Chemie & Life Sciences

Markt für BDO: Taktgeber gerät außer Tritt

China überrascht den Markt für 1,4-Butandiol mit Schließung mehrerer Produktionsstandorte

19.01.2016 -

Dramatische Entwicklung  bei 1,4-Butandiol (BDO), einem essentiellen Rohstoff für Kunststoffe, Lösemitteln und synthetischen Fasern: In einer extrem kurzen Zeitspanne von nur zwei Wochen wurden seit Mai 2015 vier wichtige BDO-Produktionsstandorte in China geschlossen. Das hatte gravierende Folgen, denn damit ging gleich ein Viertel aller BDO-Kapazitäten in dieser Region vom Markt. Diese Entwicklung ist umso erstaunlicher, weil BDO in China fast explosionsartig boomte. Der Grund: BDO erobert immer neue Anwendungen. Umso überraschender ist es, dass nun der bisherige Schrittmacher China ins Stolpern gerät.

Die Kapazitäten für den Alkohol BDO sind, entsprechend seinen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten, in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut worden. Einen geradezu explodierenden Boom hat BDO in China hingelegt: In den zurückliegenden 12 Monaten sind hier mehr Kapazitäten geschaffen worden, als die gesamte westliche Welt in den letzten 70 Jahren aufgebaut hat. Schon heute steht in China eine Kapazität von 1,7 Mio. t/a einem Bedarf von nur 550.000 t gegenüber. Gemäß dem „China Chemical Reporter“ ist davon auszugehen, dass sich diese Schere bis 2018 weiter öffnet: Dann wird eine Gesamtkapazität von 2,8 Mio. t/a den eigenen Verbrauch im Reich der Mitte von 700.000 t/a vierfach übertreffen. Schon heute hat diese Entwicklung einen dramatischen Preisverfall für BDO ausgelöst, in einem Zeitraum von nur 12 Monaten ist der Preis in China um nahezu 50% gesunken. Das hat besonders nicht-asiatische BDO-Produzenten getroffen, die aufgrund der Überkapazitäten in Asien kaum Exportchancen hatten, weil die Marktversorgung durch lokale Hersteller in den letzten Jahren kontinuierlich die Nachfrage überstiegen hat.     

Deshalb sorgen Meldungen für Aufmerksamkeit, die seit Anfang Mai 2015 in kurzen Abständen vom Branchendienst ICIS herausgegeben wurden: Innerhalb von nur zwei Wochen wurden in China vier wichtige Standorte für die Produktion von BDO unter Angabe von unterschiedlichen Gründen geschlossen. In den Provinzen Xinjiang, Henan und Ningxia wurden insgesamt acht Anlagen von vier verschiedenen Herstellern stillgelegt. Damit gingen 440.000 t/a BDO vom Netz  - immerhin ein Viertel der bestehenden chinesischen Kapazitäten. Hersteller außerhalb Asiens hoffen deshalb auf nachlassenden Druck aus China sowohl bei den verfügbaren Mengen als auch bei den Preisen, die insbesondere durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Die gute Versorgungslage und der Preisunterschied zwischen Asien und den anderen Regionen sind die Hauptgründe dafür, dass die vierteljährlich festgelegten Preise zuletzt auch in Europa viermal hintereinander gefallen sind. Auch die starken Preisrückgänge bei Erdöl seit Mitte 2014 sowie geringere Kosten für Propylen und Acetylen sind weitere Treiber dieser Entwicklung. Angesichts der fragilen Preisentwicklung geraten die weiteren Ausbaupläne möglicherweise ins Wanken.

BASF weltweit größter BDO-Hersteller

Nach einem Report des weltweit größten Marktforschungsunternehmens „Research and Markets“ betrug die globale BDO-Kapazität Ende September 2014 rund 3,35 Mio. t, wovon etwa knapp die Hälfte in China installiert ist. Weitere 38,5% des globalen Angebots entfallen auf die BASF aus Ludwigshafen/Deutschland, die Dairen Chemical Corporation (DCC) mit Sitz in Taipei/Taiwan sowie LyondellBasell aus Houston (Texas). Größter Hersteller weltweit  ist die BASF, die  Anlagen in Geismar (Louisiana) mit derzeit 145.000 t/a, Ludwigshafen mit 190.000 t/a sowie in Malaysia, Japan (insgesamt 125.000 t/a) und China in einem Joint-Venture  (160.000 t/a) betreibt. Damit  ist die BASF als einziger Hersteller auf allen vier Teilmärkten aktiv.

