Strategie & Management

S&OP- Absatz- und Produktionsplanung für Fortgeschrittene

18.11.2011 -

S&OP- Absatz- und Produktionsplanung für Fortgeschrittene

Über alle Branchen hinweg unterstützen zukunftsorientierte Unternehmen heute ihre Absatz- und Produktionsplanung mit IT-Systemen (engl. Sales & Operations Planning = S&OP), um Materialbedarfsplanung, Absatzplanung und Finanzplanung aufeinander abzustimmen. Dank moderner Informationstechnologie entwickelt sich der S&OP-Prozess jedoch weiter, so dass es heute nicht nur um die Abstimmung von Plänen geht. Führende Unternehmen setzen S&OP als strategisches Werkzeug für den permanenten Abgleich der Bereiche Marketing, Vertrieb, Finanzen und Produktionsplanung ein. Auf diese Weise hoffen sie, die Kundenzufriedenheit erhöhen und gleichzeitig ihre Umsätze maximieren zu können. Zudem kommt im heutigen Zeitalter der Globalisierung und extensiven Arbeitsteilung noch eine weitere Herausforderung hinzu: Die Wertschöpfungskette und damit der Abstimmungsbedarf erstreckt sich heute in wesentlich stärkerem Maße als früher neben der internen auch auf die externe Zusammenarbeit.

Aufgrund der zusätzlichen Komplexität, die durch die Globalisierung in der Wertschöpfungskette entstanden ist sowie wegen der steigenden Logistik- und Lagerkosten gestalten gegenwärtig nahezu drei Viertel aller Unternehmen in der Prozessindustrie ihre Wertschöpfungskette um. Zu diesem Ergebnis kommt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Aberdeen Group (vgl. Abb. 1). Im Rahmen dieser Umgestaltung wird die Wertschöpfungskette mit Hilfe neuer Geschäftsprozesse und intelligenter Technologie noch stärker im Sinne eines partnerschaftlichen Wertschöpfungsnetzwerks ausgestaltet.

Ein IT-Schlagwort, das in diesem Zusammenhang häufig auftaucht, lautet Enterprise service-orientierte Architektur (Enterprise SOA). Services sind Software-Bausteine, die im Sinne des Baukastenprinzips eingesetzt werden können, um eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Anwendungen im eigenen Unternehmen oder zwischen den IT-Systemen des eigenen Unternehmens und den Systemen von Partnern zu schaffen.

Service-orientierte Architekturen werden auf der Basis von Technologie-Plattformen betrieben wie beispielsweise der NetWeaver-Plattform von SAP. Deshalb werden Enterprise SOA-Strategien auch häufig als Plattformstrategien bezeichnet. Der wesentliche Vorteil dieser IT-Architekturen besteht darin, dass sie die Flexibilität eines Unternehmens im Hinblick auf Umgestaltung von Geschäftsprozessen und Reaktionszeiten wesentlich erhöhen.

Sowohl für Basis- als auch für Spezialchemiehersteller lohnt es sich, über den Einsatz solcher IT-Infrastrukturen nachzudenken. Insbesondere vor dem Hintergrund der zahlreichen Fusionen und Übernahmen in der Chemiebranche kann sich eine erhöhte Flexibilität als Teil eines aktiven Portfoliomanagements als vorteilhaft erweisen.

Neue Perspektiven für Absatz- und Produktionsplanung

Chemieunternehmen stellen sich heute nicht mehr die Frage, ob ihr Beschaffungsplan mit ihrem Absatzplan verknüpft ist. Sie stellen sich eher Fragen wie: „Stellen wir das profitabelste Produkt her?”, „Was geschieht, wenn wir dieses Logistikzentrum schließen?” oder „Können wir den Preis eines bestimmten Produktes optimieren?”

