Logistik & Supply Chain

Chemielogistik: Trends und Fokusthemen

Zusammenarbeit von Chemieproduzent und Logistikdienstleister (Teil 6)

14.05.2014 -

Als Ausgangsbasis zur Ermittlung genereller Trends in der Chemielogistik wurden zentrale gesellschaftliche, wirtschaftliche und logistische Entwicklungen (z. B. „Zukunftsreport der System Alliance" (2011)) und „Die deutsche chemische Industrie 2030" (VCI/ Prognose 2012)) mit einem entsprechendem chemielogistischen Einfluss herangezogen. Zehn Trends, die für die Chemielogistik in Zukunft als bedeutsam einzuschätzen sind, wurden in Experteninterviews gezielt angesprochen und priorisiert. Folgende Trends wurden tiefergehend analysiert.

Safety- und Security Anforderungen

Das Thema Sicherheit sowohl für die einzelnen Akteure als auch für die gesamte Supply Chain ist von entscheidender Bedeutung. Bei den chemischen Erzeugnissen bringt insbesondere der Sprung von gefährlichen zu hochgefährlichen Gefahrgütern eine deutliche Zunahme der Sicherheitsanforderungen mit sich. Es gilt, ein breites Spektrum an Sicherheitsaspekten über die komplette Supply Chain zu beachten: Datensicherheit im Informationsfluss, Sicherheit der Güter im Warenfluss sowie Haftungsfragen über die gesamte Wertkette. Gleichwohl ist es wichtig, ein sinnvolles Maß an Regulierungen zu erreichen, wodurch eine produktive und gleichzeitig sichere Zusammenarbeit für alle Beteiligten ermöglicht wird. Für sicherheitskritische Logistikketten empfiehlt sich die Etablierung eines Safety Supply Chain Management - hier wird die gesamte Logistikkette mit den notwendigen Sicherheitsanforderungen an Prozess, Equipment, Know-how, Sicherheitsverständnis und Kommunikationsketten dokumentiert, geschult und weiterentwickelt.

Entwicklung Geschäftsmodelle

Da zunehmend komplette Supply Chains miteinander konkurrieren, wird sowohl eine stärkere Integration aller Akteure der Wertschöpfungskette als auch die Anpassung der Geschäftsmodelle erfolgskritisch. Gerade im Spannungsfeld zwischen einem starken Kostenbewusstsein und zunehmenden Anforderungen an die Logistik ist es notwendig, dass eine stärkere gemeinsame Planung erfolgt. Die „Chemielogistik-Strategie" wird zu einem zentralen Element der klaren Abgrenzung: Zu beantworten sind die Fragen „wer macht was?", „wer kann was am besten?" und „wie kann gemeinsam ein Optimum für die spezifische Supply Chain in der Wertschöpfungsstufe des Chemiekunden erzielt werden?".

Investitionsanforderungen

Infrastrukturen bedeuten einerseits latente Engpassgefahren durch Investitionsstau bei der öffentlichen Hand und andererseits potentielle Unsicherheit auf der Unternehmensseite, ob eine richtige Entscheidung getroffen wurde. Auf öffentlicher Seite lässt sich durch Lobbyarbeit sicherlich die eine oder andere Investition in eine Wirtschaftsregion motivieren. Auch das Finanzierungskonstrukt des PPP bietet Möglichkeiten, am Markt existierendes Kapital zu binden. Jedoch braucht es dafür eine besondere Herausstellung der Relevanz der Chemielogistik für die gesamte Chemieindustrie. Erst wenn Kapitalgeber dafür sensibilisiert sind, dass die Logistik ein neuralgischer Punkt für die Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten chemischen Wertschöpfungskette ist, werden Investitionsmittel freigegeben.

Dies gilt auch besonders für unternehmenseigene Infrastrukturen in Form von Chemiestandorten und ihre Logistikstrukturen wie Lagerhäuser, Tank- und Silo-Terminals, etc. Sobald das Interesse an diesen Chemielogistikanlagen auch bei Investoren und Kapitalanlagegesellschaften geweckt ist, können Chemieunternehmen ihre Infrastrukturen effizienter finanzieren lassen.

Outsourcing

Der Trend zum Outsourcing wird in der Chemieindustrie auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Folglich werden Chemieunternehmen und Dienstleister verstärkt zusammenwachsen, wodurch der Erfolg nicht mehr nur noch vom jeweiligen Chemieunternehmen abhängt, sondern im Rahmen bedeutender werdender Partnerschaften die Erfolgsmessung des Einzelnen im Gesamtsystem hinterfragt wird.

Bei erfolgreicher Zusammenarbeit profitieren alle Akteure der Supply Chain. Der Dienstleister kann Synergieeffekte in Form von Kosten- und Zeiteinsparungen an seine Kunden weitergeben. Das Chemieunternehmen weitet im Gegenzug das Leistungsspektrum des Dienstleisters aus. Logistikabteilungen von Chemieunternehmen sollten langfristig Steuerungsfunktionen stärker wahrnehmen. Die größte Herausforderung innerhalb der Zusammenarbeit liegt in einem vertrauensvollen und offenen Umgang miteinander.

