Logistik & Supply Chain

Wettbewerbsfähigkeit leidet

VCI Initiative kreidet Verkehrsinfrastruktur-Missstände in Deutschland an

12.09.2014 -

Im Auftrag der chemischen Industrie werden rund 226 Mio. t chemischer Erzeugnisse transportiert. Nur eine intakte, funktionierende Verkehrsinfrastruktur garantiert reibungslose Abläufe in der Lieferung dieser Erzeugnisse und folglich die Wettbewerbsfähigkeit des Industriezweigs Chemie. Mit seiner Initiative Verkehrsinfrastruktur will der Verband der Chemischen Industrie (VCI) auf die Missstände der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland aufmerksam machen, die politische Diskussion verstärken und eine Verbesserung der Situation einfordern. Mit Gerd Deimel, dem Sprecher der VCI-Initiative Verkehrsinfrastruktur, und Andrea Heid, Leiterin des Bereiches Umweltschutz, Anlagensicherheit, Verkehr im VCI, sprach Dr. Sonja Andres über die Lage der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und die Pläne und Ziele der Initiative.

CHEManager: Herr Deimel, was gab den Anstoß zur Gründung einer Initiative Verkehrsinfrastruktur im Verband der Chemischen Industrie? Was soll erreicht werden?

G.Deimel: Die Straßen sind löchrig, Brücken gesperrt, Kanäle und Schleusen sind nicht betriebsfähig und die Bahntrassen überlastet. Kurzum: Die Probleme der deutschen Verkehrswege werden immer spürbarer. Das gab für den VCI den Ausschlag, Anfang 2014 die Initiative Verkehrsinfrastruktur ins Leben zu rufen.

Außerdem ist unsere Branche eine der transportintensivsten Wirtschaftszweige in Deutschland und damit besonders von der maroden Infrastruktur betroffen: Im Jahr 2012 hat sie rund 226 Mio. t (ohne Pipelines) chemischer Erzeugnisse befördert. Sie verantwortet damit rund 6% des gesamten Güterverkehrsaufkommens in Deutschland. Bundesweit ist die chemische Industrie der zweitgrößte Auftraggeber von Transportdienstleistungen. Etwa 80% der Produktion gehen an industrielle Weiterverarbeiter. Deshalb sind die Unternehmen auf funktionstüchtige Straßen, Eisenbahnen und Binnenwasserwege angewiesen, um ihre Kunden pünktlich beliefern und die eigene Rohstoffversorgung sichern zu können.

Mit dieser Initiative wollen wir die politische Diskussion intensivieren und konstruktiv begleiten. Vor allem wollen wir der Politik die Dringlichkeit des Problems vor Augen führen und Entscheidungsträger dort beraten, wo unserer Meinung nach zügig gehandelt werden muss.

Welche Unternehmen sind in der Initiative direkt beteiligt? Werden auch Logistikverbände und -unternehmen, etc. miteinbezogen, um der Sache noch mehr Gewicht zu geben?

G.Deimel: Aus dem VCI-Ausschuss Verkehr und Logistik engagieren sich die Unternehmen BASF, Currenta, Dow, Evonik, Lanxess, Merck, Infraserv/Knapsack und Wacker. Wir stehen aber auch in engem Kontakt mit den Logistikverbänden, Vertretern aller Verkehrsträger und anderen Wirtschaftsbereichen.

Frau Heid, sehen Sie durch den Zustand einzelner Infrastrukturbereiche in Deutschland die Transportsicherheit als allgemein gefährdet an?

A. Heid: Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass heute bereits durch die marode Infrastruktur ein grundsätzliches Sicherheitsrisiko besteht. Aber wir sind auf dem Weg dahin, wenn nichts geschieht. Und das wollen wir auf alle Fälle vermeiden: Als chemische Industrie haben wir ein besonderes Interesse daran, dass unsere Produkte sicher ihr Ziel erreichen. Und wir wollen, dass dieses Ziel schnellstmöglich erreicht wird und nicht große Umwege in Kauf genommen werden müssen, weil beispielsweise eine Brücke für den Schwerlastverkehr gesperrt wurde.

Welche Verkehrsbereiche sind nach Meinung der VCI-Initiative besonders betroffen oder besteht Investitionsbedarf bei allen Verkehrsträgern gleichermaßen?

A. Heid: In Deutschland müssten vor allem die rund 2.500 Straßenbrücken saniert werden; davon sind über 300 akut gefährdet, und man müsste sie sogar ganz sperren.

Auch bei 1.400 Eisenbahnbrücken besteht dringender Sanierungsbedarf. Außerdem fehlen Transportkapazitäten auf der Schiene. Und wenn man einen Blick auf die Binnenwasserwege wirft: Hier sind die Schleusen teilweise mehr als 100 Jahre alt. Knapp ein Drittel davon müssten ebenfalls saniert oder ausgebaut werden.

Können Sie bitte ein paar markante Beispiele nennen?

G.Deimel: Nehmen Sie die A1-Brücke über den Rhein in Leverkusen, die nun kürzlich erneut für Lkw ab 3,5 t gesperrt wurde. Als uns, die Industrieregion Leverkusen erstmals die Nachricht erreichte, dass diese Brücke gesperrt werden sollte, war das für uns ein Schock. Von einem Tag auf den anderen waren etablierte Transportwege, die unsere Lieferströme und Supply Chains sicherstellten, unterbrochen. Teure Umwege mussten in Kauf genommen werden, wovon auch viele Mitarbeiter betroffen waren. Planabweichungen und Megastaus waren die Folge. Über 80 Mio. Euro volkswirtschaftlichen Schaden hat diese Maßnahme verursacht. Mit der nun neuen Sperrung und neuen „Qualität" der Risse wissen wir heute noch nicht, wie lange die Sperrung andauern wird. Sicher ist aber, dass die Belastung der umliegenden Brücken damit weiter zunimmt und es deswegen für Speditionen, Mitarbeiter und alle weiteren Beteiligten künftig wohl noch schwieriger wird, die Chemparks pünktlich zu erreichen.

