Chemie & Life Sciences

Zukunftstechnologie Katalyse

Entscheidend für Technologieführerschaft und Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestandorts Deutschland

22.07.2016 -

Katalyse ist der Weg, um chemische Reaktionen in gezielter Weise unter geringstmöglichem Energie- und Stoffaufwand zu bewerkstelligen. Angesichts der gewaltigen Volumina stofflicher Umsetzungen und der damit verbundenen Rohstoff-, Energie- und Abfallprobleme ist die Katalyse ein wissenschaftliches, wirtschaftliches, ökologisches und politisches Thema ersten Ranges. Seine Brisanz verschärft sich in Zeiten zunehmender Rohstoffverknappung.

Im Erdölzeitalter grob vernachlässigt, wird die künftige Nutzung biogener Rohstoffe zentral auf die Fortschritte der Katalyseforschung angewiesen sein, ebenso wie die chemische Nutzung von Naturgas, vor allem Methan, das bisher bedenkenlos verfeuert wird. Auch das allgegenwärtige Kohlendioxid sollte sich als wertvoller Chemierohstoff erweisen, wenn Katalysatoren zur Aktivierung dieses reaktionsträgen Moleküls gefunden sind.

Dies gilt vor allem für die Bundesrepublik Deutschland, die als rohstoffarmes Land nur dann eine wirtschaftliche Spitzenposition behaupten kann, wenn technologische Innovationen kontinuierlich zur Erneuerung, Erweiterung und Verbesserung der Warenproduktion führen. Im Bereich der Chemie dominiert das Thema Katalyse als zentrale wissenschaftliche Thematik die Diskussion um die Technologieführerschaft. Aufgrund der Produktvielfalt und der Produktionsvolumina der chemischen, pharmazeutischen und Biokraftstoff-Industrie ist evident: Es wird auf absehbare Zeit kein zweites Forschungsgebiet geben, von dem im internationalen Wettbewerb die Zukunftsfähigkeit des Chemiestandorts Deutschland stärker abhängt.

Bedeutung der Katalyse wächst weltweit

Der internationale Katalysatormarkt hat mittlerweile ein Volumen von über 18 Mrd. USD erreicht, mit steigender Tendenz. Ohne Katalysatoren ist eine effiziente, umweltfreundliche Chemiewirtschaft nicht möglich. Mehr als 80% der Wertschöpfung allein der Chemischen Industrie beruht auf katalytischen Verfahren.

Es gibt kein anderes technisches Prinzip, das die ökonomische und ökologische Wertschöpfung so sehr miteinander verbindet wie die Katalyse. Die für fortgeschrittene Technologiegesellschaften unausweichliche chemische Produktvielfalt wird künftig nur dann technisch und wirtschaftlich darstellbar sein, wenn mithilfe spezifischer Katalysatoren Wertprodukte aufgebaut, Überflussprodukte abgebaut und Schadstoffe vermieden werden. Beispiele sind die Herstellung stereochemisch reiner Pharmaka, der Aufbau eigenschaftstypischer Polymerwerkstoffe aus einfachen Vorstufen, der Abbau nicht mehr gebrauchsfähiger Kunststoffe sowie die Schadstoffvermeidung aus verarbeitenden Produktionsstätten und Verbrennungsanlagen wie Autos oder Kraftwerken. Auch in der Gewinnung, Speicherung und Umwandlung von Energie – einem der großen Jahrhundertthemen – steht und fällt der Fortschritt mit der Katalysatorforschung. Beispielhaft stehen hierfür die Elektrochemie oder Brennstoffzellen.

Ziele der Katalyseforschung

Der Hauptzweck der angewandten Katalyse besteht darin, wenig reaktive Komponenten zu aktivieren und sie so gezielt zur Reaktion zu bringen. Ein wirksamer Katalysator muss seinem Zweck angepasst, also „maßgeschneidert“ sein. Dann erfüllt er die beiden wichtigsten Zieleigenschaften Selektivität und Aktivität: Als hochselektiv gilt ein Katalysator, wenn er das Zielprodukt zu ≥ 99% erreicht. Als hochaktiv gilt er – je nach Einzelfall – bei Wechselzahlen von bis zu 106/h. Das heißt: Eine Katalysatoreinheit bewirkt bis zu ihrer Deaktivierung eine Million molekulare Stoffumwandlungen pro Stunde. Solche Höchstleistungen erbringen nicht nur viele Enzyme als natürliche biologische Katalysatoren, sondern auch synthetische Katalysatoren (z.B. Metallocene) bei der technischen Herstellung von Polyolefinen aus Ethylen bzw. Propylen.

Die Suche nach neuen Katalysatoren und nach neuen katalytischen Verfahren folgt diesen drei Leitprinzipien: höhere Aktivität (kleinere Reaktoren, geringerer Energiebedarf), höhere Selektivität (kleinere Trenneinheiten, weniger Abfall) und hohe Nachhaltigkeit (variable und, wo möglich, erneuerbare Rohstoffbasis; weiße Biotechnologie).

