Anlagenbau & Prozesstechnik

Weltweites Chemiewachstum hält an

09.08.2013 -

Weltweites Chemiewachstum hält an – Deutsche Bank Research rechnet mit einem Chemieumsatz von 4 Bio. € im Jahr 2020.

Die internationale Chemieindustrie profitierte in den letzten zehn Jahren vom weltweit dynamischen Wachstum. Während das Bruttoinlandsprodukt von 1997 bis 2007 um preisbereinigt 4 % pro Jahr zunahm, stieg die reale Produktion in der Branche um durchschnittlich 3,5 % pro Jahr.

Maßgeblich hierfür war, dass asiatische Länder wie China und Indien, aber auch Staaten aus dem Mittleren Osten (z. B. Iran und Kuwait) sowohl als Hersteller als auch Nachfrager chemischer Erzeugnisse stark an Bedeutung gewonnen haben.

Dahinter standen auf der Nachfrageseite der hohe Bedarf an Basischemikalien für Kunststoffe sowie Spezialchemikalien für Farben und Lacke in diesen Regionen sowie auf der Angebotsseite die enormen Kostenvorteile gegenüber Herstellern aus Europa und Nordamerika.

In der Chemiebranche dominieren - trotz der großen Bedeutung chemischer Grundchemikalien - klein- und mittelständische Unternehmen. Die zehn größten Hersteller der Branche haben weltweit nur einen Umsatzanteil von einem Zehntel. Merklich höher ist diese Quote z. B. in der Stahlindustrie mit 30 %.

In Deutschland erreichen die knapp 70 Großunternehmen mit 1.000 und mehr Beschäftigten einen Umsatzanteil von knapp 60 %; die rund 2.100 Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern dagegen nur von 2 %.

Weltweit ist die Chemie seit Jahren auf Expansionskurs: Von 1997 bis 2007 nahmen die Umsätze in der Branche um rund 5 % pro Jahr auf 2,3 Bio. € zu.

Neben einem steigenden Bedarf bedeutender Abnehmer aus anderen Industriezweigen und der privaten Haushalte, vor allem in asiatischen Ländern, konnten immer wieder neue Anwendungsfelder erschlossen werden.

Dabei spielte die Substitution herkömmlicher Werkstoffe (Stahl, Aluminium, Keramik) eine entscheidende Rolle. Verantwortlich dafür sind die hervorragenden Produkteigenschaften z. B. von Kunststoffen (geringes Gewicht, leichte Verformbarkeit).

Im Automobilbau stieg der Anteil dieses Werkstoffs von Anfang der 1980er Jahre bis heute (gewichtsmäßig!) von 8 auf 15 %.

Die damit verbundene Gewichtsreduzierung unterstützt den Trend zu sparsamen Kraftfahrzeugen. Auch im Schiffbau nimmt die Bedeutung von Bauelementen aus Kunststoffen zu, weil dadurch sowohl das Gewicht reduziert als auch die Haltbarkeit erhöht wird. Sehr früh kam der Werkstoff auch in der Luft- und Raumfahrtindustrie zum Einsatz, wo das niedrige Materialgewicht ebenfalls das zentrale Argument ist.

Starke Divergenz in einzelnen Regionen Die Zeiten, in denen wenige Industrienationen den Weltmarkt dominierten, sind vorbei. Neue Wirtschaftszentren haben sich in China, Indien, Brasilien und Russland, aber auch in Mexiko, Südkorea sowie osteuropäischen Ländern entwickelt.

Das klassische Beispiel hierfür ist die Textil- und Bekleidungsindustrie, die sehr früh ihre Produktionsstandorte aus Kostengründen nach Fernost verlagerte.

Inzwischen wird dort mehr als die Hälfte der weltweit produzierten Chemietextilfasern hergestellt, etwa 50 % davon in China. Zunächst profitierten diese Länder von der Verlagerung arbeitsintensiver Industrien.

