Forschung & Innovation

Transporter – alte Targets neu entdeckt

Nucleosid- und Nucleobasen-Transporter – Arzneistoff-Targets der Zukunft?

08.02.2010 -

Obwohl man bereits in den 60er Jahren um die Existenz von Nucleosid- und Nucleobasen-Transportern (NTs) wusste, ist ihre intensive Erforschung erst seit kurzer Zeit dank moderner biomedizinischer ­Methoden möglich. NTs sind als Arzneistoff-Targets nicht zuletzt aufgrund neuer Entwicklungen in der Medizin (wie das Auftreten von HIV) und der Notwendigkeit weiterer und verbesserter therapeutischer Ansätze (z. B. bei der Therapie von Krebs oder von Malaria) i­nteressanter als je zuvor.

Im Jahre 1925 schlugen die niederländischen Forscher Gorter und Grendel erstmals die Lipid-Doppelschicht als zentrales architektonisches Element der Zellmembran vor. Diese anerkannte Tatsache ermöglicht es der Zelle, ein sich von ihrer Umgebung unterscheidendes biochemisches Milieu aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Spezielle Kanal- und Transporter-Proteine der Membran erlauben der Zelle hydrophile Verbindungen aufzunehmen oder zu entlassen. Während der Durchtritt durch Kanäle keine spezifische Interaktion erfordert, muss eine Verbindung vor ihrer Membanpassage an den Transporter binden. Erst dann ändert dieser seine Konformation, wobei das gebundene Molekül durch die Membran befördert wird und sich anschließend wieder vom Transporter-Protein löst. Der Transport von Nucleosiden und Nucleobasen wird von speziellen Transportern übernommen. Sie lassen sich in zwei Familien einteilen: equilibrative NTs (ENTs), die eine erleichterte Diffusion entlang eines Konzentrationsgefälles der zu transportierenden Verbindung erlauben und konzentrative NTs (CNTs), die einen Natriumionen-abhängigen Transport gegen einen Konzentrationsgradienten ermöglichen. Bislang sind vier menschliche ENTs und sechs CNTs bekannt, die sich in den jeweils bevorzugt transportierten Strukturen und in ihrer gewebespezifischen Expression unterscheiden (vgl. Abb.).

Vielfältige physiologische Funktionen der Nucleoside und Nucleobasen


Der Transport von Nucleosiden und Nucleobasen ist für diverse physiologische Prozesse von Bedeutung. Fehlt Zellen die enzymatische Ausstattung zur de novo Synthese von Purin- und Pyrimidin-Nucleosiden sind sie auf die Aufnahme von Nucleosiden aus dem Extrazellulärraum angewiesen. Am Beispiel des Adenosins lässt sich das breite Funktionsspektrum von Nucleosiden veranschaulichen: Es wird DNA-transkribierenden und -replikativen Prozessen zugeführt; seine Derivate spielen beim Energiehaushalt (ATP) und bei der Transduktion extrazellulärer Stimuli ins Zellinnere als sekundärer Botenstoff (cAMP) eine entscheidende Rolle. Zudem kann Adenosin extrazellulär als Ligand an Adenosin-Rezeptoren binden und selbst Signalkaskaden auslösen (vgl. Abb.). Auf diese Weise hat es Einfluss auf vielfältige physiologische Prozesse. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig die Regulation extra- und intrazellulärer Nucleosidspiegel ist, die von entsprechenden Transportern übernommen wird.

NTs als Arzneistoff-Target: damals und heute

Bereits Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde ein Arzneistoff mit NTs als pharmakologischen Zielstrukturen beschrieben: das Dipyridamol. Es hemmt Nucleosidtransporter, führt dadurch zu einer Erhöhung der extrazellulären Adenosinkonzentration und wird als Vasodilatator und Thrombozyten-Aggregationshemmer zur Herzinfarktprophylaxe eingesetzt. Während man zur Zeit der Entwicklung des Dipyridamols kaum etwas über die Vielfalt der NTs wusste, nahm der Kenntnisstand besonders in den letzten Jahren immer weiter zu.

Das Spektrum potentieller Indikationen von Pharmaka, die auf NTs wirken, ist breit gefächert und umfasst auch Indikationen im Zentralen Nervensystem: Da Adenosin über die Wirkung an seinen Rezeptoren die zentrale Erregbarkeit herabsetzt, könnten NT-Inhibitoren Potential bei der Behandlung von Schlafstörungen haben. Auch der vielfach beschriebene analgetische Effekt von Adenosin könnte durch eine Hemmung der Rückaufnahme dieses Nucleosides verstärkt werden. Jedoch sind die heute bekannten NT-Inhibitoren noch weit von einem Einsatz bei diesen Indikationen entfernt.
Demgegenüber stehen Pharmaka, die bereits seit langer Zeit auf dem Markt sind und deren Wirkung häufig direkt von der Funktion der NTs abhängt: die Nucleosidanaloga. Die Entwicklung der ersten Vertreter dieser Arzneistoffgruppe wurde 1988 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt. Sie werden eingesetzt bei der Chemotherapie bestimmter Krebsarten, aber auch bei der antiviralen Therapie z. B. von HIV. Die meist hydrophilen Nucleosidanaloga gelangen über NTs an ihren Wirkort.

