Strategie & Management

Vorsprung durch Lieferkettentransparenz

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz schafft Mehraufwand, eröffnet aber auch Möglichkeiten

07.12.2022 - Mit dem anstehenden Jahreswechsel kommt auf viele Unternehmen aus der Chemiebranche die Herausforderung zu, die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) in die Praxis umzusetzen.

Eine anspruchsvolle Aufgabe, die aber langfristig Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz stärkt.

Die Zeit drängt: Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) müssen sich viele Unternehmen ab dem 1. Januar 2023 auf eine Reihe neuer Pflichten einstellen. Mit der Regelung möchte der Gesetzgeber langfristig klare Verantwortlichkeiten für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in den globalen Lieferketten schaffen. Ein Anliegen, dass längst nicht mehr nur die deutsche Politik, sondern inzwischen auch die EU-Kommission umtreibt. Diese hat bereits im vergangenen Februar mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD-E) einen ähnlichen Entwurf vorgelegt.

 

„Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist eine anspruchsvolle Aufgabe,
die aber langfristig Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz stärkt.“

 

Zunächst sind nur Betriebe betroffen, die 3.000 oder mehr Angestellte beschäftigen. Diese müssen mit dem neuen Jahr nicht nur ihre Systeme für das Risikomanagement ausbauen, sondern auch umfangreichen Pflichten hinsichtlich der Berichterstattung, Dokumentation, Prävention und Abhilfe nachkommen. Wenn der Wirkungsbereich des Gesetzes am 1. Januar 2024 auf Unternehmen mit 1.000 oder mehr Mitarbeitenden ausgeweitet wird, könnten fast 3.000 deutsche Unternehmen von dem LkSG betroffen sein.

Zentrale Rolle für das Risikomanagement

Unabhängig von der jeweiligen Branche steht in Anbetracht der neuen Pflichten zunächst der Auf- oder Ausbau eines robusten Risikomanagements im Mittelpunkt der Vorbereitung. Das Ziel: Potenzielle Risiken, wie z. B. problematische Abbaubedingungen von Rohstoffen oder prekäre Arbeitsbedingungen in den Lieferketten sichtbar machen. Den Ausgangspunkt stellt dabei zunächst eine vollständige Erfassung und Dokumentation der bestehenden Lieferkette dar. Die daraus gewonnenen Daten und Informationen dienen als Grundlage, um eine umfangreiche Lückenanalyse durchzuführen. Auf Basis der dabei aufgedeckten Defizite können Unternehmen schließlich Prioritäten setzen und den konkreten Handlungsbedarf ableiten.

Für die Chemiebranche stellt bspw. das Wassermanagement einen signifikanten Risikofaktor in der Lieferkette dar. Betreiben Zulieferer etwa Produktionsstandorte in sog. Wasserstressgebieten, müssen diese auch einen Nachweis über ein effektives Umweltmanagementsystem erbringen. Beziehen Chemieunternehmen zudem Rohstoffe, deren Abbau in vielen Regionen unter problematischen Arbeitsbedingungen erfolgt, ergibt sich ohne entsprechende Nachweise ebenfalls ein hohes Risiko für die Verletzung der Sorgfaltspflichten.

Um solche Risiken richtig einzustufen, müssen Unternehmen eine Reihe fester Kriterien für die Bewertung heranziehen. Für den Schweregrad ausschlaggebend sind in erster Linie belastbare Hinweise auf etwaige Risiken sowie die vorhandenen Möglichkeiten, diese wirksam zu mitigieren. Ist ein Zulieferer bspw. nicht in der Lage, ein effektives Wassermanagement nachzuweisen, steigt das Risiko. Kommt hinzu, dass dem Unternehmen auch keinerlei wirksamen Abhilfemaßnahmen zur Verfügung stehen, wird es akut.

Digitale Lösungen nutzen und auf vorhandene Prozesse aufsetzen

Weil sich vor allem global verstrickte Lieferketten nur schwer transparent abbilden lassen, ist es ratsam, den Evaluierungsprozess mit digitalen Lösungen zu unterstützen. So helfen intelligente Monitoring-Lösungen dabei, sämtliche Verzweigungen der Lieferantennetzwerke im Blick zu behalten und die Komplexität zu reduzieren. Um internationale Lieferanten zuverlässig nach konkreten Risiken bewerten zu können, müssen entsprechende Lösungen den gesamten Risiko-Funnel abbilden. Das ist wiederum nur möglich, wenn die entsprechenden Tools mit bestehenden Lieferantensystemen kombinierbar sind. Eine vollständige Integration in die vorhandene IT-Landschaft inklusive Anbindung an sämtliche Logistik-, Reporting- und Einkaufslösungen ist obligatorisch. Nur so können Unternehmen interne und externe Informationen effektiv miteinander verknüpfen, um eine zuverlässige Risikoeinstufung zu erhalten.

