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Anforderungen an eine effektive Wirtschaftsförderung für den chemischen Mittelstand

22.10.2010 -

Mittelständler sind von großer Bedeutung für die deutsche Chemieindustrie. Sie bewegen sich in einem dynamischen Umfeld und stoßen dabei, insbesondere bei Innovations- und Internationalisierungsthemen, auf ganz besondere Herausforderungen. Aktives Cluster-Management kann helfen, diese Herausforderungen zu meistern und Wachstumshürden zu überwinden.

Die chemische Industrie ist mit einem Umsatz von über 145 Mrd. € die viertgrößte deutsche Branche und mit etwa 416.000 Mitarbeitern auch der sechstgrößte industrielle Arbeitgeber. Mit einem Investitionsvolumen von 7,1 Mrd. € ist sie außerdem auch der größte Investor nach der Automobilindustrie. Die Bedeutung des Mittelstandes in der chemischen Industrie wird dabei häufig unterschätzt. Mit einem Umsatzanteil von über einem Drittel und mehr als 90 % aller Mitarbeiter der Branche spielt der Mittelstand gerade in Deutschland eine besondere Rolle. Die mittelständischen Unternehmen am Standort Deutschland sind stark mit der globalisierten chemischen Industrie verflochten. In diesem Umfeld müssen sie ihre Geschäftsmodelle so ausrichten, dass sie einerseits auf die globalen Industrietrends reagieren können, sich aber anderseits ausreichend von den Großkonzernen differenzieren. Für diese Abgrenzung ist die Positionierung im hinteren Teil der Wertschöpfungskette entscheidend, also in der Veredlung von Grund- zu Fein-/Spezialchemikalien und deren kundennahem und anwendungsorientiertem Vertrieb. Dadurch sichert der Mittelstand einerseits seine Existenz, muss aber andererseits auch in die Produktionsprozesse der Kunden vor Ort eingebunden sein. Gerade diese Kundennähe hilft Mittelständlern, frühzeitig neue Anwendungstrends aufzuspüren und innovative Produkte anzubieten.
Vor dem Hintergrund der für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) relevanten Industrietrends, wie beispielsweise der zunehmenden Verlagerung von Produktionsstandorten der Kunden und der zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeitskriterien auf Abnehmerseite, gilt es, diese Positionierung zu wahren und auszubauen. Zwei Fähigkeiten sind dabei für Mittelständler wesentlich:

• Innovationsfähigkeit - KMU müssen darauf bedacht sein, Produkte kontinuierlich zu verbessern und sich an Kundenbedürfnisse anzupassen, die sich immer schneller ändern. Sie sind dabei eher auf schrittweise Produkt- und Verfahrensverbesserungen angewiesen als auf grundsätzliche Veränderungen, weil sie wegen ihrer geringeren Größe deutlich weniger in Forschung und Entwicklung (F&E) investieren und dadurch das einzigartige Wissen über Kundenprozesse und -anforderungen oft nicht optimal kapitalisieren können.

• Internationalisierungsfähigkeit - Kunden verlagern einen Teil ihrer Produktionsstandorte in Wachstumsregionen, besonders Asien. Die Pflege der Kundenbeziehung erfordert aber auch die Betreuung vor Ort. KMU stehen daher immer häufiger vor der Herausforderung, relevante Auslandsmärkte effizient zu erschließen, weil sie meist keine lokale Erfahrung haben und ihnen beim Markteintritt die kritische Größe fehlt beziehungsweise sie ein hohes Risiko eingehen müssen.

