Anlagenbau & Prozesstechnik

Großanlagenbau packt neue Herausforderungen an

VDMA: Chemieanlagenbauer rechnen nach leichten Zuwächsen in 2011 weiter mit moderat steigenden Bestellungen

26.03.2012 -

Nach dem dramatischen Einbruch des Jahres 2009 und einer Stabilisierung im Folgejahr 2010 hat die Konjunktur im Großanlagenbau 2011 spürbar an Schwung gewonnen. Die Mitglieder der VDMA-Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) meldeten für das vergangene Jahr Auftragseingänge von 24,9 Mrd. €, 11 % mehr als im Vorjahr. Die Inlandsnachfrage nach Großanlagen stieg dabei überproportional: Mit 6,6 Mrd. € erreichten die Auftragseingänge den höchsten Wert seit 1993. Grund für diesen Aufschwung war in erster Linie eine Sonderkonjunktur im Bau von Windkraftanlagen.

Die Schuldenkrisen in Europa und den USA haben zu Verschiebungen in der regionalen Struktur der Aufträge geführt. Während die Nachfrage aus den Industrieländern einen langjährigen Tiefstwert erreichte, boomten die Bestellungen aus Ost- und Südostasien, aus Indien sowie aus dem Mittleren Osten. Der generelle Trend ist damit unverkennbar: Die Märkte des Großanlagenbaus verschieben sich langfristig nach Osten. Durch den Aufbau von Engineering-, Fertigungs- und Servicestrukturen in Asien hat die Branche auf diese Entwicklung bereits reagiert und sich auf das sich abzeichnende „Asiatische Jahrhundert" eingestellt.

Kraftwerksbau auf Rekordkurs
Im vergangen Jahr sanken die Bestellungen in nur wenigen Branchen unter das Referenzniveau von 2010. Im grundstoffnahen Anlagenbau, etwa bei Hütten- und Walzwerken oder bei Papierfabriken, konnten überwiegend moderate Zuwächse im ein- bzw. niedrigen zweistelligen Prozentbereich verzeichnet werden. Die Anbieter von Kraftwerken waren 2011 noch erfolgreicher: Die Auftragseingänge im Energieanlagenbau stiegen um 42 % und näherten sich damit dem Rekordwert des Jahres 2008 an.

Chemieanlagenbau auf niedrigem Niveau stabilisiert
Nach der deutlichen Erholung der globalen Nachfrage im Chemieanlagenbau im Jahr 2010 zeigte die Weltwirtschaft 2011 erste Ermüdungstendenzen. Die Anzahl der Großprojekte ist geringer geworden, Projekte und Investitionsentscheidungen verschieben sich weiter in die Zukunft. Dennoch stieg der von den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau erzielte Auftragseingang für Chemieanlagen im Berichtszeitraum leicht auf 1,42 Mrd. € (2010: 1,38 Mrd. €). Rechnet man weitere verfahrenstechnische Segmente wie die Gaserzeugung oder Luftzerlegung hinzu, ergibt sich ein etwas anderes Bild: In dieser Gesamtschau sanken die Bestellungen um 7 % auf 2,30 Mrd. €.

Integrierte Raffinerie-Petrochemie-Komplexe
Die petrochemische Industrie ist größtenteils an den Zugang zu Standorten gebunden, die über Erdgasvorkommen verfügen. In Nordamerika hat die Entdeckung und Exploration von Großvorkommen von Schiefergas den Erdgaspreis niedrig halten können. Der Trend zur Gewinnung von Schiefergas aus den weltweiten Ölschiefervorkommen wird sich 2012 weiter fortsetzen. Die zunehmende Verfügbarkeit von preisgünstigem Gas in einigen Regionen, wie z. B. den USA, wird einen deutlichen Einfluss auf Investitionen im dortigen Chemieanlagenbau haben. Die verstärkte Nutzung von Schiefergas favorisiert die Ethylen-basierte Petrochemie. Als weitere Konsequenz werden Kapazitätslücken für Propylen und Butadien entstehen, was die Errichtung zusätzlicher Produktionsanlagen für diese Zwischenprodukte erforderlich macht.
Auf der anderen Seite haben die politischen Umbrüche in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten die Preise für Rohöl steigen lassen. Regionen, die auf Naphtha-Vorkommen zurückgreifen, ringen daher um die Stabilität ihrer Wirtschaftssysteme. Im Jahr 2012 ist vor diesem Hintergrund mit einem erhöhten Preisdruck auf die klassische Naphtha-basierte Petrochemie zu rechnen.
Grundsätzlich gehen Experten davon aus, dass petrochemische Unternehmen sich kurz- und mittelfristig neu aufstellen werden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, die Profitabilität zu verbessern und mit wirtschaftlichen Veränderungen adäquat umgehen zu können, wird die petrochemische Industrie den Bau integrierter Raffinerie-Petrochemie-Komplexe vorantreiben.

Markt für Industriegase wächst
Der Markt für Industriegase wird bei einem anhaltenden Trend zu größeren Einzelprojekten zur Erzeugung von Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenmonoxid weiter wachsen. Dabei ist eine Verschiebung von Kapitalinvestitionen der industriellen Gasverbraucher auf die Industriegaslieferanten festzustellen. Ferner wird in China nach wie vor in bedeutende Kohlevergasungskapazitäten investiert - insbesondere an Standorten, wo große Mengen an Sauerstoff benötigt werden.