Verbesserte Therapien durch NT-Subtyp-selektive Nucleosidanaloga?

Die gezielte Entwicklung von Nucleosidanaloga, die nur von einzelnen der NT-Subtypen transportiert werden, kann ein Schlüssel zur gewebespezifischen Wirkung dieser Antimetabolite sein. Da sich die NT-Ausstattung bestimmter Tumorgewebe von der gesunder Zellen unterscheidet, könnte damit die Therapie noch gezielter auf neoplastisches Gewebe ausgerichtet werden. Außerdem könnten über NT-Subtyp-selektive Nucleosidanaloga auch Nebenwirkungen in der antiviralen Therapie verringert werden. Die bei der Behandlung von HIV-Patienten auftretende Lipodystrophie wurde beispielsweise mit der Wirkung der Nucleosidanaloga auf Adipozyten in Zusammenhang gebracht, da diese Zellen nach der Infektion eine verstärkte Expression einzelner NTs aufweisen.

Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass die Resistenzentwicklungen gegenüber einzelnen Nucleosidanaloga mit der Expressionsrate bestimmter NT-Subtypen zusammen hängt. Einerseits kann die reduzierte Expression einzelner NT-Subtypen zu einer verringerten Aufnahme der nucleosidischen Antimetabolite führen. Andererseits könnten intrazelluläre NTs lysosomaler Vesikel eine lysosomale Speicherung und Degradation einiger Nucleosidanaloga begünstigen.

NTs als Zielstruktur für Wirkstoffe gegen parasitäre Infektionen


Weiteres therapeutisches Potential von Wirkstoffen mit NTs als Zielstruktur zeigt sich bei der Therapie von Infektionen mit Protozoen, da diese nicht zur de novo Purinsynthese befähigt und somit auf die Aufnahme extrazellulärer Purine angewiesen sind. Das Interesse an weiteren Wirkstoffen auf diesem Gebiet ist aufgrund der begrenzten Zahl bisher bekannter, gut verträglicher Wirkstoffe groß. Plasmodium falciparum gehört zu der Gruppe dieser einzelligen Parasiten, dessen Befall zu dem Krankheitsbild der Malaria führt. Der Einsatz von NT-Inhibitoren wie auch der von Nucleosidanaloga sind bei Protozoeninfektionen denkbar. Im Vordergrund beim Design der Wirkstoffe dieser Klassen steht die jeweilige Selektivität für NTs des Parasiten. Ganz analog stellen auch bakterielle NTs attraktive Zielstrukturen dar. Denn gerade für die Behandlung der Infektion mit multiresistenten Bakterienstämmen (wie die des Staphylococcus aureus) werden dringend neuartige Antibiotika benötigt.

Erkenntnisgewinn durch Synergismus von Pharmazie und Biologie

Vor der gezielten Wirkstoffentwicklung für die unterschiedlichen genannten Anwendungen ­bedarf es weiterer intensiver Erforschung der NTs verschiedener Spezies. Der experimentelle Zugang dazu wird durch Versuchsanordnungen geschaffen, die die Pharmazie mit modernen Methoden der Biologie verknüpfen. So ist es möglich, biogene wie synthetische Wirkstoff-Strukturen in einem lebenden System zu testen. Zu Beginn der Erforschung von NTs steht die Klonierung und Expression des gewünschten Gens. Potentielle NT-Gene können, nach der ­Sequenzierung des Genoms der untersuchten Spezies, über Sequenzvergleiche gefunden werden. Die Genexpression erfolgt dann in einem geeigneten biologischen System. Für die Erforschung von NTs hat sich die Expression in Krallenfrosch-Oocyten oder in der Bäckerhefe ­bewährt. Die pharmakologische Charakterisierung erfolgt über die Testungen verschiedener Verbindungen an den Transportern. Außerdem stellen Mutagenesestudien in Verbindung mit Computermodellen ein geeignetes Werkzeug zur Gewinnung wertvoller Erkenntnisse für das ­gezielte Design von selektiven und potenten Wirkstoffen mit NTs als Zielstruktur dar.
Ob NTs die Arzneistoff-Targets der Zukunft sind, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Jedoch haben sie großes Potential, Zielstrukturen von Wirkstoffen zu werden, die möglicherweise eine effektivere, nebenwirkungsärmere oder neuartige Therapie verschiedener Erkrankungen erlauben.
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