Anlagenbau & Prozesstechnik

Chemieanlagenbau gestern und heute

Deutscher Anlagenbau sichert Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Technologiekompetenz

29.10.2012 -

Deutsche Anlagenbauer gehören seit Jahrzehnten zu den führenden Anbietern von Chemieanlagen. Kunden schätzen sie vor allem aufgrund ihrer technologischen Kompetenz und Innovationskraft sowie der Fähigkeit kundenspezifische Gesamtlösungen zu entwickeln und zu umzusetzen, die neben Finanzierungen auch den Anlagenservice umfassen.
An dieser Wahrnehmung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas verändert. Verändert haben sich die Absatzmärkte, die Wettbewerbsstruktur und die Kundenforderungen.


1990er Jahre: Umbrüche in Osteuropa und Asienkrise

Die 1990er Jahre begannen mit umfassenden politischen Umwälzungen in Europa, die sich auch auf den Markt für Chemieanlagen auswirkten. Während die inländischen Bestellungen im Zuge der Wiedervereinigung und den damit verbundenen Instandsetzungs- und Modernisierungsinvestitionen in Ostdeutschland bis 1994 zulegten, brachen wichtige Kundenbeziehungen nach Osteuropa schon 1991 schlagartig weg. Eine Erholung setzte erst ein, als Russland und andere Ex-Sowjet-Republiken die Weiterverarbeitung von Rohstoffen im eigenen Land forcierten.

Als aufstrebender Chemiemarkt war Südostasien in den 1990er Jahren die zentrale Wachstumsregion des deutschen Chemieanlagenbaus. Vor allem Kunden aus Indonesien, Thailand und Malaysia vergaben zahlreiche Aufträge für Raffinerien und petrochemische Großanlagen. Der Aufschwung der Jahre 1996 bis 1998, während dessen der Auftragseingang erstmals die Schwelle von 3 Mrd. € überschritt, ist wesentlich auf Bestellungen aus dieser Region zurückzuführen.

Die folgenden Wirtschaftskrisen in Asien, Russland und Südamerika hinterließen aber schon bald deutliche Spuren in den Auftragsbüchern. Vor allem das zuvor boomende Südostasien-Geschäft brach ein. Den Tiefpunkt erreichte die Konjunktur im Jahr 1999, als die Bestellungen für Chemieanlagen auf einen Wert von 1,4 Mrd. € sanken. Verschärft wurde der Abwärtstrend durch den Fall des Ölpreises auf ein 20-Jahres-Tief.

2000 bis 2008: Goldene Jahre für den Chemieanlagenbau

In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends stabilisierte sich der Markt auf einem Niveau von 2-3 Mrd. €. Durch die beschleunigte Globalisierung gewann das Auslandsgeschäft weiter an Bedeutung: Die Exportquote des Chemieanlagenbaus stieg von 72 % (1990 bis 1999) auf 89 % (2000 bis 2009). Entsprechend schwach entwickelte sich die Nachfrage nach Chemieanlagen im Inland. Der langfristige Trend, dass Deutschland für den Chemieanlagenbau der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) kein Kernmarkt mehr ist, verstärkte sich damit weiter.

Die Situation im Asiengeschäft war zu Anfang des Jahrzehnts durch eine anhaltend schwache Auftragslage in Südostasien bei gleichzeitiger Belebung der Nachfrage aus China und Indien gekennzeichnet. Immer stärker rückten gleichzeitig der Mittlere Osten sowie Nordafrika in den Blickpunkt des Chemieanlagenbaus. War die Nachfrage aus dieser Region in den 1990er Jahren zumeist verhalten, verbesserte sich das Umfeld aufgrund anziehender Öl- und Gaspreise spürbar. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der Aufbau lokaler Industrien in der Petrochemie und der Erdgasverflüssigung.

Begleitet wurde diese Entwicklung vom Trend zu immer größeren Projektvolumina. So betrugen die Mitte der 2000er Jahre als „world scale" bezeichneten Anlagenkapazitäten für viele Produkte der Chemie das Doppelte oder gar Dreifache dessen, was ein Jahrzehnt zuvor noch als Megaleistung galt. Die deutschen Chemieanlagenbauer meisterten diesen Kapazitätssprung sowohl technologisch als auch abwicklungstechnisch mit Bravour und stellten 2005 mit Bestellungen von 1,8 Mrd. € aus dem Mittleren Osten einen noch heute gültigen Auftragsrekord auf.

Das Jahr 2005 markierte überdies den Beginn einer „goldenen Ära" für den Großanlagenbau generell und den Chemieanlagenbau im Speziellen. Stetig steigende Rohstoffpreise sowie hohe Auftragseingänge aus Schwellenländern bewirkten einen bislang einzigartigen Nachfrageboom, der 2007 und 2008 in Rekordbuchungen von jeweils über 5 Mrd. € gipfelte. Diese Orderflut wurde in erster Linie von Kunden aus Nordafrika, dem Mittleren Osten und Europa ausgelöst.

