Strategie & Management

Wirtschaftsfaktor Mensch

Gesundheitsmanagement für den Mittelstand

03.02.2015 -

Kombinierte Maßnahmen verbessern das Image, senken Krankheitskosten und steigern die Produktivität.

Andere Studien, etwa von Booz & Company, errechnen sogar ROIs von bis zu 1:16. Die Zufriedenheit und Gesunderhaltung der Angestellten sind damit ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Viele Mittelständler tun sich allerdings schwer mit der Einführung passender Programme, zu groß ist die Auswahl an verschiedenen Angeboten, zu unklar die richtige Umsetzung. Abhilfe verspricht hier ein neuer, multimodaler Ansatz, der das Problem auf den jeweiligen Betrieb zugeschnitten von mehreren Seiten gleichzeitig angeht.
Über 200 Firmen befragte die AOK zum wirtschaftlichen Nutzen innerbetrieblicher Gesundheitsförderung - mit eindeutigen Ergebnissen: Rund 60 % der Antworten berichteten von starken Senkungen bei der Entgeltfortzahlung aufgrund ergonomischerer Arbeitsplätze, technischer Hilfen, besserer Kommunikation und insgesamt einer stärkeren Betonung gesundheitsbewussten Verhaltens. Ein internationaler Automobilzulieferer mit 2.000 Angestellten konnte so pro Jahr eine Million Euro sparen, ein Süßwarenhersteller mit 400 Mitarbeitern 320.000 Euro und ein Autohaus mit einem Personalstamm von nur 20 Angestellten immerhin 10.000 Euro. Zusätzlich verzeichneten die Unternehmen auch eine höhere Motivation der Arbeitnehmer und damit verbunden Produktivitätssteigerungen von 3,5 bis 10 % beziehungsweise bis zu 250.000 Euro.

Umfassende Maßnahmenpakete in Konzernen oft Standard
Die Bedeutung eines umfassenden Betrieblichen Gesundheitsmanagements nicht nur als nette Geste gegenüber der Belegschaft oder als Lockmittel für neue Mitarbeiter, sondern vor allem auch als harter Einflussfaktor für die Rentabilitätssteigerung einer Firma wird inzwischen zunehmend anerkannt und immer wieder aus der Praxis bestätigt. So erklärte etwa Karsten von Rabenau, Leiter des Gesundheitsmanagements beim Versandhändler Otto, anlässlich der Verleihung des Corporate Health Awards 2012 in einem Interview: „Die Mitarbeiter sind das größte Potential und der wichtigste Wirtschaftsfaktor im Unternehmen. Die Evaluierung unserer einzelnen Maßnahmen hat gezeigt, dass sich jeder Euro lohnt - investiert man einen Euro, bekommt man mindestens drei bis acht Euro zurück." Die überwiegende Mehrheit von inzwischen über 1.000 Studien zu BGM weltweit bestätigt diese Erfahrung: Die Fehlzeiten sinken um 30 bis 40 %, die Krankheitskosten reduzieren sich und auch die Produktivitätsverluste durch Präsentismus - Angestellte, die zwar anwesend sind, aber nichts mehr leisten können oder innerlich gekündigt haben - gehen zurück.
Um einen solchen ROI zu erzielen, muss jedoch an verschiedenen Fronten und auf mehreren Ebenen angesetzt werden. Die Bandbreite der möglichen Angriffspunkte geht weit über das Salatbuffet in der Kantine oder den einmaligen Gesundheitstag pro Jahr hinaus: Arbeitsmittel vom Bürostuhl bis zur Fertigungsanlage können ergonomischer gestaltet, Fitnessräume und regelmäßige Rückenschulen eingerichtet werden, um den Körper zu schonen und zu kräftigen - ein Weg, den beispielsweise MAN Truck & Bus geht. Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit, eine medizinische und psychologische Betreuung einzurichten, um Stress zu vermeiden und eine leicht zugängliche Gesundheitsvorsorge zu bieten, wie es etwa bei SAP der Fall ist. Darüber hinaus sind Führungs­coachings angeraten, die das Betriebsklima allgemein verbessern und einen bewussteren Umgang mit der eigenen Gesundheit auch tief in der Unternehmenskultur verankern sollen.

