Chemie & Life Sciences

Nachhaltigkeit in der Bauchemie

Modetrend oder revolutionäre Veränderung?

02.04.2013 -

Neuerdings wird jegliche wirtschaftliche Tätigkeit unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit betrachtet. Vor allem die Bauwirtschaft steht im Fokus, da mit einer weltweiten Jahresproduktion von etwa 10 Mrd. t Beton immense Massenströme erzeugt und bewegt werden. Ca. 5 % des weltweiten CO2-Ausstoßes sind auf Bauaktivitäten zurückzuführen und bei der prognostizierten Steigerungsrate der Zementproduktion wird dieser Anteil auf 9 % im Jahr 2050 ansteigen. Aktivitäten, die die Nachhaltigkeit in der Bauchemie erhöhen sollen, zielen in erster Linie darauf ab, die CO2-Bilanz der eingesetzten Baustoffe zu verbessern.

Definition der Nachhaltigkeit
Als allgemeingültige Definition kann man folgende Beschreibung heranziehen: Unter Nachhaltigkeit versteht man eine Geschäftstätigkeit mit der die Bedürfnisse heutiger Generationen erfüllt werden, ohne die Aussichten und Möglichkeiten zukünftiger Generationen einzuschränken.
Nachhaltigkeit bezieht sich dabei keineswegs ausschließlich auf ökologische Aspekte. Eine treffende Beschreibung des Themas lässt sich mit dem Begriff „Triple P" darstellen: People - Planet - Profit. Diese Sichtweise erläutert, dass Nachhaltigkeit nicht nur unter den Gesichtspunkten der Ökologie (Treibhauseffekt, Carbon Footprint, Ökobilanz, etc.) zu sehen ist. Die Dimensionen Mensch und Gesellschaft, aber auch das nachhaltig profitable Wirtschaften sind ebenso einzubeziehen (s. Abb. 1).

Umweltproduktdeklarationen
Oftmals wird produktbezogen eine Ökobilanz aufgestellt, die die Umweltauswirkungen in einer Cradle-To-Gate Betrachtung, d.h. bis zum Werkstor des Herstellers, prüft. Da eine umfassende Ökobilanz sehr detaillierte Daten zum ökologischen Beitrag der Rohstoffe, zum Herstellungsprozess, zu den Transportdistanzen, usw. erfordert, wird häufig ein vereinfachter Ansatz gewählt, um den Umweltbeitrag verschiedener Produkte untereinander vergleichbar zu machen. Dabei werden den Rohstoffen Ökopunkte zugewiesen und über die Formulierung wird der Umweltbeitrag des Produktes ermittelt.
Die Industrieverbände Deutsche Bauchemie, Industrieverband Klebstoffe sowie der Verband der deutschen Lack-und Druckfarbenindustrie werden im Laufe des Jahres 2013 ihren Mitgliedsunternehmen Muster-EPDs (EPD = Environmental Product Declaration) zur Verfügung stellen (Abb. 2).

Zertifizierungssysteme
Der Markt fragt mit zunehmendem Interesse neben technischen Leistungsmerkmalen auch die ökologischen Leistungsdaten von Produkten an. Weltweit hat sich mittlerweile eine Reihe von Zertifizierungssystemen etabliert, die jedoch nicht einzelne Bauprodukte sondern die Gesamtheit eines Gebäudes bewerten:

  • DGNB:Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen - Deutschland (www.dgnb.de)
  • LEED: Leadership in Energy and Environmental Design - USA, Kanada, Indien (www.leed.net)
  • BREEAM: Building Research Establishment Environmental Assessment Method - Großbritannien, Niederlande
  • (www.breeam.org)
  • CASBEE: Comprehensive Assessment System for Built Environment Efficiency - Japan
  • (www.ibec.or.jp/CASBEE/english)
  • Green Star: Australien,
  • Neuseeland, Südafrika
  • (www.gbca.org.au/green-star)
  • IGBC: India Green Building Council - Indien (www.igbc.in)

In das Bewertungsschema der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen fallen z. B. neben ökologischen Aspekten (22,5 %) auch eine Reihe weiterer Kriterien an: Ökonomische Qualität (22,5 %); Soziale und funktionale Qualität (22,5 %); Technische Qualität (22,5 %); Prozess Qualität (10,0 %).

