Chemie & Life Sciences

Zweifel an der Directive 2011/62 EC gegen gefälschte Arzneimittel

Bringt die neue Direktive mehr Sicherheit oder nur mehr Kosten?

30.10.2012 -

Am 1. Juli 2011 wurde die neue Direktive 2011/62 EC publiziert, die eine wesentliche Veränderung der 2011/83 EC nach sich zieht. Die unter dem Namen „falsified medicine directive" bekannte neue Direktive soll dabei einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung des Eintritts von Arzneimittelfälschungen in die Europäische Union leisten. Die EU-Mitgliedstaaten haben nun die Aufgabe, diese Direktive bis zum Januar 2013 in die nationale Gesetzgebung zu implementieren. Die Direktive steht dabei auf vier Säulen: Sicherheit, Distribution, Aktivsubstanzen und Internethandel.

EU-weit soll ein Großteil der Punkte aus der neuen Direktive - darunter auch die im Folgenden diskutierte API Importrestriktion - am 2.Juli 2013 in Kraft treten.

Wirkstoffimport aus Drittstaaten
Naiv erscheint die Forderung der Europäischen Kommission (EC) bzgl. des zukünftigen Importes von Wirkstoffen aus Drittstaaten. Demnach soll der Import von Wirksubstanzen aus Drittstaaten wie beispielsweise China und Indien in die EU nur möglich sein, wenn dem Wirkstoff eine „Declaration" der Behörde des Drittstaates beiliegt. Diese „Declaration" soll bestätigen, dass der jeweilige Wirkstoff nach EU-GMP II-Richtlinien oder unter einem vergleichbaren Qualitätsmanagement System hergestellt wird. Der Draft für diese „Declaration" ist von der EC bereits publiziert und soll bis August verabschiedet werden. Im konkreten Beispiel eines Wirkstoffimportes aus China würde dies bedeuten, dass die chinesische Behörde (SFDA) zunächst beurteilen können müsste, ob ein lokaler Wirkstoffproduzent den für den Export bestimmten Wirkstoff nach EU-GMP II-Vorgaben produziert. Es darf bezweifelt werden, das die SFDA überhaupt willens ist, diese Grundidee zu unterstützen. Ferner darf in Frage gestellt werden, ob chinesische Behördenvertreter überhaupt diese GMP-Konformität respektive dessen Äquivalenz beurteilen können, wo sich doch das chinesische GMP-System - trotz kürzlich erfolgter Revision - vom Europäischen System immer noch unterscheidet.

Positivliste zum Wirkstoffimport
Alternativ bietet die Europäische Kommission Drittländern auch die Möglichkeit, in eine Art Positivliste zum Import von Wirkstoffen in die EU aufgenommen zu werden. Dies setzt aber voraus, dass die Behörde des Drittlandes (im obigen Beispiel die SFDA) dies bei der Europäischen Kommission beantragt. Bis zum September 2012 wurde ein solcher Antrag lediglich von den Ländern Israel, Australien und der Schweiz gestellt. Die Europäische Kommission verlässt sich darauf, dass pharmazeutische Unternehmen der EU ihren Lieferanten die neuen Anforderungen erläutern, damit die Lieferanten auf ihre nationalen Behörden zugehen, um den für die Umsetzung notwendigen Druck auf ihre Behörden aufzubauen.
Auf die Positivliste kommt jene Behörde/Staat, die sich einem ausführlichen Assessment der EU unterwirft und auch Audits der Europäischen Behörde bei der Behörde des Drittlandes zulässt. Hier darf bezweifelt werden, dass dies Begeisterung bei den nationalen Behörden der Hauptexportländer von pharmazeutischen Wirkstoffen in die EU wecken wird.

Probleme bei der Umsetzung
Die Vorstellung der Europäischen Kommission erscheint abstrus wenn nicht sogar arrogant und ist in etwa zu vergleichen mit der Forderung, dass Europäische Behördenvertreter Ihren lokalen API-Herstellern bestätigen sollen, das ihre Wirkstoffe nach den Brasilianischen GMP- Vorgaben der Anvisa hergestellt werden. Zur Umsetzung der EU-Direktive ist in diesem Punkt nicht nur Kenntnis der regionalen GMP-Anforderungen notwendig, sondern auch praktische Erfahrung, die ungeachtet der notwendigen Kapazitäten und Ressourcen in den jeweiligen Drittstaaten vermutlich nicht vorhanden ist.

