Logistik & Supply Chain

Pharma-Distributionsketten effizienter mit RFID

Forschungsprojekt RadioPharm untersucht Möglichkeiten von AutoID für die Pharmaindustrie

26.05.2010 -

In der Pharmabranche erlangen Ziele wie eine ausgeweitete Nachweispflicht und eine verbesserte Fälschungssicherheit von Produkten stetig größere Bedeutung. Hersteller sind verpflichtet, jede Verpackung des fertigen Endverbraucherproduktes individuell mit essentiellen Informationen wie Pharmazentralnummer (PZN), Verfallsdatum und Chargenbezeichnung zu versehen. Durch Globalisierung und die Möglichkeit Medikamente über den Online-Handel zu erwerben, ergeben sich immer häufiger Fragen hinsichtlich der Herkunft und Echtheit eines Pharmaproduktes. Mit moderner Identifikationstechnik kann Fälschungen und Produktpiraterie entgegengewirkt werden, damit erhält der Verbraucher die Sicherheit, ein Originalprodukt zu bekommen. Das Forschungsvorhaben Radio Pharm untersucht hierzu die technologische und betriebswirtschaftliche Praktikabilität von Radio Frequenz Identifikation (RFID) entlang der Pharma-Distributionskette.

Gesetzeslage kann sich verschärfen

Vor allem aus Gründen des Patientenschutzes wächst der gesetzgeberische Druck, Medikamentenfäl-schungen und Fehlmedikationen durch eine lückenlose Rückverfolgung einzelner Medikamentenverpa-ckungen zu verhindern. So hat die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde in USA, die FDA, in den vergangenen Monaten zahlreiche Gesetzentwürfe zur Erhöhung der Sicherheit von Pharma-Distributionsketten verfasst.

Im Mittelpunkt steht dabei die Identifikation und Validierung effektiver Identifikationstechnologien, um die Pharma-Distributionskette vor gefälschten oder abgelaufenen Medikamenten zu schützen. Ein elektronischer Herkunftsnachweis soll helfen; eine lückenlose Dokumentation aller Eigentümer des Medikaments in der Distributionskette zu ermöglichen. Dafür ist jedoch eine Individualisierung jeder Arzneimittelverpackung notwendig, die sogenannte Serialisierung. Die Vergabe einer serialisierten Nummer (ID) ermöglicht nicht nur die eineindeutigen Identifizierung sondern nützt auch bei der Nachverfolgung der Objekte entlang der Lieferkette, dem sog. Tracking und Tracing. Für die Serialisie-rung der Einzelverkaufsverpackungen sind Technologien der automatischen Identifikation (AutoID) notwendig, die die essentiellen Daten verschlüsseln.

Wofür braucht man AutoID und RFID?

AutoID-Verfahren wie RFID gewährleisten nicht nur eine gesteigerte Transparenz in der Wertschöp-fungskette, sondern verbessern auch die Datenqualität und ermöglichen eine Optimierung vorhandener Prozesse und Bestände. AutoID erfasst Daten automatisch und verarbeitet sie weiter. Dadurch wird die Fehleranfälligkeit des Prozesses reduziert, die Geschwindigkeit und die Stabilität erhöht. Zur Nutzung von AutoID müssen die Informationen auf einen Datenträger (z. B. ein Etikett) standardisiert codiert werden. Grundsätzlich unterscheidet man hierbei zwischen Barcode- und RFID-Technologie.

Während Barcode-Systeme auf optischer Erkennung von Strichen oder Punkten basieren, nutzt RFID-Technologie die Datenübertragung mittels elektromagnetischer Funkwellen. Der 1D-Barcode ist den Meisten aus dem Alltag bekannt, denn dort wird dieser Strichcode (s. Abb. 1) benutzt, um die Daten der gekauften Artikel zu codieren und mit Hilfe eines Barcode-Lasers an der Kasse schnell und automatisch auszulesen. Die verknüpften Informationen landen erst in der Kasse und anschließend auf der Quittung. Jedoch kann man mit diesem 1D-Code nur ein begrenzte Anzahl von Zeichen codieren, was diese Technologie auf bestimmte Anwendungsbereiche einschränkt.

Beim 2D-Barcode, wie bspw. dem Data Matrix Code (s. Abb. 1), lässt sich im Vergleich zum 1D-Code die Informationsdichte pro Flächeneinheit deutlich erhöhen und dadurch eine größere Menge an Daten speichern. Ein Beispiel aus dem Alltag liefern die Fahrkarten der Deutschen Bahn, in dessen aufgedruck-tem 2D-Barcode alle Reisedaten codiert sind. Dies erlaubt, ähnlich wie die RFID-Technologie, Daten wie PZN, Chargenbezeichnung und Verfallsdatum inkl. einer serialisierten ID auf dem Datenträger zu speichern. Zur Übermittlung der Daten muss im Gegensatz zur RFID-Technologie jedoch ein Lesegerät mit Sichtkontakt in einer bestimmten Ausrichtung und Entfernung zum Barcode gehalten werden.

