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Wer soll das bezahlen?

Es wird Zeit, dass sich die Regierenden überlegen, wie sie langfristig mit Krisen umgehen

15.06.2022 - In seiner Kolumne geht der scheidende VAIS-Vorstand Lothar Meier auf die corona- und kriegsbedingte Verknappung sowie auf die Lastenverschiebung auf die jüngeren Generationen und andere aktuelle politische Themen ein.

Erinnern Sie sich noch an den Kölner Karnevalsbarden Jupp Schmitz? Wenn nicht, bestimmt aber an einen seiner größten Schlager: „Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?“ Wie damals, als der Text des Liedes eine Anspielung auf die durch die Währungsreform vom Juni 1948 ausgelösten vorübergehenden Preissteigerungen war, erscheint auch heute die Antwort einfach: wir alle! Wie damals, wenngleich aus, wie sich später herausstellte, guten Gründen der Währungsreform, überstieg das Angebot und die Preise die Kaufkraft der Konsumenten. Jetzt sind corona- und kriegsbedingte Verknappung sowie Spekulation die Ursachen. 

Doch heute wird gerne so getan als ob der Staat dies alles für den Bürger abfedern könnte. Mit dem Füllhorn der Lastenverschiebung auf die jüngeren Generationen werden Unterstützungen versprochen und wird versucht dem Bürger zu suggerieren, dass die in den Wertschöpfungsketten an den Endverbraucher weitergereichten Kosten ihn daher nicht so schlimm treffen werden. Entweder durch Verpflichtungen der Arbeitgeber, siehe z. B. Mindestlohn, oder auch direkt durch Steuererleichterungen und Ausgleichszahlungen. Damit wird die Preis-Lohnspirale eher weiter angeheizt und so erscheint das Versprechen unseres Finanzministers zur Wiedereinhaltung der Schuldenbremse in 2023 wohl eher wie das Pfeiffen im Wald. Obwohl doch nach eigenem Bekunden der Antrieb der Partei des Ministers gerade die Zukunft ist.  
Es wird Zeit, dass sich die Regierenden überlegen, wie sie langfristig mit Krisen umgehen. Niemand weiß wie lange die jetzige Krise dauert, die nächsten werden kommen. Wir können uns diese Schuldenpolitik auf Dauer nicht leisten. Dennoch und natürlich sind Zukunftsinvestitionen und auch Ausgaben für unsere Sicherheit essenziell. Die aktuelle Krise bedeutet daher Einschränkungen für uns alle. Und das muss dem Bürger ehrlich und direkt gesagt werden. Die sozial Schwächsten haben dabei ein Anrecht auf Unterstützung. Aber das vielfach verfolgte Gießkannenprinzip, ohne ernsthafte soziale Differenzierung, ist unsozial.

Problematisch ist auch die Tendenz, pauschal „die Industrie“ in Haftung zu nehmen. Geradezu gefährlich sind mögliche Auswirkungen des Energiesicherungsgesetzes, wenn Energieimporteure und -händler im Falle von Knappheiten die Preiserhöhungen an ihre Kunden weitergeben und so Ihre Mehrkosten abwälzen dürfen. Hier muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass alle Beteiligten gleichermaßen Lasten zu tragen haben und nicht die vom Gas abhängige produzierende Exportindustrie und insbesondere der Mittelstand als  Motor des BIP und der künftigen Steuereinnnahmen einseitig in nicht reparable wirtschaftliche Nöte getrieben werden. Das gilt auch für den Notfallplan Gas. Um es hart zu sagen, was nutzt eine warme Wohnung, wenn der Arbeitsplatz weg ist.

Die Situation vieler Mitglieder des VAIS, also klassischer Mittelstands­unternehmen, ist ohnehin derzeit schwierig genug. In der für die Branche typischen „Sandwich-Position“ zwischen Kunden und Lieferanten bzw. Subunternehmen, sind kaum noch langfristig gesicherte Verträge zu schließen. Preise und Lieferzeiten lassen sich nicht verlässlich vereinbaren und haben Halbwertszeiten von wenigen Tagen. Der schon länger bestehende Fachkräftemangel wird in der Krise noch deutlicher. In bestehenden Verträgen werden „Force Majeure-Klauseln“ auf eine schwer zu bestehende Prüfung gestellt. Zum Glück hat sich in vielen Fällen ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis aufgebaut, das in dieser Situation Gold wert ist. Nur miteinander im gegenseitigen Vertrauen können Lasten gestemmt werden. Das sollte auch die Politik wissen.
Insofern muss die von unserem Kanzler aufgerufene „Zeitenwende“ für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse vor allem eine Rückbesinnung auf alte Tugenden sein: weg vom Egoismus hin zu mehr Solidarität, nicht nur Rechte sondern auch Pflichten, Mäßigung statt Maßlosigkeit, Innovationsfreude statt Technologiefeindlichkeit, gesunder Menschenverstand statt blinder Ideologie und ja, zur Zeit auch freiwillige Einschränkung wo immer es geht. Nur so bleibt die Rechnung bezahlbar.

Liebe Leser dieser Kolumne, zum Schluß noch ein persönliches Wort: Nach fast 40 Jahren in der Chemie und chemienahen Dienstleistungen, nach 10 Jahren Verbandsarbeit im WVIS und nun VAIS, wird dies hier heute meine letzte Kolumne sein. Ich verabschiede mich in den Ruhestand. Ich hoffe, ich konnte mit der Kolumne die eine oder andere Diskussion anregen oder einfach auch mal nur unterhalten. Auf alle Fälle vielen Dank für Ihr Interesse. Künftig werden sich an dieser Stelle auch weiterhin VAIS-Verantwortliche zu Wort melden. 
Bleiben Sie gesund, zuversichtlich und neugierig engagiert. Das sind Grundlagen für eine erfolgreiche Gestaltung der Zukunft. Alles Gute!

Ihr Lothar Meier, Stellv. Vorsitzender des Vorstands, Verband für Anlagentechnik und Industrieservice e.V. (VAIS), 
Düsseldorf

Der Verband für Anlagentechnik und Industrieservice e.V. (VAIS), hat es sich zur Aufgabe gemacht,das breite Spektrum der Branche umfassend zu vermitteln, Kompetenzen zu bündeln und ein repräsentatives Branchenimage nach Außen zu tragen.

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