Anlagenbau & Prozesstechnik

Stillstandsmanagement von Prozessanlagen in der chemischen Industrie

Fünf Schritte zu einer erfolgreichen Shutdown-/Turnaround-Strategie in der Prozessindustrie

10.12.2013 -

Stillstands- bzw. Revisionsprojekte schweben wie ein Damoklesschwert über Anlagenbetreibern, können sie doch die über Jahre hart erarbeiteten guten Ergebnisse bei Gesamtanlageneffektivität/Anlagenverfügbarkeit, Budgets und Sicherheitskennzahlen in wenigen Tagen - oder manchmal sogar Minuten - vollständig vernichten. Stillstandprojekte sind häufig die wichtigsten Einzelprojekte mit dem größten Wertschöpfungsbeitrag.So kann z.B. eine sechswöchige Abstellung einer vollkontinuierlichen Prozessanlage die Anlagenverfügbarkeit im Jahr der Abstellung um mehr als 10% reduzieren.

Zudem sind Shutdown-/Turnaround-Projekte eine Herausforderung für die gesamte Site: Sie erfordern über einen langen Zeitraum viel Geld, hohen persönlichen Einsatz sowie viel Aufmerksamkeit vom Top-Management. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Strategie gilt es, zahlreiche Herausforderungen im Bereich der Planung und Durchführung zu meistern. Doch auf die folgenden fünf Schritte sollten sich Anlagenbetreiber besonders konzentrieren, um ein Anlagenabstellungsprojekt erfolgreich zu absolvieren.

Schritt 1: Planung, Planung und nochmals Planung

Kosten und Dauer einer Anlagenabstellung werden im Wesentlichen vom Projekt-Scope bestimmt. Typischerweise besteht ein Shutdown-/Turnaround-Projekt aus drei Scope-Kategorien: dem gesetzlichen Prüfumfang; dem verfügbarkeitsorientierten Instandhaltungsanteil, also Arbeiten, die ausgeführt werden, um technische Ursachen für Anlagenausfälle im kommenden Zyklus auszuschließen; dem investiven Projektanteil, d.h. Arbeiten, die die Leistung der Anlage verbessern oder erweitern und ebenso Investitionen in die Anlagensicherheit.

Die Komplexität eines Anlagenabstellungsprojekts ist ein Faktor aus Scope-Zusammensetzung, Arbeitsumfang und Vorbereitungsdauer. Je komplexer ein Projekt, desto früher sollte die Planung beginnen. Diese „lessons learned" ist allseits akzeptiert, doch machen viele den Fehler und besetzen wesentliche Funktionen mit Mitarbeitern, die nur temporär zur Verfügung stehen. Damit wird wertvolle Zeit „verspielt". Personal sollte langfristig eingesetzt werden, was wiederum einer frühzeitigen und vorausschauenden Planung bedarf. Häufig werden TAR-Projekte zu statisch vorgeplant, d.h. die Teams sind unvorbereitet, wenn der Scope aus Reliability-Gründen erweitert oder das Zeitfenster der Ausführungsphase verschoben, verlängert, verkürzt oder auch gesplittet wird. Planungsänderungen und Konsequenzen eines dynamischen Marktumfelds sollten als Szenarien im Rahmen der Strategie-/ Konzeptionsphase berücksichtigt werden, um das Management für die Notwendigkeit eines Scope-Freeze bzw. für den Umgang mit Scope-Erweiterungen zu sensibilisieren.

Planungsqualität und -umfang hängen häufig - auch wenn Standardleistungsverzeichnisse angewendet werden - vom einzelnen Planer ab. Hier empfiehlt es sich einen „Lead Planer" zu installieren, der dafür sorgt, dass alle Fachdisziplinen nach den gleichen Prinzipien und in der gleichen „Tiefe" planen. Dadurch wird Planung nachvollzieh- und wiederholbar. Bessere und vor allem auch frühzeitig vorliegende Planungsdaten zu einem Equipment ermöglichen dem Projektteam, einen Festpreis je Scope/Abstellpunkt mit dem technischen Dienstleister zu vereinbaren. Dies reduziert den kaufmännisch-administrativen Aufwand enorm und sorgt zudem für klare Verantwortlichkeiten und weniger Schnittstellen. Die detaillierte Ausführungsplanung geht in die Hand eines technischen Dienstleisters über.

Schritt 2: Neue Wertschöpfungspartnerschaften

Kaum ein Anlagenbetreiber kann ein Shutdown-/Turnaround-Projekt ohne externe technische Dienstleister abwickeln. Bei diesen handelt es sich faktisch um Wertschöpfungspartner, die den Projekterfolg erheblich beeinflussen. Ihre Einbindung und Steuerung wird deshalb eine der wesentlichen Management-Herausforderung der Zukunft sein.