Den Hintergrund für solche Fragestellungen bilden häufig stark schwankende oder steigende Rohstoffpreise. Profitabel wirtschaften kann oft nur derjenige, der Rohstoffe zum richtigen Zeitpunkt zum günstigen Preis einkauft, zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Menge produziert und über eine flexibel steuerbare Lager- und Logistikplanung verfügt.

IT-Infrastrukturen müssen deshalb nicht nur in der Lage sein, mehr oder weniger „statische“ Planungssysteme aufeinander abzustimmen. Vielmehr geht es darum, mit Hilfe von Simulationen verschiedene Szenarien zu antizipieren und kurzfristig Entscheidungen zu treffen, die sich dann auch flexibel und zügig in der Praxis realisieren lassen. Fachabteilungsleiter fordern deshalb Supply Chain Manager häufig auf, detaillierte Simulationsfunktionen bereitzustellen, die strategische Entscheidungen unterstützen sollen.

Softwareseitig spielen bei solchen Simulationen Service- Bausteine eine zentrale Rolle. Sie extrahieren die für die Simulation benötigten Daten aus den unterschiedlichen Anwendungen und stellen Sie dem Simulationswerkzeug zur Verfügung. Im Folgenden soll anhand einiger konkreter Beispiele aufgezeigt werden, wie führende Unternehmen der Chemieindustrie die Umgestaltung ihrer Wertschöpfungskette bewerkstelligen.

  • Celanese: Zur besseren Abstimmung von Auftragslage und Bedarfsprognoseprozess hat Celanese eine Vertriebs-CRM-Software implementiert. Mit den vorhandenen Stammkunden soll aktiv eine bedarfsgesteuerte Nachfrage generiert werden. Durch die Kopplung des CRM-Systems mit den Supply- Chain-Management (SCM) und ERP-Systemen wird ein restriktionsfreier Absatzplan erstellt, der dann mit Schwankungen der variablen Produktionskapazitäten abgeglichen werden kann. Der überarbeitete Beschaffungsplan bildet anschließend die Grundlage für die Erstellung eines einheitlichen Finanzplans in BPS (Business Process Simulation). Grundlage für diese Lösung mit zahlreichen Schnittstellen zwischen den jeweiligen Einzelanwendungen ist eine service- orientierte Architektur.
  • Dupont: Dupont produziert als weltweit tätiger Konzern sowohl Basis- als auch Spezialchemieprodukte. Die Implementierung von Technologien und Prozessen muss daher zwischen der Flexibilität und Unabhängigkeit der einzelnen Geschäftsfelder sowie der Effizienz, die durch unternehmensübergreifende Synergien gewonnen wird, einen Ausgleich schaffen. Die für die diversen Planungsszenarien geltenden Standards reichen von Business Frameworks wie dem bei DuPont eingesetzten Integrated Business Management über Kennzahlensysteme wie beispielsweise SCOR bis hin zu Softwareanwendungen von SAP.
  • Peter Compo, Corporate Director für das Integrated Business Management bei DuPont, betont: „Das reine Bereitstellen von immer mehr Daten und Kennzahlen für die einzelnen Geschäftsfelder in standardisierten Formaten ist nicht ausreichend. Um bessere Entscheidungen treffen und Geschäftsabläufe optimieren zu können, ist mehr nötig. Wir brauchen Modelle auf betriebswirtschaftlicher Ebene, sowohl um Daten zu interpretieren als auch um zu ermitteln, welche Daten für welche Entscheidung oder Analyse gebraucht werden.” Grundlage dafür ist ebenfalls eine service- orientierte Architektur, welche die entscheidungsrelevanten Daten aus den Einzelsystemen extrahiert und den Auswertungstools zur Verfügung stellt.

