Strategie & Management

Biomasse - der Stoff, aus dem die Träume sind

Kurzfristig lassen sich nur Biokraftstoffe und Biogas in die bestehende Infrastruktur einigermaßen ­reibungslos integrieren

29.05.2012 -

CITplus - Bioökonomie ist ein Schlagwort mit Substanz. Zwar sind wir von einem Wirtschaftssystem, das vollständig auf nachwachsenden Rohstoffen basiert, noch weit entfernt. Doch immer öfter stellt sich Unternehmensstrategen die Frage, welche Rohstoffe langfristig zu welchen Preisen verfügbar sein werden und ob die eigenen Strukturen dafür geeignet sind bzw. angepasst werden müssen.

Letztlich basieren zurzeit sowohl die Energie- als auch die Rohstoffversorgung für die chemische Industrie (und damit die weiterverarbeitenden Branchen) im Wesentlichen auf fossilen Ressourcen. Doch das wird sich ändern: Angesichts deren Endlichkeit und unter dem Eindruck des Klimawandels werden langfristig Bioraffinerien, Biogas und Biofuels an die Stelle von Petrochemie, Erdgas und Benzin treten. Politische Vorgaben gibt es schon. Biokraftstoffe (also Biodiesel, -ethanol etc.) hatten 2010 einen Anteil von 5,8 % am gesamten Kraftstoffverbrauch; bis 2020 soll er nach dem Willen der Bundesregierung auf 10 % steigen. Bei den Erdgasautos sollen bis 2020 20 % des Methans aus Biogasanlagen stammen; in Schweden sind heute schon 55 % erreicht.

Einstieg in die Bioökonomie
Bis 2030, so die Vision der Bundesregierung, soll der Einstieg in die Bioökonomie vollzogen sein. Das betrifft zum einen die stoffliche Nutzung. Biomasse ist - abgesehen vom CO2 - die einzige nicht-fossile Kohlenstoffquelle. Doch auch die Energieversorgung, besonders im Hinblick auf die Mobilität, wird stärker als heute von nachwachsenden Rohstoffen abhängen. Zwar können langfristig neue Konzepte wie Elektromobilität oder Wasserstoff zum Zuge kommen, doch auf kurze Sicht lassen sich nur Biokraftstoffe und Biogas in die bestehende Infrastruktur einigermaßen reibungslos integrieren. Außerdem stellt die Elektromobilität für Schwertransporte und für die Luftfahrt keine Alternative dar; für diese Anwendungen wird man auf flüssige Kraftstoffe zurückgreifen müssen. Auch Erdgas für Heizung oder zum Kochen ist auf kurze Sicht nur durch Biogas substituierbar.
Der Umbruch in der Wertschöpfungskette, der dabei entsteht, ist erheblich: Neue Versorgungs- und Logistikstrukturen sind erforderlich, um die kontinuierliche Bereitstellung von Ressourcen sicherzustellen. Kamen die fossilen Rohstoffe bisher aus relativ punktuellen Quellen (Öl-, Gasfelder, Kohlebergbau), fällt Biomasse weit gestreut in der Fläche an. Doch die Diskussion muss sogar noch früher ansetzen: Wie viel Biomasse steht für welche Zwecke überhaupt zur Verfügung? Die Angaben darüber variieren erheblich. Das hängt auch damit zusammen, dass die Potentiale unterschiedlich ermittelt werden.

Biomasse reicht nicht für gesamten Energiebedarf
Zwischen dem theoretisch nutzbaren Angebot, wenn alle verfügbaren Flächen mit Energiepflanzen bebaut werden und jedes Fleckchen Wald mit in die Nutzung eingeht, und dem tatsächlich erschließbaren Potential, das unter Berücksichtigung aller wirtschaftlichen, ökologischen und sozio-kulturellen Randbedingungen genutzt werden kann, besteht eine große Differenz. Besonders der limitierende Faktor Fläche und die Flächennutzungskonkurrenz machen sich hier bemerkbar. Mittlerweile liegen erste übergreifende Studien vor; danach kann die Biomasse in Europa einen nennenswerten Anteil des Energiebedarfs decken, allerdings bei Weitem nicht den Gesamtbedarf.
Die absoluten Zahlen liegen je nach Quelle weit auseinander, weil keine einheitliche Ermittlungsgrundlage gegeben ist. Eine Festlegung von Standards hierfür wäre sinnvoll. Nur so kann sichergestellt werden, dass zunächst der weltweite Lebensmittelbedarf gedeckt wird. Unter Berücksichtigung aller ökologischen Randbedingungen sollte die dann noch zur Verfügung stehende Biomasse zunächst stofflich und zur Kraftstoff- und Biogasgewinnung genutzt werden - und das möglichst effizient.

