Chemie & Life Sciences

Vom 3D-Druck zur generativen Fertigung

Druckverfahren und Materialien müssen weiterentwickelt werden

11.10.2016 -

Ursprünglich bezeichnete der Begriff „3D-Druck“ (3D Printing) das vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) patentierte Verfahren, aus Sand durch schichtweisen Auftrag von Binder dreidimensionale, komplex geformte Sandgusskerne herzustellen. Inzwischen hat sich diese Bezeichnung aber umgangssprachlich für alle generativen Fertigungsverfahren eingebürgert. Derzeit gibt es ca. zwei Dutzend mehr oder weniger stark unterschiedliche Verfahren, die Eines gemeinsam haben: Der Aufbau eines Werkstücks erfolgt stets streng schichtweise.

Die erste Anwendung war die Erstellung von Designmodellen mit begrenzter Haltbarkeit und ohne Rücksicht auf die mechanischen Eigenschaften, allenfalls mit einer begrenzten Funktionalität, wie z.B. der Montierbarkeit von mehreren Teilen durch Schnapphaken oder Ähnliches. Inzwischen werden aber sehr viel höhere Anforderungen an die Materialeigenschaften gestellt, insbesondere da der Übergang vom Modell über den Prototypenbau zur Kleinserienfertigung angestrebt wird.

Während ein konventionelles Kunststoffspritzgussteil in erster Näherung als monolithisch mit allenfalls einer konstruktiv unvermeidlichen Bindenaht angesehen werden kann, bestehen generativ hergestellte Werkstücke je nach Verfahren zwangsläufig aus mindestens ebenso vielen Bindenähten wie Schichten, Partikel oder Voxel (3D-Pixel). Für die Materialien bedeutet das, dass sie bei den heutigen 3D-Druckverfahren genau für den Fall optimal geeignet sein müssen, der in der klassischen Kunststoffverarbeitung möglichst vermieden wird.

Verschiedene 3D-Druckverfahren

Grundsätzlich ist zwischen 3D-Druck-Verfahren zu unterscheiden, bei denen ein fertiger polymerer Werkstoff durch den Druckvorgang umgeformt wird, und solchen, bei denen der polymere Werkstoff während des Druckvorgangs erst durch eine chemische Reaktion in seiner endgültigen Struktur hergestellt wird. Thermisch umformende Verfahren sind u.a. das Lasersintern (SLS, seit 1987) und das Fused Deposition Modeling (FDM bzw. FFF (Fused Filament Fabrication)) und ähnliche Verfahren; solche, die auf einer chemischen Reaktion beruhen, sind u.a. die Stereolithografie (SLA bzw. STL, seit 1983) oder das Multi Jet Modeling (MJM) bzw. Polyjet.

Reaktiv-Verfahren

Bei der chemischen Reaktion handelt es sich praktisch immer um eine durch Licht induzierte Vernetzung, meist von Acrylaten und Methacrylaten (radikalisch) sowie Epoxiden (kationisch). Die daraus entstehenden Werkstoffe unterscheiden sich also in ihrer chemischen Struktur grundsätzlich von den Thermoplasten, deren Polymerketten unvernetzt sein müssen, damit die thermische Verarbeitung möglich ist. Hinzu kommt, dass die reaktiven Baumaterialien als Flüssigkeiten eingesetzt werden müssen. Das bedeutet, dass teilkristalline Polymere wie Polypropylen, Polyester oder Polyamide und solche mit hoher Glasübergangstemperatur wie Polycarbonat oder Polysulfone nicht ohne weiteres als Basismaterialien verwendet werden können, denn sie sind auch als niedermolekulare Oligomere erst bei hohen Temperaturen dünnflüssig genug. Folglich können zwar bestimmte mechanische Eigenschaften typischer Thermoplaste oder thermoplastischer Elastomere auch in den Reaktiv-Verfahren wie SLA und MJM imitiert werden, jedoch bleibt immer der Unterschied in der chemischen Struktur, so dass Eigenschaften wie elektrische Isolationsfähigkeit, Licht- und Witterungsbeständigkeit grundsätzlich abweichen und – so weit möglich – mit Additiven erst eingestellt werden müssen.