Technischer Fortschritt: Anorganische Bindemittel
Forschungsaktivitäten an zementären Bindemitteln mit dem Ziel, die CO2-Bilanz zu verbessern, lassen sich gemäß ihrer Marktreife in drei Kategorien einteilen: Kompositzemente (Standard); Alternative Zemente (kommerziell verfügbar); Neue Bindemittelsysteme (Pilotphase).
Kompositzemente sind standardisierte Zemente nach EN 197. Man erreicht durch Verschneiden des Portlandzementklinkers mit latent hydraulischen Zusätzen, wie Schlacke, Flugasche oder Trass eine Reduzierung des produktionsbedingten CO2-Austoßes um bis zu 80 %. Neu ist die Verwendung dieser sog. CEM II- bis CEM V-Zemente in bauchemischen Anwendungen.
Zusätzliche Optionen ergeben sich durch die Weiterentwicklung bekannter Nischenzemente, wie Calciumsulfat-Belit-Zemente, Sulfat-Schlacke-Zemente, Calciumsulfoaluminat-Zemente oder Geopolymer-Binder. Häufig werden diese Bindemittel in Kombination eingesetzt, um spezielle technische Eigenschaften, wie z. B. geforderte Frühfestigkeiten, einzustellen.
Intensive Forschungsarbeit ist noch notwendig, um neuartige, innovative Bindemittelsysteme zur Marktreife zu bringen:
Celitement wird in Hydrothermalsynthese bei etwa 300 °C hergestellt, wodurch der Energiebedarf gegenüber der Portlandzementherstellung um bis zu 50 % gesenkt werden kann.
Novacem basiert auf Magnesiumoxid und Magnesiumhydroxicarbonaten. Bei der Herstellung von Novacem werden je Tonne Produkt 100 kg CO2 eingebunden, so dass dieser Prozess sogar eine negative CO2-Bilanz aufweisen soll.
Der Calera-Prozess basiert auf der Einleitung von CO2-reichen Gasen in Salzlaugen oder Klärwässer, wodurch metastabile Calcium- und Magnesiumcarbonate gebildet werden.
M3K Binder basieren auf einer optimierten Korngrößenverteilung und niedrigen Porenvolumina in den ausgehärteten Baustoffen. Damit lassen sich erhebliche Anteile an Zement in den Betonrezepturen einsparen.

Technischer Fortschritt: Organische Bindemittel/Polymere
Diese Rohstoffkategorie ist derzeit praktisch vollständig erdölbasiert. Auf Basis nachwachsender Rohstoffe lassen sich mittlerweile funktionsfähige Bindemittel (z.B. Cellulose- und Stärkederivate) oder durch Fermentation Monomere für die Polymerisierung herstellen. In wieweit diese Ressourcen für die chemische Industrie zu wettbewerbsfähigen Konditionen, ökologisch und sozial sinnvoll hergestellt werden können, wird die Zukunft zeigen.

Ausblick
Nachhaltigkeit hat sich als festes Element in der Bauchemie etabliert. Derzeit liegt der Fokus der Aktivitäten darin, die CO2-Bilanz der Produkte zu verbessern. Durch Produkte mit einem höheren Leistungsspektrum sollen die Energiebilanz von Gebäuden verbessert und die benötigten Massenströme reduziert werden. Ökobilanz und Umweltproduktdeklaration sind daher probate Mittel, um die Nachhaltigkeit von Produkten zu bewerten.
Weitergehende Konzepte nach den Cradle-To-Grave (Rohstoffe - Transport - Produktion - Gebrauch - Rückbau und Deponierung) und Cradle-To-Cradle (Rohstoffe - Transport - Produktion - Gebrauch - Rückbau und Recycling) Betrachtungen sind erst in Frühstadien der Entwicklung.