Der gesamte BDO-Markt betrug zuletzt rund 2 Mio. t, von denen aber nur 20% im frei zugänglichen Markt gehandelt werden, während der Rest direkt von den Herstellern intern zu Folgeprodukten verarbeitet wird. BDO ist als Zwischenprodukt ein wichtiger Rohstoff für die Synthese anderer Substanzen, insbesondere von Tetrahydrofuran (THF), Polybutylenterephthalat (PBT) und γ-Butyrolacton (GBL). Die direkte Verwendung des Diols im Kunststoffbereich führt zu verschiedenen Stoffklassen wie Estern, Polyestern, Carbamaten und Urethanen. Insgesamt machen sie rund 39% der Gesamtmenge aus. Auf die Anwendungen THF und THF-Derivate entfallen insgesamt fast 50% des globalen BDO-Marktes. Größter Bereich sind hier Spandex- und Elastanfasern, die eine wichtige Rolle bei zahlreichen Textilien wie Funktionskleidung, Stretchjeans, Unterwäsche und Strümpfen spielen. Die Wachstumsraten für Spandex liegen mit 9-10% deutlich über den Wachstumsraten bei Textilien.  Die meisten BDO-Produzenten „veredeln" das Diol selbst weiter und stellen die Folgeprodukte her. Nur rund 20% der weltweit erzeugten BDO-Menge stehen einem freien Verkauf zur Verfügung.

Viele Rohstoffe und Reaktionswege

Zur Herstellung von BDO und seinen Nachfolgeprodukten sind verschiedene Technologien etabliert, die auf unterschiedlichen Rohstoffquellen basieren. Eine der wichtigsten Routen für BDO geht von Acetylen aus, das sowohl aus Kohle als auch aus Naphtha oder Erdgas gewonnen werden kann. Bereits in den 1920er und 1930er Jahren hatte Dr. Walter Reppe, seit 1921 Forscher bei der BASF und nach Ende des 2. Weltkriegs Leiter der BASF-Forschung, die Grundlagen für die sog. Acetylenchemie gelegt, darunter auch die Erzeugung von BDO aus Acetylen. Ein anderer Ausgangstoff  ist Propylen. Hier gibt es zwei alternative Synthesewege: Der eine führt über Propylenoxid und Allylalkohol zu BDO und wird von LyondellBasell genutzt, einem der größten BDO-Produzenten in Europa. Die andere Route führt von Propylen direkt über Allylalkohol zum BDO und wurde 1998 von der Dairen Chemical Corporation aus Taiwan erstmals großtechnisch realisiert. Ein dritter Rohstoff ist Butan, das zu Maleinanhydrid und anschließend zu BDO umgesetzt wird. Dieser sog. Davy-Prozess wurde in den 1990er Jahren erstmals verwirklicht, entsprechende Produktionsanlagen wurden vor allem in China und im Mittleren Osten gebaut. Ein  anderes Verfahren benutzt Butadien als Ausgangsstoff und wurde in den späten 1970er Jahren  von Mitsubishi Chemical Industries entwickelt.

Bisher ist der Reppe-Prozess am weitesten in der BDO-Industrie verbreitet, rund 40% der weltweiten Kapazitäten beruhen immer noch darauf. Insbesondere global operierende Chemieunternehmen wie BASF, Ashland und DuPont arbeiten nach Reppe, aber auch in China ist der Prozess vorherrschend, weil das Land  über die Erzeugung von Calciumcarbid die eigenen Kohlevorkommen nutzen kann.

Reppe-Prozess kostengünstig

Der möglichst wirtschaftliche Zugang zu den Rohstoffen Kohle oder Erdgas, Propylen, Butadien und n-Butan oder Maleinanhydrid ist ebenso entscheidend wie eine möglichst umfassende Wertschöpfungskette, in der BDO nur eine Zwischenstufe darstellt. Die BASF z.B.  profitiert von der durchgängigen Vorwärts- und Rückwärtsintegration ihrer Anlagen. Experten gehen davon aus, dass der vollständig integrierte Reppe-Prozess unter derartigen Bedingungen auf Basis von Erdgas zu den günstigsten Varianten zählt. Eine Option für die Zukunft sind nachwachsende Rohstoffe zur Herstellung von BDO. Erste technische Ansätze werden bereits heute von verschiedenen Herstellern untersucht. Allerdings sind diese Verfahren heute noch eindeutig zu kostenintensiv.

Der BDO-Preis wird in China gesetzt. In den anderen Regionen basiert er auf dem chinesischen BDO-Preis zuzüglich der Exportkosten (Logistikkosten, Steuern und Zölle) in die jeweilige Region. Eine spannende Frage in Zukunft wird sein, wie China mit seinen erheblichen Überkapazitäten umgeht. Ist die Abschaltung großer Kapazitäten nur ein Zufall oder ein Fingerzeig? Schon geplante Neuanlagen werden zurzeit nicht nur in China wegen der hohen Fragilität des Marktes nach hinten verschoben. Investitionsentscheidungen werden künftig vor allem unter zwei Gesichtspunkten gefällt: die Verfügbarkeit  kostengünstiger Rohstoffe und aufnahmefähige Abnehmermärkte. Ganz gleich, wie sich die Situation in China, dem Taktgeber im BDO-Geschäft, entwickelt, eins steht heute schon fest: Langfristig dürften die Hersteller die Nase vorn haben, deren Produktion besonders hoch integriert und deren Wertschöpfungskette besonders lang ist.          

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