Die chemische Industrie folgte häufig als wichtige Zulieferbranche. Dies gilt insbesondere für Asien (China, Indien, Südkorea, Thailand u.a.).

Der Mittlere Osten (Saudi-Arabien, Iran, u.a.) wurde durch die lokalen Rohstoffvorkommen begünstigt. Daher legte die Chemieindustrie in diesen Regionen spürbar stärker zu als in der EU-17 oder der NAFTA-Region.

In einer zweiten Phase wurden auch Produktionsprozesse zur Herstellung von Erzeugnissen mit hoher Wertschöpfung nach Asien verlagert.

Dabei kam der Industrie zugute, dass dort die Kosten für den Anlagenbau relativ niedrig und die Genehmigungsverfahren für neue Betriebe in der Regel weitaus kürzer waren als in Europa oder Nordamerika.

 


Umsatzprognose 2007 bis 2020

In der Chemieindustrie ist auch in Zukunft mit einem hohen Wachstum zu rechnen. Die unterschiedlichen Dynamiken der Regionen bleiben bestehen. Besonders hoch ist der Chemiebedarf in Regionen, wo wirtschaftliche Aufholprozesse stattfinden.

Generell macht sich in der Chemieindustrie eine Verlangsamung der Weltwirtschaft bemerkbar. Bis 2020 dürfte das preisbereinigte BIP weltweit lediglich um durchschnittlich 2,75 pro Jahr zulegen - gegenüber einem Wachstum von gut 3 % in den vergangenen zehn Jahren.

Für die Weltchemieindustrie erwartet Deutsche Bank Research aufgrund des sich abschwächenden BIP-Wachstums - das auch von den anderen Treiberfaktoren nicht ausgeglichen werden kann - eine geringere Umsatzsteigerung als in den vergangenen zehn Jahren.

Von 2007 bis 2020 wird in der Branche das Plus nur noch 4,5 % pro Jahr betragen gegenüber 5 % in den vergangenen zehn Jahren. Dabei dürfte die Zunahme in der ersten Hälfte des Prognosezeitraums unter und in der zweiten Hälfte über dem Durchschnitt liegen. Mit 4 Bio. € wird der Chemieumsatz im Jahr 2020 um etwa 70 % höher sein als 1997.

Überdurchschnittlich fällt die Steigerung voraussichtlich in Asien mit knapp 6 % pro Jahr aus, sodass sich der Anteil am Weltchemiemarkt von derzeit 31 % auf 38 % erhöht. Mit einer Umsatzzunahme um 13 % pro Jahr wird China voraussichtlich nach 2015 die USA als weltweit größtes Herstellerland chemischer Erzeugnisse ablösen.

Demgegenüber ist das Wachstum in den anderen Weltregionen nur unterdurchschnittlich. In der EU-27 nimmt der Chemieabsatz nur um knapp 4 % und in der NAFTA lediglich um 3 % zu.

Demzufolge kommt es in diesen Regionen zu Anteilsverlusten am Weltmarkt. Am höchsten sind sie im Prognosezeitraum in der NAFTA mit 4 %-Punkten, während sie in der EU-27 mit 3 %-Punkten (Deutschland: -1 %-Punkt) weitaus geringer sind.

 


Weiterer Aufbau von Chemiekapazitäten programmiert

Die zunehmende Nachfrage nach Erzeugnissen der Chemieindustrie führt auch zu einem Ausbau der Chemiekapazitäten. Die Erweiterung der Anlagen beschränkt sich zwar hauptsächlich auf Asien, doch sind auch hier in einigen Ländern die Unternehmen bei ihren Planungen inzwischen etwas zurückhaltender geworden, wie das Beispiel Südkorea zeigt.

