Chemie & Life Sciences

Energieversorgung der Zukunft – der Beitrag der Chemie

Mehr Chemie für die Energie von morgen

24.11.2010 -

Die Erschließung neuer Energiequellen und die teilweise Umstellung unseres Energiesystems von fossilen Quellen auf eine neue Basis ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Haben beispielsweise in Deutschland heute noch Kohle, Öl und Gas einen Anteil von über 80% am Primärenergieverbrauch von 14.290 PJ/a (2005), so soll sich das in den nächsten Jahrzehnten drastisch ändern. Ziel der Bundesregierung ist es, den von der EU beschlossenen Anteil der erneuerbaren Energien von 20% am gesamten Energieverbrauch bis 2020 zu realisieren, bis 2050 werden rund 50% angestrebt.

Betrachtet man die größten Energieverbraucher, so sind das fast zu gleichen Teilen Verkehr (28,7%), Haushalte (28,8%) und Industrie (26,8%). Dazu kommen Gewerbe, Handel und Dienstleistungen mit 15,7%. Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) besagen, dass beim Endenergieverbrauch das Einsparpotential auf Basis verfügbarer Technik bei 24% liegen könnte.
Das CO2-Problem

Unsere Kraftwerke beinhalten schon heute einen hohen Anteil an chemischen Prozessen; nach Einführung der CO2-Sequestrierung werden sie in Zukunft chemischen Fabriken gleichen. Die Technologien zur Abtrennung von CO2 aus dem Rauchgas sind ohne innovatives chemisches Prozessdesign nicht umsetzbar. Die aussichtsreichen Technologien sind u.a. die CO2-Absorption mit geeigneten Lösungsmitteln, moderne Membrankonzepte zur Abtrennung des CO2 oder das Oxy-Fuel-Verfahren, bei dem die Kohle statt mit Luft mit reinem Sauerstoff verbrannt wird.

Diskutiert wird auch die Frage, ob die Chemie nicht als CO2-Senke agieren und CO2 stofflich als C1-Kohlenstoffquelle für Kraft- und Chemierohstoffe nutzen kann. CO2 ist energetisch die niedrigste Form von Kohlenstoff; jede Umsetzung erfordert Energie. Nur wenn Energie bzw. Wasserstoff kostengünstig regenerativ verfügbar sind, könnten sich hier sinnvolle Anwendungen ergeben. Dann kann sich die Erforschung der Aktivierung von CO2 und die chemische Umsetzung lohnen. Zum einen, um die Carboxylfunktion gezielt im Molekül einzuführen (Feinchemie), zum anderen, um CO2 als Medium für die chemische Speicherung von Energie bzw. anderen Energieträgern einzusetzen, um sie transportierbar zu machen: CO2 und Wasserstoff zu Methanol oder Methan aus entlegenen Quellen (sog. stranded gas) über die trockene Reformierung mit anschließender Umsetzung des hieraus erzeugten Synthesegases.

Einsparpotentiale

Aber hilft uns die Reduzierung der CO2-Emissionen in die Atmosphäre allein für eine klimaverträgliche Energieversorgung der Zukunft? In vielen Lebensbereichen ist eine effizientere Nutzung der Energie möglich, die im Wesentlichen durch chemische Produkte und Innovationen erzielt werden kann. Etwa 34 Mio. Wohneinheiten gibt es in Deutschland, von denen zwei Drittel keine moderne Wärmedämmung besitzt. Bedenkt man, dass hierzulande fast ein Drittel der verbrauchten Energie auf die Beheizung von Wohn- und Arbeitsräumen entfällt, so liegen hier enorme Einsparpotentiale. Mit Dämmmaterialien auf Basis Polystyrol und Polyurethan sowie nanoporösen Polymerschäumen, die auf dem Weg in die Anwendung sind, könnten erhebliche Mengen Energie eingespart werden. Zum Erreichen einer sehr hohen Wärmedämmung ist neben der Nanoporosität in erster Linie eine geringe Dichte des Schaums notwendig. Diese ist nicht nur für die Performance des Materials, sondern auch für die Wirtschaftlichkeit von entscheidender Bedeutung. Ebenso spielen Fragen der Verarbeitbarkeit, des Handlings oder der Langlebigkeit eine wichtige Rolle bei der Wahl des Polymersystems.

