Chemie & Life Sciences

Genetische Informationen im digitalen Zeitalter

Die Nutzung digitaler Sequenzinformationen erfordert keine Anpassung des Nagoya-Protokolls

22.10.2017 -

Das Nagoya-Protokoll ist ein internationaler Vertrag. Es regelt den Zugang zu genetischen und biologischen Ressourcen und die gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus ihrer Nutzung ergeben. Gilt das nun auch für digitale Informationen von solchen Ressourcen?

Life-Sciences-Unternehmen, wie Biotechnologie-, Pharma- oder Züchtungsunternehmen, sowie viele andere Branchen nutzen genetische und biologische Ressourcen aus aller Welt für Forschung, Entwicklung und Produktion. In der Medizin dienen sie z.B. der Herstellung von Arzneimitteln, Diagnostika oder Impfstoffen. In der Landwirtschaft werden sie bei der Züchtung von Nutzpflanzen, Forstpflanzen oder für biologischen Pflanzenschutz verwendet. Genetische und biologische Ressourcen sind die entscheidende Basis für die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe und damit ein wesentlicher Baustein für die Bioökonomie.

Umsetzung des Nagoya-Protokolls

Im Jahr 2010 hat die internationale Staatengemeinschaft nach über 20-jährigen Verhandlungen das völkerrechtlich bindende Nagoya-Protokoll beschlossen. Es regelt den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile. Damit dient es der Umsetzung des dritten Zieles des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) und trägt zur weltweiten Erhaltung der Biodiversität bei. In Herkunftsländern genetischer Ressourcen soll so auch ein ökonomischer Anreiz für den langfristigen Erhalt der biologischen Vielfalt gesetzt werden.

In der EU wird die Umsetzung des Nagoya-Protokolls durch die EU-Verordnung 511/2014 spezifiziert. In Deutschland trat das Gesetz zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der EU-Verordnung im Juli 2016 in Kraft. Die EU-Kommission veröffentlichte im August 2016 einen sog. horizontalen Leitfaden zum Anwendungsbereich der Verordnung. Er soll Unternehmen und den zuständigen nationalen Behörden bei der Umsetzung der Vorschriften helfen. Ergänzend hierzu sind bei der Kommission sieben sektorale Leitfäden zu den Themen „Pflanzenzucht und Tierzucht“, „Nahrungs- und Futtermittel“, „Biotechnologie“, „Biologischer Pflanzenschutz und Schädlingskontrolle“, „Pharmazie“, „Kosmetik“ und „Sammlungen“ in Arbeit. Aufgrund der Digitalisierung ist nun ein weiterer Aspekt zur Umsetzungsdebatte hinzugekommen.

Umgang mit digitalen Sequenzinformationen

Der rasante Fortschritt in den Life Sciences führt zu immer effizienteren und günstigeren Sequenzierungsverfahren. Deshalb nimmt die Bedeutung von digitalen Informationen genetischer und biologischer Ressourcen in jüngster Zeit stark zu. Auch die Synthese von Nukleinsäuren hat sich so weiterentwickelt, dass genetisches Material ohne physischen Transfer genutzt werden kann. Zur Synthese kann die digitale Information über das Material ausreichen. Aus diesem Grund mutmaßen einige Entwicklungsländer, dass die Bestimmungen des Nagoya-Protokolls mit neuer Technik umgangen werden könnten. Daraus ist eine internationale Diskussion entstanden, ob immaterielle digitale Sequenzinformationen (DSI) genetischer Ressourcen wie materielle genetische Ressourcen behandelt werden müssen oder nicht. Industriekritische Stimmen stellen sogar die Frage, ob Genome Editing in Kombination mit Big Data eine digitale Biopiraterie auslösen könnte.

Einrichtung einer Expertengruppe

Im Dezember 2016 hat die Staatengemeinschaft eine neue Expertengruppe für digitale Sequenzinformationen eingerichtet. Sie soll in den kommenden Jahren den Umgang mit solchen Daten beleuchten und Klarheit darüber schaffen, ob sich dadurch Auswirkungen auf die Ziele der CBD und des Nagoya-Protokolls ergeben.

Die EU definiert genetische Ressourcen als genetisches Material von tatsächlichem oder potenziellem Wert, gemäß den Ausführungen im Nagoya-Protokoll. Demnach wird unter genetischem Material jedes Material pflanzlichen, tierischen, mikrobiellen oder sonstigen Ursprungs verstanden, das funktionelle Erbeinheiten enthält.

Auch die International Chamber of Commerce (ICC) hat zu dem Thema eine Position entwickelt, an der die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) maßgeblich mitgewirkt hat. Sie besagt, dass im Nagoya-Protokoll explizit materielle genetische und biologische Ressourcen angesprochen werden und keine abstrakte Information darüber. DSI könnten aber in bilateralen Verträgen zwischen den Bereitstellern und Nutzern einer genetischen Ressource direkt geregelt werden. Diese Möglichkeit bietet das Protokoll schon heute. ICC und DIB möchten die Vertragsstaaten für diese Lösung gewinnen.

Denn noch immer muss das Nagoya-Protokoll vielerorts praxisgerecht in nationales Recht umgesetzt werden, was in kaum einem Land der Fall ist. Ohne eine praktikable, handhabbare und faire Umsetzung des Vertrags wird es aber auch keine Lösung für den immateriellen Datenaspekt genetischer Ressourcen geben.

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