preise für Kunststoffe zu erhöhen, bewirkt keine Förderung des Recyclings und kann zu Ausweichbewegungen auf andere Materialien führen, die ökologisch problematischer sind.

Eine Steuer auf nicht recycelte Kunststoffabfälle zu erheben, wäre ein richtiger Ansatz. Die Mitgliedsstaaten könnten hier national vorgehen und dann eine bestimmte Menge ihrer Einnahmen –auf der Grundlage von nicht recycelten Kunststoffen – an die EU zum Beispiel zur Förderung des Recyclings von Kunststoffen abgeben.

Ein wesentliches Ziel der EU-Kommission ist es, die Umweltverschmutzung mit Kunststoffen zu reduzieren. Was können bioabbaubare Kunststoffe hierzu beitragen?

R. Baunemann: Ich glaube nicht, dass sie einen Fortschritt bei der Bekämpfung von „Littering“ bringen. Die Botschaft, der Kunststoff ist biologisch abbaubar, könnte die Wegwerfmentalität sogar noch fördern.

Bioabbaubare Kunststoffe können jedoch, wenn bestimmte Normen erfüllt sind, interessant sein für Anwendungen, bei denen die Abbaubarkeit des Produkts einen technischen Nutzen darstellt. Ein Beispiel sind Kunststofffolien in der Landwirtschaft, die untergepflügt werden, wenn sie sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums zersetzen ohne zu Mikroplastik zu zerfallen. Auch bioabbaubare Lebensmittelverpackungen, die gemeinsam mit dem Biomüll in der Biotonne entsorgt werden können, existieren bereits.

B. Rechenberg: Ich sehe hier die Gefahr, dass der Verbraucher überfordert ist, biobasiertes und bioabbaubares Plastik zu unterscheiden. Untersuchungen vom Bundesamt für Umwelt in der Schweiz haben gezeigt, dass sogar viele Verbraucher Produkte aus 100 % recycelten Kunststoffen für bioabbaubar hielten. Der Verbraucher ist verwirrt und geht weniger sorgfältig mit Kunststoffen um.

Zudem spiegeln die aktuellen Normen, die im Moment für bioabbaubare Kunststoffe existieren, die Umweltrealität und die Realität in den Kompostieranlagen nicht wider. Es werden Rottzeiten angenommen, die viel länger sind als in Deutschland üblich.

Und drittens, wenn bioabbaubare Kunststoffe in die Recycling-Stoffströme gelangen, reduziert das die Qualität der Rezyklate und zerstört den Recyclingkreislauf. Einsammeln und Recyceln sollte daher immer Vorrang haben vor Bioabbaubarkeit.

In der Tat sehe ich nur sehr kleine Nischen für sinnvolle Anwendungen: In Norwegen werden zum Beispiel sehr viele Sprenghülsen aus Plastik im Tunnel- und Straßenbau eingesetzt, deren Reste nicht eingesammelt werden können. Hier macht Bioabbaubarkeit Sinn.

Wo sehen Sie Chancen und Herausforderungen bei der Umsetzung der Kunststoffstrategie?

B. Rechenberg: Ich sehe natürlich erst einmal die Chance einer Entlastung der Umwelt. Durch die Maßnahmen sollte das Vorkommen von Kunstoffabfällen in Wasser und Boden nicht weiter steigen und mittelfristig sogar reduziert werden.

Eine Herausforderung sehe ich darin, von den sehr konkreten Zielen und Maßnahmen der Kunststoffstrategie wieder einen Bogen zum Zustand der Umwelt zu schlagen. Wir haben bisher vor allem qualitative Methoden, um Mengen an Kunststoff zu bestimmen. Uns fehlen quantitative Aussagen für eine Erfolgskontrolle. Wir können daher zum Beispiel nicht konkret sagen: Diese Maßnahme hat zu einer Reduzierung um 20 % des Kunststoffvorkommens im Meer beigetragen. Hierzu fehlen uns noch Monitoring-Methoden. Und es fehlt auch noch an abgestimmten Methoden für Bewertungen, ob die Reduktion von 20 % ausreichend wäre oder nicht.

Und trotzdem müssen wir jetzt mit den Maßnahmen beginnen, rein vorsorglich. Denn Kunststoff hat in der Umwelt nichts zu suchen.

R. Baunemann: Um die Recyclingziele der EU-Kunststoffstrategie zu erreichen, bedarf es einer intensiven Zusammenarbeit verschiedener Akteure. Eine einseitige Problematisierung von Werkstoffen sowie Verbote bringen uns nicht weiter, wir müssen vielmehr ein Umdenken in den Köpfen der Unternehmen und Menschen erreichen, und zwar dahingehend, dass Kunststoff zu schade zum Wegwerfen ist.

Die Vorschläge der EU-Kommission gehen bereits in die richtige Richtung und sollten das Ziel gemeinsamer Anstrengungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene sein. Die Technologien, die wir im Zuge der Verpackungsmülldiskussion in den vergangenen 25 Jahren hier in Deutschland entwickelt haben, zum Beispiel moderne Sammel-, Sortier- und Verwertungstechnologien oder ganz aktuell die Renaissance der rohstofflichen Verwertung bieten eine gute Basis für die Umsetzung der Strategie und sollten möglichst breit und überall auf der Welt, also über Europa hinaus, eingesetzt werden. Die Bemühungen der Bundesregierung im Rahmen der G-20-Beratungen setzen hier die richtigen Akzente. Hieraus könnten sich durchaus interessante wirtschaftliche Chancen für die deutsche Kunststoffindustrie entwickeln.