Medienwirksame Todesfälle
In Vorträgen und Präsentationen bei Veranstaltungen von Industrie- und Behördenvertretern lässt sich beobachten, dass sehr „medienwirksam" die zahlreichen Todesfälle in Zusammenhang mit Arzneimittelfälschungen, oder gravierenden GMP-Defiziten dargestellt werden. Diese Fälle werden sehr oft als Rechtfertigung dafür herangezogen, dass immer neue und weitreichendere Richtlinien und Direktiven in Brüssel erarbeitet und verabschiedet werden. Die aufgezeigten Tragödien, wie beispielsweise rund um Heparin oder kontaminiertes Milchpulver, sind Fälle, die zweifelsfrei tragisch und deren Verursacher kompromisslos zur Verantwortung zu ziehen sind. Dennoch wird in diesen Darstellungen häufig ein Aspekt außer Acht gelassen: Ein Großteil dieser Ereignisse steht in direktem Zusammenhang mit krimineller Energie und Betrug. Die Motivation, Arzneimittel zu fälschen und Schädigungen von Patient und Mensch in Kauf zu nehmen, ist wie so oft die menschliche Gier nach (noch) mehr Profit. Zusätzliche Barrieren und Hürden in Form neuer Direktiven werden kaum dazu beitragen, diese kriminelle Energie zu unterbinden und Arzneimittelfälschern von ihren Handlungen abzuhalten. Einige Aspekte dieser neuen Direktive treffen daher eher die Arzneimittelhersteller, denen durch die Direktive neben den ohnehin schon zahlreichen Regularien zusätzliche Bürden auferlegt werden. Belastet werden somit nicht die Arzneimittelfälscher, sondern die, die sich eben an die Spielregeln halten.

Audits bald überflüssig?
Wenn Behörden von Drittstatten sich der neuen Direktive unterwerfen und die EU-GMP-Konformität bestätigen, dann erscheint es ferner redundant, dass EU-Arzneimittelhersteller weiterhin regelmässige Audits bei ihren Wirkstofflieferanten (Hersteller und Distributeure) durchführen müssen, um die GMP-konforme Herstellung zu kontrollieren. Einigung sollte dahingehend erzielt werden, dass der Import von Wirkstoffen in die EU seitens auditierter Hersteller von Drittstaaten generell erlaubt ist, weil regelmäßige Behördenaudits entsprechend der EU-Regularien durchgeführt werden. Anderenfalls sollte man weiterhin bei der für Arzneimittelhersteller aufwendigen Praxis der Eigeninspektionen bleiben. Abgesehen von den Irritationen und Aufwendungen durch die neue Direktive selbst, erscheint die Forderung nach Beidem nicht zielführend. Eine umfassende Sicherheit und Schutz vor kriminellen Energien kann auch mit der neuen Regelung nicht garantiert werden. Lediglich die Kosten der Arzneimittel erhöhen sich. Die Ausschöpfung der Möglichkeiten der bereits etablierten Regularien sollten hier ausreichend sein, um den Einritt von API-Fälschungen in die Supply Chain zu unterbinden. Die Spirale der Forderung nach mehr Sicherheit und Reglementierung kann zwar weiter gedreht werden - aber der generierte Sicherheitsgewinn steht in keinem Verhältnis zum zusätzlichen Aufwand und den anfallenden Kosten. Die Forderungen aus Brüssel sind daher diametral zu den Zielen nationaler Regierungen, die bestrebt sind, die Kosten Ihrer Gesundheitssysteme zu reduzieren. Es ist wenig verständlich, dass sich vor diesem Hintergrund die Pharmaindustrie (noch) so ruhig verhält. Ob die Direktive 2011/62 EC in Bezug auf die beschriebenen Importrestriktionen die Sicherheit von Patienten in Bezug auf Arzneimittelfälschungen erhöht, bleibt ebenfalls fraglich. 

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