 

"Obwohl die Umsetzung der Sorgfaltspflichten
einen erheblichen Mehraufwand nach sich ziehen kann,
lohnt sich die Investition in die Transparenz."

 

Unabhängig vom Komplexitätsgrad der eigenen Lieferketten ist es wichtig, bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten möglichst häufig auf vorhandene Prozesse aufzusetzen. Ein naheliegender Ansatz ist dabei etwa die Integration der neuen Anforderungen in das bestehende Compliance-Management-System. Zusätzlich bietet sich die Einkaufsfunktion an, um an vorhandene Strukturen anzudocken, da die Beschaffung ohnehin eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des LkSG einnimmt und oft schon über praxis­erprobte Rating-Systeme für Lieferanten verfügt.

Für den Ernstfall gewappnet sein

Erhärten sich Hinweise auf konkrete Verletzungen von Sorgfaltspflichten, sollten die entsprechenden Abhilfemaßnahmen idealerweise schon so vordefiniert sein, dass sie zeitnah zum Einsatz kommen können. Mit Blick auf die wachsende Volatilität an den internationalen Märkten müssen Unternehmen zudem immer besser darauf vorbereitet sein, mit neuen, unvorhersehbaren Risiken umzugehen. In solchen Fällen gilt es, zeitnah wirksame Initiativen zu entwickeln, um Risiken einzugrenzen. Damit Unternehmen dabei keine wertvolle Zeit verlieren, ist es essenziell, für schwer kalkulierbare Szenarien belastbare Reaktionspläne mit klaren Verantwortlichkeiten aufzustellen. Gerade unter hohem Zeitdruck braucht es robuste Grundlagen für weitreichende Entscheidungen. Vor allem bei mutmaßlichen Verstößen von Lieferanten und Dienstleistern müssen Entscheider ihre nächsten Schritte genau abwägen – die Zusammenarbeit zu beenden, wird lediglich als letztes Mittel in Betracht kommen. Zuvor sollten alle Verantwortlichen im Sinne einer nachhaltigen Lieferantenentwicklung prüfen, ob sich das Problem mit vereinten Kräften lösen lässt. Dieses Vorgehen zeigt, welche Chancen das LkSG birgt: Wer seinen Partnern bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten unter die Arme greift, trägt nicht nur zu nachhaltigeren Strukturen und Prozessen bei, sondern stärkt langfristig auch die Lieferantenbeziehungen.

 

„Hohe ESG-Standards werden zu einem wertvollen Wettbewerbsvorteil.“

 

Obwohl die Umsetzung der Sorgfaltspflichten gerade für mittelständische Unternehmen einen erheblichen Mehraufwand nach sich ziehen kann, lohnt sich die Investition in die Transparenz. Denn auch ganz unabhängig von neuen Regularien fordern viele Unternehmen der Chemiebranche schon jetzt ökologisch und sozial einwandfreie Lieferketten ein. So erwarten einige Unternehmen bspw. von ihren Lieferanten, speziellen Verhaltenskodexen und Selbstverpflichtungen zu folgen. Hohe ESG-Standards werden damit zu einem wertvollen Wettbewerbsvorteil, der viele neue Möglichkeiten eröffnet.


Autor: Jan Herrmann, Partner, PwC Deutschland, Düsseldorf

ZUR PERSON

Jan Herrmann ist seit Anfang 2019 Partner im Bereich Management Consulting bei PwC Deutschland. Er ist Experte für Supply Chain Management und strategischen Einkauf mit mehr als 13 Jahren Erfahrung in Beratung und Industrie. Herrmann promovierte 2008 an der Universität Bielefeld im Bereich Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Betriebswirtschaft, Controlling und Produktion. Anschließend war er für BrainNet, KPMG und Kerkhoff tätig. Bei PwC leitet er den Bereich Procurement Consulting und berät Händler und Konsumgüterhersteller beim Aufbau transparenter Lieferketten, um neben regulatorischer Compliance auch Vertrauen und Wachstum sicherzustellen.

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