Chemie & Life Sciences

Elf Jahre ostdeutsches Netzwerk „4 chiral“ – eine Erfolgsbilanz

Netzwerk mit Zukunft für die gesamte Feinchemie und Biotechnologie in Ostdeutschland

11.12.2017 -

Als im Jahr 2006 das mitteldeutsche Netzwerk „4Chiral“ von sieben Firmen in Bitterfeld-Wolfen gegründet wurde, ahnte noch keiner der Gründungsmitglieder, welche Entwicklung es nehmen würde. Inzwischen hat sich das Gebiet des Netzwerks über ganz Ostdeutschland ausgebreitet und die Zahl der Mitglieder ist auf 37 gestiegen. Dazu gehören 28 Unternehmen der gesamten ostdeutschen Feinchemie und Biotechnologie, sechs Universitäten und Hochschulen sowie drei Institute.

Was sind die Gründe für diese Entwicklung und welche Vorteile ergeben sich für die Mitglieder und deren Kunden? Um dies zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Rückblick bis zur Wendezeit. Anfang der 90er Jahre war die Zeit des großen Umbruchs der ostdeutschen Industrie und der Privatisierungen. Alle wirtschaftlichen Akteure waren erst einmal mit sich selbst beschäftigt, um ihre Zukunft zu sichern. Nach den erfolgreichen Privatisierungen schloss sich die Phase der Konsolidierung und der Erschließung neuer Märkte Ende der 90er Jahre an. In dieser Zeit hat Organica Feinchemie viele Unternehmen in der ganzen Welt kennengelernt und mit einer ganzen Reihe von ihnen auch eine Zusammenarbeit begonnen, die bis heute anhält.  2006 deutete sich schon der wirtschaftliche Abschwung an, welcher 2007/2008 zur größten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte führte.

Organica Feinchemie hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen Einblick in die Welt der Feinchemie, wusste aber oft nicht oder nur ungenau, womit sich eigentlich die Nachbarn im mitteldeutschen Chemiedreieck Leuna-Buna-Bitterfeld beschäftigten, über welche Kapazitäten sie verfügten und wie ihre Zukunftspläne aussahen. Treffen fanden eher auf einer Messe im Ausland als in der Nähe statt. Auch an den Universitäten und Hochschulen hatte die Wende zu inhaltlichen und personellen Veränderungen geführt, so dass sich viele Beteiligte aus den Augen verloren.

Die Anfänge der Gemeinschaft

Wie ein Netzwerk die Zusammenarbeit und das Kennenlernen fördern kann, hatte Organica Feinchemie als Mitglied des im Jahr 2000 gegründeten und heute noch bestehenden Netzwerks Arbeitsgemeinschaft chemische Auftragssynthese in Deutschland - CASID“ bereits erfahren können. Dadurch entstand die Idee einer engeren Verknüpfung der mitteldeutschen Feinchemie mit dem in dieser Region vorhandenen Forschungspotenzial. Ausgehend vom Interesse der Pharmaindustrie an der Synthese chiraler Verbindungen wurde das Netzwerk „Chiralis“ gegründet, das später in „4Chiral“ umbenannt wurde. Das Netzwerk wurde anfangs durch das Bundesministerium für Wirtschaft über die Förderung „NEMO-Netzwerkmanagement-Ost“ unterstützt. Nachteilig an dieser Form der Förderung war, dass lediglich das Management, nicht aber gemeinsame Projekte gefördert werden konnten. Aber schon bald wurde das Netzwerk zum Selbstläufer und zog immer mehr Interessenten an. Synergien wurden erschlossen, indem die meist zweiseitige Zusammenarbeit zwischen den Partnern vertieft und Spezialisierungen vorangetrieben wurden. Dies führte zum Austausch von Know-how und zur gemeinsamen Nutzung von Kapazitäten.

Gegenseitige Einblicke

Heute führt einmal im Jahr die Netzwerktagung die Mitglieder zu einem Partner des Netzwerks, der so näher kennengelernt werden kann. Dies war 2017 das Thüringische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt. Die Vorstellung des Instituts mit dessen Kapazitäten und Möglichkeiten durch Prof. Klaus Heinemann war für alle Teilnehmer sehr aufschlussreich. In der sich anschließenden Diskussion wurde offensichtlich, dass sich die Firmen in den letzten Monaten sehr gut wirtschaftlich entwickelt haben und es zum Teil schon Kapazitätsengpässe bei Synthesen gibt. Interessant war zu hören, dass aufgrund der strengeren Regulierung der chemischen Industrie in China – vor allem resultierend aus der Umweltsituation und aufgrund von Sicherheitsfragen – von dort Lieferausfälle und Verzögerungen zu verzeichnen waren. Dies führte und führt auch jetzt noch zur Verlagerung bestimmter Synthesen zurück nach Deutschland. So ist es nützlich zu erfahren, welcher Partner noch über freie Kapazitäten verfügt.

