Forschung & Innovation

Der Traum vom langen Leben

Wissenschaftler versuchen, das Altern der Menschen aufzuhalten, doch der Weg zum Jungbrunnen ist mühsam und weit

10.09.2019 -

Die Lebenserwartung der Menschen nimmt vor allem dank des medizinischen Fortschritts und immer besserer Kenntnisse in der Zelltherapie zu. Wissenschaftler halten ein Alter von 120 für realistisch, teilweise gehen die Prognosen sogar deutlich darüber hinaus. Doch die biologischen Schranken sind hoch. Ungeachtet dessen forschen immer mehr Unternehmen am Schlüssel für ein langes Leben. Wer den findet, kann auf Ruhm und hohe Umsätze hoffen.

Süßwasserpolypen machen vor, wie es geht: In nur wenigen Tagen können sie ihre Zellen komplett erneuern. Damit wäre für die Tiere unter optimalen Bedingungen ein womöglich unbegrenztes Leben möglich. Zebrafische wiederum verfügen über die Fähigkeit, ihre Organe zu erneuern. Wir Menschen müssen uns dagegen damit abfinden, dass unsere Zellen und Organe nur eine Richtung kennen – sie werden biologisch immer älter und versagen schließlich ihren Dienst.
Dennoch ist es manchen Menschen in der Vergangenheit offenbar gelungen, ein hohes Alter zu erreichen: Methusalem soll es auf 969 Jahre gebracht haben, Noah auf 950 und Adam auf 930 Jahre. Sofern man diesen Angaben trauen darf, waren uns diese Vorfahren biologisch ein großes Stück voraus.
Immerhin. Etwa 17.000 Menschen haben 2018 in Deutschland ihren 100. Geburtstag gefeiert – so viele wie nie zuvor. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den vergangenen 100 Jahren weltweit stetig gestiegen. Wer heute geboren wird, hat gute Chancen, 90 Jahre alt zu werden. Andererseits zeigt sich, dass es für Menschen auch ein maximales Alter zu geben scheint. Die Schallmauer liegt bei etwa 120 Jahren. Älter wird fast niemand.  „Der Alterungsprozess ist kein Mysterium. Er kann verstanden und überwunden werden.” (Life Biosciences)  
Sind 1.000 Jahre möglich?
Das Phänomen des Alterns zu verstehen und zu überwinden reizt seit jeher auch den Forscherdrang von Biowissenschaftlern. In Zeiten, in denen große Volkskrankheiten mittels moderner Therapien immer besser bekämpft werden können, widmen sich immer mehr Biologen, Neurologen und Life-Science-Unternehmer der Frage, wie der Alterungsprozess verlangsamt, gestoppt oder gar umgedreht werden kann. So wie der britische Gerontologe und Informatiker Aubrey de Grey, der die Annahme, Altern sei unvermeidlich, für Nonsens hält und die These wagt, dass Menschen 1.000 Jahre alt werden können. Der Mann mit dem Rauschebart führt das Altern auf Schäden im Zellinneren zurück. Es könne aufgehalten werden, indem wir unseren Körper auf Zell- und Molekularbasis stärken. Craig Venter, dem Pionier der Genforschung, war es zur Jahrtausendwende als Erstem gelungen, einen kompletten Plan des menschlichen Erbguts zu präsentieren. Nun geht er mit dem Unternehmen Human Longevity einen Schritt weiter. Aus der Analyse des menschlichen Genoms will er deren jeweilige Individualität herauslesen – die DNA soll also eine Blaupause für das Aussehen sein. Damit soll es eines Tages möglich sein, ein Gesicht per Erbgutanalyse zu rekonstruieren. Mit dieser Methode will er zudem Altersleiden wie Krebs, Herzkrankheiten und Demenz bekämpfen und damit das Leben der Menschen verlängern. Die eingehende Analyse unserer Gene ist ein Ansatz, die Auffrischung unserer Zellen und unseres Blutes ein anderer: So konnten Wissenschaftler in Tierversuchen zeigen, dass ältere Fische, Würmer oder Mäuse wieder fitter und leistungsfähiger werden, wenn man ihnen körpereigene Stoffe jüngerer Tiere zuführt. Die kalifornische Firma Alkahest bspw. hat alten Mäusen das Blutplasma von jungen Tieren verabreicht und damit deren Gedächtnisleistung deutlich verbessert. Diesen Ansatz übertrug Alkahest-Mitgründer und Neurologe Tony Wyss-Coray von der Stanford University auf den Menschen. Er testete an Alzheimer-Patienten, ob sich das Vergessen mit Hilfe von frischem Blutplasma junger Menschen aufhalten lässt. Dabei, so seine Beobachtung, habe man eine signifikante Verbesserung bei alltäglichen Tätigkeiten festgestellt. Wenn der Mensch dann doch eines Tages stirbt, könnte seine Existenz nach den Vorstellungen von Terasem Movement wenigstens virtuell fortgeführt werden. Die Organisation verfolgt die Idee, dass Computerprogramme das menschliche Leben mit allen Gefühlen und Gedanken übernehmen und in die Zukunft tragen. In eine ähnliche Richtung denkt der Futurist Raymond Kurzweil: Nanotechnologie könnte die Aufgaben unseres Immunsystems übernehmen. Die Inhalte unseres Gehirns werden wir künftig in eine Cloud laden, um ein personenspezifisches Back-up zu erstellen. Daraus könnte schließlich ein Mensch ohne feste körperliche Form entstehen.