Moderne Leichtbauwerkstoffe bewirken eine deutliche Gewichtsreduzierung im Fahrzeugbau und damit eine Verminderung des Kraftstoffverbrauchs. Auch neuartige Klebstoffe reduzieren das Fahrzeuggewicht, indem durch die erhöhte Festigkeit der Verbindung dünnere Bleche verwendet werden können. So könnte im Automobilbau allein die Reduzierung von 5% des Karosseriegewichtes einen um etwa 3% niedrigeren Kraftstoffverbrauch bewirken. Ziel werkstofftechnischer und konstruktiver Entwicklungen sind daher neuartige Leichtbaustrukturen mit hoher Funktionsintegration. Zur Lösung dieser Aufgaben ist eine enge Zusammenarbeit von Werkstoffentwicklern, Konstrukteuren, Chemikern und Verfahrenstechnikern entlang der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich.

Herkömmliche Glühbirnen wandeln nur ca. 5% der aufgebrachten Energie in Licht um, der Rest geht als Wärme verloren. Eine wesentlich höhere Energieeffizienz lässt sich z.B. mit organischen Leuchtdioden (OLEDS) erzielen, mit denen auch flächige Lichtquellen für Bildschirmanwendungen realisiert werden können. Hier stellt die Verbesserung der Materialstabilität noch eine große technologische Herausforderung dar.

Energiesysteme der Zukunft

Ein zukünftiges Energiesystem stellt vor allem auch erhöhte Anforderungen an Energiespeicher-Technologien. Der Weg führt weg von der heutigen Batterietechnologie hin zu modernen Hochleistungsakkumulatoren. Eine viel versprechende Alternative stellt derzeit die Lithiumionenbatterie dar, mit der hohe Energiedichten bei langer Lebensdauer erreicht werden. In kleinen portablen Anwendungen wie Notebooks oder Handys wird sie bereits heute standardmäßig eingesetzt. Aber für den Einsatz in größeren stationären Anwendungen oder in Automobilen besteht bisher noch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Das Problem liegt u.a. im Batterieseparator, der Anode und Kathode voneinander trennt. Eine für den Zukunftspreis 2007 nominierte Innovation, deren Basis in einem Gemeinschaftsprojekt zwischen Deutscher Forschungsgemeinschaft, Evonik Industries und sieben Hochschulen gelegt wurde, schafft hier Abhilfe: mit den neuartigen Separatorfolien, bestehend aus Keramik und Polymeren, gelingt es, die Lithiumionenbatterie nachweislich sicherer zu machen und damit der Lithiumionen-Technologie das hochattraktive Anwendungsfeld mobiler und stationärer Großbatterien zu erschließen.

Große Erwartungen setzt man auch in den Einsatz von ionischen Flüssigkeiten als Elektrolyte in elektrochemischen Energiespeichersystemen in automobilen wie in stationären Anwendungen. Durch die Entwicklung neuer Funktionsmaterialien und eine sorgfältig aufeinander abgestimmte Kombination von Elektroden-, Elektrolyt- und Separatormaterialien ergeben sich hier erhebliche Innovationspotentiale. Während Elektrolyte auf Basis ionischer Flüssigkeiten bereits heute, insbesondere im asiatischen Raum, in Doppelschicht(super)-kondensatoren (sog. Supercaps) eingesetzt werden, befindet sich der Einsatz in Li-Ionen-Batterien erst am Anfang.

Wie können wir die Strahlung der Sonne, die den täglichen Energiebedarf der Erde deutlich übertrifft, besser nutzbar machen? Das größte Problem ist derzeit, dass die heutigen siliziumbasierten Solarzellen zu teuer sind. Eine aussichtsreiche alternative Technologie ist die organische Photovoltaik. Die Solarzellen aus hauchdünnen Polymerschichten ermöglichen die Herstellung völlig neuartiger kostengünstiger Solarmodule. Die Polymere mit einer photoaktiven Schicht von etwa 100 nm können auf eine Folie gedruckt werden. Dadurch weisen die Solarmodule ein geringes Gewicht auf und können aufgrund der hohen Flexibilität an fast jede beliebige Form angepasst werden. Die Erhöhung des derzeit noch sehr niedrigen Wirkungsgrades und der Haltbarkeit sind wichtige Ziele für die Materialforschung. Aus diesem Grund startete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Juni 2007 gemeinsam mit Industriepartnern eine Förderinitiative, um diese Technologie gezielt voranzutreiben und zu dem bestehenden technologischen Vorsprung amerikanischer Startup-Firmen aufzuschließen.