Aufgrund der Marktsituation werden Shutdown-/Turnaround-Projekte europäischer Anlagenbetreiber tendenziell immer individueller und projektspezifischer werden. Sie werden daher eher verstärkt mit Innovationen als durch Kostenführerschaft mit dem Wettbewerber konkurrieren. Statt traditioneller, kostenfokussierter Beschaffungsmaßnahmen müssen sich langfristige Kooperationsmodelle durchsetzen, die auf eine gemeinsame Wertschöpfung und den ganzheitlichen Projekterfolg zielen. Solche Wertschöpfungspartnerschaften erfordern ein neues Denken in unternehmensübergreifenden Prozessen. Da die Anlagenbetreiber und Industrieserviceunternehmen zum Teil unterschiedliche Ziele verfolgen, müssen Kooperationsverträge individuell so ausgestaltet werden, dass sich eine langfristige Zusammenarbeit und Prozessoptimierung mehr lohnt als ein einseitiger, kurzfristiger Kostenvorteil.

Schritt 3: Robuste Qualitätssicherung

Wenn ein Shutdown-/Turnaround-Projekt scheitert, dann ist häufig ein einziger bzw. eine Kombination nicht vorhersehbarer Fehler die Ursache, etwa Anfahrprobleme aufgrund undichter Flanschverbindungen. Müssen TAR-Manager akzeptieren, dass Fehler entstehen oder können sie ein Qualitätssicherungssystem aufbauen, das die Fehlerentstehung verhindert?

Die Antwort lautet ja und nein. „Failure Is Not an Option", so die gängige Aussage von Projektmanagern der NASA, die davon ausgeht, dass fehlerlos produziert und gearbeitet werden kann. Menschliches Verhalten (Arbeit) ist jedoch immer variabel und die Ausführungsbedingungen sind in der Regel unterspezifiziert oder unterschiedlich. Deswegen treten häufig menschliche Fehler auf wie z.B. mangelhafte Selbstkontrolle, fehlende Gegenkontrolle, oder Nichtbeachtung von Vorschriften oder Arbeitsanweisungen unter Zeitdruck.

Wichtig ist es deshalb, eine QS-Kultur zu schaffen, die berücksichtigt, dass die „Produktion" eines Shutdown-/Turnaround-Projekts nicht fehlerfrei sein kann. Das muss dem Projekterfolg nicht schaden, wenn Fehler erkannt und potenzielle negative Auswirkungen rechtzeitig aufgefangen werden. Das setzt aber grundsätzlich voraus, zu akzeptieren, dass Fehler erkennbar und damit „managable" sind.

Schritt 4: Dynamisches Risikomanagement

Risikomanagement ist eine elementare Form der Qualitätssicherung. Mit Hilfe eines formalisierten Prozesses werden potenzielle Risiken identifiziert und bewertet. Im Gegensatz zu der häufig propagierten Haltung „Das schaffen wir schon!" analysiert Risikomanagement, warum etwas schief geht und was man dagegen tun kann.

Risikoregister sind heute anerkannte Management-Tools, doch werden sie meist zu statisch eingesetzt, d.h. Risiken werden vorwiegend einmalig identifiziert, bewertet und im Register abgeschlossen als „mitigiert" vermerkt. Wer verhindern möchte, dass ein Fehler (potenzielles Risiko) seinen gesamten Projekterfolg gefährdet, muss identifizierte Risiken durchgängig (dynamisch) überwachen. Dazu eignen sich formalisierte Audits, die TAR-spezifische „Key Risk Indicators" adressieren. Diese einmal erstellten Risikoregister sind für jedes TAR-Projekt wiederverwendbar. Der spezifische Projektrisikoindex wird dann mittels Audit jeweils neu ermittelt.

Schritt 5: Effizienz in der Ausführung

Die intensive Planung und Vorbereitung eines Shutdown-/Turnaround-Projekts soll eine möglichst kurze und kosteneffiziente Ausführungsphase sicherstellen. Soweit der Plan! Bei mehr als Dreivierteln der durch T.A. Cook analysierten Projekte weicht die Arbeitsabwicklung aber bereits nach dem dritten Ausführungstag zu über 50 % vom Basisplan ab. Diese Planabweichungen, von manchem Projektmanager auch als „Störung" bezeichnet, sind also eher der Normalfall. Ein effizientes Management der Ausführungsphase wird letztlich durch ein geeignetes „Störungsmanagement" definiert.

Gute Planung bildet die Grundlage für eine effiziente Ausführungsphase, doch ist gutes Personal der Schlüssel, damit der Plan trotz „Störungen" weiterhin gut funktioniert. Entscheidend dabei: das Festlegen von Arbeitsausführungsprioritäten. Hier treten viele Interessenskonflikte in kürzester Zeit auf, die umgehend harmonisiert werden müssen. Unsere Erfahrung zeigt, dass es bei Konflikten von Engpassressourcen oft besser ist, dass andere Teams mit ihrer Arbeitsausführung warten, statt mit neuen Arbeitspaketen zu beginnen und eine hohe Auslastung zu erzielen. Bei der Lösung dieser Konflikte empfiehlt sich neben viel Erfahrung ein guter, dynamischer Terminplan - mit realistischen Zeiten für die Durchführung von Arbeiten.

Fazit

Unternehmen, die die beschriebenen Herausforderungen in der Gesamtheit bereits angehen oder in Zukunft adressieren werden, profitieren von einem optimierten Shutdown-/Turnaround-Management, das die Projektkosten erfahrungsgemäß um 25 bis 30 % sinken lässt. Anders gesagt: Mit der richtigen Strategie, ist der Turnaround ein echter Beitrag zur Wertschöpfung für Anlagenbetreiber in der Prozessindustrie - und kein Damoklesschwert.

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