Ruhm und Geld
Altersforschung und die Suche nach Therapien gegen das Altern haben sich zu einem Trend innerhalb der Biowissenschaften entwickelt. Wer die Formel für das lange Leben findet, wird nicht nur viel Ehre einheimsen, sondern auch eine Menge Geld verdienen. Kein Wunder, dass auf diesem Feld in den vergangenen Jahren zahlreiche junge Unternehmen mit fantasievollen Namen wie Restorbio, Elysium Health oder Bioquark aus dem Boden geschossen sind. Ob sich der Traum von neuen lebensverlängernden Technologien wirklich erfüllt, ist unter Branchen­experten allerdings umstritten. Die Herausforderungen sind hoch. Und Erfahrungen aus der Vergangenheit mahnen zur Vorsicht. Neue Technologien aus der Biotechforschung brauchen oftmals viel länger zur Marktreife als erwartet.  Christoph Englert, Professor am Leibnitz-Institut für Altersforschung in Jena, glaubt jedenfalls nicht, dass eine Lebenszeitverlängerung beim Menschen möglich ist. Zwar könne man einen einzelnen Faktor im menschlichen Organismus verändern, so dass dieser länger funktioniert, andere aber nicht. Das sei vergleichbar mit einem Auto: Man könne den Motor verbessern, trotzdem breche irgendwann die Karosserie zusammen, sagte Englert 2018 im WDR-Wissenschaftsmagazin Quarks. Es werde immer ein Teil geben, das begrenzend wirkt und dazu führt, dass der Mensch die Altersgrenze von 120 nicht überschreiten wird. Das Ziel sollte vielmehr sein, die Gesundheit des Menschen möglichst lange zu erhalten.  

„Nanotechnologie könnte die Aufgaben unseres Immunsystems übernehmen.“
(Raymond Kurzweil)


Den Alterungsprozess erforschen
Eines der prominentesten Beispiele bei der Suche nach lebensverlängernden Therapien ist die 2013 vom Suchmaschinenbetreiber Google gegründete Firma Calico. Die bezeichnet den Alterungsprozess selbst als eines der größten Mysterien. Die Firma will weit entwickelte Technologien nutzbar machen, um unser Verständnis von der Biologie und dem Alterungsprozess zu vertiefen und ein längeres und gesünderes Leben zu erreichen.  „Der Alterungsprozess ist kein Mysterium“, teilt hingegen die Bostoner Firma Life Biosciences auf ihrer Webseite mit. „Er kann verstanden und überwunden werden.” Im Januar 2019 sammelte das Unternehmen 50 Mio. USD ein, um mit Hilfe von Tochtergesellschaften die Forschung und Entwicklung von Anti-Alterungstechnologien voranzutreiben. Firmenchef Tristan Edwards will dabei vor allem bei der Zellalterung und Stammzellenerschöpfung ansetzen.

Hoffnung auf die Jugend
Ein anderes Anti-Aging-Start-up, Juvenescence, hat sich vorgenommen, künstliche Intelligenz mit der klassischen Wirkstoffentwicklung zu kombinieren, um Therapien gegen den Alterungsprozess zu entwickeln. Unity Biotechnology, ein Biotechunternehmen aus Kalifornien, hat kürzlich erstmals mit einem experimentellen Wirkstoff Daten gewonnen. Die sollen zeigen, dass durch die Bekämpfung von alten bzw. seneszenten Zellen im Menschen einige Symptome des Alterungsprozesses verlangsamt werden können.  Ungeachtet solcher Nachrichten ist es noch ein weiter Weg, bis eine Verjüngungspille auf den Markt kommen wird. Bis dahin muss sich die Menschheit auf näher liegende Faktoren beschränken, die wesentlichen Einfluss auf die Dauer unseres Lebens haben. Zwei davon können wir nicht beeinflussen – unsere Gene wie auch unser Geschlecht. So leben Frauen hierzulande im Durchschnitt gut vier Jahre länger als Männer. Faktoren wie eine gesunde Ernährung, eine positive Lebenseinstellung und ausreichend Bewegung können wir hingegen selbst steuern. Viele Wissenschaftler halten es denn auch für sinnvoller, die Gesundheit des Menschen möglichst lange zu erhalten als dem Traum eines über 120 Jahre hinausreichenden Lebens nachzuhängen.

Biologische Altersbestimmung per Testkit
Wer will, kann sich zudem mit einem Testkit für einige hundert Euro sein sogenanntes epigenetisches, also biologisches, Alter bestimmen lassen. Sollte dabei herauskommen, dass der biologische Alterungsprozess dem kalendarischen hinterherhinkt, dürfte man erfreut sein. Experten weisen darauf hin, dass man auf die Aussagekraft derartiger Tests nicht zuviel geben sollte. Andere körperrelevante Werte wie der Blutdruck oder der Cholesterinspiegel hätten eine deutlich größere Aussagekraft über den Zustand unseres Körpers. Dennoch stellt die epigenetische Uhr laut Steve Horvath, Professor an der University of California, ein wichtiges Werkzeug in der Altersforschung dar, wie er in Quarks sagte. Gelänge es zu verstehen, was hinter dieser Uhr steckt und wie das Uhrwerk aussieht, komme man auch einen großen Schritt weiter, um jene magische Pille entwickeln zu können, die unser Leben verlängert. Sollte dieses große Ziel eines Tages erreicht werden, dürften sich plötzlich ganz andere Herausforderungen auftun. Zum einen ist da die Frage, was der Einzelne mit all der gewonnenen Lebenszeit macht? Wird er ewig arbeiten? Wie wird er sich finanzieren? Es stellt sich aber auch die Frage, wie viele Menschen unser Planet verträgt? Wenn immer weniger Menschen sterben, ständig aber neue geboren werden, wird die Erde schnell an ihre Kapazitätsgrenzen geraten. Vielleicht kommen wir dann doch zu der Erkenntnis, dass es besser ist, nach vielen Lebensjahren Platz für neue Generationen zu machen.

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