Standorte & Services

Consulting-Studie: Chemiepark – quo vadis?

27.01.2014 -

Industrieparks brauchen klare strategische Ausrichtung, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Ein Großteil der über 60 deutschen Industrieparks ist aus Zellteilungen klassischer Chemiestandorte hervorgegangen - die Chemie als Industriepark-Initiator. Dennoch sind heute nur wenige Industrieparks ausgewiesene Chemieparks. Ein Widerspruch? Was macht eigentlich einen Chemiepark aus? Wohin entwickeln sich Industrieparks, die sich auch anderen Industrien öffnen? Und welche strategische Rolle können Chemieparks in Zukunft spielen?

Industrieparks waren in den 1990ern eine Begleiterscheinung der strategischen Umwälzung der deutschen chemischen Industrie. Konzerne wie Hoechst und Hüls gründeten ihre Geschäfte in strategische Holding-Strukturen aus und übten sich in Portfolio-Management. Es entstanden sukzessive Viel-Parteien-Standorte - sie hießen nun Industrieparks. Auch entstanden in dieser Zeit viele namhafte Standortbetreiber wie z.B. die Infraservs und Infracor. Diese übernahmen alle Infrastruktur- und Werks-Dienstleistungen, die sich nicht einem der Chemie-Geschäft sinnvoll zuordnen ließen. Sie wurden deshalb häufig als „Resterampen" verspottet. Sicherlich waren im Anfangsstadium so gut wie alle Industrieparks auch Chemieparks.

Es dauerte Jahre, bis die ursprünglich im Konzern benachbarten Abteilungen nun wie unter Dritten miteinander umgingen. So fand sich anfangs ein Spektrum vom „Kappen alter und gefühlt teurer Leistungen" bis hin zur „Leistungsabnahme auf Zuruf" mit dem Kanon an Problemen von „Personalüberhang beim Standortbetreiber" bis hin zu „nicht ordnungsgemäß abgerechneten Leistungen".

Die Standortbetreiber definierten sich in der Folgezeit selbst neu, ordneten ihr Werks-Service-Geschäft und sollten nun Ansiedlung neuer Produktionen am Standort akquirieren - eine höchst undankbare Aufgabe, waren sie doch in ihren Ressourcen hierfür nicht üppig ausgestattet. Es prägte sich in den Jahren die bittere Erkenntnis aus: Wo soll denn die anzusiedelnde Chemie-Produktion eigentlich herkommen? Wo gibt es denn noch Chemie-Investitionen? Und was nützen Flächen fressende Logistik-Ansiedlungen, die keine Auslastung der Infrastruktur bei z.B. Ver- und Entsorgung erhöhen und die Inanspruchnahme von Werks- und Brandschutz eher als lästig empfinden?

Reine Flächenvermarktung zeigte sich in ihrer Renditeaussicht zu anspruchslos und schließlich konnte doch nicht wertvolle GI-Fläche für Logistik und Gewerbe „vergeudet" werden. Geld sollte doch mit kostenintensiven Ver- und Entsorgungs- sowie weiteren Infrastrukturdiensten verdient werden. Nur woher sollten die Produktionsbetriebe mit entsprechendem Bedarf kommen? Und aus welchen Branchen?

Es wurden in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends viele unterschiedliche Konzeptansätze zur Ansiedlung ausprobiert - leider bis heute zumindest in der Fläche ohne durchschlagenden Erfolg! Betrachtet man aber erfolgreiche Ansiedlungen genau, so lassen sich doch erste Muster für Erfolgsfaktoren erkennen. Schaut man mutig in die Zukunft, lässt sich sogar eine neue Rolle für Chemieparks am Horizont erkennen:

Einige Industrieparks lösen sich von ihrem Chemie-Ursprung, widmen sich um und wenden sich sogar Industriebranchen zu, die Chemienähe eher meiden wie z.B. die Lebensmittelindustrie. Andere mutieren zu Motto-Standorten wie z.B. einem „Recycling-Park". Weitere öffnen ihren Park bei der Sicherheit und Versorgung und entwickeln sich zu Gewerbeparks zurück. Wenige wiederum besinnen sich auf ihren Ursprung und leben einen originären voll ausgestatteten Chemiepark mit klarem Bekenntnis hierzu. Die, die sich keinen klaren Fokus geben, könnten dagegen langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Und hier zeigt sich das Dilemma des Begriffs „Industriepark" - er bedeutet im Hinblick auf die Attraktion spezifischer Industriezweige alles und nichts.