Transponder (eine Art „intelligentes" Etikett), wie sie bei RFID eingesetzt werden, senden ihre Daten über Funkwellen ganz ohne Sichtkontakt an das entsprechende Lesegerät (s. Abb. 1). RFID bietet zudem die Möglichkeit, mehrere Transponder gleichzeitig in einer sog. Pulklesung auszulesen und die Daten auf dem Datenträger zu aktualisieren. So kann der Großhändler im Wareneingang größere Mengen von Artikeln in kürzester Zeit automatisch inkl. aller essentiellen Daten identifizieren. Dabei muss keine Rücksicht auf Sichtkontakt oder Ausrichtung der Datenträger genommen werden. Weiterhin sind die RFID-Etiketten auch wesentlich unanfälliger gegenüber äußeren Einflüssen wie Schmutz oder Spiegelun-gen, die das Scannen von Barcodes beeinträchtigen können. Damit hat RFID eine Reihe von Vorteilen hinsichtlich einer Prozessoptimierung, die diese Technologie auch zukunftsträchtiger als den 2D-Barcode machen.

Pharmazeutische Produkte sind anspruchsvoll

Die heterogene Produktstruktur der Pharmaindustrie stellt hohe Anforderungen an die RFID-Technologie. Nicht nur die variierenden Abmessungen der Verkaufsverpackungen, sondern speziell die Primärverpackungsmaterialien (z.B. Metallblister) und Inhaltsstoffe (z.B. Flüssigkeiten) beeinträchtigen die Lesequalität. Durch diese Materialien wird das Lesefeld verstimmt und erhält eine sehr komplexe Struktur, die einem löchrigen Käse ähnelt (engl. Swiss-Cheese-Effect). So kommt es insbesondere bei Lesungen im Pulk vor, dass einige Transponder ihre Daten nicht zur Antenne senden können.

Daher war die Überprüfung der technologischen Machbarkeit der RFID-Technologie ein Schwerpunkt des mit Mitteln aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigung Otto-von-Guericke im Auftrag der Bundesver-einigung Logistik geförderten Forschungsvorhabens RadioPharm (FV-Nr. 15813). Das Forschungsprojekt betrachtete typische Identifikationsprozesse über die gesamte Pharma-Distributionskette hinweg vom Arzneimittelhersteller über den Großhändler bis hin zu Apotheke und Verbraucher (s. Abb. 2).

Zur Überprüfung der technischen Machbarkeit ist am Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Universität Stuttgart ein Demonstrator aufgebaut worden, der nicht nur die Produktionslinie eines Arzneimittelherstellers realistisch abbildet, sondern auch den Prüfprozess nach der Auftragszusammen-stellung beim Großhändler. Die speziell dafür entwickelte Fördertechniklösung demonstriert den Schreib-/ Lesezugriff auf die mit Transpondern ausgestatteten Einzelverkaufsverpackungen gleicherma-ßen für die Einzelidentifikation wie für die Pulklesung (s. Abb. 3).
Die durchgeführten Versuche für die Einzelidentifikation von Verpackungen im Konfektionierprozess haben gezeigt, dass auch bei Abständen von weniger als 10cm zwischen den Objekten und Geschwin-digkeiten von über 1m/s Leseraten von 100% erzielt werden. Somit lassen sich Produktionsausbrin-gungsmengen von mehr als 40.000 Stück in der Stunde erzielen, was existierende Maßgaben mehr als erfüllt. Bei den Pulkversuchen offenbarte sich, dass das elektromagnetische Feld mitunter sehr komple-xe Strukturen aufweist. Deshalb kommt dem Antennenaufbau eine besondere Bedeutung zu, nicht nur um die Leseergebnisse zu optimieren sondern auch um eine fehlerfreie Einzelverpackungsidentifikation im Pulk zu ermöglichen.

Zusätzlich wurde im Projekt untersucht, welchen Einfluss elektromagnetische Felder auf biologische Wirkstoffe nehmen. Dabei ließ sich selbst bei mehr als 1.500 Zyklen durch das elektromagnetische Feld keine signifikante Veränderung der Wirkstoffe feststellen. Dennoch sollten diese ersten Untersuchungen in weiteren Forschungsarbeiten statistisch abgesichert werden.

Fazit

Da es in den kommenden Jahren voraussichtlich zu gesetzlichen Verschärfungen im Pharmabereich kommen wird, sollten sich die Unternehmen dieser Branche bestmöglich auf daraus folgende Verände-rungen einstellen. Das Projekt RadioPharm hat gezeigt, dass die RFID-Technologie in der Lage ist, bestehende Prozesse abzubilden und zusätzlichen Nutzen durch Erhöhung von Prozesseffizienz und -transparenz zu erzielen. Um die Prozesspotentiale noch besser ausschöpfen zu können, muss die Technik kontinuierlich weiterentwickelt werden. Denn nur wenn Transponder weniger anfällig auf Materialien mit hoher Permittivität bzw. Reflektivität werden, lassen sich die Prozesse weiter optimie-ren, um in Zukunft nicht nur sicherere, sondern auch noch prozesseffizientere Pharma-Distributionsketten zu gestalten.

Kontakt

Institut für Fördertechnik und Logistik

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