Gesundheitsprogramme speziell auf ­Mittelständler zugeschnitten
Für Konzerne gehören derartige Maßnahmen längst zum Standard, der Mittelstand dagegen steht vor dem Problem, dass für eigene Gesundheitsabteilungen in der Regel die Kapazitäten fehlen. Stattdessen werden oft Angebote der Krankenkassen genutzt, die jedoch in den meisten Fällen nur ein standardisiertes Programm anbieten, das nicht unbedingt zu den eigentlichen Bedürfnissen des Betriebs passt - zumal es in den meisten Firmen an mehreren Stellen Handlungsbedarf gäbe. „Der Mittelstand nimmt das Thema sehr ernst", erklärt Mechthild Heppe, Leiterin des Kreisverbandes Wirtschaftsregion München und bayerisches Oberland im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). „Der BVMW hat beispielsweise auf Bundesebene eine Gesundheitskommission gebildet, die mit drei aktuellen Kooperationen den Informationsaustausch zwischen Medizinern und Unternehmen weiter stärken soll." Zusätzlich werde das Thema regional durch Veranstaltungen aufgegriffen. „Dabei berichten Experten über die Wichtigkeit der betrieblichen Gesundheitsvorsorge oder neue Trends in der Medizin. Außerdem fördern Praxisbeiträge hier den Austausch miteinander."
Dennoch sind viele Geschäftsführer noch unsicher, wie Dr. Josef Oswald, Leiter des auf Betriebliches Gesundheitsmanagement spezialisierten Curato Instituts, berichtet: „‚Was bringt das? Was kostet das? Welche Maßnahmen sind überhaupt sinnvoll?' Das sind die häufigsten Fragen an uns." Um diese Fragen und eine effektive Gesundheitsvorsorge realisieren zu können, führt der Experte zunächst immer eine umfassende Analyse der Betriebssituation durch, um dann mit der Geschäftsleitung zusammen zu entscheiden, für welche Schritte und Veränderungen das gesteckte Budget verwendet werden soll. „In jedem Fall hat sich aber gezeigt, dass vereinzelte Maßnahmen wenig bringen. Erfolgversprechen der ist es, mehrere Punkte zugleich anzugehen." Dieser sogenannte multimodale Ansatz stammt aus der Medizin, wo sich verschiedene, zeitgleiche Behandlungen bewährt haben, um die höchsten Erfolgschancen zu erzielen.

Ursachen analysieren, Maßnahmen ­umsetzen, Durchhaltevermögen zeigen
Ein typischer mittelständischer Beispielbetrieb hat Schwierigkeiten beim Erhalt des Fachkräftebestands, verzeichnet zudem viele Krankheitsausfälle in der Produktion und die Führungskräfte kämpfen mit Belastungsreaktionen durch hohen Arbeitsdruck. „Nach dem multimodalen Konzept würden hier sowohl Maßnahmen erarbeitet, um die Attraktivität des Arbeitgebers zu erhöhen und ältere Angestellte fit zu ­halten, als auch Kommunikations- und Führungs-coach­ings angeboten, je nachdem ob der Stress von der Arbeitsmenge, dem Betriebsklima oder der Führungskultur herrührt", erklärt Dr. Oswald. „Gleichzeitig müsste von Beginn an analysiert werden, ob die Krankheitsfälle auf körperliche oder psychische Belastungen oder auch auf die Mitarbeiterstruktur zurückzuführen sind, um passende Lösungen zu entwickeln." Um dieses weite Feld abdecken zu können, arbeitet der Experte mit einem kompletten Team aus Ärzten, Psychologen und Trainern zusammen.
Das individuell angepasste Maßnahmen-Bündel ist die Basis für eine langfristige Wirkung des Gesundheitsprogramms, verhindert Eintönigkeit oder Langweile und sorgt so auch beim Personal für eine bessere Akzeptanz. „Wichtig ist, dass die Unternehmensleitung den Weg mitgeht und nicht zu früh nachlässt. Bewegung oder Ernährungsumstellung zeigen zwar schnelle Effekte, die größte Wirkung geht aber von der Änderung eingefahrener Verhaltensmuster aus und die braucht Zeit", so der Gesundheitsökonom. Mit der richtigen Strategie lässt sich auf diese Weise eine erhebliche wirtschaftliche Verbesserung erreichen, Dr. Oswald vom Curato Institut rechnet für ein durchschnittliches Mittelstandunternehmen mit einem Rückgang der Fehlzeiten um 20 bis 30 %.

Nicht nur gesünder, sondern anders arbeiten
Doch nicht nur die Abläufe im Unternehmen gilt es im Sinne der Gesundheit und im Hinblick auf die Mitarbeitergewinnung zu überdenken, auch flexible Arbeitsformen, die Raum zur Selbstverwirklichung lassen, werden zunehmend gefordert, wie BVMW-Kreisverbandsleiterin Heppe bestätigt: „Möchten Unternehmen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben, müssen sie kreative und innovative Wege gehen, um leistungsfähige, engagierte Mitarbeiter zu rekrutieren, und Antworten auf unterschiedliche Erwartungshaltungen sowie Lebensentwürfe bieten, um sie zu binden." Moderne Arbeitszeitmodelle, etwa Home-Office oder eine längere Freistellung, sogenannte Sabbaticals, sind mittlerweile als gute Instrumente anerkannt, um Jobs attraktiver zu machen. Insbesondere die viel zitierte Generation Y, die sehr viel Wert auf die Vereinbarkeit von Arbeits- und Lebensplanung legt, lässt sich damit locken. Laut dem Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit 2013 des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln boten beispielsweise 2012 bereits mehr als 50 % der deutschen Unternehmen ihren Angestellten Vertrauensarbeitszeit an. „Um eine allgemein gültige Empfehlung auszusprechen, sei jedem Betrieb geraten, sich grundsätzliche Gedanken über einen möglichen, vielleicht auch teilweisen Einsatz solcher Modelle zu machen", meint auch BGM-Experte Oswald. Solche Auszeiten müssten allerdings in die Ressourcenplanung miteinbezogen werden und mit den Arbeitsabläufen vereinbar sein. „Für die meisten Firmen lassen sich aber entsprechende Lösungen finden, die auch zum Betrieb passen."