Polyjet-Verfahren

Dem steht als Vorteil gegenüber, dass MJM und Polyjet-Verfahren, da sie auf dem Prinzip der Tintenstrahldrucker beruhen, im Prinzip einen Vollfarb-Druck ermöglichen, so dass Bauteile hergestellt werden können, die in der Farbgebung mit den klassischen Methoden der Kunststoffverarbeitung nur mit Nachbearbeitung (Bedrucken, Lackieren) zugänglich sind. Bei der Bedeutung von Design, Farbgebung, Individualisierung und Modetrends stellt dies einen potenziell erheblichen Vorteil für die Fertigung von Kleinserien oder gar individuell gestalteten Gegenständen dar. Weiterhin können an Stelle verschieden eingefärbter Materialien auch solche mit verschiedenen mechanischen und sonstigen Eigenschaften genutzt werden, so dass z.B. die Kombination von hart-weich, steif-elastisch oder transparent-opak innerhalb eines einzigen Bauteils möglich ist. Das Verfahren bietet daher potenziell erhebliche Vorteile bei der Produktion komplexer Werkstücke. Daher wird sicherlich ein Schwerpunkt der Materialentwicklung hier die möglichst weitgehende Anpassung der Endeigenschaften der Materialien an die bekannten Kunststoffe sein.

Thermisch umformenden Verfahren

Im Fall der thermisch umformenden Verfahren wie SLS und FDM können im Prinzip die gleichen Werkstoffe verwendet werden wie im Spritzguss, so dass idealerweise alle Materialeigenschaften eines Werkstücks aus einem generativen Herstellungsverfahren und einem konventionellen identisch sein könnten. In der Praxis ist dies jedoch wegen des schichtweisen Aufbaus und der damit verbundenen Unvermeidbarkeit einer vergleichsweise enormen Zahl von Bindenähten zwar für das Material an sich der Fall, nicht aber für das Werkstück. Am nächsten kommen Werkstücke aus dem SLS-Verfahren (selektives Lasersintern von Kunststoffpulver) den Eigenschaften von Spritzgussteilen. In anderen Fällen (FDM/FFF) werden senkrecht zur Schichtebene oft nur 70% der Festigkeit erreicht. Wird für die Herstellung des Druckmaterials (Filament, Pulver) konventionelles Granulat verwendet, können auch die materialspezifischen Additive und Stabilisatoren bereits enthalten sein, so dass Werkstücke aus dem 3D-Drucker dann ebenso ausgerüstet sind wie solche aus den konventionellen Verarbeitungsverfahren.

FDM bzw. FFF unterscheidet sich von den anderen Verfahren auch dadurch, dass nach Ablauf der grundlegenden Patente vor wenigen Jahren inzwischen eine enorme Vielzahl an Druckerherstellern auf dem Markt aktiv ist, die teilweise schon Geräte zu Preisen von 500 EUR anbieten. Damit ist der Zugang auch für Hobby- und semiprofessionelle Anwender geöffnet, auf jeden Fall aber sind Desktop-3D-Drucker für jedes Büro realisierbar.

Gegenwärtig werden für FDM/FFF hauptsächlich amorphe Kunststoffe verwendet, da teilkristalline durch ihren größeren Schrumpf anspruchsvoller zu verarbeiten sind. Zudem verursacht die Kristallinität oft eine schlechte Haftung der Schichten aufeinander. Eine gute Verbindung der Schichten, vor allem wenn die materialspezifische Festigkeit ausgenutzt werden soll, erfordert eine Interdiffusion der Polymerketten aus der Schmelze in das bereits abgekühlte Material der vorangegangenen Schicht hinein. Dies kann nur durch das Zusammenspiel von Baugeschwindigkeit, Schmelzetemperatur, Bauraumtemperatur, Schmelzerheologie, Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit optimiert werden. Hier sind Anpassungen der Materialien durch Compoundierung und Blends mit Funktionshilfsstoffen notwendig, wenn tatsächlich der Zugang zur Kleinserienproduktion in absehbarer Zeit erreicht werden soll.