Vertretung politischer Interessen

Auch die Interessenvertretung gegenüber der regionalen, aber auch gegenüber der deutschen und europäischen Politik spielt im Netzwerk eine Rolle. Dies war vor allem im Zusammenhang mit der EU-Chemikalienverordnung REACh der Fall. Schon vor Inkrafttreten von REACh vor zehn Jahren wurde in der Arbeitsgruppe „REACh“ bei der Landesregierung Sachsen-Anhalt versucht, negative Auswirkungen im Gesetzentwurf zu erkennen und zu minimieren. Da dies nur eingeschränkt gelang, wurden zu diesem Thema im Laufe der Jahre viele Gespräche im Rahmen der REACh-Arbeitsgruppe der EFCG mit der ECHA und der Europäischen Kommission geführt. Ein Schwerpunkt dabei war die Regelung zum Handling von Zwischenprodukten in Mengen über einer Tonne unter „streng kontrollierten Bedingungen“, wobei diese Bedingungen oft mit einem nicht praktikablen „hundertprozentigen Einschluss“ gleichgesetzt wurden (vgl. REACh: Guidance for the Strict Control Conditions for Intermediates).

Erweiterter Fokus

Im Jahr 2015 wurde im Netzwerk eine Grundsatzdiskussion über die zukünftige Entwicklung geführt. Es wurde beschlossen, den engen Fokus von der Synthese chiraler Verbindungen zu nehmen und das Netzwerk für die gesamte Feinchemie und Biotechnologie in Ostdeutschland zu öffnen. Im Ergebnis dessen kam es innerhalb nur eines Jahres zu einer Verdoppelung der Mitgliederzahl. Und damit findet jetzt auch der eine oder andere Kunde Interesse an einer Mitarbeit im Netzwerk.

Unterstützung von Start-ups

Im Rahmen des Netzwerks konnten auch Start-ups unterstützt werden. Ein Beispiel dafür ist das 2013 gegründete Berliner Unternehmen DexLeChem. Schon nach vier Jahren konnte die Gründerin Sonja Jost zu einer von 25 Frauen ernannt werden, die unsere Welt verändern. Jost nahm auch am Digital-Gipfel der Bundesregierung am 12. Juni 2017 in Ludwigshafen teil und diskutierte dort mit über die Dynamik der Digitalisierung in der Chemie und wie mit technischen Lösungen aus der grünen Chemie ökonomischer Mehrwert bei der Herstellung von Feinchemikalien geschaffen werden kann. Wie dieses Beispiel zeigt, lebt das Netzwerk also auch durch die vielfältigen Aktivitäten seiner Mitglieder.

Gemeinsame Veranstaltungen

Während früher mindestens eine Jahrestagung und ein Workshop mit fachspezifischen wissenschaftlichen Themen pro Jahr durchgeführt wurden, gibt es jetzt nur noch eine Jahrestagung. Der wissenschaftliche Workshop wurde abgelöst durch zahlreiche Initiativen der Mitglieder, deren Bekanntheit auch ein Ergebnis der Netzwerkarbeit ist. So lädt DexLeChem regelmäßig zur Vortragsreihe „Chemstry4Innovation“ und das Technologie- und Gründerzentrum Bitterfeld-Wolfen (TGZ) zusammen mit der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) zu wissenschaftlichen Kolloquien ein.

Außerdem sind Mitgliedsunternehmen des Netzwerks seit Jahren mit gemeinsamen Messeständen auf der ChemSpec Europe oder der CPhI Worldwide vertreten.

Zusammenfassung

Dies sind nur einige Beispiele aus der Netzwerkarbeit. Das Wichtigste an der Gemeinschaft ist aber das persönliche Kennenlernen der verantwortlichen Akteure und das damit verbundene gegenseitige Vertrauen als Grundlage für gemeinsame wirtschaftliche Aktivitäten. Dass das bisher schon gelungen ist, können alle Mitglieder bestätigen. Dies bleibt aber auch weiterhin ein Prozess und eine ständige Aufgabe – und insofern wird das Netzwerk auch eine interessante Zukunft haben.

Netzwerkmitglieder

Im Netzwerk „4Chiral“ sind folgende Unternehmen und Institute bzw. der Fachbereich Organische Chemie der jeweiligen Universitäten und Hochschulen: Arevipharma, ASCA Angewandte Synthesechemie Adlershof, Bioworx, BMD (Life Sciences Agentur Sachsen-Anhalt), Chiracon, ChiroBlock, c-Lecta, CreativeQuantum, DexLeChem, Emp Biotech, EW Biotech, Enzymicals, Ferak Berlin, FEW Chemicals, Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP, Hapila, Heliatek, Hochschule Merseburg, Hochschule Zittau/Görlitz, IBZ-Salzchemie, Laborchemie Apolda, Leibniz Institut für Katalyse (LIKAT), Loser, Merseburger Spezialchemikalien, Miltitz Aromatics, MinAscent Leuna Production, Organica Feinchemie, Orgentis Chemicals, OSC OrganoSpezialChemie, Synthon Chemicals, TGZ Bitterfeld-Wolfen, Poly-Chem, Thüringisches Institut für Textil- und Kunststoff- Forschung (TITK), TU Dresden, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Universität Leipzig