Ein noch höheres Bestellniveau wurde nur durch einen Mangel an Ressourcen verhindert. Eine vergleichbare Situation erlebte die Branche zuletzt Ende der 1970er Jahre. Engpässe existierten weltweit sowohl auf der Personal- als auch auf der Materialseite. Diese seltene Marktkonstellation nutzten neue Wettbewerber, um sich mit erfolgreichen Referenzprojekten auf dem internationalen Anlagenbaumarkt zu etablieren. Einige dieser Firmen stammten aus Europa und Nordamerika, die Mehrheit aus Ostasien. Während die Quoten des Industrieländer-Anlagenbaus sanken, gewannen Anbieter aus Südkorea und China signifikant Marktanteile hinzu.

2009 und danach: Abschwung und Neupositionierung

Mit der beginnenden Weltwirtschaftskrise im Herbst 2008 endete der Höhenflug des deutschen Chemieanlagenbaus abrupt. Die Zahl Projekte auf dem Markt brach als Folge einer Kombination von Nachfrageschwäche, Finanzierungsengpässen und allgemeinem Pessimismus ein, entsprechend schwach war der Auftragseingang: In den Jahren 2008/2009 ging er um 41 % zurück. Zwar stabilisierte sich der Markt wieder ab Mitte 2010, abhängig von Region und Projektstruktur blieb die Entwicklung jedoch volatil. Noch heute liegt die Anzahl der Projekte nach wie vor deutlich unter dem Niveau vor der Wirtschaftskrise.

Insbesondere im Mittleren Osten konnten die deutschen Chemieanlagenbauer nicht an die Erfolge der Boom-Jahre anknüpfen. Die Konkurrenz durch koreanische und mittlerweile auch chinesische Anlagenbauer ist enorm und viele der großen Anlagenbauprojekte am Golf werden derzeit unter Führung asiatischer Unternehmen abgewickelt. Etablierten Anlagenbauern bleibt häufig nur die Rolle des Technologie- und Lizenzgebers sowie des Partners für die Grundlagenplanung. In Nordafrika führten die politischen Umwälzungen des Arabischen Frühlings (2010/2011) zu Projektunterbrechungen und -aufschüben. Demgegenüber steht eine deutliche Belebung im Geschäft mit Kunden aus Asien, insbesondere China und Südkorea, sowie Nordamerika.

Chancen für den Chemieanlagenbau

Das seit 2009 zunehmend von neuen, asiatischen Unternehmen geprägte Wettbewerbsumfeld im Chemieanlagenbau erfordert von deutscher Seite eine umfassende Reaktion. Wesentlich hierbei ist es, die hohe Technologiekompetenz sichern - nach wie vor eine der großen Stärken deutscher Anbieter. Bedeutende Innovationsfelder sind derzeit die CO2-Reduzierung und die Steigerung der Energieeffizienz beim Anlagenbetrieb. Auf kurze Sicht werden sich diese Aktivitäten insbesondere auf Absatzmärkten mit hohen Energiepreisen, z.B. Europa, auszahlen. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Bereiche, in denen neue Lösungen gefragt sind: in der Speicherung und Umwandlung von Energie, in der Ressourcengewinnung und -verarbeitung, in der Produktion und Verarbeitung von neuen Werkstoffen und in der Biotechnologie. Der deutsche Chemieanlagenbau bietet für all diese Themenfelder innovative Lösungen an.

Trotz zunehmender Konkurrenz aus Asien steht der Großanlagenbau aus Westeuropa technologisch nach wie vor an der Spitze. Speziell der deutsche Chemieanlagenbau hat sich einen Vorsprung im Bereich effizienter und umweltschonender Technologien erarbeitet. Diesen Trumpf kann die Branche gegenüber den Herausforderern aus Asien spielen, die sich auf strengere umweltrechtliche Vorgaben und höhere kundenseitige Anforderungen an die Ressourceneffizienz von Anlagen noch einstellen müssen.

Der deutsche Chemieanlagenbau befindet sich auf einem guten Weg. Die kurz- und mittelfristigen Aussichten sind positiv. Neben der stabilen Nachfrage aus Asien geben vor allem die günstigen Perspektiven im US-Markt Grund für Optimismus. Das steigende Angebot von unkonventionellem Schiefergas hat dort zu drastisch sinkenden Gaspreisen geführt: Außerhalb des Mittleren Ostens sind die US-Erdgaspreise mittlerweile die niedrigsten weltweit. Die Rahmenbedingungen für Downstream-Investitionen sind somit exzellent und zahlreiche Großprojekte befinden sich in der Planung oder bereits im Bau. Ein weiterer Zukunftsmarkt ist Schwarzafrika. Die Region bietet aufgrund ihres Bevölkerungs- und Rohstoffreichtums enormes Potential für den Großanlagenbau.

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Dieser Beitrag ist erschienen in der Jubiläumsausgabe "20 Jahre CHEManager" vom 6. September 2012.
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