Untersuchungen belegen, dass mehr als 60% des Energiegehaltes der verbrannten fossilen Energieträger als Abwärme ungenutzt frei werden. Aus diesen gewaltigen Abwärmemengen in Kraftfahrzeugen, Haushalten, Kraftwerken und Industrieprozessen Elektrizität zu erzeugen, könnte ohne zusätzliche Emissionen die Energieeffizienz signifikant verbessern. Aber wie kann man bisher ungenutzte Abwärme effizient in Strom umwandeln? Halbleitende Materialien, sog. Thermoelektrika, sind ein Schlüssel für diese Umwandlung, völlig emissionsfrei und umweltverträglich. Diese Materialien müssen eine hohe elektrische Leitfähigkeit bei gleichzeitig schlechter Wärmeleitfähigkeit aufweisen, ein Spagat der nur schwer zu realisieren ist. Zurzeit liegt der Wirkungsgrad der Thermoelektrika erst bei rund 10%, aber neueste Materialforschungen lassen eine deutliche Steigerung erhoffen. Insbesondere durch den Einsatz der Nanotechnologie und spezielle Nanostrukturierung der Materialien sind aussichtsreiche Entwicklungen zu erwarten.

Biokraftstoffe zum Klimaschutz

Der Einsatz von Biomasse in unserem Energiesystem ist derzeit Gegenstand vieler Forschungsanstrengungen. Im Sinne einer maximalen Einsparung von CO2-Emissionen stellt die direkte Verbrennung zur Erzeugung von Elektrizität und Wärme die beste energetische Nutzung nachwachsender Rohstoffe dar. Aus Gründen der Versorgungssicherheit ebenso wie als Beitrag zum Klimaschutz sollen nachwachsende Rohstoffe als Biokraftstoffe auch zur Sicherung unserer Mobilität beitragen. Die Biokraftstoffe der ersten Generation stellen definitiv keine nachhaltige Lösung dar, Energie-Input und -Output stehen in keinem günstigen Verhältnis, eventuell kehren hohe N2O-Emissionen beim Anbau der Pflanzen sogar die Klimagasbilanz um. Für Kraftstoffe der 2. Generation haben wir zwei verschiedene Optionen: Die Konversion des aus Biomasse gewonnenen Synthesegases zu Methanol bzw. Fischer-Tropsch-Kohlenwasserstoffen basiert auf einer Reihe katalytischer Prozesse, die es zu optimieren gilt. Auch für die fermentative Nutzung von Lignocellulosen wie Stroh und Holz zur Erzeugung von Bioethanol im großen Maßstab bestehen noch eine Menge ungelöster Probleme und Forschungsbedarf: Weder der Aufschluss und die Auftrennung in Cellulose, Hemicellulosen und Lignin noch die Depolymerisation der polymeren Kohlenhydrate zu C5- und C6-Zuckern, noch deren Vergärung sind bislang in befriedigender Weise gelöst. Für alle Konzepte zur Erzeugung von Biokraftstoffen der 2. Generation benötigen wir neben Innovationen aus Chemie und Biotechnologie geeignete Schemata zur Anlagenintegration unter Verwertung aller Biomasse-Stoffströme bei gleichzeitig hocheffizientem Wärmemanagement innerhalb der Anlagen.

Beitrag der chemischen Industrie

Die chemische Industrie selbst ist eine der energieintensivsten Branchen, weshalb die Entwicklung energetisch optimierter Prozesse einen hohen Stellenwert einnimmt. Zur Effizienzsteigerung chemischer Prozesse werden schon seit vielen Jahren erfolgreich verschiedene Ansätze verfolgt, wie z.B. die Optimierung katalytischer Prozesse, der Einsatz der Mikroreaktionstechnik, die Prozessintegration, aber auch die Entwicklung innovativer Trenntechniken zur Produktaufarbeitung.

Fazit

Durch die kleine Auswahl der genannten Beispiele wird klar, dass die sichere Energieversorgung der Zukunft, die Anpassung unseres Energiesystems an die steigenden Energiepreise und der Klimaschutz ohne Ideen und Produkte aus der Chemie nicht möglich sein werden. Diese Schlüsselrolle der Chemie für das zukünftige Energiesystem wird in einem Positionspapier ausführlich dargestellt, das die großen deutschen Chemieorganisatoren, darunter die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), die Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (Dechema) und der Verband der Chemischen Industrie (VCI), gemeinsam veröffentlicht haben. Derzeit arbeiten die Organisationen an einer Potentialabschätzung und Priorisierung der einzelnen Technologieoptionen.

Wasserstoff für die Prozessindustrie

News & Hintergrundberichte

CITplus Insight

Aktuelle Themen aus der Prozess- und Verfahrensindustrie

Registrieren Sie sich hier

CHEMonitor

Meinungsbarometer für die Chemieindustrie

> CHEMonitor - Alle Ausgaben

Social Media

LinkedIn | X (Twitter) | Xing

Wasserstoff für die Prozessindustrie

News & Hintergrundberichte

CITplus Insight

Aktuelle Themen aus der Prozess- und Verfahrensindustrie

Registrieren Sie sich hier

CHEMonitor

Meinungsbarometer für die Chemieindustrie

> CHEMonitor - Alle Ausgaben

Social Media

LinkedIn | X (Twitter) | Xing