Dass etwas passieren muss, erahnt jeder, der sich der Anforderung stellt, dass eine fortwährende Infrastruktur-Fixkosten-Verdünnung zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Industrieparks zwingend ist - und die Energiewende ist in ihren Auswirkungen hier noch nicht einmal berücksichtigt. Das bedeutet Erhalt bestehender und Ansiedlung neuer Produktionen. Was also tun?

Im engeren Sinne des Begriffes ist die Aufgabe der Eigenbezeichnung „Industriepark" immer das richtige Programm. Denn nur eine klare Profilierung im Dickicht der Industrieparks schafft eine zielgerichtete Attraktion von Produktionen gewünschter Branchen mit passendem Bedarfsprofil. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wird weitere Chemie-Fertigung gesucht, dann ist das Bekenntnis hierzu auch im Namen „Chemiepark" wichtig, genauso wie das Angebot aller Werksdienstleistungen, die Chemieproduktion im Allgemeinen hoch professionalisiert benötigt. Dann sind Brand- und Werksschutz ebenso essentiell für eine BImSch-Genehmigung wie leistungsstarke Entsorgungsangebote.

Doch woher soll die anzusiedelnde Chemie-Produktion kommen, und das in Europa? Strategisch gesehen wird sich die Zahl dezidierter Chemieparks ausdünnen. Übrig bleiben könnten einige wenige mit weitestgehend identischer Infrastruktur-Ausstattung und vergleichbarem Angebot an freier Fläche. Ebenso könnte aber Chemieproduktion an einigen Standorten unattraktiver werden. Sei es, weil sich ein Standort von seiner Chemie-Historie löst und anderen Industriebranchen öffnet, die nicht die Ansprüche einer Chemieindustrie an Werksinfrastrukturen stellen. Sei es, weil sich ein Standort ein neues Motto gibt und seine Infrastruktur dementsprechend anpasst und somit Chemieproduktion nur noch ungenügend infrastrukturell versorgt werden kann. Sei es, weil ein kleiner Chemiestandort in seiner Auslastung unterkritisch wird und schlichtweg stirbt.

Wird Chemieproduktion unattraktiv, könnte es zu einer räumlichen Umverteilung in wenige große etablierte Chemieparks kommen. Diese sollten dann ihre Hausaufgaben gemacht haben und attraktive Konditionen bei Infrastrukturen anbieten sowie Finanzierungskonzepte zur Übersiedlung bereithalten. Letzteres sollte unter bestimmten Voraussetzungen förderungswürdig sein. Somit könnten Chemieparks ein leistungsstarkes Auffangbecken für Chemie-Produktion sein. Würden sich darüber hinaus diese Parks Kompetenz-Schwerpunkte innerhalb der weit verästelten, dennoch zusammenhängenden Chemieproduktion in Europa erarbeiten - nicht jede Produktion ist überall sinnvoll anzusiedeln - wäre eine passende Zuweisung von umzusiedelnden Unternehmen fast zwangsläufig.

Die europäische Chemie-Industrie hat sich in den letzten 20 Jahren neu sortiert wie keine andere Großindustrie - vielleicht abgesehen von der Stahlindustrie. Marken wie Hoechst, Hüls, Rhone Poulenc, SKW Trostberg, Goldschmidt etc. sind sogar vom Markt verschwunden. Doch die Chemieproduktion befindet sich mit wenigen Ausnahmen - so zum Beispiel die Ticona-Übersiedlung in den Industriepark Höchst - immer noch am selben Ort. Signifikante Neuinvestitionen in Chemieanlagen hat es seit Jahren kaum gegeben. Jetzt beginnen die Industrieparks sich neu zu sortieren. Die Zeit, sich für alle Formen von Ansiedlung offen zu halten, ist vorbei. Ein klarer Fokus zur Ansiedlung erscheint zwingend. Viele Standorte prägen ihn gerade aus. Andere tun nichts und laufen Gefahr im Wettbewerb um Ansiedlung profillos zu wirken. Chemieproduktion könnte an unattraktiv werdenden Orten gezwungen sein, sich eine neue Heimat zu suchen. Im Falle von Neu- oder Ersatzinvestitionen wäre dies besonders einfach - eine große Chance für gut aufgestellte Chemieparks, diese neue Heimat zu werden.

In den frühen 1990ern war vermehrt zu hören: „In der deutschen Chemieindustrie wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Konzernstrukturen werden sich grundlegend ändern, neue Konzerne werden entstehen." Und so kam es. Wer weiß heute, was in der Welt der Chemieparks morgen möglich sein wird?