Umdenken in der Produkt- und ­Prozessentwicklung erforderlich
Das erfordert ein Umdenken schon in der Produkt- und Prozessentwicklung. Anstelle der Funktionalisierung einfacher Molekülstrukuren, die bei petrochemischen Prozessen häufig in der Gasphase und an heterogenen Katalysatoren stattfand, müssen nun komplexe Moleküle gezielt defunktionalisiert werden; das geschieht häufig in der Flüssigphase und unter Einbeziehung von homogener oder Biokatalyse. Doch gleichzeitig eröffnet dieser Umstieg auch den Zugang zu neuen und besseren Produkten. Ein Beispiel dafür sind Biokraftstoffe der 3. Generation. Dabei geht es darum, maßgeschneiderte Produkte mit optimalem C/H-Verhältnis herzustellen, die möglichst NOx- und rußfrei verbrennen. Die Forscher identifizieren gezielt Molekülstrukturen, die die geforderten Parameter optimal erfüllen, und suchen dann Möglichkeiten zu deren Herstellung aus Biomasse. Ein Beispiel dafür ist 2-Methyltetrahydrofuran (2-MTHF), das derzeit viel Aufmerksamkeit weckt. Die Herausforderung besteht in der gezielten Defunktionalisierung und Hydrierung von Lävulinsäure, die aus Lignocellulose gewonnen werden kann. Nach Angaben der RWTH ­Aachen lässt sich mit 2-MTHF im Ottomotor ein bis zu 10 % höherer Wirkungsgrad erreichen als mit konventionellem Ottokraftstoff.
Einen Spezialfall stellen Biokraftstoffe für die Luftfahrt dar. Die Lufthansa führte von Juli bis Januar Testflüge durch, bei denen im regulären Flugbetrieb ein Triebwerk mit BtL-Treibstoff auf der Basis von Jatropha- und anderen Pflanzenölen betankt wird. Laut einer Studie von Lufthansa, BASF und OMV ist BtL-Kerosin bei steigenden Ölpreisen durchaus eine wirtschaftliche Alternative. Generell sind bei der Abwägung zwischen fossilen und nachwachsenden Rohstoffen aber immer mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Neben dem Preis des Rohstoffs geht es dabei unter anderem um Qualität und Versorgungssicherheit, bei der die Preisvolatilität ebenfalls eine Rolle spielt. Da das BtL-Kerosin derzeit zwei- bis dreimal so teuer ist wie konventioneller Treibstoff und für den Routinebetrieb auch noch keine ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen, hat die Lufthansa Mitte Januar den Test trotz Erfolgs vorerst beendet.

Verfahren zur Herstellung von Biogas
Anders als bei der stofflichen Nutzung und bei den modernen Biokraftstoffen muss bei der Biogas-Herstellung die Biomasse zu kleinen Molekülen, nämlich Methan, umgesetzt werden. Dabei stehen mehrere Verfahren zur Auswahl. Weithin bekannt sind die Biogasanlagen, in denen durch anaerobe Gärung ausgehend von Gülle, landwirtschaftlichen Reststoffen, Mais und Biomüll Biogas erzeugt wird. Der Prozess basiert auf einem Zusammenspiel verschiedener Mikroorganismen und kann in unterschiedlichen Reaktortypen ablaufen. Wenn das Biogas ins Erdgasnetz eingespeist werden soll, folgt noch eine Aufbereitungsstufe, in der Schwefelwasserstoff eliminiert und der CO2-Gehalt reduziert werden. Nach Angaben des Fachverbandes Biogas waren Ende 2010 5.905 Biogasanlagen im Einsatz, doch nur 45 davon speisten Biomethan ins Netz ein; bei den übrigen wurde das Biogas verstromt.
Eine Alternative zur fermentativen Biogasherstellung bietet die thermochemische Biomethanherstellung. Dabei wird durch Pyrolyse und Vergasung aus holzartiger Biomasse Synthesegas (Bio-SNG) erzeugt, das anschließend methanisiert wird. Dieser Prozessschritt ist stark exotherm und erfordert ein gutes Wärmemanagement. Die eingesetzten Katalysatoren reagieren außerdem empfindlich auf Schwefel. Das Produkt ist ähnlich zusammengesetzt wie fermentativ erzeugtes Biogas; auch hier muss der CO2-Gehalt vor der Einspeisung deutlich reduziert werden. Kommerzielle Anlagen für die thermochemische Methangewinnung aus Biomasse existieren bisher nicht; in verschiedenen Ländern sind jedoch Demonstrationsanlagen im Einsatz. Auf lange Sicht wird hier eine weit größere Anlagenkapazität erwartet als bei Biogasanlagen, die auf Fermentation basieren.

Vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für Biomasse
Interessant an den beiden parallelen Verarbeitungswegen ist, dass sie sich nahezu ideal ergänzen; während die anaerobe Gärung Li­gnin-arme, sehr wasserhaltige Biomasse benötigt, eignet sich für Bio-SNG-Gas besonders Biomasse mit hohem Lignocelluloseanteil, die sich so vollständig nutzen lässt.
Die Nutzungsmöglichkeiten für Biomasse sind mindestens so vielfältig wie ihre Herkunft und die mit der jeweiligen Anwendung verbundenen Fragen: Was ist verfügbar, was wird gebraucht und wie wird beides am besten zur Deckung gebracht? Und für welche Anwendung bietet welche Biomasse wirtschaftliche Optionen? Letztlich müssen bei der Konzeption einer Bioökonomie deshalb die globale Perspektive und die Detailbetrachtung ineinandergreifen; dann ist Biomasse nicht der Stoff, aus dem die Träume sind, sondern der Stoff, auf dem die Zukunft ruht.

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