Effiziente Kohletechnologien bleiben gefragt
Über die Hälfte der in den letzten zehn Jahren global zusätzlich benötigten Energie stammt aus Kohle. Die Hälfte dieses Bedarfs wird von China nachgefragt. Gestiegene Preise und vermehrte Investitionen in den Exportländern sind die Folge. Hierzu zählen vor allem Australien, Indonesien, Russland und die Mongolei. Weltweite Regulierungen und Klimagesetzte machen es unabdingbar, verstärkt in effiziente und umweltschonende Kohletechnologien zu investieren. Hierzu gehören neben den eigentlichen Kohleverbrennungs- oder Kohlevergasungstechnologien vor allem die CO2-Abtrennung und -Speicherung.

Naher und Mittlerer Osten: Schnittstelle zwischen West und Ost
Der Arabische Frühling hat zu signifikanten politischen Veränderungen in einigen Teilen des Nahen Ostens und Nordafrikas geführt. Dennoch werden die Produzenten von Chemikalien in dieser Region weniger durch die politischen Umbrüche als vielmehr durch den für das nächste Jahr erwarteten Rückgang der globalen Nachfrage nach Chemieprodukten und Polymeren in ihren Investitionsentscheidungen beeinflusst. Die meisten Chemieproduzenten der Region sind exportorientiert. Sollte das Wachstum in Ostasien einbrechen, gäbe es für die arabischen Produzenten die Alternative, Exporte nach Europa umzuleiten. Somit haben die Unternehmen am Persischen Golf verschiedene Möglichkeiten, den Schwankungen des globalen Marktes zu begegnen und ihre Produkte erfolgreich abzusetzen.

China bleibt Kernmarkt für den Chemieanlagenbau
Der deutsche Chemieanlagenbau wird auch in Zukunft sehr stark von den aufstrebenden Wachstumsregionen profitieren. Hierzu zählt vor allem Ostasien mit China als Zentrum. Die Versorgung der kaufkräftigen Bevölkerung in der Volksrepublik erfordert umfangreiche Investitionen. Die effiziente und umweltgerechte Erschließung von Ressourcen wie auch Infrastrukturinvestitionen in Mega-Cities können nur mit modernster Technik gelingen. Insofern ist der chinesische Markt für die Entwicklung der deutschen Chemieanlagenbauindustrie weiterhin von großer Bedeutung.

Konkurrenz aus Asien nimmt zu
Mit offensiver Preispolitik und hoher Risikobereitschaft bezüglich der Projektplanung und Projektrealisierung zeigen sich chinesischen Großanlagenbauer derzeit zunehmend als Wettbewerber auf dem Weltmarkt für Chemieanlagen. Noch vor einigen Jahren wurde der chinesische Anlagenbau mit schlechter Umsetzungsfähigkeit assoziiert. Zwischenzeitlich haben die Unternehmen jedoch an ihren Schwächen gearbeitet und bei Effizienz und Schnelligkeit der Projektabwicklung aufgeholt. Durch internationale Beteiligungen an Rohstoffvorkommen, wie etwa Ölsand- und Schiefergasprojekten, verschaffen sich chinesische Staatsunternehmen überdies indirekten Zugang zu den dahinterstehenden Technologien. Gleichwohl bleibt ihre Innovationskraft hinter westeuropäischen Maßstäben zurück.
Die südkoreanischen Anlagenbauer sind seit einigen Jahren beim Bau von schlüsselfertigen Großanlagen für die chemische Industrie als Generalunternehmer erfolgreich tätig. Der regionale Schwerpunkt liegt derzeit im Mittleren Osten, doch versuchen koreanische Anbieter auch in den Industrieländern Fuß zu fassen. Im Jahr 2011 konnten „Samsung & Co." erneut signifikante Auftragsvolumina zeichnen. Südkoreanische Firmen untermauerten dabei ihren guten Ruf bezüglich Qualität und Termintreue.

Verhaltener Optimismus im Chemieanlagenbau
Die schon in den letzten Jahren gültigen Anforderungen an den deutschen Chemieanlagenbau bleiben auch 2012 bestehen: Die Branche muss technologisch hochwertige Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen global anbieten. Dabei wird neben der lokalen Nähe zu den Kunden die professionelle Abwicklung von Projekten vorausgesetzt.
Trotz der zunehmenden Konkurrenz aus Asien steht der Großanlagenbau aus Westeuropa nach wie vor an der Spitze, wenn es darum geht, anspruchsvolle und innovative Lösungen anzubieten. Speziell der deutsche Chemieanlagenbau hat sich aufgrund strikter gesetzlicher Vorgaben in der Bundesrepublik einen Vorsprung im Bereich umweltschonender Technologien erarbeitet. Diesen Trumpf kann der Industriezweig vor allem gegenüber den Herausforderern aus Asien spielen, die sich auf strenger werdende umweltrechtliche Vorgaben und kundenseitige Anforderungen an die Ressourceneffizienz von Anlagen noch einstellen müssen. Die kurzfristigen Aussichten der Branche lassen sich mit „verhalten positiv" somit treffend charakterisieren. Ein Orderplus im niedrigen zweistelligen Prozentbereich erscheint 2012 realistisch.
Langfristig sind die Perspektiven unverändert gut. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und steigendem Wohlstand nimmt der Bedarf an Chemikalien und damit auch an Chemieanlagen kontinuierlich zu. Steigende Öl- und Gaspreise füllen ferner die Budgets der Kunden aus Rohstoffländern. Für heimische Anbieter von Chemieanlagen gilt es, mit marktgerechten Lösungen die sich international bietenden Absatzchancen zu nutzen.