Ein anderes Beispiel liegt ganz im Süden Deutschlands: der Chemiepark Burghausen. Die dort ansässigen Unternehmen sind auf die notwendige Schienenerweiterung dringend angewiesen.

Für die chemische Industrie sind Eisenbahn und Binnenschiff wichtige Verkehrsträger: Welche Investitionen bzw. Projekte sehen Sie hier als besonders dringlich bzw. zukunftsträchtig an?

G.Deimel: Für den Verkehrsträger Eisenbahn wäre ein zukunftsweisender Schritt beispielsweise, zusätzliche Schienen für den Güterverkehr zu schaffen bzw. zu erweitern.

Beim Binnenschiff müssen neben der Modernisierung und dem Ausbau der Schleusen im westdeutschen Kanalnetz die Brücken erhöht werden. Dann könnte die Chemie auf den Binnenwasserwegen doppellagige Container einsetzen und die freien Kapazitäten dieses Verkehrsträgers besser nutzen als bisher. Und auch andere Branchen könnten mehr mit dem Binnenschiff transportieren.

Mit Blick auf die Wasserwege möchte ich einen weiteren Aspekt erwähnen: Er betrifft die Seehäfen. Sie benötigen eine bessere Anbindung an das Hinterland. Das gilt für die etablierten Nordhäfen und  den Tiefwasser Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven genauso auch für die Häfen Rotterdam und Antwerpen. Sie haben für die deutsche Chemie eine große Bedeutung. Die aktuelle Verkehrsprognose zeigt: Vor allem die westdeutschen Nordhäfen werden bis 2030 stark wachsen. Dazu ist eine gut vernetzte Infrastruktur zu, von und zwischen den Hafenregionen von essentieller Bedeutung, wie auch das Deutsche Seeverladerkomitee im Bundesverband der Deutschen Industrie besonders fordert.

Ließen sich diese Projekte aus Steuergeldern finanzieren oder würden zusätzliche finanzielle Mittel benötigt?

G.Deimel: Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Investitionsmittel in den kommenden vier Jahren um 5 Mrd. Euro aufzustocken. Doch diese Finanzspritze reicht bei weitem nicht aus. Es ist vielmehr ein zusätzlicher Investitionsbedarf von 7,2 Mrd. Euro jährlich notwendig. Das hat die Bund-Länder-Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastruktur" bereits 2012 in ihrem Bericht gefordert. Aus unserer Sicht sind ausreichend staatliche Mittel vorhanden, sie müssen nur umgeschichtet werden. Deshalb lehnen wir zusätzliche  Belastungen der Verkehrsteilnehmer ab.

Erst im Juni 2014 ist von Chemcologne eine Studie zur Chemielogistik erschienen. Auch sie ermittelt als eines der entscheidenden Ergebnisse: „Zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der rheinländischen Chemie ist die Verbesserung der Infrastruktur unabdingbar." Inwieweit werden die infrastrukturellen Bedürfnisse einzelner Regionen in die Gesamtbetrachtung der VCI-Initiative einbezogen? Nach welchen Kriterien und durch wen erfolgt schließlich die Priorisierung von Projekten, denn bei der Verteilung von Geldern werden viele Regionen laut hier schreien?

G.Deimel: Im Rahmen unserer Initiative arbeiten wir eng mit unseren Landesverbänden zusammen. Dabei haben wir besonders im Blickfeld, welche Maßnahmen in einzelnen Regionen von besonderer Bedeutung sind. In einer Projektgruppe betrachten und bewerten wir diese Maßnahmen und geben unsere begründete Einschätzung an die Entscheider in der Politik weiter.

Seit Ende Mai dieses Jahres liegen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt die Projektvorschläge des Bundesverkehrswegeplans 2015 zum Aus- und Neubau von Straßen, Schienenwegen, und Binnenwasserstraßen vor und sollen nun auf Basis der aktualisierten Verkehrsprognose 2030 bewertet werden. Hat die VCI-Initiative Verkehrsinfrastruktur hierzu bereits ihre Anliegen vorgebracht bzw. auf welche Weise wird die Initiative in dieses Prozedere Einfluss nehmen können?

A. Heid: Die Sammlung der Vorschläge ist bereits im letzten Jahr erfolgt, also bevor die Initiative gestartet ist. Wir hatten allerdings Gelegenheit, unsere Vorstellungen über den Bundesverband der Deutschen Industrie dort einzubringen und haben von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht.

Welchen zeitlichen Rahmen zur Durchsetzung ihrer Forderungen hat sich die Initiative Verkehrsinfrastruktur gesetzt?

G.Deimel: Seit knapp elf Monaten sind wir aktiv. Und in diesem Zeitraum haben wir vielfältige und zahlreiche Gespräche mit Politikern und zuständigen Behörden auf Landes- und Bundesebene geführt. Unser Eindruck ist, dass sie der Chemie zuhören und unsere Vorschläge begrüßen. Allerdings glaube ich auch, dass wir einen langen Atem haben müssen, die schneller voranschreitende Marodität, dies aber eigentlich nicht zulässt.

Daher ist es gut, dass wir Allianzen mit anderen Verbänden schmieden und uns in die gleiche Richtung bewegen und ergänzen. Die Verkehrspolitiker erhalten dadurch weitere Unterstützung bei den Haushalts-Politikern, die letztlich die Entscheidungsträger sind.

Kontakt

VCI - Verband der Chemischen Industrie e.V

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