Von statischen zu dynamischen Planungsszenarien

Wie oben bereits angedeutet wechseln heute viele Chemieunternehmen von einem eher statischen zu einem dynamischen Ansatz der Absatz und Produktionsplanung. Innerhalb dieses Ansatzes sollte jede organisatorische Einheit bzw. Funktion (Finanzen, Marketing, Vertrieb, Bedarfs- und Bestandsplanung, Produktion, Beschaffung, Logistik sowie Forschung & Entwicklung) eine aktive Rolle spielen und in der Lage sein, den vereinbarten Plan im Hinblick auf die jeweilige Funktion zu nutzen.

Der Finanzchef beispielsweise sieht sich den Plan in Hinblick auf die Bruttomarge an, wohingegen der Marketingleiter am aggregierten Plan für kleinere Märkte sortiert nach Regionen interessiert ist.

Der Fokus eines S&OP-Meetings kann sich auch aufgrund unterschiedlicher branchenspezifischer Geschäftsmodelle bzw. externer Einflussfaktoren verschieben. Innerhalb der Basischemie spielen z. B. jahreszeitliche Schwankungen, Globalisierung, Engpässe im Fuhrpark oder Verkehrsstaus auf Schienen und Schifffahrtswegen eine Rolle und sorgen dafür, dass die Logistikabteilung im S&OP-Prozess heute eine viel aktivere Rolle spielt.

Hersteller von Spezialchemie wachsen zunehmend durch Innovationen und erfolgreiche Produkteinführungen – mehr als 30 Prozent der Umsätze in diesem Segment werden laut AMR Research von Produkten generiert, die unter fünf Jahren alt sind. Forschungs- und Entwicklungsleiter sollten deshalb ebenfalls auf S&OPMeetings vertreten sein, damit die Markteinführung neuer Produkte bereits im frühen Stadium mit den Abteilungen Marketing, Vertrieb und Produktion abgestimmt wird.

Für die Entwicklung einer reaktionsfähigen und flexiblen Wertschöpfungskette müssen sowohl Basis- als auch Spezialchemiehersteller ihre Lieferanten, Kunden und Lohnfertiger in ihr Logistiknetzwerk einbinden. Dieser Ansatz wird durch die Nutzung einer auf service orientierter Architektur beruhenden Infrastruktur erheblich erleichtert. Aufgrund des im Vergleich zur Konsumgüterindustrie Fehlens kundenrelevanter umfassender Marktforschungsdaten besteht eine besondere Herausforderung für Chemieunternehmen darin, größere Kundennähe zu erreichen.

Dafür benötigen die Vertriebsabteilungen der Chemieunternehmen einfach bedienbare IT-Werkzeuge, mit denen sich Informationen zu Nachfrage und Kundenverhalten systematisch erfassen lassen. Die so erfassten Daten lassen sich direkt in das Backend-Planungssystem laden. Hierdurch lassen sich Prognosen verbessern, Vendor Managed Inventory- Setups erleichtern und Transaktionen für Kunden, Lieferanten und Lohnfertiger automatisieren.

Diese grundlegenden Änderungen führen zu einem integrierten Business- Management-Prozess, der reaktionsfähig und flexibel ist und zudem durch die Möglichkeit von Ad-hoc-Simulationen auf kurzfristige unerwartete Ereignisse reagieren kann.

Fazit

Die chemische Industrie wird sich stets weiterentwickeln und fortwährend wandeln. Veränderungen werden durch Globalisierung, Gesetze, so genannte „grüne“ Chemie, Nano- und Biotechnologie, mikro- und makroökonomische Schwankungen und auch durch den Klimawandel vorangetrieben.

Mit jeder Verschiebung entstehen neue Herausforderungen für die Unternehmen. IT-Infrastrukturen müssen daher serviceorientiert ausgerichtet sein, damit die einzelnen Herausforderungen mit einer angemessenen Reaktionszeit angegangen werden können. Aufgrund der serviceorientierten Architektur kann die Lieferkette eng mit der Unternehmensstrategie in Einklang gebracht werden. Damit wird IT wieder zur Wettbewerb entscheidenden Kernkompetenz.