Chemie & Life Sciences

Die kleinen Proteine

Peptide rücken als spezifische pharmazeutische Wirkstoffe zunehmend in den Fokus der Biologicals

20.05.2016 -

Lange Zeit standen Peptide nicht im Fokus von Biotechnologen und Pharmaunternehmen. Denn die kleinen Biomoleküle haben - neben ihren Vorteilen - auch einige Nachteile. Mithilfe technologischer Entwicklungen haben Peptide jedoch zur Aufholjagd angesetzt und spielen heute in Arzneimitteln und der Kosmetikindustrie ihre Stärken aus. Das Schweizer Biochemieunternehmen Bachem hat sich hier eine führende Marktposition erarbeitet. Als Auftragsproduzent beliefert die Unternehmensgruppe weltweit Pharma-, Diagnostik- und Kosmetikunternehmen mit qualitativ hochwertigen Peptiden.

Bubendorf liegt rund 20 km südöstlich von Basel. Während in der Schweizer Chemie- und Pharmametropole große Namen wie Roche und Novartis, aber auch Biotechunternehmen wie Actelion oder Basilea Pharmaceutica ihren Sitz haben, heißt der größte Arbeitgeber der beschaulichen 4400-Einwohner Gemeinde Bubendorf Bachem.

Die Lage am Rande der großen Aufmerksamkeit passt zu dem Biochemieunternehmen. 1971 gegründet, hat sich Bachem auf die Entwicklung und Herstellung von peptidbasierten Wirkstoffen konzentriert und beliefert damit Pharma-, Biotech- und Kosmetikunternehmen. In dieser Nische hat sich das Unternehmen gut eingerichtet, auch wenn sie geografisch nicht im direkten Blick der anderen Chemie- und Pharmaunternehmen ist.

Dr. José de Chastonay ist Chief Marketing Manager (CMO) von Bachem. Mit Begeisterung referiert er über die Entwicklung, Herstellung und Anwendungsmöglichkeiten von Peptiden. Die, so sein Resümee, sind bereits seit geraumer Zeit ein „Hot Topic“ der Biotech- und Pharmabranche. Und: „Sie haben das Potenzial, die Medizin zu revolutionieren.“

Dabei sah es lange nicht danach aus, dass diese aus Aminosäuren aufgebauten Biomoleküle einmal in den Fokus der Gesundheitsindustrie rücken könnten. Denn im Gegensatz zu Proteinen haben die „kleinen Proteine“ einige Nachteile: Sie werden im Verdauungstrakt rasch abgebaut und können daher nicht oral verabreicht, sondern müssen meist gespritzt werden. Peptide haben zudem eine kurze Halbwertszeit, weil sie auch in den Zellen rasch abgebaut werden. Zudem entfernen Leber und Nieren Peptide schnell aus dem Kreislauf. Aufgrund ihrer hydrophilen Eigenschaften passieren Peptide außerdem kaum physiologische Hürden. Und schließlich können sie verschiedene Zielstrukturen aktivieren, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führt.

Geringe Dosis, hohe Wirkung

Dennoch drängen sich Peptide zunehmend ins Scheinwerferlicht der Biologicals. Im Vergleich zu niedermolekularen Wirkstoffen haben viele Peptide nämlich eine hohe Wirkung, sodass nur geringe Dosen verabreicht werden müssen. Darüber hinaus ermöglichen die strukturellen und funktionellen Eigenschaften von Peptiden die Entwicklung von Wirkstoffen mit sehr hoher Spezifität, die ansonsten nur mit „Biologics“ wie bspw. Antikörpern erreichbar ist.

Trotzdem brauchte es einige Treiber, um die Entwicklung und Verbreitung von Peptiden in Schwung zu bringen. Bachem Konzernmitglied de Chastonay verweist u.a. auf den US-Chemiker Bruce Merrifield, der sich der Erforschung von Proteinen und Peptiden verschrieben hatte und 1984 den Nobelpreis in Chemie gewann. Das gesteigerte Interesse an peptidbasierten Wirkstoffen für die Arzneimittelentwicklung geht außerdem mit immensen Fortschritten in der Entwicklung von Methoden immer effektiverer Peptidsynthesen einher. Der technologische Fortschritt hat außerdem die Peptidproduktion im industriellen Maßstab möglich gemacht. Konnten vor wenigen Jahrzehnten nur wenige Gramm an Peptiden hergestellt werden, gab es 1990 bereits 20-L-Fässer. Heute kann die Industrie Peptide in Chargen von 1.000 L produzieren.