Dort wird bis 2011 ein so genannter Cracker von der Hyundai Oilbank (in dem Erdöl in die Grundbausteine Ethylen und Propylen gespalten wird), der ursprünglich auf eine Kapazität von 70.000 bpd (barrel per day) ausgelegt war, auf 52.000 bpd reduziert und SOil hat den Bau einer Anlage vorläufig gestoppt.

Auch die Unternehmen in Japan sind mit Kapazitätserweiterungen sehr vorsichtig, da der Ausbau von Fertigungsanlagen in angrenzenden Ländern die Aussichten in Japan trübt.

Dagegen baut China, dessen Chemieverbrauch rasant zunimmt und das eine möglichst weitgehende Importunabhängigkeit anstrebt, die Kapazitäten in allen wichtigen Chemiesegmenten weiter auf. Im Landesinnern soll Kohle nicht nur abgebaut, sondern vor Ort veredelt werden. Im Fokus stehen Kohleverflüssigungs- und -vergasungsprojekte.

In China dominiert immer noch die Grundstoffchemie mit einem Anteil von 60 %. Bei Ethylen will die Regierung z. B. so genannte Large-Scale-Anlagen mit einer Jahreskapazität von mindestens 800.000 t fördern (derzeit haben die Anlagen eine Kapazität von maximal 500.000 t), um dadurch die Kosten pro Tonne erheblich zu senken.

Ziel ist die Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Bei Propylen sind von 2008 bis 2011 Projekte in einer Größenordnung von zusätzlich 7,2 Mio. t geplant.

Zum Vergleich: Kapazität Deutschland derzeit 4 Mio. t. Auch die Herstellung von Spezialchemikalien dürfte in den kommenden zehn Jahren in Asien deutlich zunehmen, verbunden mit einem merklichen Auf- und Ausbau der Anlagen.

Beispiele hierfür sind Farbstoffe für die expandierende Textilproduktion sowie Duftstoffe für die Kosmetikindustrie und pharmazeutische Grundstoffe. Ausbau der Basischemie im arabischen Raum Die Chemie wird weiterhin im Mittleren Osten expandieren (Anteil an Weltchemieindustrie derzeit rund 2 %).

Im Zuge der Ölpreishausse verfügen diese Länder über reichlich Petrodollar, die u.a. in (Petro-)Chemiekapazitäten investiert werden. Länder wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar oder Iran arbeiten an neuen Investitionsstrategien, um ihre Abhängigkeit vom Öl- und Gasexport zu verringern.

So wollen die sechs Staaten des Golfkooperationsrates7 bis 2015 rund 500 Mrd. US-$ in den Ausbau der Öl- und Gasversorgung, für die Expansion ihrer Raffinerien und petrochemischen Anlagen sowie zur Weiterverarbeitung zu Chemieendprodukten ausgeben.

In Saudi-Arabien soll bis 2012 der gigantische Chemiekomplex von Ras Tanura mit einem Investitionsvolumen von 20 Mrd. US-$ in Betrieb genommen werden.

Der saudi-arabische Chemiekonzern Sabic schätzt, dass etwa ein Drittel der relativ alten europäischen Petrochemieanlagen dem Wettbewerb mit den modernen und kostengünstigen Konkurrenten aus dem arabischen Raum nicht standhalten wird. Dies wird in Europa von Branchenvertretern ähnlich gesehen.

 


Gefahr von Überkapazitäten groß

Durch den gigantischen Kapazitätsaufbau in Asien besteht in den kommenden Jahren die Gefahr von Überkapazitäten - verbunden mit einem Margenverfall bei Petrochemikalien.

Dies dürfte vor allem die Produzenten in Europa und den USA treffen. Allerdings haben sich vor allem europäische Hersteller schon auf diese Möglichkeit eingestellt - entweder indem sie aus diesem Teil des Chemiegeschäfts ganz ausgeschieden sind oder indem sie über Partnerschaften und Fusionen ihre Kostenstruktur verbesserten.