Aktuelle Entwicklungen

Neuere Entwicklungen, die das Potenzial der generativen Fertigungsverfahren in Richtung Produktion beträchtlich ausweiten können, sind CLIP (Continuous Liquid Interface Production) von Carbon-3D, Infinite Build und Robotic Composite von Stratasys und der Freeformer von Arburg. CLIP beruht ähnlich wie die Stereolithografie auf einem Fotopolymer-Bad, das durch Laserlicht ausgehärtet wird, unterscheidet sich aber dadurch, dass die Baurichtung umgekehrt wurde. Das Material wird also kontinuierlich „von unten“ angebaut, während das Werkstück nach oben aus dem Bad herausgezogen wird. CLIP ist wohl derzeit mit großem Abstand das schnellste Verfahren.

Robotic Composite von Stratasys stellt eine erhebliche Verbesserung des FDM-Verfahrens dar, das den schichtweisen Aufbau ein Stück weit auflösen kann. Hierbei wird der FDM-Druckkopf im Prinzip durch einen Sechs-Achs-Roboter gesteuert, und das Werkstück gleichzeitig durch einen Träger geführt, der um zwei Achsen beweglich ist. Damit ist es möglich, nicht nur schichtweise zu bauen, sondern der Materialauftrag kann auch in einem beliebigen Winkel zur Schichtung aufgetragen werden. Im Prinzip sind somit „Schraffuren“ in alle drei Raumrichtungen möglich sowie Orientierung des Materialauftrags in Lastrichtung. Das eröffnet nun tatsächlich den Weg zu Bauteilen, die mit konventionellen Herstellverfahren für Bauteile unmöglich sind.

Ein Stück weit wurde ein ähnlicher Gedanke auch im von Arburg 2014 vorgestellten ursprünglichen Prototyp des Freeformers verfolgt: Hier wurde zwar der Druckkopf nur in zwei Achsen bewegt (x-y innerhalb einer Schicht), aber das Werkstück wurde von einem Roboter relativ frei bewegt. Die Idee war hier zwar, durch ständig angepasste geeignete Orientierung des Werkstücks auch bei komplexen Geometrien ohne Stützmaterial auszukommen. Vom Prinzip her wäre aber damit ebenfalls eine „Auflösung“ der strengen Schichtstruktur möglich.

Fazit

Der Einsatz der generativen Fertigung für echte Produktion ist zweifellos sehr attraktiv und wird ungeahnte Möglichkeiten der „3D-gerechten“ Konstruktion und des Designs ermöglichen. Der Erfolg wird aber davon abhängen, dass die bestehenden Druckverfahren und Materialien erheblich weiterentwickelt werden, um das Potenzial auch wirklich ausschöpfen zu können. In der konventionellen Produktion werden Bauteile weitgehend optimiert ausgelegt, es wird also nicht das „beste" Material verwendet, sondern ein für die Anwendung gerade „ausreichendes“. Das bedeutet für die generativen Fertigungsverfahren, dass beim Einsatz von Standardmaterial nicht viel Spielraum in Bezug auf die Eigenschaften besteht, denn eines ist sicher: Einen größeren Materialverbrauch, höheres Gewicht, größere Wandstärken zum Ausgleich verfahrensbedingter reduzierter Festigkeiten oder ein größeres Versagensrisiko eines Bauteils wird wohl im Bereich der Serienproduktion niemand akzeptieren.

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