Damit einhergehend hat die Zahl von Einsatzmöglichkeiten für Peptide ab den 1980-Jahren deutlich zugenommen. Allein zwischen 2010 und 2015 sind im Durchschnitt jährlich 17 peptidbasierte Wirkstoffe neu in die klinische Entwicklung gegangen. Insgesamt befinden sich nach Angaben de Chastonay‘s in Europa, den USA und Asien mittlerweile mehr als 240 Peptidprojekte in vorklinischen und klinischen Phasen.

Einsatz auch in Kosmetik und Nahrung

Im Bereich der Krebstherapien, Diabetes und Fettleibigkeit werden mit Peptiden mittlerweile Milliardenumsätze erwirtschaftet. Zur Behandlung kardiovaskulärer und neurodegenerativer Krankheiten, bei Niereninsuffizienz, als Antibiotika, in Vakzinen und in Arzneimitteln für seltene Krankheiten sind Peptide gefragte Wirkstoffe. Da zudem immer mehr Unternehmen in der Peptidentwicklung und -produktion tätig werden und Kooperationen mit Pharmaunternehmen schließen, dürfte die Zahl der Projekte weiter ansteigen. Das dürfte letztlich zu noch mehr neuen Arzneimitteln führen, die auf Peptiden basieren.

Daneben finden Peptide ihren Einsatz auch in anderen Branchen: So enthalten kosmetische Produkte gegen altersbedingte Falten teilweise Peptidwirkstoffe. In der Nahrungsmittelproduktion spielen Peptide ihre Stärke als künstlicher Süßstoff aus – eine wichtige Funktion bei Diabetes. In der Materialforschung werden die einzigartigen Aggregationseigenschaften bestimmter Peptide für die Entwicklung bioverträglicher Materialien und elektronischer Geräte genutzt.

Nach Angaben von Bachem-Finanzchef Stephan Schindler hat der Markt für peptidbasierte Wirkstoffe weltweit derzeit einen Jahresumsatz von 1,4 Mrd. USD und spaltet sich im Wesentlichen in drei Teile auf. Ein Drittel teilten sich etwa 100 kleinere Anbieter. Ein weiteres Drittel bediene die Pharmaindustrie selbst. Das letzte Drittel sei besetzt von den vier größeren Anbietern Lonza, CordenPharma, PolyPeptide und Bachem, wobei das Bubendorfer Unternehmen hier eine herausragende Stellung habe.

Neben ihrer Expertise in der Peptidentwicklung und der Qualität ihrer Produkte argumentieren die Schweizer vor allem mit Kostenvorteilen. Die Wirkstoffproduktion bzw. der Einkauf von Wirkstoffen, sogenannten Active Pharmaceutical Ingredients (APIs), stellt für Pharmaproduzenten einen erheblichen Ausgabenblock dar. Bachem nimmt für sich in Anspruch, durch die Auftragsproduktion diese Kosten deutlich zu senken. Darüber hinaus zeigen sich die Bubendorfer flexibel, was die Mengenbedürfnisse ihrer Kunden angeht. Bachem, so de Chastonay, kann Peptide sowohl im Labormaßstab als auch in großen Mengen kostenoptimiert herstellen. Beispielhaft verweist der Manager auf den Gerinnungshemmer Bivalirudin (Handelsname Angiox®). Bei einer Steigerung der Produktionsvolumina habe Bachem die Kosten für den Auftraggeber deutlich senken können. „Wir machen einige Unternehmen durch unsere Peptide zu Gewinnern“, sagt der CMO selbstbewusst.

Bachem setzt dabei auf eine ständige Verbesserung und Weiterentwicklung seiner eigenen Technik - von der Synthese über die Reinigung bis zur Isolierung von Peptiden - und auf wachsende Produktionskapazitäten. Aktuell verfügt das Unternehmen über Produktionsreaktoren von 75 bis 1000 L.

Mittlerweile haben die Schweizer die nächste Generation der Peptidproduktion im Kopf. Die soll aus einer voll automatisierten Synthese mit integriertem UV-Monitoring bestehen und die Möglichkeit bieten, diesen Prozess auf große Reaktoren zu übertragen. Darüber hinaus will Bachem durch ausgefeilte Technologien nochmals reinere Rohpeptide produzieren. Auch denken die Bachem-Manager an einen weiteren Ausbau der Produktionskapazitäten. Das Ziel: Noch bessere Produkteigenschaften – und noch größere Kosteneinsparungen.

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Bachem

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