 


Spezialchemikalien: Chancen für westliche Unternehmen

Auch wenn der Marktanteil der europäischen Chemieindustrie im globalen Vergleich bis 2020 zurückgeht, wird es auch langfristig bedeutende Chemiekapazitäten in Europa geben. Allerdings ist eine fortschreitende Anpassung der Branche unausweichlich.

Die BASF will sich z. B. aus der Produktion von Polystyrol zurückziehen, weil die Renditen in diesem Bereich nicht den Ansprüchen des Konzerns genügen und die Länder am Persischen Golf ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern.

Dow Chemical, nach der BASF weltweit das zweitgrößte Chemieunternehmen, sucht derzeit nach Zukäufen in der Spezialchemie, weil diese weniger krisenanfällig ist als die Grundstoffchemie.

Auch Unternehmen wie Lanxess und Altana ziehen sich aus ertragsschwachen Chemiesparten zurück und konzentrieren sich auf Spezialchemikalien. In der Regel können hier höhere Rohstoff- und Energiekosten oder steigende Belastungen aus Wechselkursveränderungen leichter an die Kunden weitergegeben werden als bei den in großen Mengen hergestellten Grundchemikalien.

Weiterhin gute Aussichten für den Export Möglichkeiten für westliche Chemieunternehmen bestehen auch weiterhin im Export, vor allem bei Spezialchemikalien.

Immer mehr asiatische Unternehmen verlangen Erzeugnisse von hoher Qualität, die auf absehbare Zeit nicht in ausreichender Menge in Asien hergestellt werden können.

Trotz des Aufbaus neuer Kapazitäten könnte die Importquote in Asien (Importe gemessen an der Marktversorgung) von derzeit 34 % weiter steigen. Von dieser Entwicklung dürften europäische Firmen profitieren, da ihre Produktpalette dem Nachfragewachstum in Asien entgegenkommt.

Die hohe Abhängigkeit der asiatischen Märkte von westlicher Spezialchemie kompensiert die spürbare Stärkung des Euro.

 


Übernahmen durch strategische Investoren erwartet

Mittelfristig wird der Konzentrationsprozess in der Weltchemie voraussichtlich anhalten, denn mit steigender Ausbringungsmenge sinken besonders im Grundstoffbereich die Erzeugungskosten je Produktionseinheit.

Mit Zukäufen wollen die Unternehmen sowohl ihre Kostenstruktur verbessern als auch ihre Marktmacht vergrößern.

Zukäufe in asiatischen Ländern erscheinen wegen der günstigen Perspektiven derzeit besonders lukrativ. In Indien dürfte sich der Konzentrationsprozess verschärfen, da viele kleine Hersteller - u.a. im Pharmabereich - nicht in der Lage sind, die hohen Kosten für F&E aufzubringen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

A.T. Kearney schätzt, dass es in Zukunft in der Chemie nur noch ein bis drei „westliche Player" je Kundensegment geben wird, die auf dem Weltmarkt profitabel mitspielen können. Auf dem Chemieweltmarkt ist es in den vergangenen zehn Jahren zu erheblichen Strukturverschiebungen gekommen, die auch in Zukunft anhalten dürften.

Während die Umsatzentwicklung in Asien - vor allem in China und Indien - in den kommenden Jahren an Schwung gewinnt, setzt sich das Wachstum in der EU und in der NAFTA unterdurchschnittlich fort, sodass sich das Wachstumsgefälle zwischen den großen Chemieregionen sogar noch verstärkt.

Auch wenn der Marktanteil der europäischen Chemieindustrie weltweit zurückgeht, wird Europa ein bedeutender Chemiestandort bleiben, weil durch den Fertigungsverbund mit wichtigen Abnehmern vor Ort nach wie vor unverzichtbare Vorteile bestehen.

 


Kontakt:
Dr. Uwe Perlitz

Deutsche Bank Research, Frankfurt
Tel.: 069/910-31875
Fax: 069/910-31877
uwe.perlitz@db.com

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