Forschung mit Anwendungsbezug

Ernst Otto Fischer hat von 1964 bis 1984 an der Technischen Universität München (TUM) die weltweit beachteten Grundlagen der metallorganischen Synthesechemie mit ständig neuen Stoffklassen geschaffen. 1973 erhielt er für seine Forschungen den Nobelpreis für Chemie. Fischer schuf die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Stoffklassen als Katalysatoren in der chemischen Stoffwandlung. Fortan entwickelte sich das Münchner Laboratorium zu einer erstrangigen Adresse der metallorganischen Katalyseforschung. Mittlerweile ist daraus ein starker Schwerpunkt der TUM-Chemie geworden, seit sich durch Neuberufungen praktisch alle Disziplinen daran beteiligen, nicht zuletzt die systematisch ausgebaute biologische Chemie einer Fakultät, die ausweislich des sog. Shanghai-Rankings zu den zehn forschungstärksten der Welt gehört. Heute sind die wesentlichen Merkmale der TUM-Katalyseforschung ihre thematische Breite, ihre wissenschaftliche Tiefe, ihre interdisziplinäre Anwendungsbreite und ihr industrieller Anwendungsbezug.

Das Catalysis Research Center

Dieser Kurs wird nun mit dem im Mai eröffneten und mit Investitionen von über 70 Mio. EUR errichteten Catalysis Research Center (CRC) in Garching (großes Foto) fortgesetzt. Die wissenschaftlichen Ziele richten sich mittelfristig konkret auf die Erforschung multifunktioneller, nanostrukturierter Katalysatoren in einem interdisziplinären Ansatz.

Das CRC greift die interdisziplinäre Herausforderung der modernen Katalyseforschung auf. Unter dem gemeinsamen Dach wirken unterschiedlichste methodische Ansätze ineinander, wenn es um die Aufklärung der molekularen Chemismen bestimmter katalytischer Reaktionen geht oder um das Verständnis fundamentaler Prozesse in der Festkörperkatalyse. In dieser Forschung gibt es zwischen den klassischen Disziplinen der Naturwissenschaften keine Grenzen mehr. Wichtige Erfolgsvoraussetzung bei der Erforschung neuer, strukturell maßgeschneiderter Katalysatoren sind die instrumentelle Analytik von der Molekül- bis zur Oberflächenspektroskopie, die Reaktionskinetik, theoretische Modelle und Simulationsrechnungen, aber auch technische Entwicklungen auf dem Gebiet der Prozessführung. Das parallelisierte Screening in Miniaturreaktoren wird in Kombination mit Modellrechnungen an Großcomputern wesentlich zur Beschleunigung in der Katalysatoroptimierung beitragen, wofür in Garching das Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zur Verfügung steht. Zur präzisen Ermittlung von Katalysatorstrukturen gibt es auf dem Garchinger Forschungscampus das Bayerische Kernresonanz-Zentrum, die Röntgenstrukturanalytik und die Hochfluss-Neutronenquelle FRM-II als weltweit einzigartige Kombination methodischer Stärken.

Die Planungs- und Bauphase des CRC wurde genutzt, um das TUM-Forschungsportfolio zu erweitern und den neuen Herausforderungen von Wissenschaft und Technik anzupassen. So entstanden an der TUM seither

  • das „Forschungszentrum für Industrielle (Weiße) Biotechnologie“ mit ingenieurwissenschaftlichen Kernkompetenzen und einem hochmodernen Biotechnologikum;
  • das „Forschungszentrum für Synthetische Biotechnologie“;
  • neue Katalyse-relevante Professuren für Bioanorganische Chemie, Computergestützte Biokatalyse, Industrielle Biokatalyse, Technische Elektrochemie, Physikalische Chemie/Katalyse, Siliciumchemie, Festkörper-NMR-Spektroskopie, Biomolekulare NMR-Spektroskopie, Selekive Trenntechnik, Systembiotechnologie;
  • das „Bayerische Kernresonanz-Zentrum“ mit einem 1,2 Gigahertz-Spektrometer;
  • die TUM International Graduate School of Science & Engineering (aus der Exzellenzinitiative 2006) mit zahlreichen Projekten der Katalyseforschung;
  • das „Wacker-Institut für Siliciumchemie“ in Kooperation mit Wacker Chemie;
  • die „Munich Catalysis Alliance” (MuniCat), dem Zusammenschluss der Katalyseforschung der TUM und Clariant.

Assoziiert mit dem CRC sind Forschungsaktivitäten des “Kompetenzzentrums für Nachwachsende Rohstoffe” in Straubing. Der erfolgte Ausbau der biochemischen und biophysikalischen Forschung an der TUM, ebenfalls mit mehreren neuen Professuren, schafft die Erweiterungsbasis des Katalyseschwerpunkts in den biopharmazeutischen Bereich. Damit ist die TUM nunmehr international wettbewerbsfähig mit einem kohärenten Gesamtkonzept aufgestellt.

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