Stoßen KMU hier an Grenzen, hemmt das ihr Wachstum deutlich. Wirtschaftpolitische Maßnahmen sollten daher besonders darauf abzielen, KMU in diesen Punkten zu unterstützen. In Verbindung mit den genannten Zielen wird in Deutschland in der Regel auf Chemieparks und regionale Wirtschaftsförderung verwiesen. Das Angebot der rund 40 Chemieparks ist allerdings meist ein Infrastrukturangebot nach dem „Plug and Play"-Prinzip - ein attraktives Angebot, wenn die Produktionskostenoptimierung durch Infrastrukturanbindung oder Skaleneffekte im Vordergrund steht. Die Förderung des Mittelständlers, der traditionell an einem Standort außerhalb des Chemieparks gewachsen ist, bleibt dabei in der Regel außen vor. Auch Innovationsthemen stehen dabei eher nicht im Vordergrund.
Angebote zur Förderung der Internationalisierungsfähigkeit erhalten KMU häufig von regionalen Wirtschaftsförderern. Erfahrungsgemäß ist die Akzeptanz aber gering, weil diese Angebote einerseits häufig auf eine Region, nicht aber auf die chemische Industrie im Besonderen abstellen, und andererseits, weil dabei zwar Wissen über Zielmärkte vermittelt wird, aber keine konkrete Unterstützung bei der Umsetzung. Im Sinne einer verbesserten Innovations- und Internationalisierungsfähigkeit sind die heutigen Mechanismen zur Förderung des chemischen Mittelstands also durchaus noch ausbaufähig.
Ein größeren Erfolg versprechender Ansatz sind virtuelle Cluster oder Vernetzungsinitiativen zum institutionalisierten Austausch von KMU der chemischen und der angrenzenden Industrien, Forschung, Verbänden sowie der Politik. In Deutschland hat die chemische Industrie erste Initiativen ins Leben gerufen. Teilweise wurde - wie im Falle der Cluster-Offensive Bayern - auf der „grünen Wiese" ein virtueller Verbund gegründet oder - wie im Fall von ChemSite - bestehende Standorte vernetzt. Strukturell handelt es sich hier um sehr heterogene Konstrukte: Die Bandbreite reicht von Andockungen an Verbände bis hin zu Landes- und/oder Unternehmensinitiativen mit unterschiedlichen Kompetenzfeldern.
Es zeigt sich bereits, dass Cluster sowohl für einzelne KMU signifikante Vorteile bieten - etwa durch Kooperationen, Wissenstransfer und gemeinsame Erschließung von Märkten -, aber auch für die Volkswirtschaft in Summe sind sie interessant, weil Mittel effizienter eingesetzt werden und die Wirtschaftsdynamik steigt.
Eine wirkungsvolle Umsetzung erfordert aber, dass Cluster von einem professionellen, sich über sein Angebot selbst tragenden Cluster-Management geleitet werden. Ein Cluster-Management muss daher bei seinen Leistungen nicht nur auf (unentgeltliche) Vernetzung, sondern auch auf kommerzielle Beratung und das Erlangen von Exklusivität abzielen. Somit müssen die Leistungen an die Bedürfnisse der KMU angepasst werden. Dabei wird Wirtschaftsförderung zugleich mit Marktmechanismen verbunden.
Angesichts des ständig steigenden Wettbewerbes und fortschreitender Globalisierung ist es an der Zeit, gezielt Cluster-Initiativen für die chemische Industrie mit Mittelstands-Fokus auf den Weg zu bringen. Dabei sind insbesondere vier Aspekte entscheidend:

• Virtuelle, inhaltsgetriebene Gestaltung - Nicht die reine Flächennutzung muss im Vordergrund stehen, sondern virtuell initiierte Kooperationen zur Förderung von Innovation und Internationalisierung.

• Bundesweite Perspektive - In einer globalisierten Welt sind nationale Grenzen gefallen; ebenso sollten Bundeslandgrenzen von untergeordneter Bedeutung bei der Förderung des Chemie-Mittelstandes sein.

• Einbindung von Wirtschaftsverbänden - Es ist wichtig, die Industrieverbände, z.B. den VCI, auf Bundes- wie auf Landesebene eng einzubinden: Clusterinitiativen sollen nicht zu Konkurrenzsituationen führen, sondern die gesamte chemische Industrie stärken.

• Gründerinitiativen fördern - Gründerinitiativen sollten einbezogen und eine Plattform für die Förderung von neuen wissensbasierten Geschäftsideen geschaffen werden.

Ein bedürfnisgerechtes Leistungsspektrum von Cluster-Initiativen führt dazu, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands insgesamt gestärkt wird.
Im Bereich der Innovationsfähigkeit können KMU gemeinsam mit anderen Partnern innerhalb und außerhalb der Industrie ihr einzigartiges Anwenderwissen effizienter einsetzen; sie reduzieren dabei den Kapitaleinsatz für ihre F&E-Aktivitäten und deren „Flop-Risiko".
Sie erschließen sich neues Wissen über potenzielle internationale Märkte und Geschäftsmöglichkeiten und reduzieren die Erschließungskosten und Risiken durch gemeinsames Handeln.
Gerade der Standort Deutschland ist für diese Kooperationen prädestiniert, weil viele innovative, mittelständische Unternehmen - zum Teil Weltmarktführer in ihren Nischenmärkten - hier ansässig sind. Engere Kooperationen können das Innovations- und Wachstumspotenzial des deutschen Chemie-Mittelstandes in einer globalisierten Welt signifikant erhöhen.