Chemie & Life Sciences

Tenside mit regionalen Pflanzenölen

Europäische Pflanzenöle erweitern die oleochemische Basis bei der Herstellung nachhaltiger Tenside

08.10.2019 -

Die Defossilierung der Wirtschaft, d. h. der Einsatz erneuerbarer Materialien und erneuerbarer Energie anstelle von Erdöl, stellt eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar. Dabei muss gleichzeitig auch die Biodiversität als natürliches Erbe respektiert und bewahrt bleiben, so wie es im Nagoya-Vertrag im Jahr 2010 festgelegt wurde. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es nachhaltige Lösungen und die Innovationen dahinter müssen strenge Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen, um zukünftige Verbraucherbedürfnisse zu befriedigen.

Ganzheitliche, wahrhaftige Nachhaltigkeit ist ein ambitioniertes Ziel. Nachhaltigkeit meint per Definition die Gleichrangigkeit von ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. In keinem Fall sollen ökonomische Ziele primär vor ökologischen und sozialen Zielen verfolgt werden. Ein ganzheitlicher Blick auf Nachhaltigkeit sollte effektive und geschlossene Kreisläufe berücksichtigen. Dafür stehen die Prinzipien von „Cradle-to-Cradle“: Die richtigen Dinge zuerst tun (Effektivität) und diese dann anschließend optimieren (Effizienz) und nicht umgekehrt. Nicht ganzheitlich nachhaltige Technologien sollten nicht weiter optimiert werden, selbst wenn sie ökonomisch vorteilhaft erscheinen.

Tenside für nachhaltige Produkte Tenside für nachhaltige Endverbraucherprodukte sollten folgenden Kriterien entsprechen: Sehr gute aerobe und anaerobe biologische Abbaubarkeit, bestmögliches toxikologisches und ökotoxikologisches Profil, die Majorität des Moleküls sollte pflanzlich basiert sein und der landwirtschaftliche Anbau und die Logistik sollten eine möglichst geringe Umweltbelastung darstellen. Erneuerbare Pflanzenöle gewinnen seit mehr als zwei Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung bei der Herstellung von Tensiden. Heute sind bereits ca. 50 % des lipophilen Teils von Tensiden auf Basis erneuerbarer Pflanzenöle, während es in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts gerade einmal nur etwa 20 % waren. Andererseits ist die Quelle des regenerativen Teils nicht biodivers, sondern basiert in hohem Maße auf Palmkernöl und zu geringerem Umfang auf Kokosöl. Aus vielerlei Gründen wurden die sog. „Lauric Oils“ zum Standard in der Oleochemie. Alternative Pflanzenöle aus Ölpflanzen aus der gemäßigten Klimazone der Erde würden zu einer größeren Vielfalt führen. Die Verfügbarkeit stellt kein Hindernis dar, da bereits die drei großen Pflanzenöle Raps-, Sonnenblumen- und Olivenöl zusammen genommen einen globalen Ernteertrag von ungefähr 50 Mio. t Pflanzenöl liefern.

Zusammensetzung der Öle Pflanzenöle aus gemäßigten Klimazonen sind anders zusammengesetzt als solche aus den Tropen. Die Kohlenstoffkette der Triglyceride ist im ersten Fall länger (hauptsächlich C18 vs. C12/C14) und abhängig von der Art der Ölsaat sind die enthaltenen Fettsäuren mehr oder weniger ungesättigt, d. h. sie enthalten Doppelbindungen, was sich in der entsprechenden Jod-Zahl manifestiert. Sowohl Kettenlänge als auch Doppelbindungen haben einen Einfluss auf die chemische Reaktivität und die anwendungstechnischen Eigenschaften. Die Doppelbindungen in mehrfach ungesättigten C18-Fettsäuren (engl.: PUFA, Polyunsaturated Fatty Acids) haben einen ähnlichen Effekt auf Schmelzbereich und Viskosität wie Verzweigungen in gesättigten C-Ketten, jedoch mit dem Vorteil der sehr guten biologischen Abbaubarkeit der geradzahligen, unverzweigten Moleküle. An den Doppelbindungen können prinzipiell auch chemische Modifikationen vorgenommen werden. Andererseits muss die erhöhte Reaktionsbereitschaft in Anwendungen berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, von qualitativ hochwertigen Rohstoffen auszugehen und ggf. natürliche Antioxidantien wie bspw. Vitamin C und E einzusetzen, um hohen sensorischen Ansprüchen zu genügen. In jedem Fall ist der Verwendung von Tensiden auf Basis von Ölsaaten der gemäßigten Klimazone nicht durch einen 1:1 Austausch in Rezepturen von Haushalts- und Körperpflegemitteln mit solchen auf Basis tropischer Öle zu bewerkstelligen, sondern braucht Forschungs- und Entwicklungsaufwand.

Ökonomische Herstellung von Tensiden Zur ökonomischen Herstellung von Tensiden aus C18-PUFAs bzw. den ursprünglichen Triglyceriden behält man idealerweise die Oxidationsstufe der Carboxyl-Gruppe bei. Durch Aminolyse erhält man bspw. stabile Amide, die nach Hydro­philierung am Stickstoff-Atom amphiphile Eigenschaften erhalten. Zwei konkrete Beispiel dafür sind ethoxylierte Fettsäureamide auf Basis von Raps­öl und Oleylglucamide aus Sonnenblumenöl. Letztere sind fast vollständig aus erneuerbarem Kohlenstoff aufgebaut. Beide nicht­ionische Tensid-Typen sind extrem mild und hautfreundlich. Zudem können sie sehr stabile Schäume bilden. Bei der Anwendung in unterschiedlichen Haushalts- und Körperpflegemitteln zeigen sie starke Emulgiereigenschaften. Schließlich können auch Seifen aus C18-PUFAs, z. B. auf Basis von Oliven- und Leinöl, erfolgreich formuliert werden.

Tenside der Zukunft Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass C18-PUFAs aus regionalen Pflanzenölen die oleochemische Basis für die Herstellung von Tensiden erweitert. Diese Art von Tensiden aus Ölsaaten der gemäßigten klimatischen Zone zeigen synergistische Effekte in Haushalts- und Körperpflegemitteln. Da sie zusätzlich äußerst mild zur Haut sind, können sie vorteilhaft für sensitive Rezepturen verwendet werden. Ein Ausblick auf weitere Entwicklungen liefert die mögliche Spaltung der ungesättigten C18-Kette, die zu C9-, C10- oder C11-Fettsäuren führt und damit prinzipiell ein Zugang zu kurzkettigen Tensiden darstellt. Die zugrunde liegenden chemischen Reaktionen sind etabliert.   ZUR PERSON

Edgar Endlein ist Mitglied der Geschäftsführung von Werner & Mertz in Mainz und verantwortet dort den Unternehmensbereich F&E / QM & QS. Der promovierte Chemiker hat fast 30 Jahre Industrieerfahrung in den Bereichen Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetik, Riechstoffe und funktionelle Rohstoffe. Endlein leistet Vorstandsarbeit in der GDCh-Fachgruppe „Chemie des Waschens“. Zudem ist er Mitglied in weiteren wissenschaftlichen Gremien (SEPAWA, DGP, DGK) und arbeitet in Verbänden wie dem Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW) mit.

 

 

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