Personalmangel

Das Thema Fachkräftemangel betrifft alle Unternehmen. Durch die Interdependenzen innerhalb der Supply Chain führt der Mangel an geeignetem Personal unter Umständen zu Auswirkungen eines Unternehmens auf die übrigen Supply Chain Partner. Insbesondere fehlen auch Projektmitarbeiter (ca. 0,5 bis 1% der Mitarbeiter sind in Projekten einsetzbar) in Chemielogistik-Tender- und Organisationsprojekten. Ansätze zur Gegensteuerung sind Recruiting auf allen Ebenen (von der Fachkraft bis zum Projektmitarbeiter), Employer Branding zur Stärkung de Berufsbildes Chemielogistiker und Ausgestaltung von Ausbildungs- und Studiengängen mit Schwerpunkt Chemielogistik.

 

Konkrete Handlungsempfehlungen inklusive

Interview mit Lina Heeg, Projektführung, Fraunhofer Arbeitsgruppe Supply Chain Services SCS

CHEManager: Welchem der in der Studie entwickelten Trends messen Sie die größte Bedeutung mit Blick auf eine zukünftige bessere Zusammenarbeit zwischen Chemieunternehmen und Logistikpartnern bei?

L. Heeg: Die Logistik bietet als einer der wenigen Bereiche noch die Möglichkeit zu Einsparungen für die Chemieindustrie. Das größte Potential liegt hier sicher in der engeren Zusammenarbeit zwischen den Chemie- und den Logistikunternehmen und zwar v.a. auf prozessualer Ebene, damit beide Partner gemeinsam davon profitieren können. Hier sollten die Übergänge innerhalb der Supply Chain  fließender und transparenter gestaltet werden. Dienstleister sollten in Zukunft noch stärker in die Prozesse der Chemieunternehmen eingebunden werden. Dafür müssen die Logistikdienstleister sich klar auf ihre Kernkompetenzen fokussieren und ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen.

Die größte strategische Herausforderung in der zukünftigen Organisation liegt demnach in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, die auf Seiten der chemischen Industrie mit dem Trend zu verstärktem Outsourcing einhergeht. Den Schlüssel zum Erfolg bildet eine vertrauensvolle und stetige Kommunikation zwischen Chemieunternehmen und Logistikdienstleister. Mögliche Ansätze wären regelmäßige, gemeinsame Workshops zur Entwicklung von Innovationen im Bereich der Chemielogistik. Wichtig wird es sein, dass die Anreize für beide Seiten gerecht verteilt sind, damit eine Win-Win Situation entstehen kann.

Wo besteht auf Seiten der Chemieindustrie noch deutlicher Nachholbedarf im Einsatz logistischer Leistungen als Wettbewerbsvorteil?

L. Heeg: In einigen Chemieunternehmen ist die Bedeutung des Themas Chemielogistik strategisch noch nicht klar definiert. Bezogen auf eine erfolgreiche Kooperation ist es - abhängig von der strategischen Ausrichtung - notwendig, dass die Dienstleister stärker in die Prozesse des Chemieunternehmens integriert werden. Dies betrifft jedoch nicht nur die operativen Prozesse, sondern auch die gemeinsamen Planungsprozesse. Dieses Umdenken erfordert ein besonderes Vertrauensverhältnis in der Geschäftsbeziehung, da das Chemieunternehmen auf der einen Seite eine deutlich höhere Transparenz gewähren und sich der Dienstleister andererseits noch stärker in Richtung spezifischer Problemlöser entwickeln muss.

Woran lässt sich der Trend festmachen, dass in der Chemielogistik die Anforderungen an Safety und Security entlang der gesamten Supply Chain steigen?

L. Heeg: Das Thema Sicherheit und ein verantwortungsvolles Handling von Gefahrgütern ist gerade in der Chemielogistik von großer Bedeutung: Und das sehen Gesetzgeber wie Branche ähnlich. So erhöhen sich die gesetzlichen Auflagen zunehmend, z.B. durch die Einführung der EU-Chemikalienverordnung REACH, die eine Registrierung aller Chemikalien vorsieht. Aber auch die Branche reagiert und entwickelt eigene Initiativen wie Responsible Care zur Erhöhung der Arbeitssicherheit in der Supply Chain oder SQAS zur Bewertung der Sicherheitseinhaltung der Dienstleister.

Wie können Chemie- und Logistikunternehmen die Erkenntnisse aus der aktuellen Chemielogistikstudie am besten für ihre eigenen Geschäfte nutzen?

L. Heeg: Die von der Kompetenzgruppe Chemielogistik in der aktuellen Studie aufzeigten Zukunftstrends und Entwicklungen sind mit Handlungsoptionen und Optimierungspotentialen hinterlegt, die Unternehmen direkt nutzen können:

So könnten wir uns beispielsweise zur Erhöhung der Sicherheits- und Safety-Anforderungen die Einrichtung einer europäischen „Kommunikationsplattform zur Know-how Diffusion" vorstellen, also die Einrichtung eines europäischen Netzwerks mit dem Ziel Wissen auszutauschen und damit die Sicherheitsstandards in allen europäischen Ländern anzugleichen. Beim Trend „Personalmangel" empfehlen wir, in die Bildung zu investieren und dem Thema dort einen höheren Stellenwert zu verschaffen, wie z. B. durch die Einrichtung von entsprechenden Ausbildungs- und Studiengängen.

Die Studie im Auftrag der BVL gibt also nicht nur einen ersten Überblick über die Bedeutung der Chemielogistik, sondern hält für alle ermittelten fünf Trends auch ganz konkrete Handlungsoptionen bereit.